Urteil des BVerfG vom 26.09.2012

rechtliches gehör, verzicht, verfassungsbeschwerde, abgabe

- Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Claudia L. T. Bode-Tamm,
Im Bödinger Garten 11, 53773 Hennef -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 938/12 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau N…
gegen 1. a) den Beschluss des Landgerichts Bad Kreuznach vom 27. März 2012 -
1 T 34/12 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Bad Kreuznach vom 22. Februar
2012 - 1 T 34/12 -,
c) den Beschluss des Amtsgerichts Idar-Oberstein vom 30. Januar 2012
- 11 K 76/06 -,
2. a) den Beschluss des Landgerichts Bad Kreuznach vom 27. März 2012 -
1 T 35/12 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Bad Kreuznach vom 24. Februar
2012 - 1 T 35/12 -,
c) den Beschluss des Amtsgerichts Idar-Oberstein vom 30. Januar 2012
- 11 K 74/06 -
und
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hier: Verfassungsbeschwerde gegen die unter 1. a) bis c) aufgeführten
Beschlüsse
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
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die Richterin Lübbe-Wolff,
den Richter Huber
und die Richterin Kessal-Wulf
am 26. September 2012 einstimmig beschlossen:
Die Beschlüsse des Landgerichts Bad Kreuznach vom 22. Februar 2012 und vom
27. März 2012 - 1 T 34/12 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem
grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden
aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Bad Kreuznach zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin ein Drittel der notwendigen
Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im
Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000,00 € (in Worten: achttausend Euro)
festgesetzt.
Gründe:
I.
Die mit einem Eilantrag verbundene Verfassungsbeschwerde wurde, soweit mit ihr
die vorstehend unter Ziffer 2. genannten Gerichtsbeschlüsse angegriffen wurden,
durch (Teil-)Nichtannahmebeschluss der Kammer vom 27. Juli 2012 nicht zur
Entscheidung angenommen. Sie richtet sich nun noch gegen die Zuschlagserteilung
in dem vor dem Amtsgericht unter dem Aktenzeichen 11 K 76/06 geführten
Zwangsversteigerungsverfahren und deren Bestätigung durch das Landgericht im
Verfahren 1 T 34/12.
1. Durch das Amtsgericht wurde in einem auf den 30. Januar 2012, 10.00 Uhr
a n b e r a u m t e n Versteigerungstermin
ein
in
Wohnungs-
und
Teileigentumsgrundbüchern eingetragener und mit einem Mehrfamilienwohnhaus
und einer ehemaligen Werkstatt bebauter Grundbesitz versteigert. Auf entsprechende
Frage des Gerichts beantragte der Vertreter der das Verfahren betreibenden
Gläubigerin, unter Verzicht auf die Vornahme von Einzelausgeboten alle Wohnungs-
und Teileigentumsrechte gemeinsam auszubieten. Die anwesenden Beteiligten
stimmten dem Antrag zu. Daraufhin verkündete das Amtsgericht den Beschluss, dass
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ein Gesamtausgebot aller Wohnungs- und Teileigentumsrechte unter Verzicht auf
Einzelausgebote erfolge.
Kurze Zeit später, gegen 10.10 Uhr, erschien die Beschwerdeführerin, die
Eigentümerin des zu versteigernden Grundbesitzes war. Zu der Entscheidung der
Zulassung des Gesamtausgebots unter Verzicht auf Einzelausgebote wurde sie nicht
gehört. Einen Verzicht auf Einzelausgebote und die Zustimmung zur Zulassung nur
eines Gesamtausgebots erklärte sie auch im Übrigen nicht. Um 10.12 Uhr forderte
das Amtsgericht zur Abgabe von Geboten ausschließlich auf das Gesamtausgebot
auf. Mit angegriffenem Beschluss vom selben Tage erteilte das Amtsgericht dem
hierauf Meistbietenden den Zuschlag.
2. a) Gegen diesen Beschluss legte die Beschwerdeführerin mit dem Begehren,
denselben aufzuheben und den Zuschlag zu versagen, unter dem 13. Februar 2012
sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung stellte sie den Sachverhalt dar und
machte geltend, dass das Amtsgericht § 83 Nr. 2, § 63 Abs. 1 ZVG verletzt habe und
dies eine Zuschlagsversagung im Sinne des § 100 Abs. 1 ZVG begründe.
Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 ZVG seien mehrere in demselben Verfahren zu
versteigernde Grundstücke einzeln auszubieten. Nach § 63 Abs. 4 ZVG dürfe das
Einzelausgebot nur unterbleiben, wenn alle anwesenden Beteiligten, deren Rechte
bei der Feststellung des geringsten Gebots nicht zu berücksichtigen seien, darauf
verzichtet hätten. Dieser Verzicht der anwesenden Beteiligten einschließlich des
Schuldners sei bis zur Abgabe von Geboten zu Protokoll des Gerichts zu erklären.
Stillschweigen stelle keinen Verzicht dar. Es bedürfe eines positiven Tuns mit
eindeutigem
Erklärungsgehalt.
Eine
Verzichtserklärung bezüglich
der
Einzelausgebote habe sie nicht abgegeben; ein solcher Verzicht sei auch nicht
protokolliert worden.
Sie sei vor Beginn der Bietstunde anwesend gewesen. Bis zu diesem Zeitpunkt
könne gemäß § 63 Abs. 4 ZVG der Verzicht erklärt und protokolliert werden. Das sei
nicht geschehen. Dass bereits zuvor ein Beschluss gefasst worden sei, nur ein
Gesamtausgebot zuzulassen, sei unerheblich, weil ein solcher Beschluss bis zum
Beginn
der Bietstunde keine Bindungswirkung entfalte. Damit habe ein
Zuschlagsversagungsgrund im Sinne des § 83 Nr. 2 ZVG vorgelegen mit der Folge,
dass der Zuschlag nach § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 1, § 86 ZVG zu versagen gewesen
wäre.
b) Mit angegriffenem Beschluss vom 22. Februar 2012 wies das Landgericht die
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sofortige Beschwerde zurück. Das Amtsgericht habe nicht gegen § 83 Nr. 2, § 63 Abs.
1 ZVG verstoßen. Die Beschwerdeführerin sei nicht zu der Frage der Zulassung [nur]
eines Gesamtausgebots gehört worden, weil sie - verspätet - erst um 10.10 Uhr
erschienen sei. Die Frage sei schon um 10.00 Uhr geklärt und danach nicht mehr
thematisiert worden.
Der Verzicht der anwesenden Beteiligten auf Einzelausgebote sei zu Protokoll des
Gerichts zu erklären. Das sei hier fehlerfrei getan worden. Neue Beteiligte, die erst
während der Bietzeit erschienen, müssten nicht auch noch verzichten und damit auch
nicht befragt werden, ob sie zustimmten, dass Einzelausgebote unterblieben.
3. a) Mit der gegen den Beschluss des Landgerichts vom 22. Februar 2012
erhobenen Anhörungsrüge vom 6. März 2012 beanstandete die Beschwerdeführerin,
dass das Landgericht den Sachverhalt evident verfehlt habe.
Sie habe in ihrer sofortigen Beschwerde vorgetragen, dass sie kurz nach Beginn der
auf 10.00 Uhr terminierten Versteigerung, nämlich um 10.10 Uhr, etwas verspätet den
Saal betreten habe. Zu diesem Zeitpunkt habe die Bietstunde noch nicht begonnen
gehabt. Diese sei erst um 10.12 Uhr eröffnet worden. Demgegenüber führe das
Landgericht im Beschluss vom 22. Februar 2012 aus, dass neue Beteiligte, „die erst
während der Bietzeit erscheinen“, nicht mehr gefragt werden müssten. Dieser
zeitliche Verlauf sei jedoch gerade nicht gegeben.
Im Übrigen verkenne das Landgericht offenkundig die Rechtslage. Ein Verstoß
seitens des Versteigerungsgerichts gegen § 63 Abs. 4 ZVG begründe nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen Zuschlagsversagungsgrund nach
§ 83 Nr. 2 ZVG. So habe der Bundesgerichtshof in seiner jüngsten Entscheidung -
Beschluss vom 2. Februar 2012, Aktenzeichen V ZB 6/11 - zutreffend festgestellt,
dass auch der spätestens vor der Aufforderung zur Abgabe von Geboten im Termin
anwesende Schuldner auf Einzelausgebote verzichten müsse, wenn diese
ausgeschlossen werden sollten, und sich daran auch durch eine vorherige
Beschlussfassung über den Ausschluss von Einzelausgeboten nichts ändere. Weiter
habe der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass eine andere Auffassung für die
Beteiligten eine Verkürzung der Erklärungsfrist zur Folge hätte. Das entspräche
jedoch nicht der Regelung in § 63 Abs. 4 Satz 2 ZVG. Diese Regelung ermögliche
den Beteiligten die Abgabe der Verzichtserklärung bis zu einem bestimmten
Zeitpunkt. Bis dahin müssten sie sich nicht erklären. Im Falle ihrer Anwesenheit zu
diesem Zeitpunkt bedürfe es jedoch der Erklärung des Verzichts auf
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Einzelausgebote, andernfalls die Versteigerung ausschließlich aufgrund eines
Gesamtausgebots unzulässig sei.
Die Gehörsverletzung sei auch entscheidungserheblich. Hätte das Gericht den
Sachverhalt richtig erfasst, hätte es nicht zu ihrem Nachteil entscheiden dürfen, denn
eine Zustimmung zu einem Gesamtausgebot unter Verzicht auf Einzelausgebote
habe sie - rechtzeitig vor der Aufforderung zur Abgabe von Geboten anwesend -
unstreitig nicht erklärt; es sei nicht ausgeschlossen, dass bei einer Einzelausbietung
ein höherer Versteigerungserlös erzielt worden wäre.
Im Übrigen sei das Gericht gehalten gewesen, die Rechtsbeschwerde zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil es mit seiner Entscheidung von
der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschlüsse vom
2. Februar 2012 - V ZB 6/11 - und vom 1. Juli 2010 - V ZB 94/10) abgewichen sei.
b) Mit angegriffenem Beschluss vom 27. März 2012 wies das Landgericht die
Anhörungsrüge
zurück.
Zur Begründung der Anhörungsrüge habe die
Beschwerdeführerin vortragen lassen, dass sie vor Beginn der Bietstunde erschienen
sei. Die Anhörungsrüge habe keinen Erfolg; es werde insofern ausschließlich auf die
zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts verwiesen.
II.
1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, dass
die angegriffenen Gerichtsbeschlüsse sie in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus
Art. 103 Abs. 1 GG verletzten, weil ihr Vorbringen, dass sie vor der Bietzeit und der
Aufforderung des Gerichts zur Abgabe von Geboten im Gerichtssaal anwesend
gewesen sei, nicht gewürdigt worden sei. Das Landgericht habe diesen Vortrag
gänzlich unbeachtet gelassen; es stelle ausschließlich darauf ab, dass sie erst nach
Beginn der Bietzeit erschienen sei und daher nicht mehr habe gefragt werden
müssen, ob sie dem Gesamtausgebot unter Verzicht auf Einzelausgebote zustimme.
Hätte das Gericht ihren Vortrag berücksichtigt, hätte es - vgl. BGH, Beschluss vom 2.
Februar 2012 - V ZB 6/11 - nicht zu ihrem Nachteil entscheiden dürfen.
2. Die am Verfahren vor dem Landgericht Beteiligten und das Ministerium der Justiz
und für Verbraucherschutz des Landes Rheinland-Pfalz hatten Gelegenheit zur
Stellungnahme. Das Ministerium und der im Versteigerungstermin Meistbietende
haben
von
einer Stellungnahme
abgesehen.
Die
das
Zwangsversteigerungsverfahren betreibende Gläubigerin hat sich den angegriffenen
Beschlüssen des Landgerichts vollinhaltlich angeschlossen; Gründe, welche die
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Annahme der Verfassungsbeschwerde rechtfertigen könnten, vermag sie nicht zu
erkennen.
3. Die Akten des Zwangsversteigerungsverfahrens sind beigezogen worden.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie
sich gegen die Beschlüsse des Landgerichts vom 22. Februar 2012 und 27. März
2012 richtet, und gibt ihr insoweit statt. Die Annahme in diesem Umfang ist zur
Durchsetzung des verfassungsmäßigen Rechts der Beschwerdeführerin auf
rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die
Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
Die Verfassungsbeschwerde ist im Umfang ihrer Annahme zulässig und in einer die
Zuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Der
Beschluss des Landgerichts vom 22. Februar 2012 verstößt gegen Art. 103 Abs. 1
GG. Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Der Beschluss des Landgerichts vom
27. März 2012 hilft dem Verstoß nicht ab.
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der
Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 42,
364 <367 f.> ; 47, 182 <187>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats
vom 16. September 2010 - 2 BvR 2394/08 -, juris, Rn. 14). Art. 103 Abs. 1 GG ist
allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht
dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 25, 137 <141 f.>; 47, 182 <187>
). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen
entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung
gezogen haben (vgl. BVerfGE 40, 101 <104>; 47, 182 <187> ). Die Gerichte sind
dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der
Entscheidung ausdrücklich zu befassen (vgl. BVerfGE 13, 132 <149> ; 42, 364
<368>; 47, 182 <187> ). Deshalb müssen, wenn das Bundesverfassungsgericht einen
Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen soll, im Einzelfall besondere Umstände
deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder
überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht
erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 27, 248 <252> ; 47, 182 <187 f.>). Dergleichen
Umstände können insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht wesentliche, das
Kernvorbringen eines Beteiligten darstellende Tatsachen unberücksichtigt lässt. Geht
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das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für
das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung der Entscheidung nicht
ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er
nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich
unsubstantiiert ist (vgl. BVerfGE 86, 133 <146> ; BVerfGK 6, 334 <340>; 10, 41 <46>).
Daraus ergibt sich eine Pflicht der Gerichte, die wesentlichen, der Rechtsverfolgung
und
Rechtsverteidigung dienenden
Tatsachenbehauptungen
in
den
Entscheidungsgründen zu verarbeiten (vgl. BVerfGE 47, 182 <189>; BVerfGK 10, 41
<46>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. September
2010, a.a.O.).
2. Nach diesem Maßstab verletzt der Beschluss des Landgerichts vom 22. Februar
2012 die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör. Denn der
Beschluss lässt nicht erkennen, dass das Gericht den Kern ihres Tatsachenvortrags
zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Kern ihres
Beschwerdevorbringens war, dass sie um 10.10 Uhr erschienen sei, das Amtsgericht
erstmals um 10.12 Uhr zur Abgabe von Geboten aufgefordert habe und sie somit im
maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich vor Beginn der Bietstunde anwesend gewesen sei,
ohne zur Frage der Zulassung eines Gesamtausgebots unter Verzicht auf
Einzelausgebote gehört worden zu sein, geschweige denn einer solchen
Verfahrensweise zugestimmt zu haben. Das Landgericht legte demgegenüber
- hiervon abweichend - seiner Entscheidung zugrunde, dass die Beschwerdeführerin
erst nach Beginn der Bietstunde erschienen sei, wie anhand seiner Ausführungen
zum Verzicht auf Einzelausgebote
- „Der Verzicht der anwesenden Beteiligten auf Einzelausgebote
(§ 62 Abs. 4 ZVG) ist zu Protokoll des Gerichts zu erklären. Dies ist
vorliegend fehlerfrei getan worden. Neue Beteiligte, die erst während
der Bietzeit erscheinen, müssen daher nicht auch noch verzichten
…“ -
zu erkennen ist. Aufgrund dieser Ausführungen ist zudem festzustellen, dass es für
die Frage der Erforderlichkeit der Verzichtserklärung nach dem Rechtsstandpunkt des
Gerichts nicht unerheblich war, ob ein Beteiligter vor Beginn oder erst während der
Bietzeit erscheint.
3. Durch den Beschluss des Landgerichts vom 27. März 2012 wurde der
Gehörsverletzung nicht abgeholfen. Das Landgericht nahm darin zwar den
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Tatsachenvortrag der Beschwerdeführerin, vor Beginn der Bietstunde erschienen zu
sein, und ihren Rechtsstandpunkt, dass sie deshalb ausdrücklich auf
Einzelausgebote hätte verzichten müssen, zur Kenntnis, zog diesen Kernvortrag bei
der Entscheidung über den Erfolg der Gehörsrüge jedoch nicht (ernsthaft) in
Erwägung. Die vom Landgericht gegebene Begründung
- „Die Gehörsrüge der Beschwerdeführerin hat keinen Erfolg, es wird
insofern
ausschließlich
auf
die zutreffenden Gründe der
angefochtenen Entscheidung des Landgerichts verwiesen“ -,
erwähnt dieses Kernvorbringen nicht ansatzweise; eine Auseinandersetzung mit
dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Februar 2012 (V ZB 6/11 - juris) findet
nicht statt. Dabei lag diese hier besonders nahe, weil der Bundesgerichtshof - wie von
der Beschwerdeführerin in der Anhörungsrüge zutreffend ausgeführt - in
Fallkonstellationen wie im Ausgangsverfahren eine Versteigerung ausschließlich
aufgrund eines Gesamtausgebots jedenfalls bei nicht rechtsmissbräuchlichem
Verhalten des Schuldners als unzulässig ansieht, falls - wie hier - der Schuldner zu
Beginn der Bietzeit anwesend ist und es an einer von ihm stammenden Erklärung, auf
Einzelausgebote zu verzichten, fehlt.
4. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts vom 22. Februar 2012 beruht auf
dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil nicht auszuschließen ist, dass das
Landgericht eine andere, der Beschwerdeführerin günstige Entscheidung getroffen
hätte, wenn es ihr Kernvorbringen zur Kenntnis genommen und (ernsthaft) in
Erwägung gezogen hätte. Der Beschluss unterliegt infolgedessen der Aufhebung.
Gleichfalls aufzuheben ist der mitangegriffene Beschluss des Landgerichts vom 27.
März 2012, weil sich die Aufhebung einer gerichtlichen Entscheidung wegen eines
Verstoßes
gegen
ein grundrechtsgleiches Recht auch auf nachfolgende
Entscheidungen erstreckt, welche auf Rechtsbehelfe hin ergangen sind und die
vorangegangene Entscheidung bestätigen (vgl. BVerfGE 4, 412 <424> ; BVerfG,
Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. September 2010, a.a.O., Rn.
2 2 ) . Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 in
Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG).
IV.
Soweit die Verfassungsbeschwerde gegen den im Verfahren 11 K 76/06
ergangenen Beschluss des Amtsgerichts vom 30. Januar 2012 gerichtet wird, ist sie
nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die im Verfassungsbeschwerdeverfahren
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vorgelegte Vollmachtsurkunde umfasst den Beschluss des Amtsgerichts nicht.
Darüber
hinaus genügt das Beschwerdevorbringen insoweit nicht den
Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3
BVerfGG abgesehen.
V.
Die
Entscheidung
über
die
Auslagenerstattung im
Verfassungsbeschwerdeverfahren,
die
unter Mitberücksichtigung des durch
Beschluss vom 27. Juli 2012 nicht zur Entscheidung angenommenen Teils der
Verfassungsbeschwerde (I.) ergeht, beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche
Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beträgt mindestens 4.000,00 € und,
wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Entscheidung einer Kammer
stattgegeben wird, in der Regel 8.000,00 €. Hier wird der Verfassungsbeschwerde
gegen die Beschlüsse des Landgerichts stattgegeben. Weder die objektive
Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
weisen Besonderheiten auf, die zu einer Abweichung Anlass geben.
VI.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Lübbe-Wolff
Huber
Kessal-Wulf