Urteil des BVerfG vom 07.03.2002
BVerfG: anspruch auf rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, urkunde, echtheit, auskunft, erlass, verzicht, verwaltungsprozess, ermessen, amt
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 191/02 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn N...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Uwe Remus,
Bismarckring 3, 65183 Wiesbaden -
gegen
a)
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 18. Januar 2002 - 2 G
30/02.A (1) -,
b)
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 11. Dezember 2001 - 2 G
2493/01.A (1) -,
c)
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
21. November 2001 - 2673035-432 -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Sommer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Di Fabio
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 7. März 2002 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
1
Die  Verfassungsbeschwerde  betrifft  im  Wesentlichen  die  Frage,  ob  die  Zurückweisung  eines  Beweisantrags  zur
Überprüfung der Echtheit einer vorgelegten ausländischen öffentlichen Urkunde auf Grund eigenen Fachwissens des
Gerichtes  in  einem  asylrechtlichen  vorläufigen  Rechtsschutzverfahren  nach  Ablehnung  eines  Asylfolgeantrags  den
Anforderungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör genügt.
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Die  Voraussetzungen  für  die  Annahme  der  Verfassungsbeschwerde  zur  Entscheidung  (§  93a  Abs.  2  BVerfGG)
liegen  nicht  vor.  Weder  kommt  ihr  grundsätzliche  Bedeutung  zu  noch  ist  ihre  Annahme  zur  Durchsetzung  der  als
verletzt  bezeichneten  Verfassungsrechte  des  Beschwerdeführers  angezeigt.  Die  Verfassungsbeschwerde  hat  keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg.
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Soweit der vietnamesische Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
durch  die  angegriffenen  Beschlüsse  des  Verwaltungsgerichts  im  vorläufigen  Rechtsschutz  rügt,  genügt  die
Verfassungsbeschwerde  nicht  den  Begründungsanforderungen  der  §§  23  Abs.  1  Satz  2,  92  BVerfGG.  Ohne  auf  die
angegriffenen Entscheidungen einzugehen, wird lediglich eigener Tatsachenvortrag entgegengehalten.
4
Die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem
gerügten Anspruch auf rechtliches Gehör. Dabei kann offen bleiben, inwieweit die nachfolgend dargelegten Maßstäbe
in  einem  Verfahren  des  einstweiligen  Rechtsschutzes  nach  Ablehnung  eines  Asylfolgeantrags  in  dem  die
Aufklärungspflicht  des  Verwaltungsgerichts  von  Verfassungs  wegen  eingeschränkt  ist  (Art.  16a  Abs.  4  Satz  1,  2.
Halbsatz  GG;  §§  71  Abs.  4,  36  Abs.  4  AsylVfG;  vgl.  dazu  Beschluss  der  1.  Kammer  des  Zweiten  Senats  des
Bundesverfassungsgerichts  vom  16.  März  1999  -  2  BvR  2131/95  -,  DVBl  1999,  1204),  überhaupt  anwendbar  sind.
Selbst wenn dies hier bei der Prüfung, ob ein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG vorliegt, zu bejahen sein sollte,
ist ein Verfassungsverstoß nicht ersichtlich.
5
Art. 103 Abs. 1 GG bietet keinen Schutz dagegen, dass ein angebotener Beweis aus Gründen des formellen oder
materiellen  Rechts  nicht  erhoben  wird.  Die  Nichtberücksichtigung  eines  von  den  Fachgerichten  als  erheblich
angesehenen Beweisangebots verstößt nur dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze
mehr  findet  (vgl. BVerfGE 50, 32 <35 f.>; 65, 305 <307>). Einem Antrag auf Prüfung der Echtheit einer vorgelegten
ausländischen öffentlichen Urkunde durch Einholung einer Auskunft ist daher nicht stets nachzugehen. Nach der auch
im Verwaltungsprozess grundsätzlich anwendbaren Regelung des § 438 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO hat
das  Gericht  nach  den  Umständen  des  Einzelfalles  zu  ermessen,  ob  eine  Urkunde,  die  sich  darstellt  als  von  einer
ausländischen Behörde oder von einem mit öffentlichem Glauben versehenen Person des Auslandes errichtet, ohne
näheren  Nachweis  als  echt  anzusehen  sei.  Die  Verfassung  zwingt  nicht  zu  einer  Auslegung  dieser  Bestimmung
dahingehend, dass der Nachweis der Unechtheit ausnahmslos durch Einschaltung der deutschen Auslandsvertretung
- hier durch die Einholung einer Auskunft über das Auswärtige Amt - herbeizuführen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1.
Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  11.  Februar  1992  -  2  BvR  1003/91  -,  veröffentlicht  in  JURIS).  Der  Verzicht  des
Gerichts  auf  Einholung  einer  Auskunft  zur  Echtheit  des  vorgelegten  "Verfolgungsbefehles"  vom  26.  Januar  1992  ist
nach  den  Umständen  des  Einzelfalles  nicht  zu  beanstanden.  Das  Gericht  hat  im  Beschluss  vom  18.  Januar  2002
deutlich gemacht, dass es selbst über das nötige Fachwissen zur Beurteilung der Echtheit der Urkunde verfügt (vgl.
dazu  BVerwG,  Beschluss  vom  28.  Juni  1990  -  9  B  15/90,  NVwZ-RR  1990,  652;  OVG  NW,  Beschluss  vom  29.
Oktober 2001 - 8 A 3664/01.A -, AuAS 2002, 40).
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Dass das Gericht dabei die Probleme der Übertragbarkeit der zu einer anderen Urkunde eingeholten Auskunft auf die
hier zu beurteilende Urkunde nicht berücksichtigt hat, ist nicht ersichtlich. Auch vor dem Hintergrund des Verbotes der
Beweisantizipation  ist  weder  erkennbar  noch  hat  der  Beschwerdeführer  substantiiert  vorgetragen,  dass  die  vom
Gericht im Beschluss aufgeführten, gegen die Echtheit der Urkunde streitenden Indizien keine eindeutige Beurteilung
erlauben,  die  sichere  Grundlage  einer  rechtlichen  Überzeugung  sein  können  (vgl.  dazu  Berlit-GK-AsylVfG,  Stand:
Januar 2002, § 78 Rn. 406).
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Durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung.
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Sommer
Osterloh
Di Fabio