Urteil des BVerfG vom 24.09.2009
BVerfG: schutz der menschenwürde, internet, papier, geschäftsführer, bestimmtheitsgebot, kriminologie, pädagogik, konfrontation, minderjähriger, strafgesetzbuch
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1231/04 -
- 1 BvR 710/05 –
- 1 BvR 1184/08 -
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
I.
des Herrn Z…,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Beer, Gastl & Partner,
Friedrichstraße 61, 10117 Berlin -
1. unmittelbar gegen
a) das Urteil des Kammergerichts vom 26. April 2004 - (5) 1 Ss 436/03 (4/04) -,
b) das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. September 2003 - (571) 75 Js 46/02 Ns
(134/03) -,
c) das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 25. Juni 2003 - 286 Cs 756/02 -,
2. mittelbar gegen
§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2; § 24 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3
Jugendschutzmedienstaatsvertrag (JMStV)
- 1 BvR 1231/04 -,
II.
des Herrn H…,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Waldenberger,
Kurfürstendamm 45, 10719 Berlin -
gegen
§ 184c StGB
- 1 BvR 710/05 -
III.
der R… GmbH,
vertreten durch den Geschäftsführer
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Waldenberger,
Kurfürstendamm 45, 10719 Berlin -
1. unmittelbar gegen
a) das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 2007 - 1 ZR 102/05 -,
b) das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 24. Mai 2005 - I-20 U 143/04 -,
2. mittelbar gegen
§ 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV - Staatsvertrag
über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und
Telemedien), in Kraft seit dem 1. April 2003
- 1 BvR 1184/08 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Eichberger,
Masing
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 24. September 2009 einstimmig beschlossen:
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
1. Die Verfassungsbeschwerden betreffen das Verbot der Verbreitung so genannter einfach pornografischer
Darbietungen im Internet an Minderjährige. Die Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 1184/08, deren
Geschäftsführer der Beschwerdeführer in dem Verfahren 1 BvR 710/05 ist, hat unter anderem ein
Altersverifikationssystem vertrieben, welches der Beschwerdeführer in dem Verfahren 1 BvR 1231/04 als
Zugangskontrolle zu den von ihm im Internet angebotenen pornografischen Darstellungen eingesetzt hatte. Während
sich die Verfassungsbeschwerde in dem Verfahren 1 BvR 710/05 unmittelbar gegen die Vorschrift des § 184c a.F.
StGB (heute: § 184d StGB) wendet, liegen den Verfahren 1 BvR 1231/04 und 1 BvR 1184/08 Verurteilungen der
Beschwerdeführer in einem strafrechtlichen und einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren wegen der Verwendung oder
wirtschaftlichen Nutzung des nach Auffassung der Fachgerichte unzureichenden Altersverifikationssystems zugrunde.
2
2. Die Beschwerdeführer rügen übereinstimmend insbesondere, dass das gesetzliche Verbot pornografischer
Internetangebote außerhalb geschlossener Benutzergruppen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das
Bestimmtheitsgebot verstoße.
II.
3
1. Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2
BVerfGG sind nicht gegeben.
4
Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist
auch nicht zur Durchsetzung der geltend gemachten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt, denn sie haben keine
Aussicht auf Erfolg. Die Verfassungsbeschwerden sind bereits unzulässig, weil sie insgesamt nicht den aus § 23
Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Begründungsanforderungen genügen.
5
a) Soweit die Beschwerdeführer die angegriffenen gesetzlichen Altersverifikationspflichten im Hinblick auf die
Vielzahl frei verfügbarer pornografischer Angebote im Internet bereits für ungeeignet halten, Minderjährige vor
eventuellen negativen Einflüssen derartiger Darstellungen zu schützen, ist zu beachten, dass das
Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Eignung eines Gesetzes zur Erreichung des von ihm
angestrebten Zwecks bereits dann bejaht, wenn dieser durch die Regelung wenigstens gefördert wird (vgl. BVerfGE
90, 145 <172>; 110, 141 <164>). Den Verfassungsbeschwerden kann aber nicht entnommen werden, warum dies hier
nicht der Fall sein sollte. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass die Verfügbarkeit pornografischer Angebote im Internet
- zumal für nur der deutschen Sprache mächtige Minderjährige - durch die gesetzlich vorgeschriebene Sicherstellung
des ausschließlichen Erwachsenenzugangs zumindest verringert werden kann.
6
b) Soweit die Verfassungsbeschwerden in Zweifel ziehen, dass einfache Pornografie grundsätzlich als
jugendgefährdend angesehen werden könne und sich deshalb gegen die Erforderlichkeit der angegriffenen Vorschriften
über die Zugangsbeschränkung zu pornografischen Darbietungen wenden, verkennen sie nicht, dass dem
Gesetzgeber hinsichtlich der jugendgefährdenden Wirkung eines Mediums bei einer wissenschaftlich ungeklärten
Situation eine Einschätzungsprärogative zukommt (vgl. BVerfGE 83, 130 <140 ff.>). Sie machen vielmehr geltend,
dass die Voraussetzungen dieser Prärogative entfallen seien, weil sich seit der zitierten Senatsentscheidung die
Forschungslage zu den Auswirkungen von Pornografie auf Minderjährige so weit verändert habe, dass heute eine
Gefährdung der Jugend durch pornografische Darstellungen ausgeschlossen werden könne oder sich der Gesetzgeber
jedenfalls nicht mehr auf den unklaren Forschungsstand berufen dürfe, ohne selbst für seine weitere Klärung Sorge
getragen zu haben. Diese Behauptung wird indes nicht hinreichend substantiiert begründet.
7
aa) Keiner der Verfassungsbeschwerden ist zu entnehmen, dass die von dem Gesetzgeber seinerzeit als noch nicht
abschließend geklärt angesehene Frage der möglichen schädlichen Auswirkungen einer Konfrontation Minderjähriger
mit pornografischem Material mittlerweile durch einen gesicherten Kenntnisstand der für die Beurteilung dieser
Problematik zuständigen Fachwissenschaften - insbesondere der Medienwissenschaft unter Einschluss der
Medienwirkungsforschung, der Entwicklungs- und Sozialpsychologie, der Pädagogik und der Kriminologie - in
eindeutiger Weise beantwortet worden wäre.
8
bb) Ebenso wenig genügt der Einwand, der Gesetzgeber habe sich nicht genügend um weitere Aufklärung des
Forschungsstandes bemüht, den Begründungsanforderungen. Zwar können sich die Verfassungsbeschwerden hierbei
im Ausgangspunkt auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Beobachtungspflichten des
Gesetzgebers infolge auf unsicherer Tatsachengrundlage getroffener Regelungen berufen (vgl. BVerfGE 110, 141
<157 f.>). Jedoch ist ihr Vortrag in tatsächlicher Hinsicht unzureichend. Die Beschwerdeführer haben die Behauptung
der gesetzgeberischen Untätigkeit nicht hinreichend substantiiert. So fehlt es namentlich an jeglicher
Auseinandersetzung mit den seit der zitierten Senatsentscheidung aus dem Jahr 1990 (vgl. BVerfGE 83, 130)
durchgeführten einschlägigen Gesetzgebungsverfahren und deren Vorbereitung. Die Beschwerdeführer
berücksichtigen in ihrem Vortrag insbesondere nicht, ob beziehungsweise wie weit sich der Deutsche Bundestag bei
seinen Vorarbeiten zu dem Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3007), durch das die
Vorschrift des § 184c a.F. (jetzt § 184d n.F.) StGB in das Strafgesetzbuch eingefügt wurde, erneut mit der Frage der
Schädlichkeit einfacher Pornografie für Minderjährige befasst hat. Außerdem lassen die Verfassungsbeschwerden
gänzlich unerörtert, dass der Deutsche Bundestag im Jahr 1995 die Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in
Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ eingesetzt hatte, die sich unter
anderem mit Fragen des Jugendschutzes im Internet befasst hat (vgl. BTDrucks 13/11004).
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c) Auch der gerügte Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG ist in keiner der
Verfassungsbeschwerden schlüssig dargetan. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits mehrfach mit
(strafbewehrten) Verbotsvorschriften befasst, die den auch hier in Frage stehenden Begriff der Pornografie als
Tatbestandsmerkmal enthielten, und sie als hinreichend bestimmt erachtet (vgl. BVerfGE 47, 109 <120 ff.>; 83, 130
<145>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 12. August 1977 - 1 BvR 237/76 -, NJW 1977, S. 48; Beschluss
des Vorprüfungsausschusses des Zweiten Senats vom 8. April 1982 - 2 BvR 1339/81 -, NJW 1982, S. 1512). Eine
erneute verfassungsgerichtliche Überprüfung einer solchen von dem Bundesverfassungsgericht bereits entschiedenen
Frage ist zulässig, sofern neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragende Feststellung des
Bundesverfassungsgerichts vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen können (vgl. BVerfGK 3, 270
<271 f.> m.w.N.). Dies ist hier nicht ersichtlich. Die Verfassungsbeschwerden setzen sich mit der zitierten
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auseinander und zeigen weder auf, dass die dortigen
Erwägungen in dem hier in Frage stehenden Kontext nicht zuträfen noch dass veränderte Umstände einem Festhalten
an dem damals gefundenen Ergebnis entgegenstünden.
10
2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
11
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Eichberger
Masing