Urteil des BVerfG vom 16.04.2004

schule, verfassungsbeschwerde, schulgeld, eltern

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Günter Weiser und Koll.,
Spiekerhof 35/37, 48143 Münster -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 88/03 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn B...,
gegen a) den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 25. November 2002 - XI B
81/00 -,
b) das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 14. März 2000 - 6 K 3959/99
E -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 ( BGBl I S. 1473 ) am 16. April 2004 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG
vorgenommene Differenzierung der als Sonderausgaben berücksichtigungsfähigen
Schulgeldzahlungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
I.
Im Ausgangsverfahren machte der Beschwerdeführer Aufwendungen für den
Schulbesuch seines - volljährigen - Sohnes auf der Timmermeister-Schule -
Lehranstalt für Physiotherapie - in den Jahren 1997 und 1998 als Sonderausgaben
gemäß des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG ohne Erfolg geltend. Die Schule - das ist unstreitig
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- erfüllt keine der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm, denn sie ist weder
eine nach Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigte oder nach Landesrecht erlaubte
Ersatzschule
noch eine nach Landesrecht anerkannte allgemein bildende
Ergänzungsschule.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, er werde durch die
angegriffenen Entscheidungen insbesondere in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG
verletzt. Das Entgelt für den Schulbesuch seines Sohnes sei im Rahmen einer
verfassungskonformen Auslegung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG steuerlich
anzuerkennen.
Die Ungleichbehandlung zwischen der Abziehbarkeit von Schulgeld für die in der
Vorschrift genannten Schultypen im Gegensatz zum Schulgeld für die von seinem
Sohn besuchte Schule sei nicht gerechtfertigt. Es bestehe kein Unterschied in der
Leistungsfähigkeit der verschiedenen - durch Schulgeld in gleicher Weise belasteten
- Eltern. Der Zweck des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG, die Förderung von Privatschulen, die
in das öffentliche Schulwesen in gewissem Maß einbezogen seien und bestimmte
staatliche Anforderungen erfüllen müssten, so dass diese Schulen typischerweise
besonders förderungsbedürftig und förderungswürdig seien, rechtfertige die
Ungleichbehandlung nicht. Die Schulen für Physiotherapie seien ebenso wie
landesrechtlich genehmigte, erlaubte oder anerkannte Privatschulen schon aufgrund
des nach Bundesrecht (§ 9 MPhG) erforderlichen staatlichen Anerkenntnisses in das
öffentliche Schulwesen integriert. Da es sich bei § 10 EStG um eine
bundesgesetzliche Regelung handele, könne die Regelung auch nicht etwa damit
gerechtfertigt werden, dass das Privatschulwesen gem. Art. 30, 70 GG ausschließlich
in Länderkompetenz geregelt sei.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die
Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt
weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur
Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2
BVerfGG). Die fristgemäß eingelegte Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber
unbegründet und hat daher keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90,
22 <24 ff.>).
1. § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG verstößt nicht gegen das Gebot der steuerlichen
Verschonung des Familienexistenzminimums (zusammenfassend BVerfGE 99, 246
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<259 f.> m.w.N. der ständigen Rechtsprechung). Vielmehr hat der Gesetzgeber
diesem Gebot in den Streitjahren prinzipiell durch den Familienleistungsausgleich
(Kinderfreibetrag/Kindergeld, §§ 31 f., 62 ff. EStG) und die Ausbildungsfreibeträge
(§ 33a Abs. 2 EStG a.F.) Rechnung getragen. Entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
nicht erforderlich, darüber hinaus die zivilrechtlichen Unterhaltspflichten der Eltern
gegenüber ihren Kindern in voller Höhe zu berücksichtigen. Es kommt insofern
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht darauf an, ob der
Besuch der kostenpflichtigen Schule auf einer Entscheidung der Eltern oder des
Kindes beruht.
2. Die Benachteiligung des Beschwerdeführers durch den Ausschluss der von ihm
geleisteten Schulgeldzahlungen vom Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 9
EStG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die mittelbar angegriffene Regelung ist
als Lenkungsnorm zugunsten (bestimmter) Privatschulen sachlich gerechtfertigt.
Die Ausrichtung des Einkommensteuerrechts an der Leistungsfähigkeit des
einzelnen Steuerpflichtigen hindert auch unter Berücksichtigung des Art. 3 Abs. 1 GG
nicht daran, nichtfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele zu verfolgen (BVerfGE
105, 73 <112>). Neben einer entsprechenden gesetzgeberischen Entscheidung ist
dabei
ein Mindestmaß
an
zweckgerechter
Ausgestaltung
des
Vergünstigungstatbestandes erforderlich ( BVerfGE 105, 73 <113> m.w.N.). Der
Grund für die einkommensteuerliche Vergünstigung muss von solcher Art und von
solchem Gewicht sein, dass er die Durchbrechung der allgemeinen
einkommensteuerrechtlichen Belastungsprinzipien rechtfertigt.
Gemessen hieran ist ein Gleichheitsverstoß nicht gegeben. Der Zweck der
Förderung von Privatschulen folgt der allgemeinen Wertung des Art. 7 Abs. 4 GG,
nach dem das Recht zur Errichtung von privaten Schulen gewährleistet wird.
Auch die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung bei der Bestimmung des
Kreises der zu fördernden Schulen ist sachlich begründet. Insbesondere stand es im
Ermessen des Bundesgesetzgebers, zur Abgrenzung an durch Landesrecht
auszufüllende schulrechtliche Begriffe und Kriterien anzuknüpfen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt aus Art. 7 Abs. 4
GG zugunsten der Ersatzschulen, zu denen die Timmermeister-Schule unstreitig nicht
zählt, eine Förderpflicht (BVerfGE 90, 107 <114 ff.> m.w.N.). Eine Sonderbehandlung
dieser Schulen, die zu ihrer Genehmigung Art. 7 Abs. 4 Satz 3 und 4 GG erfüllen
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müssen, ist schon deshalb nicht zu beanstanden.
Auch soweit der Gesetzgeber nur das Recht, aber nicht die Pflicht zur Förderung
bestimmter Schulen hat, durfte für die Frage des einkommensteuerlichen
Sonderausgabenabzugs gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG zwischen den verschiedenen
Typen privater Schulen durch Anknüpfung an die schulrechtlichen Begriffe der
Länder unterscheiden. Wie der Bundesfinanzhof zu Recht annimmt, berücksichtigt
der Bundesgesetzgeber damit, dass nach dem Grundgesetz die Länder die
ausschließliche Zuständigkeit zur Regelung des Privatschulwesens haben (vgl.
Art. 30, 70 ff. GG), und überlässt es den Landesgesetzgebern, die Voraussetzungen
für den Sonderausgabenabzug zu schaffen oder nicht. Dies deckt sich auch mit dem
Willen des Gesetzgebers (BTDrucks 11/8346, S. 21; ebenso BFHE 183, 445 <447>).
Durch die Anknüpfung des Einkommensteuergesetzes an eine landesrechtliche
Anerkennung wird zudem den Landesgesetzgebern im Rahmen ihrer (Privat-
)Schulhoheit
die
Möglichkeit
eingeräumt,
durch Gestaltung
eines
Anerkennungsverfahrens die Förderungsbedürftigkeit und -würdigkeit der Schulen
näher zu regeln. Die steuerrechtliche Voraussetzung, dass die Schulen als
Bedingung
für
eine
Förderung
ein
Genehmigungs-, Erlaubnis- oder
Anerkennungsverfahren durchlaufen müssen, in dem gegebenenfalls - nach
Maßgabe der landesgesetzlichen Regelung - Mindestanforderungen z.B. an die
Lehrziele, die Einrichtungen der Schule und die Ausbildung ihrer Lehrkräfte überprüft
werden, ist jedenfalls nicht sachfremd.
Schon aus Praktikabilitätsgründen ist es nicht zu beanstanden, wenn der
Bundesgesetzgeber
durch
diese
an
die Ländergesetze
anknüpfende
einkommensteuerrechtliche Regelung einerseits eine eigenständige steuerrechtliche
Differenzierung zwischen den verschiedenen Schulen und andererseits die
Notwendigkeit
eigener
Feststellungen
der Finanzverwaltung
und
der
Finanzgerichtsbarkeit zur Tatbestandsmäßigkeit der jeweiligen Schule vermeiden
möchte.
Schließlich müssen die betroffenen Steuerpflichtigen - hier der Beschwerdeführer -
die sachliche Rechtfertigung bei der Differenzierung zwischen den geförderten und
den nicht geförderten Schultypen gegen sich gelten lassen. Das Grundgesetz
schreibt dem Gesetzgeber nicht vor, in welcher Weise er den grundrechtlichen
Anspruch der privaten Ersatzschulen auf Schutz und Förderung erfüllt, sondern es
räumt ihm eine weitgehende Gestaltungsfreiheit ein (vgl. BVerfGE 75, 40 <66 f.>; vgl.
auch BFHE 183, 436 <439 f.>). Hier hat sich der Gesetzgeber mit dem
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Sonderausgabenabzug für die (indirekte) Förderung der betreffenden Privatschulen
entschieden, also anstatt direkter Beihilfen eine steuerliche Verbilligung des
Schulgeldes gewählt. Der Zweck der Begünstigung bestimmter Privatschulen
rechtfertigt aber grundsätzlich auch die - nur als Reflex auftretenden -
Ungleichbehandlungen der schulgeldleistenden Steuerpflichtigen.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Osterloh
Mellinghoff