Urteil des BVerfG vom 08.09.2004
verfassungsbeschwerde, vermietung, strafbarkeit, bestimmtheitsgebot
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 86/03 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau B ...
gegen a) den Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 16. Dezember 2002 - 5
Ns 33 Js 706/01 -,
b) das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 13. Juni 2002 - 7 Cs 33 Js
706/01-AK 40/02 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 ( BGBl I S. 1473 ) am 8. September 2004 einstimmig
beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslegung des Merkmals "Einsehbarkeit
des Ladengeschäfts" in § 3 Abs. 1 Nr. 3 des bis zum 31. März 2003 gültigen Gesetzes
über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein
Annahmegrund
gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt, denn die
Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.> ).
Die Rüge der Beschwerdeführerin, die Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 GjS durch die
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angefochtenen Entscheidungen, wonach es auf die Einsehbarkeit des
Ladengeschäfts, nicht hingegen auf die Einsehbarkeit der indizierten Schriften selbst
ankomme, verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG, ist
unbegründet.
1. Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit
gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die Vorschrift verpflichtet
den Gesetzgeber dazu, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu
umschreiben, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, das durch die Strafnorm
ausgesprochene Verbot eines bestimmten Verhaltens zu erkennen und die staatliche
Sanktion im Fall der Übertretung vorherzusehen. Für die Rechtsprechung folgt daraus
ein
Verbot
analoger Strafbegründung. Ausgeschlossen ist danach jede
Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht
(vgl. BVerfGE 71, 108 <114 f.>; 73, 206 <234 f.>; 92, 1 <12> ). Da Gegenstand der
Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext sein kann, ist
dabei in erster Linie der für den Adressaten erkennbare und verstehbare Wortlaut des
gesetzlichen Tatbestandes maßgebend: Der mögliche Wortsinn markiert die äußerste
Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (vgl. BVerfGE 75, 329 <340 f.>; 85, 69,
<73>; 87, 363 <391 f.>; 92, 1 <12>).
2. Die Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 GjS, wonach es auf die Einsehbarkeit des
Ladengeschäfts ankomme, verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103
Abs. 2 GG.
Wie die Beschwerdeführerin einräumt, ist die Auslegung, es komme auf die
Einsehbarkeit des Ladengeschäfts an (so auch OLG Hamburg, NJW 1992, S. 1184 f.;
Scholz, Jugendschutz, 2. Aufl., 1992, § 3 GjS, Anm. 5; ebenso zur insoweit
inhaltsgleichen Vorschrift des § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB Tröndle/Fischer, StGB, 51.
Aufl., § 184, Rn. 14; Laufhütte, in: LK, StGB, 11. Aufl., § 184, Rn. 32; Kühl, in:
Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl., § 184, Rn. 5; Greger, NStZ 1986, S. 8 <12>; a.A.
Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 184, Rn. 25 b;
Horn/Wolters, in: SK, StGB, § 184, Rn. 18, 29), vom möglichen Wortsinn der Vorschrift
gedeckt. § 3 Abs. 1 Nr. 3 GjS stellt ausdrücklich auf die Einsehbarkeit des
Ladengeschäfts ab und nicht darauf, ob auch indizierte Schriften einsehbar sind.
Diese Auslegung steht auch im Einklang mit der Entstehungsgeschichte des
Gesetzes und verfehlt nicht dessen kriminalpolitischen Zweck. Mit der Einführung der
§ 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB, §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 21 Abs. 1 Nr. 3 GjS durch das Gesetz zur
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Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 25. Februar 1985 ( BGBl I
S. 425 ) bezweckte der Gesetzgeber, dem dringenden Bedürfnis nach einer
Verbesserung des Jugendschutzes Rechnung zu tragen, das sich angesichts des
expandierenden Marktes für Videokassetten mit jugendgefährdendem Inhalt ergeben
hatte. Ziel war eine effektive Abschirmung von Jugendlichen und Kindern gegen die -
insbesondere aus der neuen Vertriebsform der Vermietung von Videokassetten - sich
verstärkt ergebenden Gefährdungen (BTDrucks 10/2546, S. 16 f., 23). Danach sah
der ursprüngliche Gesetzesentwurf im pornographischen Bereich ein vollständiges
Verbot jeder Form der Vermietung vor (BTDrucks 10/722, S. 6). Im Hinblick auf
verfassungsrechtliche Bedenken und die bis dahin bestehende Liberalisierung des
Umganges von Erwachsenen mit Pornographika wurde jedoch auf die Einführung
eines generellen Vermietungsverbots verzichtet (BTDrucks 10/2546, S. 23 f.) und die
Regelung als ein Kompromiss zwischen dem Anspruch der Erwachsenen auf Zugang
z u Pornographika einerseits sowie den Belangen des Schutzes der Jugend
gegenüber Pornographika andererseits verabschiedet. Ausgeschlossen werden
sollte nicht nur der unmittelbare Kontakt von Kindern und Jugendlichen mit
pornographischen bzw. indizierten Videofilmen, sondern es sollte auch denkbaren
Gefährdungen vorgebeugt werden, die sich daraus ergeben können, dass Kinder und
Jugendliche die Abwicklung der Vermietung von entsprechenden Videofilmen an
erwachsene Kunden wahrnehmen können (BTDrucks 10/2546, S. 25). Danach sollte
den Kindern und Jugendlichen auch der Zugang selbst zu denjenigen Teilen des
Ladengeschäfts, in denen keine indizierten oder pornographischen Schriften
angeboten werden, nicht ermöglicht werden (vgl. BTDrucks 10/2546, S. 25). Diese
gesetzgeberische Zielsetzung ist eindeutig; sie lässt die in den angefochtenen
Entscheidungen vorgenommene Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 GjS zu.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1
Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Osterloh
Mellinghoff