Urteil des BVerfG vom 16.09.2010

BVerfG: subjektives recht, gemeindeordnung, gemeinderat, erlass, öffentliche gewalt, öffentliches recht, verfassungsbeschwerde, rechtliches gehör, klagebefugnis, abstimmung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2349/08 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn H...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Lothar Hermes,
Münchner Straße 34, 01187 Dresden -
gegen
a)
den Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. Februar 2008 - 4
B 16/08 -,
b)
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 18. Dezember 2007 - 4 K
1911/07 -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Broß,
Di Fabio
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 16. September 2010 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
1
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde richtet sich
gegen zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, mit denen ein Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO wegen Verletzung der Sperrfrist und entsprechenden Sperrwirkung eines
Bürgerentscheids nach § 24 Abs. 4 Satz 2 der Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen (SächsGemO) mangels
Antragsbefugnis abgelehnt wurde.
I.
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1. Der Beschwerdeführer ist Bürger und Einwohner der sächsischen Gemeinde W., der Antragsgegnerin des
Ausgangsverfahrens. Sein Wohngrundstück befindet sich in weniger als sechshundert Metern Entfernung zu dem im
Industriegebiet L. befindlichen Betriebsgelände der M. AG, der Beigeladenen des Ausgangsverfahrens. Ende 2006
wurde in der Gemeinde W. ein Bürgerentscheid zur Frage des Erlasses eines Bebauungsplans, mit dem der Bau
eines Ersatzbrennstoffheizkraftwerks durch die Beigeladene des Ausgangsverfahrens in dem Industriegebiet L.
ermöglicht werden sollte, durchgeführt. Dabei stimmte eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen gegen den Erlass
eines solchen Bebauungsplans. In § 24 SächsGemO ist der Bürgerentscheid wie folgt geregelt:
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§ 24
4
Bürgerentscheid
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(1) In Gemeindeangelegenheiten können die Bürger und die nach § 16 Abs. 1 Satz 2
Wahlberechtigten über eine zur Abstimmung gestellte Frage entscheiden (Bürgerentscheid),
wenn ein Bürgerbegehren Erfolg hat oder der Gemeinderat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln
die Durchführung eines Bürgerentscheides beschließt.
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(2) Der Bürgerentscheid kann über alle Fragen durchgeführt werden, für die der Gemeinderat
zuständig ist. Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über
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1. Weisungsaufgaben,
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2. Fragen der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung,
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3. Haushaltssatzungen und Wirtschaftspläne,
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4. Gemeindeabgaben, Tarife und Entgelte,
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5. Jahresabschlüsse und Gesamtabschlüsse sowie Jahresabschlüsse der Sondervermögen
und Treuhandvermögen,
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6. Rechtsverhältnisse der Gemeinderäte, des Bürgermeisters und der Gemeindebediensteten,
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7. Entscheidungen in Rechtsmittelverfahren,
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8. Anträge, die gesetzwidrige Ziele verfolgen.
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(3) Bei einem Bürgerentscheid ist die Frage in dem Sinne entschieden, in dem sie von der
Mehrheit der gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit mindestens 25 vom
Hundert der Stimmberechtigten beträgt. Ist die nach Satz 1 erforderliche Mehrheit nicht
erreicht worden, hat der Gemeinderat zu entscheiden.
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(4) Der Bürgerentscheid steht einem Beschluss des Gemeinderats gleich. Er kann innerhalb
von drei Jahren nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden.
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(5) Ein Bürgerentscheid entfällt, wenn der Gemeinderat die Durchführung der mit dem
Bürgerbegehren verlangten Maßnahme beschließt.
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Im Herbst 2007 beschloss der Gemeinderat auf Antrag der Beigeladenen die Einleitung eines Verfahrens zum Erlass
eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans (§ 12 BauGB) zur Errichtung eines Ersatzbrennstoffheizkraftwerks auf
einem in der Nähe des Betriebsgeländes der Beigeladenen aber außerhalb des Industriegebiets L. gelegenen
Grundstück.
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2. Der Beschwerdeführer suchte daraufhin bei dem Verwaltungsgericht Dresden um vorläufigen Rechtsschutz nach
und beantragte, der Gemeinde im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu
untersagen, weitere Planungsschritte zur Verwirklichung des ins Auge gefassten Vorhaben- und Erschließungsplans
zur Errichtung eines Ersatzbrennstoffheizkraftwerkes der beigeladenen Molkerei durchzuführen. Darin führte er -
soweit hier relevant - aus, der Aufstellungsbeschluss sei unwirksam, weil er gegen die Sperrwirkung des
Bürgerentscheids nach § 24 Abs. 4 Satz 2 SächsGemO verstoße. Er werde bei der Aufstellung des beabsichtigten
Bebauungsplans in seinen subjektiven Rechten verletzt.
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3. Das Verwaltungsgericht Dresden lehnte den Antrag mit angegriffenem Beschluss vom 18. Dezember 2007 ab. In
den Gründen führte es Folgendes aus:
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Der Antrag sei unzulässig, da dem Beschwerdeführer die analog § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis
fehle. Es seien keine ihm zukommenden subjektiven Rechte ersichtlich, die durch die strittige Nichtbeachtung der
Sperrwirkung des Bürgerentscheids möglicherweise verletzt sein könnten. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf
ihm als Teil eines außerordentlichen Organs innerhalb der Gemeindeorganisation zustehende quasiorganschaftliche
Rechte berufen. Auch in der Vergangenheit sei von dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht eine solche Stellung
allenfalls den Vertretern des Bürgerbegehrens eingeräumt worden. Eine ausdrückliche Regelung, die dem
Beschwerdeführer als Gemeindeeinwohner ein Recht zur gerichtlichen Durchsetzung der Einhaltung der aus § 24
Abs. 4 Satz 2 SächsGemO folgenden Sperrwirkung eines Bürgerentscheids einräume, enthalte die Gemeindeordnung
für den Freistaat Sachsen nicht. Ein subjektives Recht auf Einhaltung der Sperrwirkung des Bürgerentscheids folge
nicht aus dem aus § 24 Abs. 1 Satz 1 SächsGemO folgenden Recht auf Mitentscheidung über die zur Abstimmung
gestellte Frage. Trotz des hohen Stellenwertes von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid erschöpfe sich das
Instrument unmittelbarer Mitwirkung und Abstimmung in der Wahrnehmung des Stimmrechts. Denn mit der
Durchführung des Bürgerentscheids sei das ihm zugrunde liegende Verfahren (Bürgerbegehren oder
Mehrheitsentscheidung des Gemeinderats) erledigt.
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Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers werde das Instrument des Bürgerentscheids ohne die Möglichkeit
des einzelnen Gemeindebürgers, das Handeln der Kommune gerichtlich überprüfen zu lassen, auch nicht wertlos oder
unverbindlich. Die Kontrolle des Vollzugs oder der Beachtung des Bürgerentscheids, das heißt die Kontrolle der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, obliege nach Art. 89 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen (SächsVerf)
dem Freistaat Sachsen im Rahmen der Kommunalaufsicht. Eine andere Auffassung führe in mehrerlei Hinsicht zu
systemwidrigen Ergebnissen. Zum einen gebe das Ergebnis des Bürgerentscheids die Entscheidung der Bürgerschaft
in ihrer Gesamtheit wieder, so dass Zuordnungssubjekt eines Anspruchs auf Beachtung des Bürgerentscheids auch
nur die Gesamtheit der Bürger sein könne und nicht ein Einzelner. Zum anderen führe die Einräumung eines
individuellen Klagerechts zu einer - auch mit dem Stellenwert des Bürgerentscheids nicht zu rechtfertigenden -
Besserstellung des einzelnen Bürgers im Vergleich zum einzelnen Gemeinderatsmitglied, das ebenfalls keinen
gerichtlich verfolgbaren Anspruch auf Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Beschlüsse des Gemeinderats habe.
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Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sei die Betroffenheit in eigenen Rechten bei der Geltendmachung
der Sperrwirkung des Bürgerentscheids auch nicht wegen einer Vergleichbarkeit mit der Situation der Wahlanfechtung
ausnahmsweise entbehrlich. Die entsprechende Regelung in § 26 Abs. 3 des Gesetzes über die Kommunalwahlen im
Freistaat Sachsen (SächsKomWG) sei wegen der entgegenstehenden Regelung in § 42 Abs. 2 VwGO gerade nicht
verallgemeinerungsfähig. Im Übrigen fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke, da der Bürgerentscheid gemäß
§ 24 Abs. 4 Satz 1 SächsGemO einem Gemeinderatsbeschluss gleichstehe und daher allein den hierfür in der
Gemeindeordnung vorgesehenen Prüfungsmöglichkeiten unterworfen sei.
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4. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit dem gleichfalls
angegriffenen Beschluss vom 12. Februar 2008 zurück. In den Gründen führte das Oberverwaltungsgericht aus:
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Die Beschwerde sei unbegründet. Die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe gäben zur Änderung des
angefochtenen Beschlusses keine Veranlassung. Ein Bürger und Einwohner könne durch Planungen oder sonstige
Maßnahmen von Gemeindeorganen nicht allein deshalb in seinen subjektiven Rechten verletzt werden, weil diese mit
einem Bürgerentscheid nicht vereinbar seien. Ein Bürgerentscheid vermittle einzelnen Bürgern oder Einwohnern der
Gemeinde auch dann kein subjektives Recht, wenn sie durch diesen begünstigt würden. Aus der Rechtsstellung als
Bürger oder Einwohner resultiere ebenfalls kein subjektives Recht, das für einen Anspruch auf Beachtung eines
Bürgerentscheids fruchtbar gemacht werden könne.
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5. In seiner daraufhin erhobenen Gehörsrüge beanstandete der Beschwerdeführer insbesondere, dass sich das
Sächsische Oberverwaltungsgericht nicht mit zwei in der Beschwerdeschrift argumentativ herangezogenen
Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein (Urteil vom 21. Juni 1995 - 2 L
121/94 -, juris) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil vom 14. November 1974 - I 453/74 -,
DVBl 1975, S. 552) auseinandergesetzt habe.
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6. Mit dem hier nicht angegriffenen Beschluss vom 16. September 2008 wies das Sächsische
Oberverwaltungsgericht die Anhörungsrüge zurück. Das Vorbringen des Beschwerdeführers lasse eine
entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht erkennen. In dem Umstand, dass die
beiden von ihm angeführten oberverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen im Beschluss des Senats vom 12. Februar
2008 nicht erwähnt worden seien, liege keine Gehörsverletzung. Das Gericht habe in knapper Form ausgeführt, warum
es die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen habe. Ein Eingehen auf alle von dem Beschwerdeführer
vorgetragenen Gesichtspunkte gebiete der Gehörsgrundsatz nicht.
II.
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Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebots der Gewährung effektiven
Rechtsschutzes, da die Verwaltungsgerichte ihm die Klagebefugnis gegen eine Entscheidung des Gemeinderats
abgesprochen hätten, welche der Sperrfrist und der entsprechenden Sperrwirkung des Bürgerentscheids nach § 24
Abs. 4 Satz 2 SächsGemO zuwider laufe. Die Auffassung der Verwaltungsgerichte habe zur Folge, dass der Bürger
kein subjektives Recht auf Befolgung des Bürgerentscheids und Einhaltung der dreijährigen Sperrfrist habe. Dem
könne nicht gefolgt werden:
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Der subjektivrechtliche Charakter folge schon daraus, dass der Bürgerentscheid in dem 2. Teil der
Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen geregelt sei, der zahlreiche Vorschriften die individuellen Rechte der
Einwohner und Bürger betreffend enthalte. Ferner ergebe sich ein subjektives Recht aus der Ausgestaltung der
Vorschriften über die Durchführung und die Wirkung des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids. Der
Gesetzgeber habe in § 24 Abs. 1 Satz 1 SächsGemO den Kreis der abstimmungsberechtigten Bürger definiert. Er
habe weiter dem Bürgerentscheid in § 24 Abs. 4 SächsGemO bestimmte Rechtswirkungen, unter anderem die
Sperrfrist, beigemessen. Somit ergebe sich aus § 24 Abs. 1 SächsGemO das Recht auf Teilnahme am
Bürgerentscheid und aus § 24 Abs. 4 SächsGemO das subjektive Recht auf dessen Beachtung durch die Organe der
Gemeinde.
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Nur durch die Zuerkennung einer individuellen Klagebefugnis könne die Sperrwirkung sowohl gegenüber der
Gemeinde als auch gegenüber der Rechtsaufsichtsbehörde gesichert werden, denn die „Aktivbürgerschaft“ der
Gemeinde habe nicht die Möglichkeit, sich als solche mit einer Klage gegen Gemeindeorgane und Aufsichtsbehörde
zu wenden. Ein Gemeinderat, der einen Bürgerentscheid missachte, löse eine „kommunale Verfassungskrise“ aus,
weil er sich über den unmittelbar geäußerten Willen des Gemeindevolks hinwegsetze und damit das Demokratieprinzip
in Frage stelle. Es könne nicht sein, dass die Bürgerschaft es tatenlos hinnehmen müsse, wenn ein Gemeinderat
innerhalb der fünfjährigen Wahlperiode gegebenenfalls mehrfach Bürgerentscheide missachte. Die Möglichkeit, den
Gemeinderat bei der nächsten Wahl „abzustrafen“ könne schwerlich als ausreichendes demokratisches Korrektiv
angesehen werden. Die Verwehrung des Klagerechts bedeute letztlich, den Bürgerentscheid auf die Qualität einer
unverbindlichen Bürgerbefragung herabzustufen.
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Schließlich gebiete Art. 19 Abs. 4 GG sowie das Rechtsstaatsprinzip, dass jeder, der durch einen hoheitlichen Akt
in seinen Rechten verletzt werde, die Möglichkeit haben müsse, ein Gericht anzurufen. Der Bürger, der sich an einem
Bürgerentscheid beteiligt habe, der unmittelbar ein bestimmtes Ergebnis mit bindender Wirkung eines
Gemeinderatsbeschlusses gezeitigt habe, werde in seinen Rechten verletzt, wenn dieser Beschluss nicht umgesetzt
werde. Bei der Ablehnung der Klagebefugnis des einzelnen Bürgers und Einwohners wäre überhaupt niemand
klagebefugt, stattdessen könnte lediglich die Rechtsaufsichtsbehörde tätig werden.
III.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen nach § 93a
Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche
Bedeutung zu, weil die aufgeworfenen Fragen in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung geklärt sind oder sich
ohne weiteres anhand der bisherigen Rechtsprechung lösen lassen (vgl. BVerfGE 15, 275 <281>; 61, 82 <110>; 69, 1
<49>; 83, 182 <194 f.>; 84, 34 <49>; 103, 142 <156>; stRspr). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch
nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt; sie hat
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
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Es kann insoweit offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG
ergebenden gesetzlichen Begründungsanforderungen genügt. Denn sie ist jedenfalls unbegründet. Die angegriffenen
Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Dresden und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts sind
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die geltend gemachte Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG ist nicht
feststellbar.
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1. Die Verfassungsnorm des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert den Rechtsweg, wenn jemand behauptet, durch die
öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 13, 132 <151>; 83, 182 <194>). Sie
gewährleistet indes nicht selbst den sachlichen Bestand oder Inhalt einer als verletzt behaupteten Rechtsstellung;
diese richtet sich vielmehr nach der Rechtsordnung im Übrigen. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG setzt mithin subjektive
Rechte voraus und begründet sie nicht (vgl. BVerfGE 15, 275 <281>; 61, 82 <110>; 69, 1 <49>; 83, 182 <194 f.>; 84,
34 <49>; 103, 142 <156>; stRspr). Außerhalb verfassungsrechtlicher Gewährleistungen obliegt es damit dem
Gesetzgeber zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Einzelnen ein subjektives Recht zustehen
soll und welchen Inhalt es hat (vgl. BVerfGE 78, 214 <226>; 83, 182 <195>). Es stellt folglich eine Frage der
Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts dar, ob und in welchem Umfang ein solches im Einzelfall besteht.
Ihre Beantwortung obliegt allein den zuständigen Fachgerichten und ist der Nachprüfung durch das
Bundesverfassungsgericht entzogen. Es ist nicht dessen Aufgabe, in der Art einer Revisionsinstanz über die
Richtigkeit der Auslegung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte zu befinden (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>; 32,
319 <325 f.>; 83, 182 <197>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juli 1989 - 1 BvR
290/87 -, NJW 1990, S. 2249, stRspr). Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht die vorliegend angegriffenen
Entscheidungen nur daraufhin zu kontrollieren, ob die Fachgerichte bei ihrer Auslegung von § 123, § 42 Abs. 2 VwGO
in Verbindung mit § 24 Abs. 4 Satz 2 SächsGemO die Bedeutung der Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 Abs. 4
GG erkannt und berücksichtigt haben und ob sie bei der Feststellung des Norminhalts willkürlich verfahren sind.
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2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze begegnen die beiden angefochtenen Entscheidungen keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken.
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a) Das Verwaltungsgericht Dresden hat sich in seinem Beschluss vom 18. Dezember 2007 eingehend und
umfassend mit der Frage der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Gemeindeordnung für den Freistaat
Sachsen auseinandergesetzt. Es ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gemeindeordnung ein subjektives
Recht auf gerichtliche Durchsetzung des Bürgerentscheids respektive dessen Sperrwirkung nicht entnommen werden
könne. Es seien keine dem einzelnen Einwohner und Bürger zugeordneten subjektiven Rechte ersichtlich, die durch
die umstrittene Nichtbeachtung der Sperrwirkung des Bürgerentscheids verletzt sein könnten. Das Verwaltungsgericht
hat seine Auffassung unter anderem darauf gestützt, dass weder eine diesbezügliche ausdrückliche Regelung
existiere noch ein derartiges subjektives Recht des einzelnen Gemeindebürgers aus seinem Recht aus § 24 Abs. 1
SächsGemO auf (Mit-)Entscheidung über eine zur Abstimmung gestellte Frage folge. Auch aus der vom
Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig
Holstein (Urteil vom 21. Juni 1995 - 2 L 121/94 -, juris) angeführten Überlegung, dass nur „durch die Zuerkennung
eines subjektiven Individualrechts - und damit einer individuellen Klagebefugnis - (…) die grundsätzliche
’Sperrwirkung’ eines Bürgerentscheids gegenüber den Gemeindeorganen wie auch gegenüber der Aufsichtsbehörde
gesichert und durchgesetzt werden“ kann, folge kein subjektives öffentliches Recht. Das Instrument des
Bürgerentscheids erschöpfe sich in der unmittelbaren Mitwirkung und Abstimmung in der Wahrnehmung des
Stimmrechts. Die Kontrolle des Vollzugs oder der Beachtung der Sperrwirkung eines Bürgerentscheids obliege dem
Freistaat Sachsen im Rahmen der Kommunalaufsicht (Art. 89 Abs. 1 SächsVerf). Beabsichtige eine Gemeinde
erkennbar die Sperrwirkung eines Bürgerentscheids zu missachten, gebiete schon das öffentliche Interesse am
Schutz plebiszitärer Elemente den Erlass einer Aufsichtsmaßnahme.
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b) Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat sich dieser Auffassung angeschlossen und sie bestätigt. Das
Gericht hat dabei seine Auffassung, weder § 24 SächsGemO noch sonstige Vorschriften der Gemeindeordnung für
den Freistaat Sachsen gewährten dem Beschwerdeführer ein die Klagebefugnis begründendes subjektives Recht,
darauf gestützt, dass ein Bürgerentscheid einzelnen Bürgern oder Einwohnern der Gemeinde auch dann kein
subjektives Recht vermittle, wenn sie durch den Bürgerentscheid begünstigt würden. Aus der Rechtsstellung als
Bürger oder Einwohner resultiere ebenfalls kein subjektives Recht, das für einen Anspruch auf Beachtung eines
Bürgerentscheids fruchtbar gemacht werden könne.
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c) Angesichts dieser Darlegungen besteht kein Anlass zu der Befürchtung, das Verwaltungsgericht Dresden und das
Sächsische Oberverwaltungsgericht könnten die Bedeutung der Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG
bei der von ihnen vorgenommenen Auslegung und Anwendung der Vorschriften der Gemeindeordnung für den
Freistaat Sachsen und insbesondere von § 24 SächsGemO von vornherein übersehen oder aber jedenfalls zu Unrecht
als unerheblich angesehen haben. Diesbezügliche Anhaltspunkte hat weder der Beschwerdeführer vorgetragen noch
sind solche ersichtlich. Im Übrigen beschränkt sich das Vorbringen des Beschwerdeführers letztlich auf die Darlegung
seiner abweichenden Auffassung von der vorgenommenen Auslegung des einfachen Rechts, deren Beurteilung allein
dem Fachgericht obliegt, dessen Entscheidung das Bundesverfassungsgericht insoweit nicht nachzuprüfen hat.
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d) Die Begründung, mit der die Fachgerichte vorliegend der Vorschrift des § 24 Abs. 4 SächsGemO den Charakter
einer den Beschwerdeführer begünstigenden Schutznorm abgesprochen haben, kann von Verfassungs wegen nicht
beanstandet werden. Die Gerichte haben ausführlich dargelegt, dass und aus welchen Gründen die einschlägigen
Vorschriften der Gemeindeordnung vorliegend dem einzelnen Bürger und Einwohner keine ihm zugeordneten
subjektiven Rechte zum Schutz seiner Individualinteressen zuweisen. Diese Darlegungen sind nachvollziehbar und
vertretbar. Sie lassen keine sachfremden oder sonst willkürlichen Erwägungen erkennen.
40
3. Da die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, erledigt sich der Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung.
41
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
42
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Broß
Di Fabio
Landau