Urteil des BVerfG vom 27.09.2011

beihilfe, private krankenversicherung, verfassungsbeschwerde, belastungsgrenze

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Mayer, Kambli, Steger, Schlauch,
Karlstraße 35/III, 80333 München -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 86/11 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau Dr. H ...,
gegen a) den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7.
Dezember 2010 - 14 ZB 10.1396, 14 ZB 10.1398, 14 ZB 10.1399, 14 ZB
10.1400 -,
b) die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 27. April
2010 - M 5 K 08.3702, M 5 K 08.3712, M 5 K 08.3713, M 5 K 08.3714 -,
c) die Beihilfebescheide des Landesamts für Finanzen, Dienststelle
München, vom 13. Dezember 2007, 18. Februar 2008, 7. März 2008, 11.
März 2008, 2. April 2008, 8. April 2008, in der Fassung der
Änderungsbescheide vom 22. April 2008, 15. April 2008, 13. Mai 2008,
3. Juni 2008, 5. Juni 2008, 13. Juni 2008, je in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 2. Juli 2008, des Beihilfebescheids vom
20. Juni 2008, in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli
2008, des Beihilfebescheids vom 4. Juli 2008, in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 9. Juli 2008, des Beihilfebescheids vom
15. Juli 2008, in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 22. Juli
2008 - 14106-04/170933/5 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Voßkuhle
und die Richter Gerhardt
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473 ) am 27. September 2011 einstimmig
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beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Minderung der ihr ausgezahlten
Beihilfe um eine sogenannte Eigenbeteiligung.
I.
1. Die Beschwerdeführerin ist Richterin im Ruhestand und Empfängerin von
Versorgungsbezügen. Der für sie maßgebliche Beihilfebemessungssatz beträgt 70 %.
D i e Beschwerdeführerin unterhält mehrere private Krankenversicherungen. Dieser
Umstand zieht es nach sich, dass sie erheblich mehr als 30 % ihrer
krankheitsbedingten, beihilfefähigen
Aufwendungen
durch
ihre
private
Krankenversicherungen ersetzt bekommt. Art. 96 Abs. 2 Satz 2 des Bayerischen
Beamtengesetzes (BayBG) vom 29. Juli 2008 (GVBl S. 500) in der Fassung des
Dienstrechtneuregelungsgesetzes vom 5. August 2010 (GVBl S. 410) bestimmt, dass
Beihilfen nur gewährt werden dürfen, soweit die Beihilfe und Leistungen Dritter aus
demselben Anlass die dem Grunde nach beihilfefähigen Aufwendungen nicht
überschreiten. Art. 96 Abs. 3 Satz 5 BayBG ordnet an, dass die festgesetzte Beihilfe
um 6,00 Euro je Rechnungsbeleg bei bestimmten medizinischen Leistungen und um
3,00 Euro je verordnetem Arzneimittel, Verbandmittel und Medizinprodukt zu mindern
ist. In Art. 96 Abs. 3 Satz 6 BayBG führt das Gesetz die Fälle auf, in denen eine
Eigenbeteiligung unterbleibt. So ist eine Eigenbeteiligung unter anderem insoweit
nicht vorgesehen, als sie für den Beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähige
Dritte zusammen eine sogenannte Belastungsgrenze überschreitet, die sich nach den
Jahresdienst- beziehungsweise Jahresversorgungsbezügen bemisst. Die Vorschrift
ist im Wesentlichen identisch mit ihrer Vorgängerregelung in Art. 86a BayBG a.F., die
durch Gesetz vom 8. Dezember 2006 (GVBl S. 987) in das Bayerische
Beamtengesetz in der Fassung der Neubekanntmachung vom 27. August 1998 (GVBl
S. 702) eingefügt worden war.
Die Beschwerdeführerin stellte in den Jahren 2007 und 2008 mehrere Anträge auf
Beihilfe wegen verschiedener dem Grunde nach beihilfefähiger Aufwendungen. Die
Höhe der zu gewährenden Beihilfe ermittelte das Landesamt für Finanzen, indem es
im ersten Schritt die der Höhe nach beihilfefähigen Aufwendungen mit dem
Bemessungssatz von 70 % multiplizierte. Sodann addierte es die Kostenerstattungen
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durch die privaten Krankenversicherungen der Beschwerdeführerin. Von diesem
Betrag zog es die dem Grunde nach beihilfefähigen Aufwendungen ab. Schließlich
wurde dieser Differenzbetrag von dem im ersten Schritt ermittelten Betrag abgezogen.
Zuletzt erfolgte eine Minderung um die Eigenbeteiligungen. Diese Berechnungsweise
zieht es nach sich, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der Leistungen ihrer
privaten Krankenversicherung und der Beihilfekasse keinesfalls mehr als den vollen
Betrag ihrer beihilfefähigen Aufwendungen ersetzt bekommt und dass sie die
Eigenbeteiligung stets selbst trifft.
Gegen die Beihilfebescheide erhob die Beschwerdeführerin nach erfolglosem
Widerspruchsverfahren Klage zum Verwaltungsgericht. Sie vertrat die Auffassung,
dass sie die Eigenbeteiligung wegen ihrer mehr als lediglich komplementären
privaten Krankenversicherungen nicht treffen dürfe. Die Eigenbeteiligung sei nicht
erst im letzten Schritt in Ansatz zu bringen, vielmehr mindere sie bereits die in die
Beihilfeberechnung einzustellende Höhe der beihilfefähigen Aufwendungen. Die
Differenz zwischen der vom Landesamt für Finanzen und der von der
Beschwerdeführerin für zutreffend erachteten Berechnungsweise belaufe sich stets
auf die Höhe der Eigenbeteiligungen.
Die Klage der Beschwerdeführerin blieb ohne Erfolg, ihren Antrag auf Zulassung der
Berufung lehnte der Verwaltungsgerichtshof ab. Wortlaut und Systematik der Art. 96
Abs. 3 BayBG und seiner Vorgängerregelung zeigten, dass die Eigenbeteiligung im
l e tz te n Berechnungsschritt von der Beihilfe abzuziehen sei. Der weite
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Bereich des Beihilferechts lasse die
Festlegung einer solchen Berechnungsweise zu, um Beihilfeaufwendungen steuernd
zu begrenzen. Die Möglichkeit zur amtsangemessenen Lebensführung werde durch
die Eigenbeteiligung nicht beeinträchtigt, denn die Belastungsgrenze verhindere eine
unverhältnismäßige finanzielle Belastung.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde greift die Beschwerdeführerin die ergangenen
Verwaltungsakte und gerichtlichen Entscheidungen an und verfolgt ihr Anliegen
weiter. Sie rügt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und
Art. 33 Abs. 5 GG. Sie sieht in den Eigenbeteiligungen eine verdeckte
Bearbeitungsgebühr
und
vertritt
die
Auffassung, Alimentations-
und
Fürsorgeleistungen des Dienstherrn dürften nicht an die Entrichtung einer solchen
Gebühr geknüpft werden. Jedenfalls aber müsse es ihr möglich sein, die
Aufwendungen für die Eigenbeteiligung durch ihre private Krankenversicherung
auszugleichen. Dass dies nach der gerichtlich gebilligten Berechnungsweise des
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Dienstherrn nicht möglich sei, verletze zudem ihre allgemeine Handlungsfreiheit und
die verfassungsrechtliche Garantie ihres Eigentums.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ein
Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Ihr kommt weder
grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist die Annahme zur
Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Soweit die
Beschwerdeführerin eine Verletzung der Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG rügt, ist
die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Die Beschwerdeführerin legt nicht in einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1
Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise dar, dass durch die Minderung der
auszuzahlenden Beihilfe um die Eigenbeteiligung eine verfassungsrechtlich als
Eigentum geschützte Rechtsposition beeinträchtigt ist. Ein teilweiser Entzug ihrer
Forderung gegen ihre privaten Krankenversicherer, auf den die Beschwerdeführerin
insoweit verweist, findet nicht statt. Hinsichtlich der Beihilfeminderung als solcher
geht Art. 33 Abs. 5 GG als speziellere Grundgesetzbestimmung dem Art. 14 GG vor
(vgl. BVerfGE 17, 337 <355>). Entsprechendes gilt mit Blick auf die gerügte
Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG.
2. Die angegriffenen Verwaltungsakte und gerichtlichen Entscheidungen verletzen
die Beschwerdeführerin nicht in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 5
GG.
a) Die Gewährung von krankheitsbedingten Unterstützungsleistungen findet ihre
Grundlage in der durch Art. 33 Abs. 5 GG statuierten Fürsorgepflicht des Dienstherrn
(vgl. BVerfGE 83, 89 <99>; 106, 225 <232> ). In einer bestimmten einfachrechtlichen
Ausgestaltung, etwa in ihrer gegenwärtigen Gestalt, gehört die Beihilfe nicht zu den
hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Dementsprechend besteht
auch
keine
verfassungsrechtliche
Verpflichtung,
den
Beamten und
Versorgungsempfängern für Krankheitsfälle und vergleichbare Belastungen
Unterstützung gerade in Form von Beihilfen oder gar von solchen Beihilfen in einer
bestimmten Höhe zu gewähren (vgl. BVerfGE 58, 68 <77>; 79, 223 <235>; 83, 89
<98>; 106, 225 <232> ; BVerfGK 13, 278 <281>). Der Dienstherr muss allerdings
Vorkehrungen dafür treffen, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des
Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheits-, Geburts-
oder Todesfälle nicht gefährdet wird. Ob er dieser Pflicht über eine entsprechende
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Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonstiger
geeigneter Weise Genüge tut, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung
überlassen. Entscheidet sich der Dienstherr, seiner Fürsorgepflicht durch die
Eigenvorsorge des Beamten ergänzende Beihilfen nachzukommen, so muss er
sicherstellen, dass der Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt,
die er auch über eine ihm zumutbare Eigenvorsorge nicht absichern kann. Der
Dienstherr darf somit die Beihilfe - da er sie als eine die Eigenvorsorge ergänzende
L e i s tu n g konzipiert hat - nicht ohne Rücksicht auf die vorhandenen
Versicherungsmöglichkeiten ausgestalten. Eine in Ergänzung der zumutbaren
Eigenvorsorge lückenlose Erstattung jeglicher Aufwendungen verlangt die
Fürsorgepflicht dagegen nicht ( BVerfGE 106, 225 <233> ; BVerfGK 13, 278 <282>;
vgl. auch BVerfGE 83, 89 <101 f.>).
b) Die angegriffenen Rechtsakte genügen diesem Maßstab. Beihilfegesetzgeber
und Dienstherr sind verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, gesetzliche Regelungen
so zu gestalten beziehungsweise die bestehenden Regelungen so auszulegen, dass
der Beamte seine nicht von der Beihilfe abgedeckten Aufwendungen vollständig
versichern kann. Durch den Abschluss einer privaten Krankenversicherung werden
die mit einer Krankheit verbundenen finanziellen Risiken besser beherrschbar und
das
Risiko
einer
ruinösen finanziellen Belastung wird weitestgehend
ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund wäre es dem Gesetzgeber verwehrt, es
dem Beamten durch die Ausgestaltung der beihilferechtlichen Regelungen unmöglich
zu machen, die mit einer Krankheit verbundenen, individuell unkalkulierbaren
finanziellen Risiken zu versichern. Die Eigenbeteiligungen nach Art. 96 Abs. 3
BayBG begründen dagegen für den Beamten kein unkalkulierbares finanzielles
Risiko im Fall der Krankheit. Die Eigenbeteiligungen sind durch die
Belastungsgrenze nach Art. 96 Abs. 3 Satz 7 und 8 BayBG der Höhe nach begrenzt.
Dass bei der Entrichtung von Eigenbeteiligungen in Höhe der Belastungsgrenze eine
amtsangemessene Alimentation nicht mehr gewährleistet ist, behauptet die
Beschwerdeführerin ausdrücklich nicht; hierfür ist auch nichts ersichtlich. Zugleich
ließ sich der Beihilfegesetzgeber bei der Einführung der Eigenbeteiligungen von
sachlichen Gründen leiten, die einer Versicherbarkeit dieser Beiträge gerade
entgegenstehen. Die Eigenbeteiligungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers
dieselbe Funktion erfüllen wie die Eigenbehalte (etwa die „Praxisgebühr“) im Bereich
der gesetzlichen Krankenversicherung. Die kaum modifizierte Übertragung dieses
Regelungskomplexes auf den Bereich der Beihilfe hatte den Festsetzungsaufwand
s t a r k verkompliziert und sich damit als unzweckmäßig erwiesen. Die
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beihilferechtlichen Regelungen zur Eigenbeteiligung sollen die Inanspruchnahme
medizinischer Leistungen in gleicher Weise steuern, aber einfacher zu vollziehen
sein (vgl. Bayerischer Landtag, LTDrucks 15/6302, S. 7).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Voßkuhle
Gerhardt
Landau