Urteil des BVerfG vom 15.07.2016

Erfolglose Verfassungsbeschwerde nach Heilung einer Gehörsverletzung durch Entscheidung über die Anhörungsrüge

Bundesverfassungsgericht
Sie sind hier:
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 857/14 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn L ... ,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Paulo Dias,
Rechtsanwaltskanzlei Recht-Durchsetzen.de,
Georgstraße 48, 30159 Hannover -
gegen a) den Beschluss des Landgerichts Bielefeld
vom 31. März 2014 - 02 Qs 592/13 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Bielefeld
vom 10. Januar 2014 - 02 Qs-336 Js 1434/13- 592/13 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Huber,
Müller,
Maidowski
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 15. Juli 2016 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
G r ü n d e :
I.
1
1. In einem Strafverfahren gegen einen gesondert verfolgten Beschuldigten fanden die Ermittlungsbehörden bei einer
Wohnungsdurchsuchung 1,5 kg Amphetamine sowie Listen, aus denen sich ergab, an wen und für welche Summe der
Wohnungsbesitzer Betäubungsmittel verkauft hatte. Die Ermittlungsbehörden ordneten einen in dieser Namensliste
enthaltenen Spitz- oder Codenamen aufgrund eines Eintrags in dem Mobiltelefon des gesondert Beschuldigten dem
Beschwerdeführer zu; dieser Name wies zwar keine Gemeinsamkeiten mit dem bürgerlichen Namen des Beschwerdeführers
auf, ließ jedoch einen Bezug zu seinem Unternehmen erkennen. Das Amtsgericht ordnete die Durchsuchung der Wohnung
des Beschwerdeführers wegen des Verdachts des Erwerbs nicht geringer Mengen von Amphetaminen an. Der
Beschwerdeführer legte Beschwerde ein und machte geltend, dass die Zuordnung des Listennamens zu ihm allenfalls eine
Vermutung darstelle. Er habe nie unter dem ihm zugeordneten Spitznamen firmiert und da es sich bei den anderen in der
Liste enthaltenen Namen jeweils um Klarnamen gehandelt habe, könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der
gesondert verfolgte Beschuldigte lediglich bei ihm eine Ausnahme gemacht habe. Zudem sei die Durchsuchung
unverhältnismäßig, da mildere Mittel zur Aufklärung des Tatverdachts zur Verfügung gestanden hätten. Die
Staatsanwaltschaft nahm zu der Beschwerdebegründung Stellung und führte aus, dass die Namensliste mindestens sieben
im Weiteren aufgeführte Spitznamen enthalten habe.
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2. Das Landgericht verwarf die Beschwerde, ohne dem Beschwerdeführer oder seinem Prozessbevollmächtigten zuvor die
Stellungnahme der Staatsanwaltschaft übermittelt zu haben. In seinem Beschluss zitierte das Landgericht die
Stellungnahme der Staatsanwaltschaft und schloss sich dieser ohne weitere eigene Begründung an.
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3. Der Beschwerdeführer erhob Anhörungsrüge (§ 33a StPO). Das Landgericht habe sein Recht auf rechtliches Gehör
verletzt, da es ihm vor der Entscheidung keine Gelegenheit gegeben habe, sich mit der Stellungnahme der
Staatsanwaltschaft auseinanderzusetzen. Im Übrigen vertiefte und erweiterte er sein Beschwerdevorbringen.
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4. Das Landgericht verwarf die Anhörungsrüge als unzulässig. Soweit der Beschwerdeführer rüge, dass ihm die
Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vor der Entscheidung des Landgerichts nicht zur Kenntnis gegeben worden sei,
begründe dies keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Kammer sei nicht gehalten gewesen, die
Ausführungen der Staatsanwaltschaft vor der Beschlussfassung an den Verteidiger zu übersenden. Eine derartige
Verpflichtung bestehe nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 33 Abs. 3 StPO nur, wenn Tatsachen oder Beweisergebnisse
zum Nachteil eines Beteiligten verwertet werden sollten, zu denen er noch nicht gehört worden sei. Im Weiteren legte das
Landgericht dar, warum auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens des Beschwerdeführers die
Durchsuchungsanordnung nicht zu beanstanden sei.
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5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör aus
Art. 103 Abs. 1 GG sowie unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 GG, da ein hinreichender
Tatverdacht nicht bestanden habe und die Durchsuchungsanordnung unverhältnismäßig gewesen sei.
II.
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Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2
BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2
Buchstabe a BVerfGG), noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a
Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
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1. Das Landgericht hat zwar zunächst den Anspruch des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG auf Gewährung
rechtlichen Gehörs verletzt (a). Es hat die Gehörsverletzung jedoch im Rahmen der Entscheidung über die Anhörungsrüge
geheilt (b).
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a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung
zu ziehen (BVerfGE 47, 182 <187 f.>; 49, 212 <215>, stRspr) und vermittelt den Beteiligten einen umfassenden Anspruch,
über den gesamten Prozessstoff kommentarlos und ohne Einschränkungen unterrichtet zu werden (vgl. Beschluss der
3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 2014 - 2 BvR 969/14, Rn. 49, juris). Maßgebend ist dabei der Gedanke, dass
die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit haben müssen, durch einen sachlich fundierten Vortrag die Willensbildung des
Gerichts zu beeinflussen (BVerfGE 22, 114 <119>; 49, 212 <215>; 89, 28 <35>; 101, 106 <129>). Dazu müssen sie
grundsätzlich Gelegenheit haben, sich zu Stellungnahmen der Gegenseite in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu
äußern (vgl. BVerfGE 19, 32 <36>; 49, 325 <328>; BVerfGK 7, 438 <441>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten
Senats vom 6. August 1992 - 2 BvR 628/92 -, Rn. 10, juris; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2009 -
2 BvR 1575/09 -, Rn. 3, juris; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. November 2010 - 2 BvR 1183/09 -,
Rn. 22, juris). Dies gilt unabhängig davon, ob eine Äußerung im konkreten Fall Einfluss auf das Entscheidungsergebnis
gewinnen kann oder nicht (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 2014 - 2 BvR 969/14 -, Rn. 49,
juris), da der grundrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör nicht nur der Gewährleistung sachrichtiger Entscheidungen,
sondern auch der Wahrung der Subjektstellung der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren dient (vgl. BVerfGE 107, 395
<409>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. März 2011 - 2 BvR 301/11 -, Rn. 2, juris; EGMR, Ziegler v.
Switzerland, Urteil vom 21. Februar 2002, Nr. 33499/96, § 38; Steck-Risch et al. v. Liechtenstein, Urteil vom 19. Mai 2005,
Nr. 63151/00, § 57). Will das Beschwerdegericht einer Beschwerde nicht oder nur teilweise stattgeben, so muss es den
Beschwerdeführer zum Vorbringen der anderen Verfahrensbeteiligten und zum Ergebnis etwaiger Ermittlungen hören (vgl.
zu § 308 StPO: Zabeck, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, § 308 Rn. 8).
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§ 33 Abs. 3 StPO sichert den Anspruch auf rechtliches Gehör für den Fall, dass bei Beschlüssen außerhalb der
Hauptverhandlung andere Beteiligte durch die für sie nachteilige Verwertung von Tatsachen oder Beweisergebnissen
belastet werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 1962 - 2 BvR 173/60 -, BVerfGE 14, 8; Beschluss der
2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Januar 1994 - 2 BvR 1912/93 - NJW 1994, S. 783). Die Vorschrift bietet jedoch nicht
die Grundlage dafür, den Anspruch auf rechtliches Gehör abweichend von Art. 103 Abs. 1 GG einzuschränken, auch wenn
sie sich ihrem Wortlaut nach auf eine Pflicht zur Gehörsgewährung im Hinblick auf Tatsachen und Beweisergebnisse
beschränkt (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Januar 2006 - 2 BvR 1075/05 - NJW 2006,
S. 1048). Erst recht ermöglicht sie es nicht, eine Entscheidung zu Lasten des Beschuldigten zu treffen, ohne dass dieser die
Möglichkeit hatte, zu der nach § 33 Abs. 2 StPO stets erforderlichen mündlichen oder schriftlichen Erklärung der
Staatsanwaltschaft Stellung nehmen zu können. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör, der sowohl objektivrechtliches
Verfahrensprinzip als auch ein prozessuales Urrecht des Menschen ist, gewinnt besondere Bedeutung gerade dann, wenn
im strafprozessualen Ermittlungsverfahren Eingriffsmaßnahmen ohne vorherige Anhörung des Betroffenen gerichtlich
angeordnet werden können (§ 33 Abs. 4 Satz 1 StPO); in einem solchen Fall ist dem Gehörsrecht im Beschwerdeverfahren
uneingeschränkt zur Wirkung zu verhelfen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Januar 2006 -
2 BvR 1075/05 - NJW 2006, S. 1048).
10
Nach diesen Grundsätzen hat das Landgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt, indem
es ihm oder seinem Verteidiger die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vor der Entscheidung über seine Beschwerde
nicht zur Kenntnis gegeben hat. Indem das Landgericht sich die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, die dem
Vorbringen des Beschwerdeführers, dass in der Kundenliste keine anderen Spitz- oder Codenamen zu finden seien, durch
die Benennung sechs weiterer in der Kundenliste enthaltenen Spitznamen entgegentrat, ausdrücklich zu Eigen gemacht
hat, hat es Tatsachen zu Lasten des Beschwerdeführers verwertet, zu denen dieser zuvor nicht hatte Stellung nehmen
können. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG wäre indes hiervon unabhängig auch dann zu bejahen, wenn die von der
Staatsanwaltschaft vorgetragenen Tatsachenbehauptungen für die Entscheidung des Landgerichts keine Rolle gespielt
hätten. Denn auch in diesem Fall hätte ihm vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt werden müssen.
11
b) Der Gehörsverstoß des Landgerichts ist jedoch durch die Entscheidung über die Anhörungsrüge geheilt worden. Nach
Art. 103 Abs. 1 GG beruht eine Entscheidung nur dann auf einem Gehörsverstoß und ist deshalb aufzuheben, wenn nicht
ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung zu einer für die Beteiligten günstigeren Lösung geführt hätte (vgl. BVerfGE
7, 239 <241>; 13, 132 <145>; 52, 131 <152 f.>; 89, 381 <392 f.>; stRspr). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann
auch in einem Beschluss geheilt werden, mit dem die Anhörungsrüge als unbegründet zurückgewiesen wird (BVerfGK 15,
116 <119 f.>). Denn der Rechtsbehelf der Anhörungsrüge bezweckt die Heilung von Verletzungen des Rechts aus Art. 103
Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 ff., 416>). Eine Heilung von Gehörsverstößen in der gleichen oder einer weiteren
Instanz hat die Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon vor der Einführung der Anhörungsrüge als
grundsätzlich möglich angesehen, wenn das betreffende Gericht in der Lage ist, das Vorbringen zu berücksichtigen (vgl.
BVerfGE 5, 22 <24>; 62, 392 <397>; 73, 322 <326 f.>; 107, 395 <411 f.>). Diese Voraussetzung ist im Rahmen des
Anhörungsrügeverfahrens jedenfalls dann als erfüllt anzusehen, wenn das Gericht einem Gehörsverstoß durch bloße
Rechtsausführungen im Anhörungsrügebeschluss zum Vorbringen des Betroffenen in der Anhörungsrüge abhelfen kann. In
einem solchen Fall wäre es reine Förmelei, von Verfassungs wegen die Fortführung des Verfahrens zu verlangen, obwohl
sich das Gericht schon unter Berücksichtigung des übergangenen Vortrags eine abschließende Meinung gebildet hat und
klar ist, dass eine für den Beteiligten günstigere Lösung ausgeschlossen ist, also die Entscheidung nicht auf der
Gehörsverletzung beruht. Etwas anderes gilt freilich in Fällen, in denen das Gericht den Gehörsverstoß durch bloß
ergänzende Erwägungen zum Vorbringen in der Anhörungsrüge nicht zu heilen vermag, wie etwa beim Übergehen eines
erheblichen Beweisantrags (vgl. BVerfGE 50, 32 <35>; 60, 247 <249>; BVerfGK 15, 116 <119 f.>).
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Das Landgericht hat zu dem weiteren und vertieften Vortrag des Beschwerdeführers im Rahmen der
Anhörungsrügeentscheidung Stellung genommen und im Einzelnen begründet, weshalb es den Durchsuchungsbeschluss
auch unter Berücksichtigung der Einwände als verhältnismäßig ansehe. Damit hat es seinen Gehörsverstoß im Rahmen des
Anhörungsrügeverfahrens geheilt.
13
2. Eine Verletzung weiterer Grundrechte des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich. Insbesondere bestand ein
hinreichender Tatverdacht für die Durchsuchungsanordnung, die auch nicht unverhältnismäßig war.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
15
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Huber
Müller
Maidowski