Urteil des BVerfG vom 02.03.2000
ddr, verhandlung gegen abwesende, faires verfahren, leitende tätigkeit
- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Pünder und Koll.,
Mainzer Landstraße 46, Frankfurt am Main -
1
2
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 910/96 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn W...
gegen a) den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 8. März 1996 - 2 Ws -
Reha 35/95 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Gera vom 22. Dezember 1993 - 6 (4) Reha
464/92 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin
Präsidentin Limbach
und die Richter Hassemer,
Di Fabio
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 ( BGBl I S. 1473) am 2. März 2000 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1.  a)  (1)  Das  Landgericht  Rudolstadt verurteilte den Beschwerdeführer am 10. November
1950
in seiner  Abwesenheit  wegen  fortgesetzten  Verbrechens  nach  der
Wirtschaftsstrafverordnung  und  dem  Kontrollratsgesetz  Nr.  50 sowie  wegen  fortgesetzten
Vergehens
nach
der Kriegswirtschaftsverordnung
und
der
Verbrauchsregelungsstrafverordnung  zu  einer  Gesamtstrafe  von drei  Jahren  und  drei
Monaten  Zuchthaus  sowie  zu  einer Geldstrafe  von  10.000  DM.  Sein  Vermögen  und  die
Rosenbrauerei, die von einer Kommanditgesellschaft betrieben wurde, deren Komplementär
der  Beschwerdeführer  war,  wurden eingezogen.  Außerdem  wurde  dem  Beschwerdeführer
jede  leitende Tätigkeit  im  Brauereigewerbe  auf  die  Dauer  von  fünf  Jahren untersagt.  Dem
Beschwerdeführer  wurde  zur  Last  gelegt, Lagerbestände  verheimlicht  und  dem
ordnungsgemäßen Wirtschaftsablauf  entzogen  zu  haben.  Außerdem  habe  er Düngemittel
ohne Bezugsberechtigung gekauft und abgegeben. Die Taten seien strafbar nach § 1 Abs. 1
Ziff. 3 in Tateinheit mit § 6 Abs. 1 Ziff. 1 WStrVO, Art. 1 des Kontrollratsgesetzes Nr. 50, § 1 a
Abs.
1
Ziff.
2 Kriegswirtschaftsverordnung  und  §  1  Abs.  1  Ziff.  1
Verbrauchsregelungsstrafverordnung.
(2) Die Revision des Beschwerdeführers gegen dieses Urteil wurde vom Oberlandesgericht
3
4
5
6
7
8
Erfurt mit Urteil vom 4. Mai 1951 verworfen.
b) Bereits mit Urteil des Landgerichts Rudolstadt vom 9. August 1949 - KLs 51/49 - war der
Beschwerdeführer wegen Verbrechens und Vergehens nach der Wirtschaftsstrafverordnung
zu  zwei  Monaten  Gefängnis verurteilt  und  im  Übrigen  freigesprochen  worden.  Mit  der
damaligen  Anklage  war  dem  Beschwerdeführer  unter  anderem  zur Last  gelegt  worden,
Dieselöl,  Waschbenzin  und  Testbenzin  ohne Bezugsberechtigung  bezogen  und  bei  Seite
geschafft zu haben.
2. Im Jahre 1953 beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 15 in Verbindung mit § 2 des
Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2. Mai 1953 (
BGBl I S. 161) - RHG -, die Vollstreckung des Urteils des Landgerichts Rudolstadt vom 10.
November  1950 für  unzulässig  zu  erklären.  Gegen  den  ablehnenden  Beschluss des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. November 1956 - 1 Ws 567/56 - erhob der
Beschwerdeführer erfolgreich Verfassungsbeschwerde (Beschluss des Zweiten Senats vom
31. Mai 1960 - 2 BvR 234, 235, 236/60 -, BVerfGE 11, 150).
3.  Dem  Antrag  des  Beschwerdeführers,  im  Wege der  Kassation  die  Aufhebung  der
Vermögenseinziehung  im  Urteil des  Landgerichts  Rudolstadt  vom  10.  November  1950
auszusprechen, entsprach das Bezirksgericht mit Beschluss vom 18. Juli 1991.
4.  Den  weiteren  Antrag  des  Beschwerdeführers, das  Urteil  des  Landgerichts  Rudolstadt
vom 10. November 1950 im Übrigen aufzuheben, wies das Landgericht Gera mit Beschluss
vom 22. Dezember 1993 zurück. Zur Begründung führte es aus, dass die Verurteilung keiner
politischen  Verfolgung gedient habe, sondern eine nach dem Grundsatz des Art. 18 Abs.  1
des Einigungsvertrags zu respektierende Entscheidung darstelle. Eine Katalogtat gemäß § 1
Abs.  1  Nr.  1 StrRehaG  liege  nicht  vor.  Der  Umstand,  dass  die  angegriffene Verurteilung
Straftatbestände  betreffe,  die  den  Schutz  des planwirtschaftlich  ausgerichteten
sozialistischen Wirtschaftssystems  der  DDR  bezweckten,  sei  nicht  geeignet, eine
Rehabilitierung
zu
begründen.
Die
strafbewehrten Ausprägungen  des  DDR-
Wirtschaftssystems  seien  den Vertragsschließenden  des  Einigungsvertrags  bekannt
gewesen. Gleichwohl  hätten  sie  in  Art.  18  Abs.  1  des  Einigungsvertrags den  Grundsatz
aufgestellt,  dass  rechtskräftige  Urteile  der DDR-Strafgerichte  wirksam  blieben.  Dieser
Grundsatz  sei  durch das  Strafrechtliche  Rehabilitierungsgesetz  für  den  Bereich des  DDR-
Wirtschaftsstrafrechts nicht eingeschränkt worden.
Nach  dem  Grundlagenvertrag  der  damaligen Bundesrepublik  Deutschland  mit  der
damaligen DDR sei die DDR als eigenständiger souveräner Staat im Sinne des Völkerrechts
anzusehen  und  als  solcher  befugt  gewesen,  auf  den  Schutz  der sozialistischen
Planwirtschaft  zugeschnittene  Gesetze  und Vorschriften  zu  erlassen  und  ihre  Verletzung
strafrechtlich zu  sanktionieren.  Die  Bestrafung  wegen  Zuwiderhandlung  gegen die  DDR-
Wirtschaftsordnung  schützende  Gesetze  sei  daher  ohne Hinzutreten  darüber
hinausgehender  besonderer  Umstände  nicht im  Sinne  des  §  1  Abs.  1  StrRehaG
rechtsstaatswidrig  und keine  Maßnahme  politischer  Verfolgung.  Dementsprechend  sei die
vorliegende  Verurteilung  im  Schuldspruch  nicht  zu beanstanden,  denn  derartige
Besonderheiten  seien  nicht erkennbar.  Die  Verurteilung  sei  wegen  Verletzung  von
wirtschaftslenkenden Melde- und Warenbezugsvorschriften erfolgt, deren Aufstellung in Not-
und
Mangelzeiten
per
se keineswegs  rechtsstaatswidrig  sei.  Vergleichbare
Warenbewirtschaftungsregelungen  habe  es  in  der  Nachkriegszeit auch  in  den  damaligen
Westzonen gegeben.
Die  Entscheidungen  im  Rechtshilfeverfahren entfalteten  für  das  Verfahren  nach  dem
Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz  keinerlei  Bindungswirkung.  Im Rechtshilfeverfahren
9
10
11
12
13
14
15
sei es um die Frage der Zulässigkeit der Vollstreckung nach den Grundsätzen des § 2 RHG
gegangen, während  im  Rehabilitierungsverfahren  die Rechtsstaatswidrigkeit  nach  §  1
StrRehaG
unter Berücksichtigung  der  durch  den  Grundlagenvertrag  und  den
Einigungsvertrag veränderten Rechtslage zu beurteilen sei.
Ausreichende  Anhaltspunkte  für  eine  auf Ermöglichung  der  Verurteilung  zielende
unzutreffende Tatsachenfeststellung durch das DDR-Gericht seien nicht zu erkennen. Soweit
sich  dies  aus  den  erhaltenen  Unterlagen ablesen  lasse,  sei  eine  umfängliche
Beweisaufnahme durchgeführt  worden;  die  Feststellungen  basierten  weitgehend auf  dem
umfassenden  Geständnis  des  Mitverurteilten.  Die Durchführung  der  Hauptverhandlung  in
Abwesenheit  des Beschwerdeführers,  der  durch  einen  Rechtsanwalt  verteidigt worden  sei,
sei strafprozessual zulässig gewesen.
Die  angeordneten  Rechtsfolgen  stünden  auch nicht  in  grobem  Missverhältnis  zu  der  zu
Grunde liegenden Tat im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG. Dass die Bestrafung zu drei
Jahren und drei Monaten Zuchthaus und 10.000 DM Geldstrafe sicherlich härter ausgefallen
sei  als sie  durch  ein  Gericht  der  Bundesrepublik  -  die  Strafbarkeit unterstellt  -  zu  erwarten
gewesen  wäre,  begründe  keinen Rehabilitierungsanspruch.  Der  Rechtsstaatswidrigkeit  der
Einziehung  der  Brauerei  und  des  Vermögens  des Beschwerdeführers sei bereits durch die
Entscheidung des Bezirksgerichts vom 18. Juli 1991 Rechnung getragen worden.
5. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers, der die Generalstaatsanwaltschaft
beitrat, änderte das Oberlandesgericht die landgerichtliche Entscheidung mit Beschluss vom
8.  März  1996  ab.  Es  erklärte das Urteil des Landgerichts Rudolstadt für rechtsstaatswidrig
und hob es auf, soweit gegen den Beschwerdeführer eine höhere als ein Jahr Freiheitsstrafe
verhängt worden war, und stellte einen entsprechenden Anspruch auf Erstattung der Kosten
und Auslagen  aus  dem  DDR-Strafverfahren  fest.  Die  weiter  gehende Beschwerde  wies  es
zurück.
Zur  Begründung  führte  es  aus:  Das  Landgericht sei  zutreffend  davon  ausgegangen,  dass
sich allein aus der Verurteilung wegen Verstoßes gegen die Wirtschaftsstrafverordnung, das
Kontrollratsgesetz
Nr.
50, die
Kriegswirtschaftsverordnung
und
die
Verbrauchsregelungsstrafordnung  eine  Unvereinbarkeit  mit wesentlichen  rechtsstaatlichen
Grundsätzen im Sinne des § 1 Abs. 1 StrRehaG noch nicht ergebe.
Das  Landgericht  sei  auch  zu  Recht  von  den damals  getroffenen  tatsächlichen
Feststellungen  ausgegangen. Aus  der  grundsätzlichen  Bestandskraft  von  DDR-Urteilen
folge, dass  die  Rehabilitierungsgerichte  in  aller  Regel  von  den damals  festgestellten
Tatsachen  auszugehen  hätten,  es  sei denn,  eine  Würdigung  der  gesamten  Umstände  des
damaligen Strafverfahrens  im  Freibeweis  ergäbe,  dass  die Sachverhaltsfeststellungen
ihrerseits nicht rechtsstaatlich zustande gekommen seien.
Auch  die  Verurteilung  des  Beschwerdeführers  in Abwesenheit  verstoße  nicht  gegen
wesentliche  rechtsstaatliche Grundsätze. Die erweiterte Möglichkeit der Verhandlung gegen
Abwesende sei zwar in der Bundesrepublik 1950 wieder abgeschafft worden, während sie in
der  DDR  bestehen  geblieben sei.  Der  Beschwerdeführer  sei  hier  jedoch  durch  zwei
Wahlverteidiger  vertreten  gewesen,  die  auch  in  seinem  Auftrag Revision  eingelegt  hätten.
Unter  diesen  Voraussetzungen würden  auch  andere  rechtsstaatliche  Ordnungen,  etwa  die
französische,  eine  Verhandlung  gegen  Abwesende  selbst  dann kennen,  wenn  mehrjährige
Haftstrafen drohten.
Eine  Rechtsstaatswidrigkeit  folge  auch  nicht aus einem Verstoß des angegriffenen Urteils
gegen den Grundsatz "ne bis in idem". Ausweislich der Gründe des Urteils des Landgerichts
16
17
18
19
Rudolstadt  vom  9.  August  1949  sei der  dortige  Teilfreispruch  deshalb  erfolgt,  weil  die
vermeintlichen  verheimlichten  Bestände  an  Dieselöl  und  Benzin sich  bei  einer  chemischen
Analyse  als  Fußbodenöl  bzw.  als Petroläther  herausgestellt  hätten.  Solche  Feststellungen
hätten  sich,  abgesehen  von  den  nicht  übereinstimmenden Mengen,  hinsichtlich  der  der
angegriffenen  Verurteilung  von 1950 zugrunde gelegten Mengen ausweislich der damaligen
Urteilsgründe  nicht  treffen  lassen.  Der  Senat  gehe  daher hinsichtlich  des  Vorwurfs  des
Hortens von Dieselöl und Benzin in dem angegriffenen Urteil davon aus, dass es sich nicht
um die Flüssigkeiten gehandelt habe, die dem Tatvorwurf zugrunde gelegen hätten, von dem
der Beschwerdeführer mit Urteil vom 9. August 1949 freigesprochen worden sei. Ein Verstoß
gegen den Grundsatz des Strafklageverbrauchs werde daher "nicht für gegeben erachtet".
Der Umfang der Verurteilung könne indes keinen Bestand haben. Die Begleitumstände des
seinerzeitigen Strafverfahrens  ergäben  nämlich,  dass  gezielt  nach  einem Vorwand  zur
Verstaatlichung  der  Rosenbrauerei  gesucht  worden sei.  Der  Beschwerdeführer  habe  aus
seinem  Unternehmen herausgedrängt  werden  sollen.  Es  habe  eine  Pogromstimmung
geherrscht, die bewirkt habe, dass der Beschwerdeführer wunschgemäß geflüchtet sei und
nicht gewagt habe, in die DDR zurückzukehren, um sich dem Strafverfahren zu stellen. Bei
der  vorzunehmenden  Teilrehabilitierung  sei  das  Strafmaß zugrundezulegen,  auf  das  ein
DDR-Gericht  in  Ansehung  der  dort deutlich  härteren  Strafpraxis,  aber  ohne  die
rechtsstaatswidrigen Einflüsse, erkannt hätte. Der Senat erachte unter Berücksichtigung der
Vorverurteilung des Beschwerdeführers, seines Tatbeitrags sowie des im Urteil festgestellten
betriebsbezogenen  Motivs  eine  Freiheitsstrafe von  einem  Jahr  als  rechtsstaatlich  noch
hinnehmbar.
II.
Mit  seiner  Verfassungsbeschwerde  wendet  sich der  Beschwerdeführer  gegen  die
Entscheidungen  des Landgerichts und des Oberlandesgerichts im Rehabilitierungsverfahren
und  rügt  eine  Verletzung  seines Grundrechts  aus  Art.  2  Abs.  1  GG  und  seiner
grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG sowie Art. 103 Abs. 3 GG.
1. Die den Beschwerdeführer belastende Entscheidung im Rehabilitierungsverfahren sei als
Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG nur gerechtfertigt, wenn § 1 Abs. 1 StrRehaG verfassungsgemäß
sei  und  auch  verfassungsgemäß ausgelegt  und  angewendet  werde.  Daran  fehle  es.  Die
Wirtschaftsstrafverordnung
widerspreche
insgesamt wesentlichen  rechtsstaatlichen
Grundsätzen und verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip. Sie verkörpere einen Missbrauch
d e s Strafrechts  zur  politisch-ideologisch  motivierten  Verfolgung Andersdenkender.  Das
Bundesverfassungsgericht  habe  dies  in seinem Beschluss vom 31. Mai 1960 ausdrücklich
bestätigt. Diese Entscheidung beziehe sich zwar auf die Zulässigkeit einer Vollstreckung und
nicht  auf  eine  etwaige Rehabilitierung.  Prüfungsmaßstab  sei  in  beiden  Fällen  aber die  im
Grundgesetz  festgeschriebene  verfassungsmäßige Ordnung.  Für  die  Rehabilitierung  könne
daher nichts anderes gelten als für die Vollstreckung.
2. Das Oberlandesgericht habe den Beschwerdeführer auch in seinem Recht auf effektiven
Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt. Es
habe  darauf  verzichtet, überhaupt  die  Richtigkeit  der  Feststellungen  des  Landgerichts zu
überprüfen. Das Landgericht sei aber lediglich mangels gegenteiliger Anhaltspunkte von der
Richtigkeit  der Tatsachenfeststellungen  in  dem  angegriffenen  Urteil ausgegangen  und  habe
dem  Beschwerdeführer  sogar  den  Umstand angelastet,  dass  nahezu  sämtliche
Verfahrensakten  der Prozesse von 1949 und 1950 nicht mehr auffindbar seien. Es habe die
Sachverhaltsaufklärung pflichtwidrig verweigert und dem Beschwerdeführer damit effektiven
Rechtsschutz versagt.
20
21
22
23
24
25
26
3.  Darüber  hinaus  habe  es  das  Verbot  der Mehrfachbestrafung  (Art.  103  Abs.  3  GG)
missachtet. Es habe verkannt, dass das Landgericht Rudolstadt in seiner Entscheidung von
1950  einen  geschichtlichen  Vorgang abgeurteilt  habe,  der  bereits  Gegenstand  des
Verfahrens  von 1949  gewesen  sei.  Es  sei  zumindest  nicht  auszuschließen,  dass der
Tatvorwurf hinsichtlich des Öls und des Benzins im Verfahren von 1950 identisch mit dem
Tatvorwurf  hinsichtlich des  Dieselöls,  Waschbenzins  und  Testbenzins  im  Verfahren  von
1949  gewesen  sei.  Soweit  sich  das  Oberlandesgericht  außer Stande  gesehen  habe,  die
Frage der Tatidentität abschließend zu beurteilen, hätte es nach dem Grundsatz in dubio pro
reo, dem Verfassungsrang zukomme, von dem Sachverhalt ausgehen müssen, der für den
Beschwerdeführer der günstigere gewesen wäre.
4.  Schließlich  habe  das  Oberlandesgericht verkannt,  dass  die  Verurteilung  des
Beschwerdeführers in Abwesenheit durch das Landgericht Rudolstadt gegen Art. 103 Abs. 1
GG und das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Recht auf ein faires Verfahren verstoßen
habe.
Das Oberlandesgericht
wähle
einen
verfassungsrechtlich unrichtigen
Prüfungsmaßstab,  wenn  es  auf  andere rechtsstaatliche Ordnungen, etwa die französische,
verweise, weil nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 StrRehaG die Entscheidungen der DDR-
Gerichte an der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu messen
seien. Bereits das einfache Gesetzesrecht, nämlich § 234 StPO, stelle klar, dass auch bei
anwaltlicher  Vertretung  die Abwesenheit  des  Angeklagten  nur  unschädlich  sei,  wenn  auch
sonst in Abwesenheit hätte verhandelt werden dürfen. Das sei hier aber gerade nicht der Fall.
Der Angeklagte habe sich auch nicht freiwillig der Möglichkeit der persönlichen Teilnahme an
der  Hauptverhandlung  begeben.  Das Oberlandesgericht  habe  zutreffend  von  einer
Pogromstimmung gesprochen,  die  bewirkt  habe,  dass  der  Beschwerdeführer  es nicht
gewagt habe, sich dem Strafverfahren in der DDR zu stellen.
III.
Die  Verfassungsbeschwerde  wird  nicht  zur Entscheidung  angenommen,  weil  ihr  keine
grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt und die Annahme auch nicht zur
Durchsetzung  der  in  §  90  Abs.  1  BVerfGG genannten  Rechte  angezeigt  ist  (§  93a  Abs.  2
BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
Soweit  sie  sich  gegen  den  landgerichtlichen Beschluss  insgesamt  und  damit  auch  gegen
den
vom Oberlandesgericht
aufgehobenen
Teil
richtet,
ist
sie
mangels
Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. a) Die Versagung einer Rehabilitierung ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers
nicht gleichzusetzen  mit  einem  Eingriff  in  Art.  2  Abs.  1  GG.  Sie bedeutet  nicht  etwa  die
Erneuerung  der  angegriffenen DDR-Verurteilung  (Urteil  des  Zweiten  Senats  des
Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999 - 2 BvR 1533/94 -, NJW 2000, S. 418).
Vielmehr betrifft die Rehabilitierung die Wiedergutmachung judikativen Unrechts der DDR und
damit  des  Unrechts  einer  fremden  Staatsgewalt,  für das  die  Bundesrepublik  Deutschland
nicht
verantwortlich
ist und  für  das  sie  nicht  einzustehen  hat  (Urteil  des
Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999, a. a. O., S. 418/420).
b)  §  1  Abs.  1  StrRehaG,  insbesondere  die dort  vorgesehene  Beschränkung  der
Rehabilitierung
auf DDR-Entscheidungen,  die  mit  wesentlichen  Grundsätzen  einer
freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sind, ist mit dem Grundgesetz vereinbar
(vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999, a. a. O., S. 419).
c)  Die  Annahme  der  angegriffenen Entscheidungen,  die  Tatsache  der  Verurteilung  nach
Vorschriften  der  Wirtschaftsstrafverordnung,  des Kontrollratsgesetzes  Nr.  50,  der
27
28
29
30
Kriegswirtschaftsverordnung und der Verbrauchsregelungsstrafverordnung genüge nicht, um
das  Vorliegen  der  Voraussetzungen  des  §  1  Abs.  1 StrRehaG  zu  bejahen,  ist  von
Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
(1)  Es  ist  weder  ersichtlich  noch  dargetan, dass  die  hier  angewandten  Normen  des
Wirtschaftsstrafrechts der DDR die in der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten
Menschenrechte in schwerwiegender Weise missachteten (vgl. dazu auch BGH, Beschluss
vom  9.  Juli  1998 -  4  StR  599/97  -,  JURIS)  und  die  Verurteilung  des Beschwerdeführers
deshalb unter der Wertordnung des Grundgesetzes keinen Bestand haben könne (vgl. Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999, a. a. O., S. 419). Insbesondere das
Landgericht  hat  ausführlich  dargelegt, dass  die  DDR  als  souveräner  Staat  im  Sinne  des
Völkerrechts befugt  gewesen  sei,  ihre  inneren  Angelegenheiten  selbst  zu regeln  und  damit
auch ihre planwirtschaftlich ausgerichtete Wirtschaftsordnung durch entsprechende Gesetze
und Vorschriften  zu  schützen  und  deren  Verletzung  strafrechtlich zu  sanktionieren.  Diese
Ausführungen  stehen  im  Einklang  mit der  Entscheidung  des  Bundesverfassungsgerichts
zum Grundlagenvertrag (vgl. BVerfGE 36, 1 <22>) und sind von Verfassungs wegen nicht zu
beanstanden (vgl. auch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999, a. a.
O., S. 419).
(2)  Die  Rehabilitierungsgerichte  mussten  sich von Verfassungs wegen auch nicht bei der
Auslegung  von §  1  Abs.  1  StrRehaG  an  der  Rechtsprechung  zum Rechtshilfegesetz,
insbesondere  der  Entscheidung  des Bundesverfassungsgerichts  zum  Rechtshilfeverfahren
des Beschwerdeführers,  orientieren.  Der  Gleichheitssatz  (Art.  3 Abs.  1  GG)  ist  durch  die
Ablehnung  der  Rehabilitierung  nicht verletzt.  Schon  nach  dem  Wortlaut  der  einschlägigen
Vorschriften  ist  für  die  Rehabilitierung  einerseits  und  die Rechtshilfe  andererseits  ein
unterschiedlicher Prüfungsmaßstab  anzulegen:  §  2  RHG  spricht  vom  Einklang mit  bzw.
Widerspruch  zu  rechtsstaatlichen  Grundsätzen, während  §  1  Abs.  1  StrRehaG  die
Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung
voraussetzt.  Aber  gerade  auch  der verfassungsrechtliche  Kontext  der  Rehabilitierung
einerseits und der Rechtshilfe andererseits ist nicht vergleichbar: Die Rehabilitierung  betrifft,
wie ausgeführt, die Wiedergutmachung von Unrecht einer fremden Staatsgewalt, während die
Rechtshilfe  zur  Vollstreckung  einer DDR-Verurteilung  mit  Hilfe  bundesdeutscher  Behörden
führte und damit einen Grundrechtseingriff der Bundesrepublik Deutschland darstellte (Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999, a. a. O., S. 420).
2. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ist nicht
verletzt. Weder  das  Landgericht  noch  das  Oberlandesgericht  haben  sich an  die
Tatsachenfeststellungen  des  DDR-Gerichts  gebunden gesehen  (vgl.  dazu  Urteil  des
Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999, a. a. O., S. 421).
Die Ausführungen des Landgerichts lassen vielmehr erkennen, dass es geprüft hat, ob das
DDR-Gericht unzutreffende  Tatsachen  zur  Ermöglichung  einer  Verurteilung des
Beschwerdeführers festgestellt hat. Ausreichende Anhaltspunkte hierfür hat das Landgericht
verneint. Dass solche Anhaltspunkte vorhanden gewesen und in verfassungswidriger Weise
nicht  berücksichtigt  worden  wären, ist  nicht  ersichtlich  und  auch  dem  Vortrag  des
Beschwerdeführers  nicht  zu  entnehmen.  Seine  schlichte Behauptung,  ihm  sei  die
Unauffindbarkeit  nahezu  sämtlicher Verfahrensakten  der  Prozesse  von  1949  und  1950
angelastet worden,  gibt  dafür  nichts  her.  Auch  seinem  Vorbringen  zu  dem behaupteten
Verstoß  des  DDR-Gerichts  gegen  das  Verbot  der Mehrfachbestrafung  ist  nicht  zu
entnehmen,
dass
die Rehabilitierungsgerichte  Ansatzpunkte  für  eine  weitere
Sachverhaltsaufklärung übergangen hätten.
31
32
33
34
Das Oberlandesgericht ist ebenfalls nicht von einer Bindung an die Feststellungen der DDR-
Gerichte ausgegangen. Vielmehr hat es ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen,  dass
diese Feststellungen nicht rechtsstaatlich zustandegekommen sein können, und damit seine
verfassungsrechtliche  Prüfungspflicht  anerkannt,  die  eine schlichte  Übernahme  der
Tatsachenfeststellungen  beim  Vortrag politischer  Verfolgung  verbietet  (Urteil  des
Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999, a. a. O., S. 420 f.).
3. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG liegt nicht vor. Das Urteil des DDR-Gerichts ist
nicht  unmittelbar am Grundgesetz zu messen; das Grundgesetz ist nach dem Beitritt  nicht
rückwirkend  im  Gebiet  der  ehemaligen  DDR  in Kraft  gesetzt  worden  (vgl.  BVerfG,  2.
Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 30. Oktober 1993 - 1 BvL 42/92 - DtZ 1994, S.
148).
Im  Übrigen  hat  das  Oberlandesgericht  die  Frage einer  Doppelbestrafung  des
Beschwerdeführers  durch  die angegriffene  DDR-Verurteilung  geprüft  und  aus  tatsächlichen
Gründen  verneint.  Dies  ist  von  Verfassungs  wegen  nicht  zu beanstanden.  Das
Oberlandesgericht  war  entgegen  der  Ansicht des  Beschwerdeführers  nicht  gehalten,  nach
dem  Grundsatz  "in dubio  pro  reo"  -  für  den  nicht  entschieden  ist,  ob  ihm Verfassungsrang
zukommt  (vgl.  BVerfG,  3.  Kammer  des  Zweiten Senats,  Beschluss  vom  23.  September
1987 - 2 BvR 814/87 -, NJW 1988, S. 477; 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom
4.  Februar  1997  -  2  BvR  122/97  -,  JURIS)  -  vom  Vorliegen einer  Doppelbestrafung
auszugehen.  Abgesehen  davon,  dass  nach den  Ausführungen  des  Oberlandesgerichts  gar
kein  Zweifelsfall vorlag,  handelt  es  sich  bei  dem  Satz  "in  dubio  pro  reo"  um einen
strafverfahrensrechtlichen Grundsatz, der zu Gunsten eines Angeklagten Anwendung findet.
D a s Rehabilitierungsverfahren  nach  dem  StrRehaG,  das  eine  diesem Grundsatz
vergleichbare  Regelung  nicht  enthält  (vgl. Bruns/Schröder/Tappert,  StrRehaG,  Kommentar,
1993,  §  10, Rn.  34;  Herzler/Ladner/Peifer/Schwarze/Wende, Rehabilitierung,  Potsdamer
Kommentar, 2. Aufl., § 1 StrRehaG, Rn. 54), ist aber kein Strafverfahren; der Antragsteller im
Rehabilitierungsverfahren  hat  auch  keine  dem Angeklagten  im  Strafverfahren  vergleichbare
Stellung.  Im Rehabilitierungsverfahren  geht  es,  wie  bereits  ausgeführt, nicht  um  die
Verurteilung  oder  die  Erneuerung  einer Verurteilung  des  Antragstellers,  sondern  um  die
Wiedergutmachung des Unrechts einer fremden Staatsgewalt.
4. Schließlich sind auch Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG in
der Ausprägung als Recht auf ein faires Verfahren nicht verletzt. Dies käme nur in Betracht,
wenn  die  Rehabilitierungsgerichte bei  der  Auslegung  von  §  1  StrRehaG  Bedeutung  und
Tragweite  dieser  grundrechtsgleichen  Rechte  verkannt  hätten (vgl. BVerfGE 18,  85  <93>).
Das  ist  nicht der  Fall.  Sowohl  das  Landgericht  als  auch  das Oberlandesgericht  haben  sich
mit der Tatsache der Verurteilung des Beschwerdeführers in seiner Abwesenheit - auf die er
seine Rüge der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3
GG  stützt  - auseinander  gesetzt  und  einen  Verstoß  gegen  wesentliche Grundsätze  einer
freiheitlichen  rechtsstaatlichen  Ordnung  im Sinne  des  §  1  StrRehaG  verneint.  Das
Oberlandesgericht hat  dies  nachvollziehbar  damit  begründet,  dass  der Beschwerdeführer
durch  zwei  Wahlverteidiger  vertreten  gewesen sei,  die  auch  in  seinem  Auftrag  Revision
eingelegt hätten. Der in diesem Zusammenhang erfolgte Hinweis des Oberlandesgerichts auf
andere rechtsstaatliche Ordnungen wie die französische ist von Verfassungs wegen nicht zu
beanstanden.  Entgegen  der  Ansicht  des  Beschwerdeführers  sind die  Entscheidungen  der
DDR-Gerichte  nach  dem  Wortlaut  von §  1  StrRehaG  nicht  an  der  verfassungsmäßigen
Ordnung  der Bundesrepublik  Deutschland,  sondern  an  der  Vereinbarkeit  "mit wesentlichen
Grundsätzen e i n e r freiheitlichen  rechtsstaatlichen  Ordnung"  zu  messen  (vgl. auch
Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks 12/1608, S. 16). Dafür, dass die Regelung des
§  234  StPO,  auf  die sich  der  Beschwerdeführer  beruft,  von  Verfassungs  wegen  zu den
35
wesentlichen  Grundsätzen  einer  freiheitlichen rechtsstaatlichen  Ordnung  im  Sinne  des  §  1
StrRehaG zu zählen wäre, ist nichts ersichtlich oder vorgetragen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach
Hassemer
Di Fabio