Urteil des BVerfG vom 23.08.2005
BVerfG: verfassungsbeschwerde, vergütung, justizbehörde, berufsfreiheit, nettoeinkommen, ratenzahlung, eingriff, hamburger, entstehungsgeschichte, berufsausübung
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 46/05 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Rechtsanwalts A...
gegen
a)
den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 3. Dezember
2004 - 7 WF 176/04 -,
b)
den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 2. November 2004 - 271 F 375/03 -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Gaier
am 23. August 2005 einstimmig beschlossen:
1. Der Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 3. Dezember 2004 - 7 WF 176/04 - und
der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 2. November 2004 - 271 F 375/03 - verletzen den
Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
Die Sache wird an das Amtsgericht Hamburg zurückverwiesen.
2. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Streitwertfestsetzung in Ehesachen, wenn beiden Parteien
Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt worden ist.
I.
2
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Er wurde einer Ehefrau, der für ein Scheidungsverfahren Prozesskostenhilfe
ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt worden war, beigeordnet. Auch dem Ehemann wurde Prozesskostenhilfe
ohne Ratenzahlung bewilligt.
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1. Das Amtsgericht setzte den Streitwert für die Ehesache auf den Mindestwert von 2.000 € fest (§ 12 Abs. 2 Satz 4
des Gerichtskostengesetzes a.F.; jetzt § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG). Gegen die Streitwertfestsetzung erhob der
Beschwerdeführer im eigenen Namen Beschwerde. Der Ehemann verfüge über ein monatliches Nettoeinkommen von
1.440 €, die Ehefrau über 814,45 €, was nach § 12 Abs. 2 Satz 2 GKG a.F. (jetzt § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG) einen
Streitwert von 6.763,35 € ergebe.
4
Der Beschwerde wurde von dem Amtsgericht nicht abgeholfen. Bei der Wertbemessung nach § 12 GKG a.F. seien
die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall seien diese Verhältnisse
schlecht, was auch dadurch zum Ausdruck komme, dass beiden Eheleuten Prozesskostenhilfe ohne
Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt worden sei. Daher sei der Mindestwert anzusetzen.
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2. Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde zurück. Es verbiete sich jedenfalls in solchen Fällen, in denen die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eheleute derart beengt seien, dass die Allgemeinheit die Kosten des
Scheidungsverfahrens - ohne auch nur eine geringe Ratenzahlungsverpflichtung der Ehegatten - zu tragen habe, den
Mindeststreitwert zu überschreiten. Die Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei der
Streitwertbemessung beruhe auf der Überlegung, dass Besserverdienenden auch höhere Scheidungskosten
zugemutet werden könnten. Dies gelte aber dann nicht mehr, wenn die betroffenen Ehegatten überhaupt keinen
Beitrag zu den Kosten ihres Scheidungsverfahrens zu leisten hätten.
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3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Verletzung von Art. 12 Abs. 1
GG. Die Streitwertfestsetzung beschneide seine freie Berufsausübung, weil derartige Mandate nicht mehr
kostendeckend seien. Für die Entscheidungen gebe es keine Rechtsgrundlage. Der Verweis auf die Belastung der
Allgemeinheit sei eine sachfremde Erwägung.
7
4.
Zu
der
Verfassungsbeschwerde
haben
der
Präses
der
Hamburger
Justizbehörde,
die
Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Familiengerichtstag und der Deutsche AnwaltVerein Stellung genommen.
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a) Nach der Ansicht der Hamburger Justizbehörde ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Aus der
Entstehungsgeschichte der Norm ergebe sich der Wille des Gesetzgebers, dass im Falle der früheren
Armenrechtsgewährung und jetzt der Prozesskostenhilfe der Regelstreitwert zum Schutz der Kassen der Länder auf
den Mindestwert herabgesetzt habe werden sollen.
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b) Dagegen hält der Deutsche AnwaltVerein die Verfassungsbeschwerde für begründet. Es sei nicht einzusehen,
dass der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt durch die niedrige Streitwertfestsetzung
zugunsten der Allgemeinheit ein doppeltes Sonderopfer erbringen müsse, nachdem er ohnehin schon zu geringeren
Gebühren tätig werden müsse als ein nicht beigeordneter Rechtsanwalt.
II.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung
des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerGG). Auch
die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Der Beschwerdeführer behauptet die Verletzung eigener Rechte (§ 90
Abs. 1 BVerfGG). Der Streitwert wird zwar in erster Linie zur Bestimmung der Gerichtsgebühren festgesetzt, die
grundsätzlich von den Parteien zu tragen sind. Da der für die Gerichtsgebühren festgesetzte Wert auch für die
Vergütung des Rechtsanwalts maßgeblich ist (§ 9 Abs. 1 BRAGO, jetzt § 32 Abs. 1 RVG), ist der Beschwerdeführer
von einer (zu niedrigen) Wertfestsetzung betroffen (vgl. BVerfGE 83, 1 <12>).
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die Auslegung, die die angegriffenen Entscheidungen den
einschlägigen Vorschriften des Gerichtskostengesetzes zukommen lassen, ist mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Ob der Gesetzgeber eine ausdrückliche Regelung mit dem Inhalt, wie ihn die Gerichte im Ausgangsverfahren
angenommen haben, schaffen könnte, bedarf hingegen keiner Entscheidung. Jedenfalls auf der Grundlage des
geltenden Rechts durften die Gerichte im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu dem von ihnen gefundenen Ergebnis
gelangen.
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a) In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten, zu denen
Ehesachen und damit auch die Scheidungsverfahren zählen, ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände
des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und
Einkommensverhältnisse der Parteien, nach gerichtlichem Ermessen zu bestimmen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 GKG a.F.,
jetzt § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG). Dabei ist in Ehesachen für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte
Nettoeinkommen der Eheleute einzusetzen (§ 12 Abs. 2 Satz 2 GKG a.F., jetzt § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG). Der
Streitwert darf in Ehesachen nicht unter 2.000 € angenommen werden (§ 12 Abs. 2 Satz 4 GKG a.F., jetzt § 48 Abs. 3
Satz 2 GKG).
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Die von den Gerichten im Ausgangsverfahren vertretene Auffassung, wonach in Ehesachen bei beiderseitiger
Bewilligung von Prozesskostenhilfe "stets" oder "im Regelfall" der Mindeststreitwert von 2.000 € festzusetzen sei,
wird von einigen Oberlandesgerichten in teilweise uneinheitlicher Rechtsprechung vertreten, überwiegend jedoch
abgelehnt.
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b) Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, einen Beruf auszuüben, ist untrennbar mit der Freiheit
verbunden, eine angemessene Vergütung zu fordern. Gesetzliche Vergütungsregelungen sind daher am Maßstab des
Art. 12 Abs. 1 GG zu messen (vgl. BVerfGE 88, 145 <159>). Nichts anderes gilt für gerichtliche Entscheidungen, die
auf Vergütungsregelungen beruhen (vgl. BVerfGE 101, 331 <347>).
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Die angegriffenen Entscheidungen betreffen allerdings zunächst nur den Streitwert und regeln nicht unmittelbar die
Vergütung des Beschwerdeführers. Die Berufsfreiheit ist auch dann berührt, wenn sich eine Maßnahme zwar nicht auf
die Berufstätigkeit selbst bezieht, aber in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs steht, dass
sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz hat (vgl. BVerfGE 110, 274 <288>; 111, 191 <213>). Da sich aus der Höhe
des Streitwerts gemäß § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (jetzt § 2 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG) unmittelbar
die Höhe des Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts ableitet, hat die Festsetzung des Streitwerts in gleicher Weise
wie eine Vergütungsregelung berufsregelnde Tendenz (vgl. auch BVerfGE 83, 1 <12>).
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c) Der Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung findet im vorliegenden Fall zwar die erforderliche gesetzliche
Grundlage (vgl. BVerfGE 101, 331 <347>; 111, 10 <32>; stRspr) in § 12 Abs. 2 Satz 1, 2 und 4 GKG a.F. (jetzt § 48
Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG) in Verbindung mit den Vorschriften
über die Maßgeblichkeit des festgesetzten Streitwertes für die Höhe der Vergütung von Rechtsanwälten (§ 9 Abs. 1
BRAGO, jetzt § 32 Abs. 1 RVG). Die Auslegung dieser Normen durch die Gerichte des Ausgangsverfahrens genügt
jedoch nicht den verfassungsrechtlichen Erfordernissen; denn sie führt im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen
Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit des Beschwerdeführers (vgl. BVerfGE 85, 248 <258>; 97, 12 <27>).
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aa) Die von den Gerichten des Ausgangsverfahrens vertretene Auffassung berücksichtigt nicht, dass sich der
vorliegende Eingriff in die Berufsfreiheit nicht durch die Verfolgung von Gemeinwohlbelangen rechtfertigen lässt.
Insbesondere kann hierfür nicht der Schutz der Staatskasse, die gemäß § 121 BRAGO (jetzt § 45 Abs. 1 RVG) die
Kosten des beigeordneten Anwalts übernehmen muss, angeführt werden. Das Ziel der Schonung öffentlicher Kassen
stellt bei Vergütungsregelungen zwar eine an sich vernünftige Erwägung des Gemeinwohls dar (vgl. BVerfGE 101, 331
<349>). Der Gesetzgeber hat dem jedoch bereits umfassend bei der Reduzierung der Vergütungssätze der im Wege
der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälte in § 123 BRAGO (jetzt § 49 RVG) Rechnung getragen. Da die
Tätigkeit eines im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts in qualitativer wie in quantitativer
Hinsicht keine andere ist als die des in gewöhnlicher Weise beauftragten Rechtsanwalts, kann - auch unter dem
Gesichtspunkt der erhöhten Solvenz des staatlichen Kostenschuldners - die spürbar reduzierte Vergütung nur im
Hinblick auf die fiskalischen Interessen des Staates gerechtfertigt sein. Hingegen kommt die Festsetzung des
Streitwerts derzeit nicht als Mittel zu einer gleichmäßigen und damit umfassenden Reduzierung öffentlicher Ausgaben
in Betracht, weil sich insbesondere die am Klägerinteresse orientierte Wertermittlung in vermögensrechtlichen
Streitigkeiten einer Berücksichtigung dieses Anliegens entzieht (vgl. § 12 Abs. 1 GKG a.F., jetzt § 48 Abs. 1 GKG).
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Sind hiernach die fiskalischen Belange durch den Gesetzgeber bereits bei der Gebührenregelung für die in
Prozesskostenhilfesachen beigeordneten Rechtsanwälte berücksichtigt, so können diese Belange im Hinblick auf
Art. 12 Abs. 1 GG durch die Rechtsprechung nicht nochmals zur Rechtfertigung einer Reduzierung des Streitwerts
herangezogen werden, um so die Vergütung der Rechtsanwälte noch weiter abzusenken.
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bb) Die Gerichte des Ausgangsverfahrens waren nicht gehindert, bei der Auslegung des Gesetzes die Bedeutung der
Berufsfreiheit des Beschwerdeführers zu beachten. Entgegen der Ansicht der Gerichte des Ausgangsverfahrens
zwingt das geltende Recht nicht dazu, in Ehesachen bei beiden Parteien bewilligter Prozesskostenhilfe ohne
Ratenzahlung lediglich den Mindeststreitwert von 2.000 € anzusetzen.
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(1) Die auf den Normzweck ausgerichtete Überlegung des Oberlandesgerichts im Ausgangsverfahren, die
Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse beruhe auf dem Ansatz, dass Besserverdienenden
höhere Scheidungskosten zugemutet werden könnten, dies komme aber nicht mehr zur Geltung, wenn die Parteien
gar keine Kosten mehr selbst zu tragen hätten, geht fehl. Die Anknüpfung des Streitwerts an die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse beruht zwar auf dem Bestreben, im konkreten Fall die Festsetzung angemessener Gebühren
nach sozialen Gesichtspunkten zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 80, 103 <107>). Daraus folgt aber nicht, dass dann,
wenn dieser soziale Aspekt entfällt, weil die Parteien ohnehin keine Kosten tragen, der Streitwert auf den Mindestwert
zu bemessen wäre. Vielmehr könnte hieraus auch eine Anhebung der Gebühren hergeleitet werden, weil es einer
Absenkung aus sozialen Gründen nicht mehr bedarf.
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(2) Ebenso wenig kann mit dem Amtsgericht davon ausgegangen werden, dass die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe auf unzureichende Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Sinne von § 12 Abs. 2 GKG a.F.
(jetzt § 48 Abs. 2 und 3 GKG) hinweise, weshalb im Regelfall ohne weitere Prüfung der Mindeststreitwert maßgeblich
sei (so auch OLG Hamm, JurBüro 1980, S. 237 <238>; OLG Stuttgart, FamRZ 2000, S. 1518). Diese Auffassung
lässt außer Acht, dass die Vorschriften des Gerichtskostengesetzes über den Streitwert in Ehesachen und die
Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe vom Gesetzgeber nicht aufeinander abgestimmt
worden sind (vgl. OLG Jena, FamRZ 1999, S. 602 <603>; OLG München, FamRZ 2002, S. 683; Roth, in:
Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2003, § 3 Rn. 34). Während die Vorschriften über die Prozesskostenhilfe nur die Frage
beantworten, ob und in welchem Umfang vorhandenes Einkommen und Vermögen zur Finanzierung eines
Rechtsstreits eingesetzt werden müssen, bestimmen die Vorschriften über den Streitwert - abgesehen von den an den
Verfahrensgegenstand anknüpfenden Faktoren -, bei welchem Einkommen und Vermögen welcher Streitwert und
somit welche Kostenlast gegenüber dem Gericht und dem eigenen Anwalt angemessen ist. Die
Prozesskostenhilfevorschriften rücken deshalb mit detaillierten Vorgaben das konkret verfügbare - "flüssige" -
Einkommen und Vermögen in den Vordergrund (vgl. etwa § 115 Abs. 2 Satz 2, jetzt Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 90 Abs. 2
Nr. 8 SGB XII, früher § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG). Dagegen knüpfen die Vorschriften über die Streitwertbestimmung in
Ehesachen an eine weitergehende Statusbetrachtung an, nach der vom dreifachen Netto-Monatseinkommen der
Eheleute auszugehen ist und die Vermögensverhältnisse eine Korrektur nach oben oder unten erlauben. Eine
Differenzierung nach verfügbarem und nicht "flüssigem" Vermögen findet hier nicht statt und ist auch nicht nötig, weil
es nicht um den unmittelbaren Einsatz dieses Vermögens geht. Wegen dieser Unterschiede ist es nicht möglich,
allein aus der Tatsache der Bewilligung von Prozesskostenhilfe Schlussfolgerungen für den Streitwert in Ehesachen
zu ziehen.
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(3) Die Ausgangsgerichte können sich für ihre Auffassung auch nicht auf die von der Justizbehörde Hamburg
angeführte Entstehungsgeschichte der Regelung berufen.
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In der bis 1975 geltenden Fassung des Gerichtskostengesetzes war für Ehesachen ein Regel- und zugleich
Mindeststreitwert von 3.000 DM vorgesehen, der "unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles,
insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der
Parteien", erhöht werden konnte. Der Entwurf der Bundesregierung zu einem neuen Gerichtskostengesetz schlug
zunächst eine Erhöhung des Regel- und Mindeststreitwerts auf 4.000 DM vor (BTDrucks 7/2016, S. 5 f.). Der
Rechtsausschuss des Bundestages erhöhte diesen Betrag auf 6.000 DM (BTDrucks 7/3243, S. 5). Hingegen
befürchtete der Bundesrat eine erhebliche Steigerung der Armenrechtsgewährung für Ehescheidungsverfahren und
hielt im Hinblick auf eine "schwierige Haushaltslage" 4.000 DM für ausreichend (BTDrucks 7/3498, S. 7). Im
Vermittlungsausschuss wurde daraufhin die später Gesetz gewordene Regelung gefunden, die im Wesentlichen noch
heute gilt. Sie führte zur Abschaffung des Regelstreitwerts für Ehesachen und sah nur noch einen Mindeststreitwert
von 4.000 DM vor. Statt des Regelstreitwerts wurde bestimmt, dass für die Einkommensverhältnisse das in drei
Monaten erzielte Nettoeinkommen der Eheleute einzusetzen ist (BTDrucks 7/3803, S. 2).
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In den Materialien findet sich mithin kein Hinweis darauf, dass bei beiderseitig gewährtem Armenrecht stets nur der
Mindeststreitwert angesetzt werden soll. Bei dem ursprünglichen Vorhaben eines Mindeststreitwertes, der zugleich
dem Regelstreitwert entsprechen sollte, wäre es dazu zwar regelmäßig gekommen, dieses Modell ist aber nicht
Gesetz geworden.
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3. Hiernach sind die Entscheidungen des Oberlandesgerichts und des Amtsgerichts gemäß § 93 c Abs. 2 in
Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, ohne dass es auf die weiter erhobenen Rügen noch ankommt. Die
Sache selbst ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
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4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Papier
Steiner
Gaier