Urteil des BVerfG vom 30.04.1997

Verfassungsbeschwerden betreffend die sog. prozessuale Überholung bei vollzogenen richterlichen Durchsuchungsanordnungen teilweise erfolgreich

Bundesverfassungsgericht
Sie sind hier:
L e i t s ä t z e
zum Beschluß des Zweiten Senats vom 30. April 1997
- 2 BvR 817/90 u.a. -
1. Eröffnet das Prozeßrecht eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Rahmen die Effektivität des
Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle.
2. a) Dieses Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gibt dem Betroffenen das Recht, in Fällen
tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe auch dann die Berechtigung des
Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem
typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in
der von der Prozeßordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann.
b) Die Beschwerde gegen eine richterliche Durchsuchungsanordnung darf somit nicht allein deswegen, weil sie
vollzogen ist und die Maßnahme sich deshalb erledigt hat, unter dem Gesichtspunkt prozessualer Überholung als
unzulässig verworfen werden. (Abweichung von BVerfGE 49, 329 ff.)
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 817/90 -
- 2 BvR 728/92 -
- 2 BvR 802/95 -
- 2 BvR 1065/95 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
1. des Herrn M...
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Christian Müller, Bolkerstraße 54, Düsseldorf-Altstadt -
gegen
a) den Beschluß des Landgerichts Düsseldorf vom 23. Mai 1990 - XIV Qs 20/90 -,
b) den Beschluß des Landgerichts Düsseldorf vom 21. März 1990 - XIV Qs 20/90 -,
c) den Beschluß des Amtsgerichts Ratingen vom 14. Dezember 1989 - 28 Gs 558/89 -
- 2 BvR 817/90 -,
2. des Herrn H...
gegen
a) den Beschluß des Landgerichts Frankenthal vom 27. April 1992 - III Qs 90/92 -,
b) den Beschluß des Landgerichts Frankenthal vom 26. März 1992 - III Qs 90/92 -,
c) den Beschluß des Amtsgerichts Speyer vom 17. Februar 1992 - 8b Gs 105/92 -
- 2 BvR 728/92 -,
3. der Frau W... - W ...
gegen
a) den Beschluß des Landgerichts Frankenthal vom 2. März 1995 - III Qs 67/95 -,
b) den Beschluß des Amtsgerichts Ludwigshafen vom 10. Januar 1995 - 10 Gs 1557/94 -
- 2 BvR 802/95 -,
4. des Herrn W...
gegen
a) den Beschluß des Landgerichts Frankenthal vom 18. April 1995 - III Qs 114/95 -,
b) den Beschluß des Amtsgerichts Ludwigshafen vom 27. März 1995 - 10 Gs 411/95 -,
c) den mündlichen Beschluß des Amtsgerichts Ludwigshafen vom 7. Februar 1995
- 2 BvR 1065/95 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsidentin Limbach,
Graßhof,
Kruis,
Kirchhof,
Winter,
Sommer,
Jentsch,
Hassemer
am 30. April 1997 beschlossen:
1. Der Beschluß des Landgerichts Düsseldorf vom 21. März 1990 - XIV Qs 20/90 - verletzt den Beschwerdeführer zu 1. in
seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 13 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die
Sache wird an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen. Der Beschluß vom 23. Mai 1990 ist damit gegenstandslos.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.
2. Der Beschluß des Landgerichts Franken-thal vom 26. März 1992 - III Qs 90/92 - verletzt den Beschwerdeführer zu 2. in
seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 13 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die
Sache wird an das Landgericht Frankenthal zurückverwiesen. Der Beschluß vom 27. April 1992 ist damit
gegenstandslos.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.
3. Der Beschluß des Landgerichts Franken-thal vom 2. März 1995 - III Qs 67/95 - verletzt die Beschwerdeführerin zu 3. in
ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 13 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die
Sache wird an das Landgericht Frankenthal zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.
4. Der Beschluß des Landgerichts Franken-thal vom 18. April 1995 - III Qs 114/95 - verletzt, soweit er sich auf die
richterliche Durchsuchungsanordnung bezieht, den Beschwerdeführer zu 4. in seinem Grundrecht aus Artikel 19
Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 13 des Grundgesetzes. Insoweit wird der Beschluß aufgehoben und die Sache an
das Landgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.
5. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer zu 1. die notwendigen Auslagen zu erstatten; das Land
Rheinland-Pfalz hat den Beschwerdeführern zu 2. bis 4. die notwendigen Auslagen zu erstatten.
G r ü n d e :
A.
1
Die zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen die sogenannte prozessuale
Überholung bei vollzogenen richterlichen Durchsuchungsanordnungen.
I.
2
1. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 817/90
3
a) Durch Beschluß vom 14. Dezember 1989 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des
Beschwerdeführers mit dem Ziel der Sicherstellung eines "Allbereichsempfängers" wegen Verstoßes gegen das
Fernmeldeanlagengesetz an. Die Anordnung war von der zuständigen Staatsanwaltschaft beantragt worden, nachdem bei
der Durchsuchung eines Versandgeschäftes eine auf den Beschwerdeführer lautende Rechnung über den Kauf eines
solchen Gerätes gefunden worden war. Daraus folge, daß der Beschwerdeführer ein Empfangsgerät erworben habe. Dessen
Besitz sei zwar nicht mit Strafe bedroht; nach allgemeiner Lebenserfahrung sei jedoch davon auszugehen, daß der
Beschwerdeführer das Gerät in betriebsbereiten Zustand versetzt und auch betrieben habe. Damit habe er sich nach § 15
Abs. 1 Satz 1 FAG strafbar gemacht.
4
Am 9. Januar 1990 wurde die angeordnete Durchsuchung durchgeführt, das gesuchte Empfangsgerät sichergestellt. Am
11. Januar 1990 erhob der Beschwerdeführer gegen den Durchsuchungsbeschluß Beschwerde: Ein Anfangsverdacht habe
niemals bestanden.
5
Nachdem das Ermittlungsverfahren am 29. Januar 1990 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und der sichergestellte
Empfänger an den Beschwerdeführer zurückgegeben worden war, ergänzte dieser sein Beschwerdevorbringen dahin, das
Landgericht habe die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses festzustellen, weil Wiederholungsgefahr bestehe. Er
sei nun wieder im Besitz des Gerätes und wolle es auch behalten, um bei Auslandsaufenthalten über Kurzwelle deutsche
Sender empfangen zu können. Die Staatsanwaltschaft könne mithin jederzeit mit derselben Begründung erneut den Erlaß
eines Durchsuchungsbeschlusses beantragen.
6
Durch Beschluß vom 21. März 1990 wurde die Beschwerde "aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen
Entscheidung" als unzulässig verworfen. Die Durchsuchung sei durchgeführt, das sichergestellte Gerät zurückgegeben, die
Beschwerde deshalb prozessual überholt und unzulässig. Auch seien die angegriffenen Maßnahmen weder rechtswidrig
noch unverhältnismäßig gewesen, weil sie unter anderem auch dazu gedient hätten, Entlastendes für den ehemals
Beschuldigten festzustellen. Eine unter Hinweis auf die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde erhobene Gegenvorstellung
hatte keinen Erfolg (Beschluß des Landgerichts vom 23. Mai 1990). Die Gegenvorstellung war unter anderem damit
begründet, daß das Gericht den Vortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen habe, was sich darin zeige,
daß auf die "zutreffenden Gründe" der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen worden sei.
7
b) Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die beiden landgerichtlichen Beschlüsse sowie den
Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1,
13 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG. Das Amtsgericht habe unzutreffend einen Anfangsverdacht hinsichtlich einer Straftat nach
§ 15 Abs. 1 FAG angenommen. Der Durchsuchungsbeschluß sei deshalb unverhältnismäßig und verletze Art. 13 Abs. 1 GG.
8
2. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 728/92
9
a) Der Beschwerdeführer hatte im November 1988 von einem Versandhaus einen Allbereichsempfänger erworben.
Nachdem dies im Rahmen von Ermittlungen gegen das Versandhaus bekannt geworden war, erließ das Amtsgericht am
17. Februar 1992 wegen Verstoßes "gg. d. FAG" einen auf die Wohnung bezogenen Durchsuchungs- und
Beschlagnahmebeschluß. Danach war "ein betriebsbereit gehaltener Funkempfänger Albrecht Commander 6100"
sicherzustellen. Ein solches Gerät - jedoch in nicht betriebsfähigem Zustand - wurde bei der Durchsuchung am 11. März
1992 beschlagnahmt.
10
Noch am selben Tag legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein. Am 23. März 1992 wurde das Gerät an ihn zurückgegeben.
Am 26. März 1992 erklärte das Landgericht Frankenthal die Beschwerde wegen der Freigabe für "gegenstandslos". Eine
Gegenvorstellung blieb erfolglos (Beschluß des Landgerichts Frankenthal vom 24. April 1992). Das Verfahren gegen den
Beschwerdeführer wurde laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 2. April 1992 eingestellt.
11
b) Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus den Art. 2 Abs. 1, 3
Abs. 1, 13, 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG.
12
3. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 802/95
13
a) Die Beschwerdeführerin wurde am 14. September 1994 bei der Staatsanwaltschaft von einem ehemaligen Freund wegen
Verdachts "des Betruges bzw. der Untreue" angezeigt. In der Anzeige legte er dar, er habe ihr bei seiner Bank eine
sogenannte Partner- oder Zusatzkarte ausstellen lassen; diese habe es ihr in gleichem Maße wie ihm selbst ermöglicht,
über sein Konto zu verfügen. Bei Beendigung ihrer Beziehung habe sie zwar zugesichert, die Karte zurückzugeben, dies
jedoch nicht getan, sondern von April 1994 bis August 1994 Abhebungen in Höhe von insgesamt ca. 3.300,- DM getätigt.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 29. August 1994 habe er sie zur Rückgabe der Karte aufgefordert, was sie mit Schreiben
vom 1. September 1994 abgelehnt habe. In diesem - der Anzeige beigefügten - Schreiben trug die Beschwerdeführerin vor,
gegen den Anzeigeerstatter einen vertraglichen Anspruch auf Benutzung der Karte zu haben. Wenn er anderer Auffassung
sei, möge er sie vor dem Zivilgericht verklagen. Der Anzeigeerstatter bat um Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und
regte an, "vordringlich eine richterliche Beschlagnahmeverfügung der Partnerkarte bei der Beschuldigten zu beantragen".
14
Die Staatsanwaltschaft stellte am 6. Dezember 1994 beim Amtsgericht den Antrag, "die richterliche Beschlagnahme der
Zusatzkarte (folgt genaue Bezeichnung) anzuordnen". Das Amtsgericht erließ am 10. Januar 1995 den mit der
Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluß:
15
"In dem Ermittlungsverfahren gegen ... (Beschwerdeführerin) wegen Untreue wird gemäß §§ 94, 98, 102, 105, 111b ff. StPO
die Durchsuchung der Wohnräume mit allen Nebenräumen und etwaiger Fahrzeuge der Beschuldigten angeordnet, weil
anzunehmen ist, daß dabei Beweismittel gefunden werden können. Dabei handelt es sich insbesondere um die ...
(Bezeichnung der Karte). Sofern Aufgefundenes nicht freiwillig herausgegeben wird, ist es zu beschlagnahmen".
16
Bei der erfolglosen Durchsuchung der Wohnung am 7. Februar 1995 erfuhren die Durchsuchungsbeamten von einem
Mitbewohner, daß die Beschwerdeführerin ausgezogen sei. Sie fanden die Karte nicht, stellten jedoch einige "Zufallsfunde"
sicher. Bei der späteren staatsanwaltlichen Prüfung wurde deren fehlende strafrechtliche Bedeutung festgestellt.
17
Mit der Beschwerde machte die Beschwerdeführerin unter anderem geltend, der amtsgerichtliche Beschluß genüge nicht
den Anforderungen an eine Tatbeschreibung; er sei auch unverhältnismäßig, da die Staatsanwaltschaft alle Informationen
über die Karte und deren Einsatz ohne weiteres von der Kartenfirma hätte erlangen können.
18
Das Landgericht verwarf die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluß als unzulässig, da die Durchsuchung beendet
sei.
19
b) Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 20
Abs. 3, 10, 13 Abs. 1 und 2, 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG. Sie habe sowohl den Besitz der Kreditkarte als auch deren Einsatz nie
in Abrede gestellt, die Gültigkeitsdauer der Karte sei zur Zeit der Durchsuchung bereits abgelaufen gewesen. Aus dem
Durchsuchungsbeschluß lasse sich kein Sachverhalt entnehmen, der als Untreue anzusehen wäre. Weder das Amtsgericht
noch das Landgericht hätten sich mit ihrem Vortrag auseinandergesetzt. Die Beamten hätten bei der Durchsuchung auch
einen an sie gerichteten verschlossenen Brief geöffnet und gelesen; das verstoße gegen Art. 10 GG.
20
c) Das Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz hat eine Stellungnahme des Leitenden Oberstaatsanwalts Frankenthal
übermittelt. Dieser ist der Ansicht, daß es dem Ermittlungsrichter nach dem damaligen Stand der Ermittlungen durchaus
möglich gewesen wäre, die der Beschwerdeführerin vorgeworfene Tat ohne Gefährdung des Ermittlungserfolgs näher zu
umschreiben. Der Beschwerdeführerin sei aber durch den anwaltlichen Schriftsatz ihres früheren Freundes bekannt
gewesen, daß dieser die Rückgabe der Karte - auch unter Einschaltung der Justiz - habe erzwingen wollen. Aufgrund der
detaillierten Beschreibung der sicherzustellenden Karte im Durchsuchungsbeschluß habe ihr klar sein müssen, daß
Gegenstand des Ermittlungsverfahrens die mutmaßlich unrechtmäßige Weiterverwendung der genannten Karte gewesen
sei.
21
4. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1065/95
22
a) Der Beschwerdeführer ist der Bruder der Beschwerdeführerin zu 3. Bei der erfolglosen Durchsuchung ihrer Wohnung am
7. Februar 1995 erfuhren die Durchsuchungsbeamten von einem Mitbewohner, daß der Beschwerdeführer regelmäßig die
Post seiner Schwester abhole. "Aufgrund dieser Tatsache" gingen sie von dem Verdacht aus, die Karte befinde sich in der
Wohnung des Beschwerdeführers "bzw." die Beschwerdeführerin zu 3. halte sich dort auf. Sie riefen den Ermittlungsrichter
an und teilten ihm mit, die Suche in der Wohnung der Beschwerdeführerin zu 3. sei erfolglos verlaufen; es sei davon
auszugehen, daß sich die gesuchte Karte in der Wohnung des Bruders befinde und Gefahr im Verzug bestehe. Der
Ermittlungsrichter ordnete daraufhin telefonisch die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers an, die auch
umgehend vollzogen wurde. Die Polizeibeamten fanden die Kreditkarte auch in dieser Wohnung nicht, stattdessen stellten
sie einen Video-Film mit der Bezeichnung "Seventeen, Teen-Sex", als Zufallsfund sicher. Sie schrieben zudem die beim
Telefon des Beschwerdeführers liegenden Aufzeichnungen über dessen Telefonate ab. Im Durchsuchungs- und
Beschlagnahmeprotokoll vom selben Tage ist als Grundlage der Durchsuchung der Beschluß vom 10. Januar 1995 im
Verfahren gegen die Schwester des Beschwerdeführers angegeben. Die Staatsanwaltschaft leitete am 10. Februar 1995
gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Vergehens gemäß § 184 StGB ein. Es
wurde nach Sichtung des Videobandes gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
23
Am 2. März 1995 beantragte der Beschwerdeführer, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung festzustellen.
24
Der Ermittlungsrichter erließ am 27. März 1995 den folgenden Beschluß:
25
"In dem Ermittlungsverfahren gegen ... (Beschwerdeführerin zu 3.) wegen Untreue: Die Durchsuchung am 07.02.95 bei ...
(Beschwerdeführer) wird richterlich bestätigt. Die Voraussetzungen des § 103 StPO waren gegeben. Durch die
Informationen, die die Polizei bei der Durchsuchung in ... (Wohnung der Beschwerdeführerin zu 3.) erhalten hatte, konnte
sie davon ausgehen, die gesuchte Kreditkarte bei ...(Beschwerdeführer) zu finden. Gefahr im Verzug lag vor. Die
Durchsuchung bei ... (Beschwerdeführer) war auch vom Richter telefonisch genehmigt worden.".
26
Mit Beschluß vom 18. April 1995 wies das Landgericht die Beschwerde als unzulässig zurück, da die Durchsuchung beendet
sei.
27
b) Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
20 Abs. 3, 3 Abs. 1 und 3, 6 Abs. 1, 10 Abs. 1 und 2, 13 Abs. 1 und 2, 14 Abs. 1, 19 Abs. 4, 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Abs. 1 GG.
Schon die Durchsuchung bei seiner Schwester sei rechtswidrig gewesen, da diese nie abgestritten habe, über die
aufzufindende Kreditkarte zu verfügen. Um so weniger sei der Eingriff in seine Grundrechte als Nichtbeschuldigter
gerechtfertigt gewesen. Es hätten außer dem Verwandtschaftsverhältnis auch keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, daß
seine Schwester ihre Kreditkarte bei ihm deponiert habe. Die unter dem Schutz des Art. 6 GG stehende familiäre Verbindung
dürfe nicht zu einer Sippenhaft führen. Er sei auch nicht darüber informiert worden, welche Tatsachen den
"Auffindungsverdacht" begründeten, so daß er sich nicht dazu habe äußern können. Indem die Polizeibeamten Daten über
seinen Fernmeldeverkehr ohne richterliche oder staatsanwaltliche Anordnung sammelten, hätten sie gegen Art. 10 Abs. 2
GG verstoßen.
28
Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die Beschlagnahme der Videokassette richtet, ist das Verfahren abgetrennt
worden.
29
c) Das Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz hat die Stellungnahmen des Polizeipräsidenten sowie des Ermittlungsrichters
übermittelt.
30
Der Polizeipräsident führt aus, es habe Gefahr im Verzuge vorgelegen. Der Mitbewohner der Beschwerdeführerin habe den
Durchsuchungsbeamten erklärt, er habe noch gelegentlich Kontakt mit ihr wie auch mit ihrem Bruder. Die Geschwister
studierten auch beide am selben Ort. Es habe die konkrete Gefahr bestanden, daß Informationen über die laufenden
Maßnahmen an die Beschuldigte gelangten. Diese hätte dann den Ermittlungserfolg vereiteln können. Eine schriftliche
richterliche Anordnung habe nicht eingeholt werden können, ohne den Zweck der Maßnahme zu gefährden. Die
Polizeibeamten hätten aus diesem Grund die mündliche Anordnung des Richters eingeholt.
31
Der Ermittlungsrichter nimmt wie folgt Stellung:
32
"1. Ich bin in dieser Sache von der Polizei angerufen worden. Mir wurde mitgeteilt, die Durchsuchung bei ...
(Beschwerdeführerin zu 3.) sei ergebnislos verlaufen, man müsse davon ausgehen, daß sich die gesuchte Kreditkarte in der
Wohnung ihres Bruders befinde, es bestehe Gefahr im Verzug. Ich bin davon ausgegangen, daß dies zutrifft, ohne weiter
nachzufragen.
33
2. Die Polizei hat bei mir angerufen und um mein Einverständnis mit einer sofortigen Durchsuchung bei ...
(Beschwerdeführer zu 4.) gebeten. Aufgrund der Mitteilungen der Polizei habe ich dieses Einverständnis erteilt.
34
3. Die Polizei hat nichts davon gesagt, daß sie sich mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung gesetzt hätte. Ich gehe davon
aus, daß sie es auch nicht getan hat. Ich habe es auch nicht getan. Dazu muß ich sagen, daß diese Art Telefongespräche
bei mir gewöhnlich am Vormittag in der Zeit großer Hektik kommt, wenn ich in meinem Büro Termine habe, andauernd
unangemeldet Leute hereinplatzen und mindestens alle 3 Minuten das Telefon klingelt.
35
4. Ich habe die "mündliche Durchsuchungsanordnung" auf der Grundlage der Informationen erlassen, die mir die Polizei
am Telefon gegeben hat. Dabei habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, man möge dem von der Durchsuchung
Betroffenen sagen, falls er mit der Durchsuchung nicht einverstanden sei, werde die entsprechende schriftliche Anordnung
unverzüglich nachgereicht.
36
5. Bei dem Telefongespräch mit der Polizei war ich auf das angewiesen, was mir die Polizei gesagt hat. Die Akte befand sich
vermutlich bei der Polizei. Meine Erinnerung an die Details war nicht mehr allzu gut, den Durchsuchungsbeschluß hatte ich
vier Wochen zuvor erlassen.
37
Ich muß hier darauf hinweisen, daß die Polizei so ziemlich alles falsch gemacht hat, was man falsch machen kann. So
stützte sich die Durchsuchung bei ... (Beschwerdeführer zu 4.) entgegen dem Durchsuchungsprotokoll gerade nicht auf
meinen Beschluß 10 Gs 1557/94, sondern auf meine mündliche Erlaubnis. Anschließend hat es bis zum 06. März 1995 oder
kurz davor gedauert, bis ich in dieser Sache etwas auf den Tisch bekam."
II.
38
Im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 817/90 haben sich das Bundesministerium der Justiz namens der
Bundesregierung, der Bundesgerichtshof und der Generalbundesanwalt geäußert.
39
1. Das Bundesministerium der Justiz führt aus, der Rechtsschutz gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen sei in der
Strafprozeßordnung nicht abschließend geregelt. Das Regelungswerk sei lückenhaft und schwer durchschaubar. Es finde
sich eine Reihe unterschiedlicher, nicht harmonisierter Kontrollmöglichkeiten. Die Auslegung des einfachen Rechts durch
die Rechtsmittelgerichte begegne jedoch grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, denn dem von einer
Durchsuchung Betroffenen sei bereits ein gerichtliches Verfahren eingeräumt worden, über die Durchsuchung habe bereits
ein Richter entschieden. Allerdings erfordere das Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitere Instanz, wenn der Betroffene
im Einzelfall über den vollzogenen und erledigten Akt hinaus noch andere gewichtige Nachteile erlitten habe. Dies sei etwa
dann der Fall, wenn wegen der erheblichen Folgen, bei diskriminierenden Auswirkungen von besonderem Gewicht oder der
Gefahr der Wiederholung ein nachwirkendes Bedürfnis für eine solche Überprüfung bestehe. Auch bei im Sinne der Willkür
fehlerhaften Entscheidungen bestehe eine fortwirkende Rechtsmittelbeschwer.
40
2. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat die Stellungnahmen eines Ermittlungsrichters sowie des Vorsitzenden des
3. Strafsenats übermittelt.
41
a) Der Ermittlungsrichter hebt hervor, daß der Bundesgerichtshof bei von der Staatsanwaltschaft angeordneten, jedoch
erledigten Maßnahmen ein Rechtsmittel in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO grundsätzlich als
zulässig ansehe. Anders verhalte es sich demgegenüber bei einer durch den Richter angeordneten Vollzugsmaßnahme, da
dem Richtervorbehalt insoweit bereits Genüge getan sei. Es stelle sich dann nur noch die Frage, ob die richterliche
Grundentscheidung durch eine weitere richterliche Entscheidung überprüfbar sein müsse. Das Grundgesetz gebiete dieses
nicht.
42
b) Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertritt die Auffassung, daß der amtsgerichtliche Beschluß rechtswidrig
gewesen sei. Zwar möge vertretbar sein, aus dem - legalen - Kauf des Gerätes den Anfangsverdacht einer - strafbaren -
Inbetriebnahme herzuleiten. Die Anordnung der Durchsuchung dürfte jedoch gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip
verstoßen haben, da der Tatverdacht allein auf die Wahrnehmung eines Rechts gestützt und der aufzuklärenden Straftat
keine besondere Bedeutung zuzumessen gewesen sei. Der Senat bejahe auch im Fall der prozessualen Überholung einer
Durchsuchungsanordnung des Ermittlungsrichters das Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde dann, wenn die objektive
Willkür dieser Entscheidung oder die Gefahr der Wiederholung des beanstandeten Eingriffs geltend gemacht werde. In
Anwendung dieser Grundsätze sei die Beschwerde des Beschuldigten hier zulässig gewesen, denn es habe
Wiederholungsgefahr bestanden. Da vorliegend das Landgericht die Beschwerde nicht nur als unzulässig, sondern auch
"aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses" verworfen habe, beruhe seine Entscheidung jedoch nicht
auf der Annahme, bei prozessualer Überholung sei eine Beschwerde unzulässig.
43
3. Der Generalbundesanwalt ist der Ansicht, ein Verfahren, das ausschließlich der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines
durch Vollzug oder auf andere Weise erledigten Eingriffs diene, sei der Strafprozeßordnung fremd. Bei der richterlichen
Anordnung einer Durchsuchung handele es sich nicht um einen Akt der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG.
Die Einschaltung des Ermittlungsrichters verfolge wegen des besonderen Ranges des betroffenen Grundrechts gerade den
Zweck, den richterlichen Schutz vorzuverlagern. Ein schutzwürdiges Rehabilitierungsinteresse gebe es bei überholten
Verfahrenseingriffen grundsätzlich nicht. Bis zur rechtskräftigen Verurteilung habe jeder Beschuldigte als unschuldig zu
gelten, woran auch die fehlerhafte Annahme von Tatverdacht und "überschießendes Unrecht" infolge fehlerhafter
Verfahrensgestaltung nichts ändere. Daß im Verfassungsbeschwerde-Verfahren ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse
auch nach Erledigung strafprozessualer Eingriffe grundsätzlich angenommen werde, hindere nicht die Verneinung eines
solchen Interesses im fachgerichtlichen Verfahren; das Bundesverfassungsgericht stehe weniger im Dienst subjektiver
Rechtsverfolgung als in der Pflicht, durch Bewahrung und Fortentwicklung des Verfassungsrechts den Rechtsfrieden für die
Zukunft zu sichern.
44
Zum Fall des Beschwerdeführers zu 1. führt der Generalbundesanwalt aus, daß eine Rechtsordnung, die den Betrieb eines
Geräts verbiete, dessen Besitz jedoch erlaube, prozessuale Eingriffe nicht allein auf den durch den Besitz begründeten
Verdacht stützen dürfe.
B.
45
Soweit die Verfassungsbeschwerden sich gegen die Verwerfung der Beschwerden durch die Landgerichte wegen
prozessualer Überholung richten, sind sie zulässig und begründet.
46
Der Senat hat in seinem Beschluß vom 11. Oktober 1978 (BVerfGE 49, 329 ff.) eine Auslegung der strafprozessualen
Vorschriften über die Anfechtbarkeit richterlicher Durchsuchungsanordnungen für verfassungsgemäß erklärt, wonach über
eine Beschwerde nach Abschluß der Durchsuchung wegen sogenannter prozessualer Überholung - jedenfalls regelmäßig -
nicht mehr in der Sache zu entscheiden sei. Lediglich in Ausnahmefällen, etwa wegen der erheblichen Folgen des Eingriffs
oder der Gefahr der Wiederholung, möglicherweise auch wegen der Schwere der Rechtsverletzung, könnten ein Interesse
des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme und damit ein nachwirkendes Bedürfnis für eine
richterliche Überprüfung angenommen werden (a.a.O., S. 337 ff.). An dieser Auffassung hält der Senat im folgenden nicht
mehr fest.
I.
47
Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte
der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr).
48
Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozeßordnungen gesichert.
Sie treffen Vorkehrungen dafür, daß der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen
staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne fachgerichtliche Prüfung zu tragen hat (vgl. BVerfGE 94, 166 <213>). Dabei
fordert Art. 19 Abs. 4 GG zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 87, 48 <61>; 92, 365 <410>; stRspr). Eröffnet das
Prozeßrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger in diesem Rahmen die Effektivität des
Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94
<96 f.>). Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv
machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <99>).
49
Hiervon muß sich das Rechtsmittelgericht bei der Antwort auf die Frage leiten lassen, ob im jeweiligen Einzelfall für ein
nach der Prozeßordnung statthaftes Rechtsmittel ein Rechtsschutzinteresse besteht. Mit dem Gebot, effektiven
Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es zwar grundsätzlich vereinbar, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse nur
solange als gegeben ansehen, als ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen,
einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu
beseitigen. Darüber hinaus ist ein Rechtsschutzinteresse aber auch in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe gegeben,
in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine
Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung gegebenen
Instanz kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, daß der Betroffene Gelegenheit
erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden - Grundrechtseingriffs
gerichtlich klären zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht geht daher in solchen Fällen bei der Verfassungsbeschwerde in
ständiger Rechtsprechung vom Fortbestand eines Rechtsschutzinteresses aus (vgl. BVerfGE 81, 138 <140 f.>).
50
Es obliegt zuvörderst den Fachgerichten, die Grundrechte zu wahren und durchzusetzen (vgl. BVerfGE 47, 182 <190>; 49,
252 <258>; 63, 77 <79>; 73, 322 <327>; 94, 166 <213>). Die Funktionenteilung zwischen der Fach- und
Verfassungsgerichtsbarkeit läßt es nicht zu, daß ein Beschwerdeführer, der von einem seiner Natur nach alsbald erledigten
Eingriff schwerwiegend im Schutzbereich eines individuellen Grundrechts betroffen ist, erst und nur im Wege der
Verfassungsbeschwerde effektiven Grundrechtsschutz einfordern kann. Mit dieser Feststellung weicht der Senat von der in
BVerfGE 49, 329 (343) vertretenen Auffassung ab.
51
Tiefgreifende Grundrechtseingriffe kommen vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz - wie in den Fällen
des Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 und 3 - vorbeugend dem Richter vorbehalten hat. Zu der Fallgruppe tiefgreifender
Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet sind,
gehört die Wohnungsdurchsuchung aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung.
II.
52
Gemäß §§ 304 ff. StPO ist auch gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung eine Beschwerde statthaft. Die Zulässigkeit
einer solchen Beschwerde ist vom angerufenen Fachgericht unter Beachtung der unter I. dargelegten
verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beurteilen. Danach darf die Beschwerde nicht allein deswegen, weil die
richterliche Anordnung vollzogen worden sei und die Maßnahme sich deshalb erledigt habe, unter dem Gesichtspunkt
prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden. Vielmehr hat das Beschwerdegericht zu prüfen, ob gemäß den
unter I. entwickelten Maßstäben - ungeachtet der eingetretenen Erledigung - ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen
besteht. Ein solches Interesse ist bei Durchsuchungen von Wohnungen schon wegen des Gewichts des Eingriffs in das
Grundrecht des Art. 13 GG zu bejahen. Auch unter diesem Blickwinkel modifiziert der Senat seine im Beschluß vom
11. Oktober 1978 (BVerfGE 49, 329 ff.) vertretene Auffassung.
53
1. Der genannte Beschluß ist auf vielfältige Kritik gestoßen (vgl. nur Amelung, NJW 1979, S. 1687 <1691 f.>; Bohlander,
AnwBl 1996, S. 177; Benfer, Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren, 2. Aufl., S. 337 f.; Dörr, NJW 1984, S. 2258 <2261
f.>; Fezer, Jura 1982, S. 18, 129; Gössel, GA 1995, S. 238 <240>; Hilger, JR 1990, S. 485 <488>; Köster, Der Rechtsschutz
gegen die vom Ermittlungsrichter angeordneten und erledigten strafprozessualen Grundrechtseingriffe, 1992, S. 48 ff.;
Paulus in: KMR, StPO, 10. Lfg 1993, vorb § 1, Rn. 13; Roxin, Strafverfahrensrecht, 24. Aufl., § 29 D II; Rudolphi in: SK, StPO,
14. ErgLfg 1995, § 98 Rn. 24; Seibert, EuGRZ 1979, S. 56; Sommermeyer, NStZ 1991, S. 257 ff.; Voßkuhle, Rechtsschutz
gegen den Richter, 1993, S. 332 f.). Der Bundesgerichtshof hat inzwischen in weiteren Entscheidungen die Zulässigkeit einer
Beschwerde gegen erledigte richterliche Durchsuchungsanordnungen beim Vorliegen besonderer Umstände bejaht (vgl.
BGHSt 36, 30 <32>; BGHR, StPO, § 98 Abs. 2 Feststellungsinteresse 3). Andere Gerichte haben ein Rechtsschutzbedürfnis
jedenfalls bei offensichtlicher Verfassungswidrigkeit angenommen (z.B. Landgericht Trier, AfP 1988, S. 86 ff.; Landgericht
Freiburg, StV 1989, S. 427 und Landgericht Bremen, StV 1997, S. 177). Im übrigen läßt sich aus einer Vielzahl von
Verfassungsbeschwerde-Verfahren ersehen, daß Landgerichte, die eine Beschwerde wegen prozessualer Überholung als
unzulässig verwerfen, häufig hilfsweise doch darlegen, warum die Beschwerde auch unbegründet gewesen wäre.
54
2. a) Die Unverletzlichkeit der Wohnung steht unter vorbeugendem Richtervorbehalt (Art. 13 Abs. 2 GG). Dieser
Rechtsschutz läuft ohne die Möglichkeit nachträglicher Überprüfung der Durchsuchungsanordnung in der
Beschwerdeinstanz weitgehend leer, zumal der Ermittlungsrichter in aller Regel gemäß § 33 Abs. 4 StPO ohne Anhörung des
Betroffenen entscheiden muß. Deshalb wird ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen, die Rechtswidrigkeit der
Maßnahme gerichtlich feststellen zu lassen, nicht nur ausnahmsweise anzunehmen sein.
55
b) Dem Feststellungsinteresse des Betroffenen kann selbst dann, wenn die Durchsuchung sich gegen den Beschuldigten
richtet, nicht im Rahmen des Strafverfahrens genügt werden. Dessen Ausgang hat mit der Frage der Rechtmäßigkeit der
Durchsuchung nichts zu tun. Im Strafverfahren geht es um Schuld oder Unschuld, nicht um die Rechtmäßigkeit der
Durchsuchungsanordnung (vgl. BVerfGE 9, 89 <93>). Es kann eine Durchsuchungsanordnung rechtswidrig sein und
dennoch eine Schuldfeststellung stattfinden; umgekehrt kann eine rechtmäßige Durchsuchung stattgefunden haben, auch
wenn der Beschuldigte unschuldig und freizusprechen ist.
III.
56
Die Beschlüsse, mit denen die Landgerichte die Beschwerden gegen die richterlichen Durchsuchungsanordnungen allein
unter Hinweis auf den Abschluß der Durchsuchung wegen prozessualer Überholung verworfen haben, verletzen Art. 19 Abs.
4 GG i.V.m. Art. 13 GG.
57
1. Jede dieser gegen Durchsuchungsbeschlüsse gerichteten Beschwerden betraf einen Fall, in dem das Beschwerdegericht
entsprechend dem oben dargelegten Maßstab von dem Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses hätte ausgehen müssen.
Die Verwerfung der Beschwerden als unzulässig hält mithin verfassungsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
58
2. Dies gilt auch für den Beschluß des Landgerichts im Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerde zu 1. Der Bezug auf
die "zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung" geht ins Leere, da die angefochtene Entscheidung keine
Gründe enthält. Die zusätzliche Aussage, die Durchsuchung sei weder rechtswidrig noch unverhältnismäßig gewesen, weil
sie unter anderem auch dazu gedient habe, Entlastendes für den Beschuldigten festzustellen, kann nicht als
Sachbegründung verstanden werden. Sie ist nicht nachvollziehbar. Denn es sollte ohne jegliche konkrete Anhaltspunkte
lediglich ermittelt werden, ob der Beschwerdeführer den von der Rechtsordnung erlaubten Besitz eines Rundfunkgeräts zur
Begehung einer strafbaren Handlung genutzt habe.
59
3. Die Beschlüsse sind aufzuheben, die Sachen sind zu erneuter Entscheidung an die Landgerichte zurückzuverweisen.
60
In den Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerden zu 3. und 4. wird die Erforderlichkeit der Durchsuchungen zur
Auffindung der Kreditkarte zu überprüfen sein (vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>). Die Beschwerdeführerin zu 3. hatte sich in
dem - auch dem Ermittlungsrichter vorliegenden - zivilrechtlichen Schriftwechsel gerade des Rechts zur Nutzung der Karte
berühmt; es war damit hinreichend belegt, daß sie im Besitz dieser Karte war.
C.
61
Soweit die Verfassungsbeschwerden sich gegen die amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschlüsse richten, sind sie
unzulässig. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG) gebietet es, daß ein
Beschwerdeführer den fachgerichtlichen Rechtsweg ausschöpft, um seine verfassungsrechtliche Beschwer auszuräumen.
Nachdem nunmehr feststeht, daß die Landgerichte die Beschwerden gegen die Durchsuchungsanordnungen nicht wegen
prozessualer Überholung als unzulässig verwerfen durften, steht noch ein fachgerichtlicher Rechtsweg zur Entscheidung
über die verfassungsrechtlichen Einwendungen zur Verfügung.
62
Soweit die Beschwerdeführer zu 3. und 4. eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 10 GG rügen, wenden sie sich gegen
die Art und Weise des Vollzugs der Durchsuchung. Auch insoweit sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig, weil die
Beschwerdeführer den dafür gegebenen Rechtsweg (§§ 23 ff. EGGVG) nicht beschritten haben.
D.
63
Da die Beschwerdeführer mit ihren Verfassungsbeschwerden im wesentlichen durchdringen, erscheint der Ausspruch der
vollen Auslagenerstattung angemessen (§ 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG).
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