Urteil des BVerfG vom 27.08.2003
rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, beschränkung, befragung
- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Reiner Geulen und
Koll., Schaperstraße 15, 10719 Berlin -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 911/03 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1.
des Herrn L...,
2.
des Herrn G...,
3.
des Herrn W...,
4.
des Herrn S...,
5.
des Herrn S...,
6.
der Frau H...,
7.
der Frau H...,
8.
der Frau H...,
9.
des Herrn K...,
10.
der Frau S...,
11.
der Frau D...,
gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 5. Juni 2003 - 2 Ws 185/03 -,
b) die Beschlüsse des Landgerichts Lüneburg vom 19. Mai 2003 - 17 KLs 15/2001
-,
c) den Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 8. Mai 2003 - 17 KLs 15/2001 -
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Jentsch,
Broß,
Gerhardt
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 (BGBl I S. 1473 ) am 27. August 2003 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Gründe:
Die  Verfassungsbeschwerde  betrifft  die Überprüfung  einer  Einstellungsentscheidung  der
Strafgerichte nach § 153a Abs. 2 StPO.
Die  Verfassungsbeschwerde  wird  nicht  zur Entscheidung  angenommen,  weil  ein
Annahmegrund  gemäß §  93a  Abs.  2  BVerfGG  nicht  vorliegt.  Die Verfassungsbeschwerde
hat  keine  grundsätzliche verfassungsrechtliche  Bedeutung;  der  verfassungsrechtliche
Maßstab
ist
geklärt
(vgl.
BVerfGE
14, 320  <323>).  Die  Annahme  der
Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer
angezeigt, denn sie ist unzulässig (1.) und im Übrigen auch unbegründet (2.).
1.  Soweit  die  als  Nebenkläger  zum Strafverfahren  zugelassenen  Beschwerdeführer  eine
Gehörsverletzung (Art. 103 Abs. 1 GG) und einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen
Verfahrens rügen, weil ihnen jegliche Befragung der Sachverständigen verwehrt worden sei,
genügt die Verfassungsbeschwerde nicht dem Grundsatz der erweiterten  Subsidiarität  (vgl.
§  90  Abs.  2  Satz  1 BVerfGG).  Unaufschiebbare  Fragen  und  Verständnisfragen  der
Prozessbeteiligten  waren  zugelassen  worden.  Hinsichtlich  der weiteren  Beschränkung  des
Fragerechts,  die  nach  den Ausführungen  des  Beschlusses  des  Landgerichts  vom  19.  Mai
2003 der Vorsitzende der Strafkammer vorgenommen hat, hätten die Beschwerdeführer eine
Entscheidung des Gerichts herbeiführen müssen (§§ 397 Abs. 1, 238 Abs. 2 StPO).
Im  Übrigen  ist  eine  Verletzung  rechtlichen Gehörs  oder  des  Grundsatzes  des  fairen
Verfahrens  nicht substantiiert  (§§  92,  23  Abs.  1  Satz  2 BVerfGG)  dargetan.  Die
Beschwerdeführer
hatten
Gelegenheit, zu  der  vom  Landgericht  angeregten
Verfahrenseinstellung (§  153a  StPO)  Stellung  zu  beziehen  und  eine  eigene Bewertung  der
Einstellungsvoraussetzungen  in  tatsächlicher und  rechtlicher  Hinsicht  vorzunehmen.  Ihr
Schriftsatz vom 8. Mai 2003 enthält hierzu keine Ausführungen. Das Landgericht war deshalb
von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, auf den Inhalt des Schriftsatzes in dem vorläufigen
Einstellungsbeschluss vom 8. Mai 2003 einzugehen.
Soweit die Beschwerdeführer darüber hinaus rügen, dass das Landgericht ihren Antrag, die
Sachverständigen selbst zu befragen, nicht beschieden habe, ist eine Grundrechtsverletzung
ebenfalls  nicht  in erforderlicher  Weise  dargelegt.  Das  Landgericht  hat  im Beschluss  vom
8.  Mai  2003  darauf  hingewiesen,  dass  es auf  das  Begehren  nicht  ankomme,  und  auf  den
Antrag  der Beschwerdeführer,  ihnen  insoweit  rechtliches  Gehör  gemäß §  33a  StPO  zu
gewähren,  im  Beschluss  vom  19.  Mai  2003 ausgeführt,  dass  die  Beschwerdeführer  einen
förmlichen Beweisantrag  -  der  förmlich  zu  verbescheiden  gewesen  wäre  - nicht  gestellt
haben.  Das  Landgericht  ist  demzufolge  auf  das Vorbringen  der  Beschwerdeführer
eingegangen; ein Gehörsverstoß ist nicht ersichtlich.
Auch soweit die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 5. Juni 2003 angegriffen wird,
ist  eine  Verletzung  von  Grundrechten  oder  grundrechtsgleichen Rechten  nicht  hinreichend
dargetan.  Mit  den  Gründen  des Beschlusses  des  Oberlandesgerichts  setzen  sich  die
Beschwerdeführer nicht auseinander.
2. Eine Verletzung von Grundrechten liegt aber auch der Sache nach nicht vor. Nach der
Rechtsprechung  des Bundesverfassungsgerichts  ist  es  verfassungsrechtlich geboten,  dem
Nebenkläger  die  Möglichkeit  zu  eröffnen,  sich nach  Maßgabe  der  strafprozessualen
Vorschriften vor einer Verfahrenseinstellung rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BVerfGE
14,  320  <323> ).  Im  Übrigen  ist  die Verfahrenseinstellung  nach  §  153a  StPO  für  den
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Nebenkläger unanfechtbar (§ 400 Abs. 2 Satz 2 StPO) und bedarf nicht seiner Zustimmung
(vgl.  Beschluss  der 2.  Kammer  des  Zweiten  Senats  des  Bundesverfassungsgerichts vom
28. Juni 1994 - 2 BvR 1235/94 -, NJW 1995, S. 317 f.). Der Gesetzgeber hat sich insoweit für
eine  Beschränkung  der  grundsätzlich  selbstständigen Rechtsmittelbefugnis  des
Nebenklägers  entschieden,  die  sich nicht  auf  den  Rechtsfolgenausspruch  oder
Ermessenseinstellungen erstreckt, da ein legitimes rechtliches Bedürfnis dafür nicht erkannt
worden  ist,  wenn sich  sowohl  der  Angeklagte  als  auch  die  Staatsanwaltschaft mit  der
gerichtlichen Entscheidung zufrieden geben. Diese gesetzgeberische Entscheidung über die
Stellung  des Nebenklägers  im  Strafverfahren  bewegt  sich  im verfassungsrechtlich
unangreifbaren  Rahmen.  Das  Grundgesetz kennt  keinen  grundrechtlichen  Anspruch  auf
Strafverfolgung eines Dritten durch den Staat (vgl. BVerfG, aaO).
Nach  diesen  Maßstäben  ist  eine  Verletzung  von Grundrechten  oder  grundrechtsgleichen
Rechten nicht gegeben. Das Landgericht hat in der Hauptverhandlung vom 28. April 2003 die
Voraussetzungen einer Einstellung des Strafverfahrens gegen die Angeklagten dargelegt und
d e n Prozessbeteiligten  Gelegenheit  gegeben,  hierzu  bis  zum  8.  Mai 2003  Stellung  zu
nehmen.  Die  Beschwerdeführer  haben  sich  in ihren  Stellungnahmen  gegen  die
Verfahrenseinstellung  gewandt und  eine  Fortsetzung  der  Befragung  der  Sachverständigen
beantragt. Auf die Ausführungen des Landgerichts zu den Einstellungsvoraussetzungen des
§  153a  StPO, insbesondere  auf  die  Bewertung  der  Schuldfrage  der Angeklagten,  sind  sie
nicht eingegangen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Jentsch
Broß
Gerhardt