Urteil des BVerfG vom 24.01.2002

treu und glauben, verfassungsbeschwerde, vergleich, erlass

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Ursula Röder und Koll.,
Katharinenplatz 3, 70182 Stuttgart -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 957/99 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der türkischen Staatsangehörigen
1. S...,
2. S...,
3. S...,
4. S...,
5. S...,
6. S...,
die Beschwerdeführer zu 3. bis 6. gesetzlich vertreten durch die Beschwerdeführer zu 1. und
2.,
gegen a) den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. April
1999 - A 12 S 2233/98 -,
b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. Mai 1998 - A 18 K
14066/96 -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter
Sommer,
Broß,
Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 ( BGBl I S. 1473) am 24. Januar 2002 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
Mit der gegen ein klageabweisendes Urteil im Asylfolgeverfahren und einen die Zulassung
der
Berufung ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs gerichteten
Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer insbesondere Verstöße des
Verwaltungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die
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Verfassungsbeschwerde hat mangels Zulässigkeit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg
(vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Es fehlt an dem für jede antragsgebundene gerichtliche
Entscheidung erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerfGE 61, 126 <135>). Dabei
handelt es sich um eine allen Prozessordnungen gemeinsame und auch im
Verfassungsbeschwerde-Verfahren
geltende Sachentscheidungsvoraussetzung,
die
abgeleitet wird aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben
(§ 242 BGB), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die
Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns (vgl. Kopp/Schenke,
V w G O , 12. Aufl., Vorbemerkung § 40 Rn. 30 m.w.N.). Das Fehlen des
Rechtsschutzinteresses kann aus dem aus § 242 BGB abgeleiteten, auch im Prozessrecht
geltenden Verbot unzulässiger Rechtsausübung folgen (vgl. zur Verwirkung prozessualer
Befugnisse auch BVerfGE 32, 305 <308 f.>). Danach ist etwa eine Klage als unzulässig
abzuweisen, wenn der Kläger den Rechtsstreit fortführt, obwohl er sich außergerichtlich zur
Klagerücknahme verpflichtet hat. Dies gilt entsprechend für die Verpflichtung zur
Berufungsrücknahme und die außergerichtliche Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts
(vgl. Heinrichs, in: Palandt, BGB, 61. Aufl., § 242 Rn. 82 mit Nachweisen zur
Rechtsprechung).
Gemessen an diesem Maßstab ist vorliegend das Rechtsschutzinteresse für die
Verfassungsbeschwerde durch den am 16. Oktober 2000 vor dem Verwaltungsgericht
Stuttgart geschlossenen gerichtlichen Vergleich entfallen. Die Beschwerdeführer haben sich
in dem Vergleich ohne jedwede Einschränkungen dazu verpflichtet, das Bundesgebiet bis
spätestens 31. Juli 2001 freiwillig zu verlassen. Insbesondere wurde diese Verpflichtung nicht
an einen Erfolg des eingeleiteten Weiterwanderungsverfahrens geknüpft. Eine Beschränkung
der gleichzeitig eingegangenen Verpflichtung, sämtliche anhängigen Rechtsmittel
zurückzunehmen, auf beim Verwaltungsgericht anhängige Klagen und Anträge lässt sich
dem Vergleich nicht entnehmen und entspräche auch nicht seinem erkennbaren Sinn und
Zweck. Der zugleich erklärte Verzicht auf erneute Rechtsmittel, Eingaben und Petitionen
sowie auf erneute Inanspruchnahme von Kirchenasyl lässt in Verbindung mit der unbedingt
eingegangenen Ausreiseverpflichtung nur den Schluss zu, dass mit diesem Vergleich der
Streit um ein Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführer umfassend und endgültig geregelt
werden und der Begriff des Rechtsmittels auch die noch anhängige Verfassungsbeschwerde
umfassen sollte. Unerheblich ist, ob die Beschwerdeführer sich der Tragweite der
eingegangenen Verpflichtungen bewusst waren.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Sommer
Broß
Mellinghoff