Urteil des BVerfG vom 04.11.2001

psychiatrisches gutachten, verfassungsbeschwerde, behandlung, therapie

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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 944/01 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn B...,
gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 30. April 2001 - 3 Ws
302/01 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 26. Januar 2001 - StVK 304/00
-
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Präsidentin Limbach
und die Richter Hassemer,
Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 ( BGBl I S. 1473) am 4. November 2001 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein
Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt.
1. Sie ist mangels hinreichender Substantiierung unzulässig. Den Vorwurf, das Landgericht
habe seine verfassungsrechtliche Pflicht zu zureichender richterlicher Sachaufklärung
verletzt, begründet der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass ein bereits 1998
eingeholtes psychiatrisches Gutachten als Beurteilungsgrundlage nicht ausreiche und
unberücksichtigt geblieben sei, dass in den vergangenen zwei Jahren von ihm gestellte
Anträge auf therapeutische Behandlung bzw. Vollzugslockerungen zu Unrecht von der
Vollzugsanstalt "blockiert" worden seien. Er legt (von wenigen Seiten abgesehen) jedoch
weder das Gutachten vor noch die - Vollzugslockerungen bzw. therapeutische Behandlung
betreffenden - Anträge nebst dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen. Des Weiteren
teilt er das Strafurteil nicht mit, auf das die von ihm angegriffenen Beschlüsse Bezug nehmen
und das als Ausgangspunkt sowohl der gerichtlichen als auch der sachverständigen
Prognosebeurteilung zu Grunde lag. Damit hat der Beschwerdeführer weder seinen Vorwurf
s elbs t noch den ihm zugrundeliegenden Sachverhalt in einer eine hinreichende
verfassungsrechtliche Prüfung ermöglichenden Weise substantiiert (§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92
BVerfGG) vorgetragen, die es dem Bundesverfassungsgericht erlaubt, ohne weitere
Ermittlungen das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen zu prüfen und über die
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Annahmevoraussetzungen zu befinden.
2. Darüber hinaus hätte die Verfassungsbeschwerde aber auch aus materiell-rechtlichen
Gründen keinen Erfolg. Bei der nach § 57a StGB zu treffenden Entscheidung handelt es sich
um die Auslegung und Anwendung so genannten einfachen Rechts, die Sache der
Fachgerichte ist. Sie wird vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin nachgeprüft, ob das
Strafvollstreckungsgericht in objektiv unvertretbarer Weise vorgegangen ist oder die
verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts - hier insbesondere des
durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 2 GG verbürgten Freiheitsrechts - verkannt hat (vgl.
BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 72, 105 <113 ff.>). Dafür ist hier nichts ersichtlich.
Insbesondere haben die Gerichte - entgegen der Beanstandung des Beschwerdeführers -
nicht gegen das aus den vorgenannten Grundrechten abgeleitete Gebot bestmöglicher
Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>) verstoßen. Es ist verfassungsrechtlich nicht
zu beanstanden, dass sie mit Blick auf die von dem Beschwerdeführer begangenen Taten
(Mord und Vergewaltigung) grundsätzlich davon ausgehen, dass eine Entlassung nur in
Betracht kommt, wenn eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für künftige Straffreiheit besteht.
Nicht zu beanstanden ist es deshalb auch, wenn die Gerichte wegen der Unsicherheit über
das Fortbestehen der durch die Tat zutage getretenen Gefährlichkeit des Verurteilten die für
§ 57a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB erforderliche günstige Prognose derzeit im
Ergebnis nicht gestellt und deshalb eine Strafrestaussetzung abgelehnt haben. Die Gerichte
sind vorliegend auf der Grundlage eines rund zwei Jahre zuvor eingeholten umfangreichen
psychiatrischen Gutachtens davon ausgegangen, dass erst eine über mehrere Jahre hinweg
durchgehaltene Therapie in Verbindung mit begleitenden Vollzugslockerungen zu einer
Besserung der Psychopathologie des Verurteilten führen könne. Ferner haben sie
festgestellt, dass in den zurückliegenden zwei Jahren insgesamt drei Therapieversuche
unternommen wurden, von denen zwei scheiterten, Vollzugslockerungen bislang nicht
erfolgten und ein dritter Behandlungsversuch erst zwei Monate vor der Entscheidung
begonnen wurde. Vor diesem Hintergrund musste sich weder die Einholung eines neuen
psychiatrischen Gutachtens aufdrängen, noch ist den Gerichten aus sonstigen Umständen
der Vorwurf unzureichender Sachaufklärung zu machen.
Dass sie wegen der Unsicherheit des Fortbestehens der durch die Tat zutage getretenen
Gefährlichkeit des Verurteilten im Ergebnis eine günstige Kriminalprognose nicht gestellt
haben, entzieht sich nach den oben dargelegten Kriterien zur Überprüfung fachgerichtlicher
Entscheidungen
(vgl. BVerfG E 18, 85 <92 f., 96>) einer Kontrolle durch das
Bundesverfassungsgericht, denn es hat nicht seine eigene Wertung nach Art eines
Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen Richters zu setzen.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach
Hassemer
Mellinghoff