Urteil des BVerfG vom 01.07.2014

faires verfahren, verfassungsbeschwerde, transparenz, drittwirkung

- Bevollmächtigter:
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 989/14 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S…,
Rechtsanwalt Philipp Albers,
Meinekestraße 3, 10719 Berlin -
gegen
a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs
vom 20. Februar 2014 - 5 StR 647/13 -,
b) das Urteil des Landgerichts Berlin
vom 13. August 2013 - (518) 255/254 Js 44/12 KLs (32/12) -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Landau
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 1. Juli 2014 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung
angenommen.
G r ü n d e :
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Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die
Verfassungsbeschwerde, mit der sich der Beschwerdeführer gegen eine
strafgerichtliche Verurteilung wendet, hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie unzulässig
ist.
1. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung von § 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a
StPO in Bezug auf Verständigungsgespräche rügt, die der Vorsitzende der
Strafkammer außerhalb der Hauptverhandlung mit den Verteidigern der
Mitangeklagten geführt hat, genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde
nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).
a) Eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Begründung der
Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der die Rechtsverletzung enthaltende
Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>;
89, 155 <171>; 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>). Es muss deutlich
werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht
verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Liegt
zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen bereits
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, so ist der behauptete
Grundrechtsverstoß in Auseinandersetzung mit den darin entwickelten Maßstäben zu
begründen (vgl. BVerfGE 77, 170 <214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 123, 186
<234>).
b) Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde
nicht. Der Beschwerdeführer versäumt es, in Auseinandersetzung mit den vom
Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben darzulegen, weshalb er sich
durch eine fehlende oder unzureichende Mitteilung und Protokollierung von
Verständigungsgesprächen, die allein die Mitangeklagten betrafen, in eigenen
Grundrechten verletzt sieht.
aa)
Bereits
einfachrechtlich
ist
eine
solche
„Drittwirkung“
von
verständigungsbezogenen Verfahrensfehlern keineswegs selbstverständlich.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht Verstöße gegen die Vorgaben des
Verständigungsgesetzes in die Nähe absoluter Revisionsgründe gerückt (vgl.
BVerfGE 133, 168 <223 f., Rn. 97 f.> für Verstöße gegen Transparenz- und
Dokumentationspflichten und BVerfGE 133, 168 <224 f., Rn. 99> für Verstöße gegen
die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO). Auch bei absoluten
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Revisionsgründen sind jedoch in der Regel nur die durch den Verfahrensfehler
unmittelbar betroffenen Beteiligten rügeberechtigt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO,
57. Aufl. 2014, § 338 Rn. 4; Gericke, in: Karlsruher Kommentar zur StPO,
7. Aufl. 2013, § 338 Rn. 4).
Auch im Übrigen legen die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu
verständigungsbezogenen
Verfahrensfehlern
die
Annahme
der
vom
Beschwerdeführer angenommenen „Drittwirkung“ nicht nahe:
Einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO sieht das
Bundesverfassungsgericht in seiner Bedeutung für die Selbstbelastungsfreiheit
ähnlich gelagert wie einen Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. BVerfGE
133, 168 <225, Rn. 99>). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
kann sich ein Mitangeklagter aber auf die unzulängliche Belehrung eines anderen
Mitangeklagten nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht berufen, weil sein Rechtskreis
hiervon nicht berührt wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 1994 - 3 StR 53/94 -, juris,
Rn. 12; Beschluss vom 5. Februar 2002 - 5 StR 588/01 -, juris, Rn. 3).
Verstöße gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten hat das
Bundesverfassungsgericht hinsichtlich ihrer revisionsrechtlichen Bedeutung mit der
Nichtgewährung des letzten Wortes nach § 258 Abs. 2 und 3 StPO verglichen (vgl.
BVerfGE 133, 168 <223, Rn. 97>). Auch insoweit fehlt es jedoch an einer eigenen
Beschwer eines Mitangeklagten, wenn nur bei einem anderen Mitangeklagten gegen
§ 258 StPO verstoßen wurde (vgl. Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl.
2012, § 258 Rn. 66 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund leuchtet bereits einfachrechtlich nicht ein, weshalb der
Beschwerdeführer meint, sich darauf berufen zu können, dass bezüglich seiner
Mitangeklagten gegen § 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a StPO verstoßen worden sei.
bb) Erst recht fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der
verfassungsrechtlichen Perspektive. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Urteil vom 19. März 2013 unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien dargelegt,
dass die gesetzlichen Transparenz- und Dokumentationspflichten dem Zweck
dienen, eine vollumfängliche Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die
Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen
(vgl. BVerfGE 133, 168 <204, Rn. 65; 207, Rn. 67; 212 f., Rn. 76; 214 ff., Rn. 80 ff.>).
Hierdurch soll einer Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten
Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden
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Prinzips des fairen Verfahrens durch intransparente, unkontrollierbare „Deals“
vorgebeugt werden; diese sind bereits von Verfassungs wegen untersagt (vgl.
BVerfGE 133, 168 <232 f., Rn. 115>). Die Transparenzvorschriften des
Verständigungsgesetzes dienen somit dem Schutz der Grundrechte des von einer
Verständigung betroffenen Angeklagten vor einem im Geheimen sich vollziehenden
„Schulterschluss“ zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Dass
dieser Schutz von Verfassungs wegen auch auf Mitangeklagte zu erstrecken wäre,
die von der nicht hinreichend transparenten Verständigung (und einer damit
verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips) gar nicht betroffen sind, kann dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht entnommen werden und bedürfte
- gerade unter Berücksichtigung des Umstands, dass das somit als Ansatzpunkt allein
in Betracht kommende Recht auf ein faires Verfahren lediglich den rechtsstaatlich
unverzichtbaren Bestand an Verfahrensrechten sichert (vgl. BVerfGE 133, 168 <200,
Rn. 59>) - einer gesonderten Begründung. Diese liefert der Beschwerdeführer jedoch
nicht, zumal er nicht einmal mitteilt, inwiefern er bei Kenntnis des konkreten Inhalts
der
die
Mitangeklagten
betreffenden
Verständigungsgespräche
sein
Prozessverhalten geändert hätte.
2. Im Übrigen wird von einer Begründung nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Landau
Kessal-Wulf
König