Urteil des BVerfG vom 17.10.2012

untersuchungshaft, einzelhaft, haftbedingungen, verfassungsbeschwerde

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 736/11 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn A...
gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 1. März 2011 - I Ws
14/11 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 17. November 2010 - 21
Ks 2/10 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Lübbe-Wolff,
den Richter Huber
und die Richterin Kessal-Wulf
am 17. Oktober 2012 einstimmig beschlossen:
Die Beschlüsse des Landgerichts Stralsund vom 17. November 2010 - 21 Ks 2/10
- und des Oberlandesgerichts Rostock vom 1. März 2011 - I Ws 14/11 - verletzen
den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 19
Absatz 4 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben, und die Sache wird an das Landgericht
Stralsund zurückverwiesen.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen
Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
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Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind die Einschlusszeiten im Vollzug der
Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stralsund.
1. Der Beschwerdeführer befand sich vom 27. Februar 2010 bis zum 12. April 2011
in der Justizvollzugsanstalt Stralsund in Untersuchungshaft; am 12. April 2011 wurde
er zur Verbüßung der Strafhaft in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt.
2. Unter dem 28. Oktober 2010 stellte der Beschwerdeführer einen „Antrag auf
einstweiligen Rechtschutz“ beim Landgericht Stralsund, mit dem er unter anderem
beantragte, festzustellen, dass der Tagesablauf in der Untersuchungshaft in der
Justizvollzugsanstalt Stralsund rechtswidrig sei, und die Justizvollzugsanstalt zu
verpflichten, einen gesetzeskonformen Tagesablauf, bestehend aus Arbeits-, Frei-
und Ruhezeiten, zu gewähren. Ihm sei entgegen § 7 Abs. 1 UVollzG M-V keine
gültige Hausordnung übergeben worden. Diese solle nach § 84 UVollzG M-V
Auskunft über die Arbeits-, Frei- und Ruhezeiten geben. Er habe bereits mehrfach
erfolglos versucht, hierüber Auskunft zu erhalten. Der Landtagsdrucksache 5/2764 sei
z u entnehmen, dass die Freizeit neben den Arbeits- und Ruhezeiten ein
eigenständiger
Teil
des
Tagesablaufs
sein solle
und
dass
den
Untersuchungsgefangenen mit Blick auf die besonderen Belastungen in der
Untersuchungshaft Gelegenheit zu geben sei, diese Zeit sinnvoll zu gestalten. Nach
mehrmaligem Schriftverkehr mit dem Justizministerium habe sich die Leitung der
Justizvollzugsanstalt vor einigen Wochen erstmals genötigt gesehen, die Zeit von
16.00 bis 19.00 Uhr als Freizeit zu bezeichnen, allerdings mit der Einschränkung,
dass es deshalb keine offenen Haftraumtüren gebe. Auch Umschluss werde ihm trotz
mehrmaliger Gesuche nicht gestattet. Außer der täglichen Freistunde, wöchentlich
ein- bis zweimal Sport für eineinhalb Stunden, am Wochenende jeweils einer Stunde
Umschluss sowie in regelmäßigen Abständen einem Kurs für ein bis zwei Stunden
gebe es für Untersuchungsgefangene keine Freizeit. Montags, mittwochs und freitags
sei zwar von 14.15 bis 15.45 Uhr Aufschluss. Allerdings sei diese Zeit in erster Linie
der Reinigung der Hafträume und der persönlichen Körperhygiene vorbehalten.
Damit seien die Untersuchungsgefangenen im Durchschnitt täglich 21,5 Stunden
beziehungsweise wöchentlich 150 von 168 Stunden auf ihrem Haftraum
eingeschlossen. Nach „hartem Kampf“ sei es den Untersuchungsgefangenen
nunmehr am Wochenende nach der morgendlichen Essensausgabe für 45 Minuten
erlaubt, die Küche zu nutzen. Warum das nicht täglich oder auch nach der
abendlichen Essensausgabe möglich sei, sei nicht ersichtlich.
3. Zu dem Antrag nahm die Justizvollzugsanstalt Stellung. Der Tagesablauf sei für
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Untersuchungsgefangene grundsätzlich ebenso wie für Strafgefangene in Arbeits-,
Frei- und Ruhezeiten gegliedert. Arbeitende Untersuchungsgefangene arbeiteten von
7.15 bis 15.30 Uhr. Nach dem Abendbrot werde der Aufenthalt auf dem
Freistundenhof angeboten; darüber hinaus könnten sie das interne Sportangebot
oder die Aufschlusszeit am Abend auf der Station nutzen. Allerdings würden aufgrund
eines geringen Arbeitsplatzangebotes vor allem Strafgefangene zur Arbeit eingesetzt.
Durch eine Warteliste werde sichergestellt, dass bei freiwerdenden Arbeitsplätzen
auch der Einsatz von Untersuchungsgefangenen regelmäßig geprüft werde. Den
Untersuchungsgefangenen, die nicht zur Arbeit eingesetzt seien, werde am Vormittag
der Aufenthalt auf dem Freistundenhof angeboten. Zur effektiven Tätertrennung
würden getrennte Freistunden durchgeführt, somit entfalle vormittags der Aufschluss
auf den Stationen. Nur wenn die Freistunde früher beendet werde, werde für die
verbleibende Zeit ein Aufschluss gewährt. Im weiteren Tagesverlauf werde
Untersuchungsgefangenen an den Wochentagen Montag, Mittwoch und Freitag
jeweils von 14.15 bis 15.45 Uhr Aufschluss gewährt. Ein längerer Aufschluss könne
nicht gewährt werden, da in der Zeit von 17.00 bis 19.00 Uhr die Möglichkeit von
Telefonaten vorgehalten werden müsse, die von den Stationsbediensteten zu
kontrollieren und gegebenenfalls mitzuhören seien. Die Nutzung der Küche und die
Vorbereitung des Abendessens mit eigenen Lebensmitteln falle in die Zeit von 14.15
bis 15.45 Uhr. Da sehr zeitnah das Abendessen ausgeteilt werde, seien die
Gefangenen nicht wesentlich in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Weiterhin gebe
es die Möglichkeit der Teilnahme an Freizeitmaßnahmen.
4. Mit angegriffenem Beschluss vom 17. November 2010 wies das Landgericht den
Antrag als unbegründet zurück. Das Begehren des Beschwerdeführers sei als Antrag
a u f gerichtliche Entscheidung nach § 119a StPO auszulegen. Es sei bereits
zweifelhaft, inwieweit die Aufteilung des Tagesablaufs eine Vollzugsmaßnahme im
Sinne des § 119a StPO sei; allerdings sei der Begriff der Vollzugsmaßnahme weit
auszulegen. Es liege aber weder ein Verstoß gegen vollzugsrechtliche Normen noch
ein Verstoß gegen Grundrechte des Beschwerdeführers vor. Der Beschwerdeführer
zähle in seiner Antragsbegründung selbstständig von der Justizvollzugsanstalt
bereitgestellte Maßnahmen der Freizeitgestaltung auf, rüge aber letztlich, dass diese
n i c h t ausreichten und die Einschlusszeit zu viele Stunden einnehme. Die
Vollzugsgestaltung obliege grundsätzlich der Justizvollzugsanstalt in eigener
Zuständigkeit; einer Überprüfung durch den Haftrichter seien insoweit Grenzen
gesetzt. Verstöße seitens der Justizvollzugsanstalt seien nicht festzustellen. Für den
Beschwerdeführer als Untersuchungsgefangenen behielten die Grundrechte ihre
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Gültigkeit; sie unterlägen aber aufgrund der Untersuchungshaft und der ihr
innewohnenden Beschränkung der Lebensführung gewissen Eingrenzungen. § 5
UVollzG M-V schreibe zwar vor, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen
Lebensverhältnissen anzugleichen sei; dies gelte aber nur, soweit die Aufgabe des
Untersuchungshaftvollzuges
und
die Erfordernisse
eines
geordneten
Zusammenlebens in der Anstalt dies zuließen. Arbeitsplätze könnten innerhalb der
Justizvollzugsanstalt nicht für jeden Gefangenen gestellt werden. Es sei ausreichend,
dass auch Untersuchungsgefangene grundsätzlich in die Prüfung der Verteilung
einbezogen würden.
5. Der Beschwerdeführer erhob Beschwerde zum Oberlandesgericht. Jede
Beschränkung, die ihm auferlegt werde, müsse eine gesetzliche Grundlage haben.
Es sei nicht ersichtlich, woher die Justizvollzugsanstalt ihr Recht ableite, unschuldige
Untersuchungsgefangene, für die es außer den im gerichtlichen Haftbeschluss
festgelegten freiheitseinschränkenden und verfahrenssichernden Maßnahmen keine
weiteren gesetzlichen An- oder Verordnungen gebe, bis zu 23 Stunden am Tag
wegzuschließen. Insbesondere fehle es an einer gültigen, gesetzeskonformen und
von der Aufsichtsbehörde genehmigten Hausordnung. Der derzeitige Tagesablauf mit
durchschnittlichen Einschlusszeiten von täglich über 20 Stunden sei rechtswidrig. § 4
UVollzG M-V schreibe vor, dass der Anschein zu vermeiden sei, dass die
Untersuchungsgefangenen zur Strafverbüßung festgehalten würden, was in der
Justizvollzugsanstalt aber der Fall sei, da Untersuchungsgefangene hinsichtlich der
Einschlusszeiten schlechter behandelt würden als Strafgefangene. In § 5 UVollzG M-
V heiße es, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen
anzugleichen sei. Hiergegen werde verstoßen, wenn den Untersuchungsgefangenen
nicht gestattet werde, zu den Essensmahlzeiten die Küche zu nutzen. Es werde ihm
verweigert, sich in seiner Freizeit täglich mit anderen Untersuchungsgefangenen
aufzuhalten, obwohl dies in § 12 Abs. 2 UVollzG M-V ausdrücklich vorgesehen sei. Er
dürfe nur dreimal in der Woche duschen, die Strafgefangenen hingegen täglich, was
einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstelle. Ihrer Begründungspflicht für
einschränkende Maßnahmen komme die Justizvollzugsanstalt nicht nach; es sei nicht
nachvollziehbar, ob und wie die Justizvollzugsanstalt eine Ermessensprüfung
hinsichtlich der von ihr angeordneten Beschränkungen und Maßnahmen
vorgenommen habe. § 119 StPO sehe keine allgemein anzuordnenden
Beschränkungen vor. Das Gesetz kenne keinen Unterschied zwischen einem
arbeitenden
und
einem
nichtarbeitenden Untersuchungsgefangenen; die
Privilegierung der wenigen arbeitenden Untersuchungsgefangenen hinsichtlich der
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Aufschlusszeiten
sei
nicht
nachvollziehbar.
Wenn
die arbeitenden
Untersuchungsgefangenen in ihrer täglichen Freizeit offene Hafttüren hätten und alle
anderen Untersuchungsgefangenen nicht, liege offensichtlich eine gegen Art. 3 Abs.
1 GG verstoßende Ungleichbehandlung vor.
Der Rechtsbeschwerde fügte der Beschwerdeführer eine Auflistung bei, in der er die
Einschlusszeiten für den Monat Oktober 2010 auf 89,6 Prozent und für den Monat
November 2011 auf 89,3 Prozent bezifferte.
6. Mit angegriffenem Beschluss vom 1. März 2011 verwarf das Oberlandesgericht
die Rechtsbeschwerde „aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen
Beschlusses“ als unbegründet.
II.
1. Mit seiner am 1. April 2011 rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde
wendet der Beschwerdeführer sich gegen die Beschlüsse des Landgerichts und des
Oberlandesgerichts. Er rügt einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 2 Abs. 1 und
2, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 1 GG sowie gegen
Art. 3 und Art. 6 Abs. 1 EMRK.
Es gehe ihm darum, in der Untersuchungshaft einen gesetzeskonformen
Tagesablauf, der auch tatsächlich aus Arbeits-, Frei- und Ruhezeiten bestehe,
herzustellen. Seit über einem Jahr würden ihm ungerechtfertigte, durch gesetzliche
Vorschriften nicht gedeckte Beschränkungen seiner körperlichen Bewegungsfreiheit
auferlegt. Die Gerichte hätten den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt; seine
Ausführungen seien nicht zur Kenntnis genommen worden. Es gehe um die tägliche
Freizeit am Abend nach dem Abendessen, von 16.00 bis 19.00 Uhr, die den
arbeitenden Untersuchungsgefangenen und den Strafgefangenen auf der Station
erlaubt, dagegen ihm, dem Beschwerdeführer, und den anderen nichtarbeitenden
Untersuchungsgefangenen ohne ersichtlichen Grund vorenthalten werde. Es gebe
Tage, an denen er, abgesehen von der täglichen Freistunde auf dem Hof, 23 Stunden
in seinem Haftraum eingeschlossen sei. Damit sei er schlechter gestellt als die
Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt.
2. Das Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern hatte Gelegenheit
zur Stellungnahme und hat auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts Auskünfte zu
den Aufschlusszeiten in den Justizvollzugsanstalten des Erwachsenenvollzugs des
Landes Mecklenburg-Vorpommern gegeben.
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In der Justizvollzugsanstalt Stralsund, in der der Beschwerdeführer untergebracht
war, ist Aufschluss für Strafgefangene - arbeitende wie nicht arbeitende - werktags
von 16.30 bis 19.15 Uhr sowie wochenends von 7.30 bis 9.00 Uhr und von 14.45 bis
16.00 Uhr, für nicht arbeitende Untersuchungsgefangene montags, mittwochs und
freitags von 14.15 bis 15.45 Uhr vorgesehen (arbeitende Untersuchungsgefangene:
keine Angabe). Wochenends von 10.00 bis 11.00 Uhr besteht für die nicht
arbei tenden Untersuchungsgefangenen die Möglichkeit des Umschlusses
(arbeitende
Untersuchungsgefangene:
keine
Angabe).
Im
Vollzug der
Untersuchungshaft seien vormittags zur effektiven Tätertrennung mehrere getrennte
Freistunden auf dem Hof nötig. Da diese Freistunden von den Stationsbediensteten
überwacht würden, entfalle deren ständige Präsenz auf den Stationen, weshalb dort
ein Aufschluss am Vormittag entfallen müsse. Nur wenn die Freistunde früher
beendet werde, sei für die verbleibende Zeit ein Aufschluss möglich, der dann auch
gewährt werde. An den Wochentagen außer Montag, Mittwoch und Freitag seien die
Stationsbediensteten regelmäßig mit der Haftraumzuweisung und der Zuführung von
Gefangenen (Umlauf) beschäftigt. Ein weiterer Aufschluss habe bisher nicht realisiert
werden können, da in der Zeit von 17.00 bis 19.00 Uhr die Möglichkeit für Telefonate
vorgehalten werden müsse.
In der Justizvollzugsanstalt Waldeck wird arbeitenden und behandlungswilligen
sowie nicht arbeitenden, aber arbeits- und behandlungswilligen Strafgefangenen
werktags von 9.00 bis 11.00 Uhr und von 14.00 Uhr beziehungsweise ab Arbeitsende
bis 20.00 Uhr und wochenends sowie an Feiertagen von 9.00 bis 11.00 und von
14.00 bis 18.00 Uhr Aufschluss gewährt. Für nicht behandlungswillige arbeitende
Strafgefangene erfolgt der Aufschluss werktags nach Arbeitsende bis 19.00 Uhr,
wochenends und feiertags von 16.00 bis 18.00 Uhr. Behandlungs- und
arbeitsunwillige Strafgefangene erhalten Aufschluss täglich von 14.30 bis 15.30 Uhr.
Für nicht arbeitende Untersuchungsgefangene erfolgt Aufschluss an vier
Wochentagen jeweils von 17.00 bis 20.00 Uhr, wochenends und an Feiertagen von
16.00 bis 18.00 Uhr. Arbeitende Untersuchungsgefangene erhalten Aufschluss an
denselben Wochentagen in der Zeit nach Arbeitsende bis 20.00 Uhr sowie
wochenends und an Feiertagen von 14.00 bis 18.00 Uhr.
Nach den Angaben für die Justizvollzugsanstalt Bützow sind dort für
Untersuchungsgefangene
über
den Aufenthalt im Freien hinaus keine
Aufschlusszeiten vorgesehen; im Übrigen reichen die nach Gefangenengruppen und
Abteilungen stark differenzierten Aufschlusszeiten von werktäglich einer Stunde,
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zuzüglich einer weiteren Stunde vor dem Nachteinschluss in den Monaten Juni bis
September, in einer der Abteilungen für männliche nicht arbeitende Strafgefangene
bis zu täglich insgesamt sieben Stunden bei Abschiebungsgefangenen.
Die Aufstellung für die Justizvollzugsanstalt Neubrandenburg weist ebenfalls
differenzierte Aufschlusszeiten - unter anderem für nicht arbeitende Strafgefangene
über die tägliche Freistunde hinaus täglichen Aufschluss von 15.30 bis 19.45 Uhr -
aus. Für Untersuchungsgefangene ist neben der Freistunde kein Aufschluss
vorgesehen.
Die Unterschiede zwischen den Aufschlusszeiten in den Justizvollzugsanstalten
des Landes seien abhängig von den teilweise stark voneinander abweichenden
räumlichen Bedingungen, den unterschiedlichen Zuständigkeiten mit entsprechend
zu beachtendem Sicherheitsstandard und dem nicht kontinuierlich zur Verfügung
stehenden Personalbestand.
Neben den genannten Aufschlusszeiten gebe es zahlreiche Freizeitmaßnahmen.
Die Teilnahme an diesen sei ebenso wie die Durchführung von Besuchen, das
Telefonieren oder das Duschen mit einem Aufschluss verbunden, der in der
Darstellung nicht berücksichtigt sei.
3. Der Beschwerdeführer erwiderte, dass die Darstellung der Aufschlusszeiten in der
Justizvollzugsanstalt Stralsund weitgehend zutreffend sei; soweit das
Justizministerium aber ausführe, dass an den Tagen außer Montag, Mittwoch und
Freitag die Stationsbediensteten regelmäßig mit der Haftraumzuweisung und der
Zuführung von Gefangenen (Umlauf) beschäftigt seien, sei dies unzutreffend, denn
die Zuführung neuer Untersuchungsgefangener geschehe fast täglich zu jeder
Tageszeit, und Verlegungen und Umlauf erfolgten in der Regel stets am frühen
Vormittag, so dass hierin kein Grund für den kompletten Tageseinschluss zu sehen
sei. Die abendlichen Telefonzeiten lägen zwischen 18.00 und 19.00 Uhr, würden
aber nur von wenigen Gefangenen in Anspruch genommen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur
Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2
Buchstabe
b
BVerfGG).
Die
Voraussetzungen
für
eine stattgebende
Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der
Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind
durch
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Die
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Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in einem die Kammerzuständigkeit
begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) offensichtlich begründet.
1. Der Zulässigkeit der fristgemäß eingegangenen Verfassungsbeschwerde steht
nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitlich in eine andere
Justizvollzugsanstalt zur Verbüßung einer Haftstrafe verlegt worden ist.
Bei
gewichtigen
Grundrechtseingriffen
ist
vom Fortbestehen
des
Rechtsschutzbedürfnisses
im Verfassungsbeschwerdeverfahren auch dann
auszugehen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt auf
eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene nach dem regelmäßigen
Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen
konnte (vgl. BVerfGE 117, 244 <268> ; BVerfGK 11, 54 <59>; BVerfG, Beschluss der
2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 2008 - 2 BvR 1661/06 -, juris).
Gewichtig im hier maßgeblichen Sinne können neben Grundrechtseingriffen, die das
Grundgesetz unter Richtervorbehalt gestellt hat (vgl. BVerfGE 96, 27 <40>; 104, 220
<233>; 117, 244 <269> ), auch Eingriffe in andere Grundrechte sein (vgl. nur BVerfGE
110, 77 <86>; BVerfGK 11, 54 <59>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten
Senats vom 7. März 2012 - 2 BvR 988/10 -, NJW 2012, S. 2790 <2791>, m.w.N.).
Danach kann dem Beschwerdeführer ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse
nicht
abgesprochen werden. Wegen der typischerweise kurzen Dauer der
Untersuchungshaft kann ein Untersuchungsgefangener nach dem regelmäßigen
Geschäftsgang eine stattgebende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu
Maßnahmen in deren Vollzug nicht erlangen, während die Untersuchungshaft noch
andauert. Entfiele das Rechtsschutzbedürfnis für Verfassungsbeschwerden, die
Maßnahmen im Vollzug der Untersuchungshaft betreffen, jeweils mit dem Übergang
d e s Betroffenen in die Strafhaft oder mit einer aufgrunddessen erfolgenden
Verlegung, so fiele ein wirksamer verfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz in
diesem Bereich weitgehend aus (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten
Senats vom 15. November 2010 - 2 BvR 1183/09 -, juris). Angesichts der erheblichen
Verschärfung, die der Freiheitsentzug in dem Maße erfährt, in dem der Gefangene
über begrenzte Teile des Tages hinaus unfreiwillig auf seinen Haftraum beschränkt
und an der Kontaktaufnahme mit anderen Gefangenen gehindert ist (vgl. für den
Arrest BVerfGK 2, 318 <323>), entfällt das Rechtsschutzinteresse auch nicht deshalb,
weil der gerügte Grundrechtseingriff nicht die erforderliche Schwere erreichte.
2. a) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in
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seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG.
aa) Die Auslegung der Vorschriften des Untersuchungshaftrechts hat dem Umstand
Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig
verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen
werden darf (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 34, 369 <379>; 42, 95 <100> ; BVerfGK 13,
163 <165>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss daher den Vollzug der
Untersuchungshaft in besonderem Maße prägen (vgl. BVerfGE 34, 369 <380>; 35, 5
<9>; 35, 307 <309> ; BVerfGK, a.a.O.). Auch Untersuchungsgefangene können zwar
nicht verlangen, dass unbegrenzt personelle und sonstige Mittel aufgewendet
werden, um zu vermeiden, dass wegen anderenfalls drohender Gefährdung des
Zwecks der Untersuchungshaft eine Beschränkung ihrer grundrechtlichen Freiheiten
erforderlich wird (vgl. BVerfGE 34, 369 <380 f.>; 34, 384 <402>; 42, 95 <100 f.> ;
BVerfGK, a.a.O.). Andererseits können aber nicht beliebige Einschränkungen allein
damit gerechtfertigt werden, dass die gegebene personelle oder sonstige Ausstattung
der Justizvollzugsanstalt nichts anderes zulasse; denn Grundrechte gelten nicht nach
Maßgabe dessen, was an Verwaltungseinrichtungen im konkreten Fall oder
üblicherweise vorhanden ist (vgl. BVerfGE 15, 288 <296>; 34, 369 <380 f.>; 35, 307
<310> ; BVerfGK 13, 163 <166>, m.w.N.). Es ist Sache des Staates, im Rahmen des
Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, um
Verkürzungen der Rechte von Untersuchungsgefangenen zu vermeiden; die dafür
erforderlichen sächlichen und personellen Mittel hat er aufzubringen, bereitzustellen
und einzusetzen (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>; 42, 95 <101 f.> ; BVerfGK, a.a.O.,
m.w.N.). Bei der abwägenden Bestimmung dessen, was einerseits dem Gefangenen
an Beschränkungen, andererseits der Anstalt und dem für ihre angemessene
Ausstattung verantwortlichen Staat an Aufwand zumutbar ist, muss der Umstand
berücksichtigt werden, dass der Untersuchungsgefangene nicht rechtskräftig verurteilt
ist (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 34, 369 <379>; 42, 95 <100> ), für die Zumutbarkeit
d e r Haftbedingungen also der Gesichtspunkt keine Rolle spielen kann, dass der
Betroffene sich durch strafbares Verhalten selbst unter diese Bedingungen versetzt
habe (vgl. BVerfGK, a.a.O.).
Bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit von Haftbedingungen ist die
Indizwirkung internationaler Standards mit Menschenrechtsbezug (vgl. BVerfGE 116,
69 <90> ) zu berücksichtigen. Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, die auch für
Untersuchungsgefangene gelten (Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates,
Rec(2006)2, Nr. 10.1; s. auch Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates zur
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Untersuchungshaft, Rec(2006)13, Nr. 5), sehen vor, dass Gefangene so viele
Stunden täglich außerhalb ihrer Hafträume verbringen können, wie es für ein
angemessenes Maß an menschlicher und sozialer Interaktion notwendig ist
(Rec(2006)2, Nr. 25.2). Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) nimmt in seinem
2. Jahresbericht (2nd General Report on the CPT’s activities covering the period 1
January to 31 December 1991, CPT/Inf (92) 3 [EN], Ziff. 47) an, dass es das Ziel sein
sollte, sicherzustellen, dass Untersuchungsgefangene eine angemessene Zeit des
Tages - acht Stunden oder mehr - außerhalb ihrer Hafträume verbringen und dort
sinnvollen Aktivitäten nachgehen können.
Die
besonderen
Anforderungen,
die
sich
aus
dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit für den Vollzug der Untersuchungshaft ergeben, begrenzen auch
die Möglichkeiten der Verallgemeinerung von Beschränkungen. Bei der Anwendung
generalklauselartiger Vorschriften ist grundsätzlich die Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalles geboten (vgl. zur Anwendung des § 119 Abs. 3 StPO a.F.
BVerfGE 15, 288 <297>; 35, 5 <11>; 35, 307 <309> ; BVerfGK 12, 378 <380>; 13, 163
<165>). Dies schließt zwar, wo eine Gefährdung gesetzlicher Haftzwecke oder der
Anstaltsordnung nicht durch jeweils einzelne Maßnahmen hinreichend abgewehrt
werden kann, Beschränkungen allgemeiner Art nicht aus (vgl. BVerfGE 34, 369
<380>; 34, 384 <399 f.>; s. auch, für Regelungen durch Allgemeinverfügung, BVerfG,
Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Mai 2011 - 2 BvR 722/11 -,
juris; OLG Celle, Beschluss vom 17. März 2006 - 1 Ws 42/06 (StrVollz) -, NStZ 2006,
S. 582 f.); dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist insoweit jedoch dadurch
Rechnung zu tragen, dass Ausnahmen zugelassen werden, soweit dies ohne
konkrete Gefährdung der genannten Belange möglich ist (vgl. BVerfGE 15, 288
<294 f.>; 34, 384 <398, 400>; 42, 95 <102> ; BVerfGK 13, 163 <165>).
Diese Grundsätze gelten auch, soweit gesetzliche Vorschriften das Ausmaß der
Beschränkungen, denen Untersuchungsgefangene unterliegen, in das Ermessen der
Vollzugsbehörden stellen. Sie sind daher der behördlichen Ermessensausübung
zugrundezulegen, und auf ihre Berücksichtigung hat sich die gerichtliche
Überprüfung
der behördlichen Ermessensausübung zu erstrecken. Soweit
Entscheidungen, die rechtlich geschützte Belange des Einzelnen berühren, in das
Ermessen der Behörden gestellt sind, hat der Betroffene zwar keinen unmittelbaren
gesetzlichen Anspruch auf eine bestimmte behördliche Entscheidung, wohl aber
einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Insoweit greift die
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Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfGE 96, 100 <115> ; für den
Strafvollzug BVerfGK 14, 381 <386>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten
Senats vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 309/10 - juris; stRspr). Diese gewährleistet
auch die notwendige Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (vgl.
BVerfGE 101, 275 <294 f.> ; BVerfGK 4, 119 <127 f.>; 9, 390 <395>; 9, 460 <462 f.>,
jew. m.w.N.).
bb) Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss des Landgerichts
den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4
GG. Die behördliche Ausübung des der Justizvollzugsanstalt durch § 12 Abs. 2 Satz
1 UVollzG M-V eingeräumten Ermessens sowie des Ermessens, das den
zuständigen
staatlichen
Organen
hinsichtlich
der
Ausstattung der
Justizvollzugsanstalten mit dem für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen
Personal zukommt, wurde nicht in einer den grundrechtlichen Anforderungen
entsprechenden Weise gerichtlich überprüft.
Die begründenden Ausführungen des Landgerichts, wonach die Grundrechte des
Beschwerdeführers haftbedingten Beschränkungen unterliegen und der
Angleichungsgrundsatz des § 5 UVollzG M-V nur in den durch die Aufgaben des
Untersuchungshaftvollzuges
und
die Erfordernisse
eines
geordneten
Zusammenlebens in der Anstalt gezogenen Grenzen gilt, enthalten keine Antwort auf
die entscheidende Frage, ob die Justizvollzugsanstalt ihr Ermessen hinsichtlich der
Festlegung der Aufschlusszeiten fehlerfrei ausgeübt hat. An einer solchen
Überprüfung fehlt es auch, wenn unterstellt wird, dass das Landgericht sich der
Sache nach stillschweigend die von der Justizvollzugsanstalt angegebenen Gründe
für die Regelung der Aufschlusszeiten zu eigen gemacht hat. Darin liegt keine
Überprüfung dieser Gründe daraufhin, ob sie die behördliche Entscheidung von
Rechts wegen zu tragen vermögen.
(1) Es fehlt bereits an der notwendigen Auseinandersetzung mit der Frage, ob unter
Haftbedingungen wie den vom Beschwerdeführer geschilderten der notwendige
Abstand zu einer grundrechtswidrigen voraussetzungslosen Einzelhaft unterschritten
ist.
Die unausgesetzte Absonderung eines Untersuchungsgefangenen (Einzelhaft) ist
nach § 50 UVollzG M-V nur aus in dessen Person liegenden Gründen unter engen
Voraussetzungen zulässig. Arrest darf als besonders schwere, gemäß § 62 Abs. 3
Satz 1 UVollzG M-V in Einzelhaft zu vollziehende Disziplinarmaßnahme, auch wenn
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von über den Einschluss in Einzelhaft hinausgehenden Beschränkungen gemäß § 62
Abs. 2 Satz 3 UVollzG M-V abgesehen wird, nur für einen Zeitraum von höchstens
vi er Wochen (§ 61 Abs. 1 Nr. 7 UVollzG M-V) und nur wegen schwerer oder
wiederholter Verfehlungen verhängt werden (§ 61 Abs. 3 UVollzG M-V). Die engen
gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung dieser mit besonders
weitreichendem Einschluss verbundenen Maßnahmen tragen dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit Rechnung, der hier besonders strikte Beachtung erfordert (vgl.
für die Einzelhaft BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13.
April 1999 - 2 BvR 827/98 -, NStZ 1999, S. 428 <429>). Diesem Grundsatz läuft es
jedenfalls
zuwider, wenn bereits das normale Haftregime die Gefangenen
Bedingungen unterwirft, die sich von denen der Einzelhaft kaum unterscheiden. In
diesem Zusammenhang fällt es nicht ins Gewicht, wenn der ganztägige Einschluss
durch den gesetzlich vorgesehenen - nicht primär der Kontaktpflege, sondern in erster
Linie der körperlichen Gesunderhaltung dienenden - einstündigen Aufenthalt an der
frischen Luft unterbrochen, also nicht zugleich auch noch von Nr. 27.1 der
Europäischen Strafvollzugsgrundsätze und Nr. 42 Satz 2 der Empfehlung des
Ministerkomitees des Europarates zur Untersuchungshaft abgewichen wird. Die
Einräumung der täglichen Freistunde trägt zur Sicherung des hinsichtlich der
Einschlusszeiten notwendigen Abstandes zur Vollzugssituation des Arrests oder der
als besondere Sicherungsmaßnahme angeordneten Einzelhaft nicht bei. Denn der
insoweit nicht eingeschränkte Anspruch auf einstündigen Aufenthalt an der frischen
Luft (§ 20 Abs. 2; § 62 Abs. 3 Satz 3 UVollzG M-V) bleibt dem Gefangenen - wenn
auch nicht als ein Anspruch, der die Möglichkeit sozialer Kontakte einschließt - in
Übereinstimmung mit den genannten internationalen Standards auch im Vollzug von
Arrest oder sonstiger Einzelhaft erhalten (vgl. zum Strafvollzugsrecht i.e.S. § 89 Abs.
2 Satz 2 StVollzG; Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 89 Rn. 1; HansOLG, Beschluss
vom 15. August 2008 - 3 Vollz (Ws) 44/08 -, juris).
Danach war in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht klärungsbedürftig, ob die
Haftbedingungen des Beschwerdeführers sich, was die Einschlusszeiten angeht, von
der Situation des Arrests oder sonstiger Einzelhaft hinreichend unterschieden. Nach
der vom Beschwerdeführer in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung
g e g e b e n e n Darstellung
bestanden
für
die
nicht
arbeitenden
Untersuchungsgefangenen über die tägliche Freistunde hinaus nur äußerst
geringfügige Möglichkeiten des Aufenthalts außerhalb ihres Haftraums und der
Kontaktaufnahme mit Anderen, wobei ungeklärt geblieben ist, ob diese Möglichkeiten
sich auf die Wochentage so verteilten, dass eine über die Freistunde hinausgehende
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Möglichkeit, sich außerhalb des Haftraums aufzuhalten, für jeden Wochentag eröffnet
war.
(2) Unabhängig davon hat das Landgericht die beanstandeten Haftbedingungen
nicht in der notwendigen Weise auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit geprüft und insoweit einschlägige internationale Standards mit
Menschenrechtsbezug (s.o. III.2.a)aa)) nicht berücksichtigt.
Der Feststellung des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und
unmenschlicher
oder
erniedrigender Behandlung oder Strafe, dass für
Untersuchungsgefangene die Möglichkeit angestrebt werden sollte, täglich acht
Stunden oder mehr außerhalb ihrer Hafträume zu verbringen und dort sinnvollen
Aktivitäten nachzugehen (CPT, 2nd General Report on the CPT’s activities covering
the period 1 January to 31 December 1991, CPT/Inf (92) 3 [EN])), kommt zwar eine
indizielle Bedeutung (vgl. BVerfGE 116, 69 <90>) dahingehend, dass bei jeder
Unterschreitung dieses Wertes die Annahme einer Grundrechtsverletzung naheläge,
schon deshalb nicht zu, weil es sich hier bereits der Formulierung nach nicht um
einen menschenrechtlichen Mindeststandard, sondern um die Angabe eines
anzustrebenden Ziels handelt. Nicht zuletzt angesichts des enormen Ausmaßes der
Entfernung der Haftbedingungen des Beschwerdeführers von diesem Zielwert hätte
jedoch Anlass zu näherer Prüfung der Zumutbarkeit dieser Haftbedingungen in der
besonderen Konstellation der Untersuchungshaft bestanden.
Diese Prüfung hätte unter Berücksichtigung der Besonderheiten der
Untersuchungshaft auch die vorgesehenen Unterschiede zwischen verschiedenen
Gefangenengruppen in den Blick zu nehmen gehabt.
Insbesondere wären die erheblichen Unterschiede zwischen den für nicht
a r b e i t e n d e Untersuchungsgefangene
und
den
für
arbeitende
Untersuchungsgefangene sowie Strafgefangene geltenden Aufschlusszeiten einer
näheren Prüfung zu unterziehen gewesen. Das Landgericht hat sich der Sache nach
mit den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt dazu, dass die Personallage
weitergehende Aufschlusszeiten für nicht arbeitende Untersuchungsgefangene nicht
erlaube, zufriedengegeben, ohne der Frage nachzugehen, ob die Anstalt ihr
Ermessen hinsichtlich der Verteilung der personellen Ressourcen im Verhältnis der
genannten Gefangenengruppen fehlerfrei ausgeübt hat.
Eine vollzugliche Schlechterstellung von Untersuchungsgefangenen gegenüber
Strafgefangenen
ist
in verschiedenen Bereichen wegen der besonderen
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Beschränkungen, die zur Sicherung des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlich
sein können, nicht durchgängig vermeidbar. Aus der gebotenen Rücksicht darauf,
dass der Untersuchungsgefangene nicht rechtskräftig verurteilt ist (s. unter III.2.a)aa)),
und aus der gebotenen Rücksicht auf die besonderen mit der Untersuchungshaft
verbundenen psychischen Belastungen (vgl. BVerfGK 13, 163 <169 f.>) folgt auch
nicht, dass eine solche Schlechterstellung ohne weiteres immer bereits dann
unzulässig ist, wenn sie durch Umschichtungen im Personaleinsatz vermeidbar wäre.
S o w e i t etwa angesichts gegebener Unterschiede im Aufsichtsbedarf bereits
geringfügige Verbesserungen bei den Untersuchungsgefangenen mit erheblichen
Einschränkungen bei den Strafgefangenen erkauft werden müssten, ist es nicht zu
beanstanden, wenn von einer Angleichung der Vollzugssituation durch
Veränderungen in der Verteilung des Personaleinsatzes abgesehen wird.
Andererseits entspräche es aber, auch soweit absolute Mindeststandards noch
gewahrt sind, nicht der verfassungsrechtlich gebotenen Rücksicht auf die
Besonderheit der Situation des Untersuchungsgefangenen, eine beliebige gegebene
Verteilung personeller Ressourcen im Verhältnis zwischen den unterschiedlichen
Gefangenengruppen zum feststehenden Ausgangspunkt der Prüfung zu nehmen und
d i e Verhältnismäßigkeit
der
für
Untersuchungsgefangene vorgesehenen
Beschränkungen allein danach zu beurteilen, ob sie angesichts dieser gegebenen
Ressourcenverteilung unvermeidbar sind. Vielmehr kann angesichts der Bedeutung,
die ihr für das Ausmaß der hinzunehmenden Beschränkungen zukommt, auch die
Verteilung der personellen Ressourcen selbst nicht der Prüfung daraufhin entzogen
sein, ob ihr vertretbare, die besondere Situation der Untersuchungsgefangenen
angemessen berücksichtigende sachliche Gründe zugrundeliegen. Eine solche
Prüfung ist nicht erfolgt, obwohl angesichts der erheblichen Unterschiede zwischen
den Aufschlusszeiten für die verschiedenen Gefangenengruppen und der erheblichen
Schlechterstellung gerade der nicht arbeitenden und insofern auf anderweitige
Kontaktmöglichkeiten besonders angewiesenen Untersuchungsgefangenen die
Möglichkeit einer Fehlgewichtung nicht fernlag.
Auch
soweit
allein
die
Situation unterschiedlicher
Gruppen
von
Untersuchungsgefangenen und die gegebene Personalausstattung in diesem
Bereich in den Blick genommen wird, fehlt jede weitere Aufklärung dazu, warum ein
Aufschluss am Abend auf der Station trotz der erforderlichen Telefonkontrolle zwar für
arbeitende
Untersuchungsgefangene, nicht
aber
für
nichtarbeitende
Untersuchungsgefangene möglich sein soll, ob der tatsächliche Anfall von
Überwachungsbedarf für Telefongespräche es erfordert, hierfür den gesamten dafür
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vorgesehenen Zeitraum von 17.00 bis 19.00 Uhr - auf Kosten von Möglichkeiten des
Aufschlusses und des Umschlusses während dieser Zeit - vorzuhalten, und warum
der nachmittägliche Aufschluss für nichtarbeitende Untersuchungsgefangene nur an
drei Wochentagen stattfindet. Auch insoweit finden sich in dem Beschluss des
Landgerichts keinerlei konkrete Ausführungen zu dem mit der Einräumung von
Aufschlusszeiten und mit entgegenstehenden anderen Aufgaben verbundenen Zeit-
und Personalaufwand, die eine Beurteilung der Erforderlichkeit der Einschlusszeiten
erlauben würden.
Dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob die Einräumung erweiterter
Aufschlusszeiten im Wege der individuellen Ausnahme für den Beschwerdeführer
(vgl. BVerfGE 15, 288 <294 f.>; 34, 384 <398, 400>; 42, 95 <102> ; BVerfGK 13, 163
<165>) erforderlich gewesen wäre, ist zwar im Hinblick darauf hinnehmbar, dass der
Beschwerdeführer keinerlei für ihn persönlich sprechende Ausnahmegründe
angeführt hatte. Das Landgericht hat jedoch, obwohl hierzu ein weiterführender
Vortrag vom Beschwerdeführer nicht erwartet werden konnte, auch nicht überprüft, ob
erweiterte Aufschlusszeiten, von denen auch der Beschwerdeführer profitieren
könnte, im Wege der Differenzierung zugunsten von - etwa nach Haftgründen, Art der
vorgeworfenen Delikte, Angewiesenheit auf zusätzliche Kontaktmöglichkeiten
gebildeten - Untergruppen hätten zugelassen werden können und müssen.
b) Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts, der sich auf die
Beschlussbegründung des Landgerichts stützt, verstößt damit ebenfalls gegen Art. 2
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.
c) Ob durch die angegriffenen Entscheidungen weitere Grundrechte des
Beschwerdeführers verletzt worden sind, kann angesichts der bereits festgestellten
Verstöße gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG offenbleiben.
IV.
1. Die angegriffenen Beschlüsse des Oberlandesgerichts und des Landgerichts
beruhen auf den festgestellten Grundrechtsverstößen. Sie sind daher gemäß § 95
Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Lübbe-Wolff
Huber
Kessal-Wulf