Urteil des BVerfG vom 17.02.2016
Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde mangels Rechtswegerschöpfung
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 854/15 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des  F...
gegen a)  den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 29. Januar 2015 - 2 Ws
551/14 Vollz -,
b)  den Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 23. August 2014 - 7c StVK
67/14 -
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Landau
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 17. Februar 2016 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
G r ü n d e :
Die  Verfassungsbeschwerde  wird  nicht  zur  Entscheidung  angenommen,  da  sie  keine
Aussicht  auf  Erfolg  hat  (vgl.  §  93a  Abs.  2  BVerfGG).  Sie  ist  unzulässig.  Der
Beschwerdeführer hat den Rechtsweg nicht in der gebotenen Weise erschöpft (vgl. § 90 Abs.
2 Satz 1 BVerfGG), weil er keinen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung
der Rechtsbeschwerde gestellt hat.
1. Kann ein Beschwerdeführer mit einem Rechtsmittel, für das ihm Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren ist, erreichen, dass seine Rechte im Wege des fachgerichtlichen
Rechtsschutzes gewahrt werden, so ist regelmäßig von ihm zu verlangen, dass er diesen
Weg beschreitet, bevor er Verfassungsbeschwerde einlegt (vgl. BVerfGE 10, 274 <281>; 42,
252  <256  f.>;  77,  275  <282>).  Im  vorliegenden  Fall  liegt  es  nahe,  dass  ein  Antrag  des
Beschwerdeführers  auf  Wiedereinsetzung  in  die  Rechtsbeschwerdefrist  des  §  118  Abs.  1
StVollzG  zur  Begründung  seiner  Verfahrensrüge  Aussicht  auf  Erfolg  hätte.  Das
Oberlandesgericht hat die Verfahrensrüge unter Verweis auf § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG
als unzulässig verworfen, weil die Rüge in der zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegten
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Rechtsbeschwerde  nicht  begründet  worden  war.  Es  liegen  gewichtige  Anhaltspunkte  dafür
vor, dass dem ein Justizfehler zugrunde liegt.
a)  Eine  durch  Fehler  der  aufnehmenden  Justizbediensteten  bedingte  Unzulässigkeit  der
Rechtsbeschwerde beruht nicht auf einem Verschulden des Beschwerdeführers, sondern auf
einem Fehler der Justiz. In derartigen Fällen besteht die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in
den  vorigen  Stand  (vgl.  BVerfGK  5,  151  <153>;  8,  303  <304>;  BVerfG,  Beschluss  der  1.
Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  27.  September  2005  -  2  BvR  172/04,  2  BvR  834/04,  2
BvR 907/04 -, juris, Rn. 14; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29.
Februar 2012 - 2 BvR 2911/10 -, juris, Rn. 6; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten
Senats  vom  10.  Oktober  2012  -  2  BvR  1095/12  -,  juris,  Rn.  3;  BVerfG,  Beschluss  der  3.
Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  23.  Oktober  2013  -  2  BvR  28/13  -,  juris,  Rn.  4;  vgl.  zu
§  345  StPO  auch  BVerfG,  Beschluss  der  3.  Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  11.
November 2001 - 2 BvR 1471/01 -, juris, Rn. 10 ff.).
Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedenfalls
auch  dann,  wenn  die  Rechtsbeschwerde  zwar  nicht  insgesamt  unzulässig  ist,  die
Verfahrensrüge  aber  wegen  eines  Fehlers  der  Justiz  offensichtlich  nicht  in  einer  Weise
ausgeführt wird, die den Anforderungen des § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG genügt (vgl. zur
ausnahmsweisen  Zulässigkeit  einer  Wiedereinsetzung  zur  Ausführung  der  Verfahrensrüge
bei  Verschulden  des  Rechtspflegers  auch  BGH,  Urteil  vom  21.  November  1991  -  1  StR
552/90  -,  juris,  Rn.  6).  Auch  insoweit  ist  in  den  Blick  zu  nehmen,  dass  der  Zweck  der
Formvorschrift  des  §  118  Abs.  3  StVollzG  -  wie  bei  der  Parallelvorschrift  in  §  345  Abs.  2
StPO  -  darin  liegt  sicherzustellen,  dass  das  Vorbringen  des  Betroffenen  in  sachlich  und
rechtlich  geordneter  Weise  in  das  Verfahren  eingeführt  wird.  Das  Formerfordernis  soll
demnach  einerseits  der  Entlastung  der  Gerichte  dienen;  daneben  soll  es  aber  auch
zugunsten  des  regelmäßig  unkundigen  Rechtsmittelführers  dazu  beitragen,  dass  sein
Rechtsmittel  nicht  von  vornherein  an  Formfehlern  oder  anderen  Mängeln  scheitert  (vgl.
BVerfGK  8,  303  <305>;  BVerfG,  Beschluss  der  3.  Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  10.
Oktober 2012 - 2 BvR 1095/12 -, juris, Rn. 8; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten
Senats  vom  23.  Oktober  2013  -  2  BvR  1541/13  -,  juris,  Rn.  6;  vgl.  zu  §  345  StPO  auch
BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. November 2001 - 2 BvR
1471/01  -,  juris,  Rn.  12).  Die  danach  bestehende  Beratungsaufgabe  des  Rechtspflegers
erstreckt sich auch auf die Anforderungen an die Begründung einer Verfahrensrüge.
b)  Sollte  der  Beschwerdeführer  einen  zulässigen  Wiedereinsetzungsantrag  mit
entsprechender Begründung stellen, wird das Oberlandesgericht zu entscheiden haben, ob
die  offensichtlich  mangelhafte  Begründung  der  Rechtsbeschwerde  auf  einem  Justizfehler
beruht. Hierfür liegen gewichtige Anhaltspunkte vor.
So  hat  der  Beschwerdeführer  dem  Rechtspfleger  einen  vierseitigen  Schriftsatz  vorgelegt
mit  der  Bitte,  diesen  als  Grundlage  für  die  Begründung  der  Rechtsbeschwerde  zu
verwenden. Gleichwohl wird mit der Rechtsbeschwerde pauschal die Verletzung materiellen
und  formellen  Rechts  gerügt.  Die  Begründung  erschöpft  sich  in  der  Bemerkung,  dass  die
angefochtene  Entscheidung  das  LSVVollzG  und  die  Grundrechte  des  Beschwerdeführers
verletze. Im Übrigen wird lediglich „als Anregung“ auf den Schriftsatz des Beschwerdeführers
verwiesen. Weshalb die Ausführungen aus dem Schriftsatz des Beschwerdeführers in keiner
Weise Eingang in das Protokoll gefunden haben, ist nicht nachvollziehbar.
Ein  etwaiger  Justizfehler  ist  nicht  etwa  deshalb  unerheblich,  weil  das  Oberlandesgericht
festgestellt hat, dass auch die Ausführungen in dem Schriftsatz des Beschwerdeführers nicht
den  Anforderungen  des  §  118  Abs.  2  Satz  2  StVollzG  genügen.  Es  gehört  gerade  zu  den
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Aufgaben  des  Rechtspflegers,  den  Rechtsbeschwerdeführer  dabei  zu  unterstützen,  sein
Anliegen in einer Weise vorzutragen, die die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Möglichkeit
erfüllt.
2. Eine Wiedereinsetzung scheidet auch nicht wegen Fristablaufs aus. Jedenfalls in Fällen,
in  denen  der  Wiedereinsetzungsgrund  in  einem  der  Justiz  zuzurechnenden  Fehler  liegt,
fordert  der  Grundsatz  fairer  Verhandlungsführung  eine  Belehrung  des  Betroffenen  über  die
Möglichkeit  der  Wiedereinsetzung  (vgl.  BVerfGK  5,  151  <154>;  8,  303  <304>;  BVerfG,
Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. November 2001 - 2 BvR 1471/01 -,
juris,  Rn.  15;  BVerfG,  Beschluss  der  1.  Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  27.  September
2005 - 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04, 2 BvR 907/04 -, juris, Rn. 16; BVerfG, Beschluss der 3.
Kammer des Zweiten Senats vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 2911/10 -, juris, Rn. 8; BVerfG,
Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2012 - 2 BvR 1095/12 -,
juris, Rn. 5; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Oktober 2013 -
2 BvR 28/13 -, juris, Rn. 6; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23.
Oktober  2013  -  2  BvR  1541/13  -,  juris,  Rn.  3).  Unterbleibt  die  Belehrung,  scheitert  eine
Wiedereinsetzung  nicht  am  zwischenzeitlichen  Ablauf  der  Wiedereinsetzungsfrist.  Ob  das
Unterbleiben  der  Belehrung  über  die  Möglichkeit  der  Wiedereinsetzung  dazu  führt,  dass
bereits die Frist zur Wiedereinsetzung in die Rechtsbeschwerdefrist nicht in Lauf gesetzt wird
(vgl. BVerfGK 8, 303 <304>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom
29.  Februar  2012  -  2  BvR  2911/10  -,  juris,  Rn.  8;  BVerfG,  Beschluss  der  3.  Kammer  des
Zweiten Senats vom 10. Oktober 2012 - 2 BvR 1095/12 -, juris, Rn. 5; BVerfG, Beschluss
der  3.  Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  23.  Oktober  2013  -  2  BvR  28/13  -,  juris,  Rn.  6;
BVerfG,  Beschluss  der  3.  Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  23.  Oktober  2013  -  2  BvR
1541/13 -, juris, Rn. 3), oder ob die Frist zur Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist
erst beginnt, wenn der Betroffene über die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung belehrt worden
ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. November 2001 - 2
BvR  1471/01  -,  juris,  Rn.  15),  kann  insoweit  offenbleiben  (vgl.  BVerfGK  5,  151  <154  f.>;
BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. September 2005 -  2  BvR
172/04, 2 BvR 834/04, 2 BvR 907/04 -, juris, Rn. 17).
Der Beschwerdeführer kann daher innerhalb einer Woche ab Zustellung des vorliegenden
Beschlusses  durch  eine  von  einem  Rechtsanwalt  unterzeichnete  Schrift  oder  zur
Niederschrift  der  Geschäftsstelle  des  Landgerichts  Koblenz  oder  der  Geschäftsstelle  des
Amtsgerichts,  in  dessen  Bezirk  die  Vollzugsanstalt  liegt,  in  der  er  untergebracht  ist,  die
Begründung  der  Rechtsbeschwerde  ergänzen,  indem  er  zugleich  Wiedereinsetzung  in  den
vorigen Stand beantragt (§§ 118, 120 Abs. 1 Satz 2, 130 StVollzG in Verbindung mit §§ 45
Abs. 1 Satz 1, 299 StPO), und zwar sowohl hinsichtlich der Rechtsbeschwerdefrist als auch
vorsorglich im Hinblick auf die Wiedereinsetzungsfrist. Hierzu ist ihm Gelegenheit zu geben.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Landau
Kessal-Wulf
König