Urteil des BVerfG vom 30.06.2013

faires verfahren, verfassungsbeschwerde, anschluss, zusage

- Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl,
Ludwig-Richter-Straße 1, 14467 Potsdam -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 85/13 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn M
gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 6. Dezember 2012
- 1 Ss 86/12 I 103/12 -,
b) das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 4. Juni 2012 - 25 Ns 44/11 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Lübbe-Wolff,
den Richter Landau
und die Richterin Kessal-Wulf
am 30. Juni 2013 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 6. Dezember 2012 - 1 Ss
86/12 I 103/12 - und das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 4. Juni 2012 - 25
Ns 44/11 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2
Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das
Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen
Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten:
achttausend Euro) festgesetzt.
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Gründe:
A.
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine strafgerichtliche Verurteilung im
Anschluss an eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten.
1. Er ist in einem vor dem Landgericht Stralsund geführten Berufungsverfahren am 4.
Juni 2012 wegen vorsätzlicher Gewässerverunreinigung durch Unterlassen nach
§ 324 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden,
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Der Verurteilung ging eine zu Beginn des zweiten Verhandlungstages auf Anregung
des Verteidigers getroffene Verständigung nach § 257c StPO voraus. In der
Verhandlung vom 4. Juni 2012 sicherte die Strafkammer dem Beschwerdeführer für
den Fall eines umfassenden konkreten Geständnisses zu, das Maß einer zur
Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von sechs Monaten nicht zu überschreiten.
Zudem sollte die Strafverfolgung auf den Vorwurf des § 324 StGB beschränkt und der
Anklagevorwurf einer Tat nach § 326 StGB eingestellt werden. Der Beschwerdeführer
legte ein der Verständigung entsprechendes Geständnis ab. Eine Belehrung nach
§ 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht.
2. Die gegen das Urteil fristgerecht eingelegte Revision begründete die
Bevollmächtigte
mit Schriftsatz vom 6. August 2012 und machte mit der
Verfahrensrüge insbesondere eine Verletzung der nach § 257c Abs. 5 StPO zum
Schutz des Angeklagten vorgesehenen Belehrung geltend. Der Verstoß habe sich
auf
das Urteil ausgewirkt, weil der Beschwerdeführer im Falle einer
ordnungsgemäßen Belehrung sich nicht zur Sache eingelassen und kein Geständnis
abgegeben hätte.
3. Die Generalstaatsanwaltschaft Rostock beantragte in ihrer Gegenerklärung vom
8. November, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Zwar sei die nach § 257c Abs. 5 StPO vorgesehene Belehrung nicht erfolgt. Das
Urteil beruhe aber nicht auf diesem Rechtsfehler. Dies sei nur der Fall, wenn es
möglich erscheine oder nicht auszuschließen sei, dass das Urteil ohne den
Rechtsfehler anders ausgefallen wäre. Die Entscheidung über das Beruhen hänge
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insbesondere bei Verfahrensfehlern von den Umständen des Einzelfalls ab. Deren
Betrachtung zeige, dass das Urteil bei einer Belehrung nach § 257c StPO nicht
anders ausgefallen wäre. Der Beschwerdeführer habe zuvor die Tatvorwürfe
bestritten, seine Aussagebereitschaft sei erst durch die Verständigung geweckt
worden. Das Gericht habe genügend Beweismittel gehabt und wäre auch ohne
Geständnis zu einer Verurteilung gekommen; es habe für den Beschwerdeführer ein
hohes Verurteilungsrisiko bestanden.
4. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 6. Dezember 2012 verwarf das
Oberlandesgericht Rostock die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet,
o h n e auf das Revisionsvorbringen einzugehen. Die Entscheidung ging dem
Verteidiger am 12. Dezember 2012 zu.
II.
Mit der am 11. Januar 2013 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wird eine
Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren, der Selbstbelastungsfreiheit und des
Schuldprinzips gerügt.
Die Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPO sei eine Konkretisierung des Rechts
auf ein faires Verfahren und solle sicherstellen, dass der Angeklagte umfassend über
seine prozessuale Situation und die Folgen des Abschlusses einer Verständigung
aufgeklärt werde. Das Oberlandesgericht habe die Bedeutung dieses Grundrechts
verkannt und die Verwerfung der Revision offenbar darauf gestützt, dass das
landgerichtliche Urteil nicht auf dem Verstoß beruhe.
Die Generalstaatsanwaltschaft gehe zu Unrecht in pauschaler Weise davon aus,
dass der Beschwerdeführer auch bei erfolgter Belehrung ein Geständnis abgelegt
hätte. Das Recht der Selbstbelastungsfreiheit sei missachtet worden, weil der nicht
belehrte
Beschwerdeführer
davon
ausgegangen sei, die ausgehandelte
Strafobergrenze sei unveränderlich. Allein im Vertrauen hierauf habe er ein
Geständnis abgelegt. Das Schuldprinzip sei durch die Verständigung verletzt worden,
weil der zu beurteilende Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt worden sei. Eine der
tatsächlichen Schuld angemessene Strafe könne aber nur festgelegt werden, wenn
nicht von der Ermittlung der zugrundeliegenden Tatsachen abgesehen werde.
III.
1. Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern hat von einer Stellungnahme
abgesehen.
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2. Der Generalbundesanwalt hält die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der
Beanstandungen
der Verletzungen
des
fairen
Verfahrens
und
der
Selbstbelastungsfreiheit für begründet.
Ein Angeklagter sehe sich durch die Aussicht, mit der Verständigung eine das
Gericht bindende Zusage einer Strafobergrenze zu erreichen und so Einfluss auf den
Verfahrensausgang zu nehmen, einer besonderen Anreiz- und Verlockungssituation
ausgesetzt. Mit der in § 257c Abs. 5 StPO vorgesehenen Belehrung habe der
Gesetzgeber in weitem Umfang die Entscheidungsautonomie des Angeklagten
ermöglichen und schützen sowie die Fairness des Verständigungsverfahrens sichern
wollen.
Die Belehrungspflicht sei nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.
März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a. - keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern eine
zentrale rechtsstaatliche Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der
Selbstbelastungsfreiheit. Bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht sei im
Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung regelmäßig davon auszugehen, dass
Geständnis und Urteil auf dem Unterlassen beruhen.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts trage dieser grundlegenden Bedeutung der
Belehrungspflicht nicht ausreichend Rechnung. Der Strafsenat habe erkennbar
angenommen, die Ratio der Belehrung beschränke sich auf die konkrete
Lösungsbefugnis des Gerichts nach § 257c Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 StPO. Er habe
ferner mit eher allgemein gehaltenen Erwägungen zum hypothetischen
Aussageverhalten des Beschwerdeführers angenommen, es sei nicht ersichtlich,
dass sich die unterbliebene Belehrung auf das Verhalten des Beschwerdeführers
ausgewirkt haben könnte.
3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens
vorgelegen.
B.
Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an,
weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt
ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c
Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende
Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen
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Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
I.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 6. Dezember 2012 und das
Urteil des Landgerichts Stralsund vom 4. Juni 2012 verletzen den Beschwerdeführer
in seinem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und verstoßen gegen die
Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Im Anschluss an die
durch die Strafkammer unterbliebene Belehrung des Beschwerdeführers über die
Voraussetzungen und Folgen des Wegfalls der Bindung an eine Verständigung
(§ 257c Abs. 5 StPO) hat das Oberlandesgericht im Rahmen der Prüfung, ob das
landgerichtliche Urteil auf diesem Gesetzesverstoß beruht, die grundlegende
Bedeutung der Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPO für die Grundsätze der
Verfahrensfairness und der Selbstbelastungsfreiheit verkannt.
1. Mit dem Ziel, dem Angeklagten überhaupt eine autonome Entscheidung über das
für ihn mit einer Mitwirkung an einer Verständigung verbundene Risiko zu
ermöglichen, sieht § 257c Abs. 5 StPO vor, dass der Angeklagte vor der
Verständigung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts
von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren ist. Hiermit wollte der
Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahrens sichern und - wie sein
Hinweis auf das Ziel der Ermöglichung einer autonomen Einschätzung (vgl.
Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 15)
bestätigt - zugleich die Autonomie des Angeklagten im weiten Umfang schützen (vgl.
BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR
2883/10, 2 BvR 2155/11; zitiert nach juris, Rn. 99).
Eine Verständigung ist folglich regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen
Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über
deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Die
Belehrungspflicht verliert nicht deshalb an Bedeutung oder wird gar obsolet, weil eine
Lösung des Gerichts von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO das
infolge der Verständigung abgegebene Geständnis unverwertbar macht. Denn die
Belehrung hat sicherzustellen, dass der Angeklagte vor dem Eingehen einer
Verständigung, deren Bestandteil das Geständnis ist, vollumfänglich über die
Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert ist (vgl. auch
Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 15). Nur so ist
gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit,
die Aussage zu verweigern, (weiterhin) Gebrauch macht oder eine Verständigung
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eingeht.
Zwar muss der Angeklagte unabhängig von der Möglichkeit einer Verständigung
selbständig darüber befinden, ob und gegebenenfalls wie er sich zur Sache einlässt.
Mit der Aussicht auf eine Verständigung wird jedoch eine verfahrensrechtliche
Situation geschaffen, in der es dem Angeklagten in die Hand gegeben wird, durch
sein Verhalten spezifischen Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses zu nehmen. So
kann er anders als in einer nach der herkömmlichen Verfahrensweise geführten
Hauptverhandlung mit einem Geständnis die das Gericht grundsätzlich bindende
Zusage einer Strafobergrenze und damit Sicherheit über den Ausgang des
Verfahrens erreichen. Damit ist aus der Perspektive des Angeklagten das Festhalten
an der Freiheit von Selbstbelastung nur noch um den Preis der Aufgabe der
Gelegenheit zu einer das Gericht bindenden Verständigung und damit einer
(vermeintlich) sicheren Strafobergrenze zu erlangen. Die erwartete Bindung bildet
dementsprechend Anlass und Grundlage der Entscheidung des Angeklagten über
sein prozessuales Mitwirken; damit entsteht eine wesentlich stärkere Anreiz- und
Verführungssituation als es - mangels Erwartung einer festen Strafobergrenze - etwa
in der Situation von § 136 Abs. 1 oder § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO der Fall ist. Der
Angeklagte muss deshalb wissen, dass die Bindung keine absolute ist, sondern unter
bestimmten Voraussetzungen - die er ebenfalls kennen muss - entfällt. Nur so ist es
ihm möglich, Tragweite und Risiken der Mitwirkung an einer Verständigung autonom
einzuschätzen. Die in § 257c Abs. 5 StPO verankerte Belehrungspflicht ist aus
diesem Grund keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern eine zentrale rechtsstaatliche
Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit.
Eine Verständigung ohne vorherige Belehrung nach dieser Vorschrift verletzt den
Angeklagten grundsätzlich in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner
Selbstbelastungsfreiheit. Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht
zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das auf der Verständigung
basierende Geständnis in das Urteil ein, beruht dieses auf der mit dem Verstoß
einhergehenden Grundrechtsverletzung, es sei denn eine Ursächlichkeit des
Belehrungsfehlers für das Geständnis kann ausgeschlossen werden, weil der
Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Hierzu
müssen vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen getroffen werden (vgl. BVerfG,
Urteil des Zweiten Senats vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2
BvR 2155/11; zitiert nach juris, Rn. 125 ff.).
2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Verständigung im
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Strafverfahren werden die angefochtenen Entscheidungen nicht gerecht. Sie
verkennen die besondere Funktion des § 257c Abs. 5 StPO.
Nachdem der landgerichtlichen Verurteilung eine Verständigung vorausgegangen
war, die ohne die nach § 257c Abs. 5 StPO erforderliche Belehrung erfolgte, hat das
Oberlandesgericht anlässlich der revisionsrechtlichen Prüfung, ob das Urteil des
Landgerichts auf dem Gesetzesverstoß beruht, der Bedeutung der Belehrungspflicht
nach § 257c Abs. 5 StPO für die verfassungsrechtlichen Grundsätze des fairen
Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit nicht Rechnung getragen. Es ist nicht
auszuschließen, dass es bei Anwendung der richtigen Maßstäbe zu einer anderen
Entscheidung gelangt wäre.
a) Das Oberlandesgericht hat seinen Beschluss vom 6. Dezember 2012 nicht mit
einer eigenen Begründung versehen. Es hat sich allerdings erkennbar die
Rechtsauffassung des Generalstaatsanwalts vom 8. November 2012 zu Eigen
gemacht. In Fällen, in denen der Bundesgerichtshof dem Verwerfungsantrag des
Generalbundesanwalts nur im Ergebnis, nicht aber in der Begründung folgt, entspricht
es der allgemeinen Übung der Strafsenate, der Bezugnahme auf § 349 Abs. 2 StPO
die eigene Rechtsauffassung anzufügen; unterbleibt dies, kann davon ausgegangen
werden, dass der Rechtsauffassung des Generalbundesanwalts beigetreten werden
soll (vgl. BVerfGK 5, 269 <285 f.>). Einer Übertragung dieser Spruchpraxis auf
Revisionsentscheidungen des Oberlandesgerichts stehen Gründe nicht entgegen.
b) Nach den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben ist regelmäßig von
e i n e m Beruhen des Urteils auf der mit dem Verstoß einhergehenden
Grundrechtsverletzung auszugehen und nur ausnahmsweise eine Ursächlichkeit des
Belehrungsfehlers für das Geständnis auszuschließen. Das Oberlandesgericht hätte
hierzu konkrete Feststellungen treffen müssen, was jedoch nicht geschehen ist.
Im Anschluss an eine allgemeine Auseinandersetzung mit der Belehrung nach
§
257c
StPO erfolgen
die
fallbezogenen
Ausführungen
der
Generalstaatsanwaltschaft, die sich das Oberlandesgericht zu eigen gemacht hat, zur
Frage der Abgabe eines Geständnisses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung in
einem nur vier Sätze umfassenden Absatz. Diese basieren auf pauschal gehaltenen,
nicht näher belegten Vermutungen und nicht - wie verfassungsrechtlich geboten - auf
konkreten Feststellungen: Die Aussagebereitschaft des Beschwerdeführers sei erst
durch die Verständigung geweckt worden. Ferner hätten dem Gericht genügend
Beweismittel vorgelegen, die auch ohne ein Geständnis zu einer Verurteilung geführt
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hätten. Das Oberlandesgericht hätte stattdessen eingehend prüfen müssen, ob
belastbare Indizien für die Annahme vorgelegen haben, dass der Beschwerdeführer
auch nach Belehrung ein Geständnis abgelegt hätte.
III.
1. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung des Rechts auf ein faires
Verfahren und der Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
Art. 20 Abs. 3 GG) durch die angefochtenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts
und des Landgerichts festzustellen. Es kann daher offenbleiben, ob auch ein Verstoß
gegen das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende
Schuldprinzip vorliegt.
2.
Für
die
Feststellung
einer Grundrechtsverletzung
durch
das
Bundesverfassungsgericht
ist allein die objektive Verfassungswidrigkeit der
a n g e fo c h te n e n Entscheidung
im
Zeitpunkt
der
Entscheidung
des
Bundesverfassungsgerichts maßgeblich; es kommt nicht darauf an, ob die
Grundrechtsverletzung den Fachgerichten vorwerfbar ist oder nicht (vgl. BVerfGE
128, 326 <408>). Es ist folglich unerheblich, dass Land- und Oberlandesgericht im
Zeitpunkt ihrer Entscheidungen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.
März 2013 noch nicht berücksichtigen konnten, weil dieses noch gar nicht ergangen
war. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock ist daher nach § 93c Abs. 2 in
Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache zur erneuten
Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
3. Die Anordnung der Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Lübbe-Wolff
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Kessal-Wulf