Urteil des BVerfG vom 17.09.2014

körperliche unversehrtheit, genfer flüchtlingskonvention, emrk, verordnung

- Bevollmächtigte:
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 732/14 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des Herrn A … ,
2. der Frau A … , ,
Rechtsanwälte Dominik Bender & Dr. Stephan Hocks,
Seilerstraße 17, 60313 Frankfurt am Main -
gegen
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach
vom 27. Februar 2014 - AN 3 S 14.30181 -
und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und
Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Stephan Hocks, Frankfurt am Main
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Huber,
Müller,
Maidowski
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 17. September 2014 einstimmig beschlossen:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von
Rechtsanwalt Dr. H. wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
G r ü n d e :
I.
Die Beschwerdeführer sind äthiopische Staatsangehörige und Eltern eines am
12. Februar 2014 geborenen Sohnes. Sie reisten im März 2013 in die Bundesrepublik
Deutschland ein und stellten einen Asylantrag; zuvor hatten sie bereits in Italien einen
Asylantrag gestellt. Sie wenden sich gegen einen am 3. März 2014 zugestellten
Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. Februar 2014, mit dem ihnen
Eilrechtsschutz gegen die auf § 34a Abs. 1 Satz 1, § 27a AsylVfG gestützte
Anordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 3. Februar
2014 versagt wurde, sie auf Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates
vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung
des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in
einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II) nach Italien
abzuschieben.
1. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag der Beschwerdeführer mit der
Maßgabe ab, dass die angeordnete Abschiebung unter Berücksichtigung einer
zweimonatigen „Mutterschutzfrist“ (in Anlehnung an § 6 MuSchG) nicht vor dem 1. Mai
2014 vollzogen werden dürfe. Eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland
zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung bestehe nicht. Weder
sei ein Ausnahmefall nach dem Konzept der normativen Vergewisserung im Sinne
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 ff.)
gegeben, noch lägen systemische Mängel des italienischen Asyl- und
Aufnahmesystems im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union (vgl. EuGH , Urteil vom 21. Dezember 2011, N.S. ./.
Secretary of State, verb. Rs. C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, S. 417) vor, die
ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass
der Asylbewerber oder Flüchtling tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen
oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der
Europäischen Union ausgesetzt zu werden. Systemische Mängel, die eine
Aussetzung der Abschiebung in Anwendung von Art. 3 der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) gebieten könnten, seien auch nach der
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Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Falle von
Italien aufgrund der Auskunftslage derzeit nicht erkennbar (vgl. EGMR, Beschluss
vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10,
ZAR 2013, S. 336).
2. Die Beschwerdeführer rügen mit ihrer am 3. April 2014 erhobenen
Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 16a Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 23 GG, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit
Art. 23 GG, Art. 3 Abs. 1 GG wegen willkürlicher Verkennung der Vorgaben aus Art. 3
EMRK sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG.
a) Die Beschwerdeführer befürchten unter Bezugnahme insbesondere auf einen
Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu den Aufnahmebedingungen in Italien
vom Oktober 2013, bei einer Rückkehr nach Italien wie die große Mehrheit der
Schutzbedürftigen obdachlos zu werden und keinen Zugang zu Gesundheitsvorsorge
und Nahrungsmitteln zu erhalten. Schutzbedürftige Dublin-Rückkehrer seien einem
sehr hohen Risiko der Verelendung ausgesetzt; ihre Situation sei wesentlich prekärer
als die eines Asylsuchenden, der sich noch im Verfahren befinde. Etwas anderes
gelte allenfalls für besonders schutzbedürftige Personen. Allerdings gälten Familien
mit beiden Elternteilen in Italien nicht als verletzlich. Auch wenn es zu einer
staatlichen Unterbringung kommen sollte, bestehe die Gefahr, dass sie nicht als
Familie untergebracht würden, sondern dass es zu einer Unterbringung von Mutter
und Kind in der einen, des Vaters aber in einer anderen Einrichtung komme. Eine
Trennung der Familie, um die Wahrscheinlichkeit der Unterbringung zu erhöhen,
könne ihnen jedoch nach Art. 8 EMRK nicht zugemutet werden. Gerade im Hinblick
auf ihr neugeborenes Kind erscheine die Vorenthaltung von Gesundheitsversorgung
und Nahrung dramatisch.
b) Das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 23 GG sei verletzt, weil das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgehe, die
Berufung auf das Asyl-Grundrecht werde in Dublin-Fällen durch Art. 16a Abs. 2 GG
ausgeschlossen. Die Dublin-Fälle richteten sich vielmehr allein nach der
- spezielleren - Vorschrift des Art. 16a Abs. 5 GG und den Vorgaben des
- zwischenzeitlich vergemeinschafteten - europäischen Asylsystems. Während
Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG den materiell-rechtlichen Gewährleistungsinhalt des
Grundrechts auf Asyl grundsätzlich einschränke und den Prüfungsmaßstab nach dem
Konzept der normativen Vergewisserung festlege, liege der Kompetenzübertragung
nach Art. 16a Abs. 5 in Verbindung mit Art. 23 GG die Idee zugrunde, dass die
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Bundesrepublik den Gewährleistungsinhalt von Art. 16a Abs. 1 GG einer
europäischen Zuständigkeitsregelung unterwerfe und zugleich an ihr normsetzend
mitwirke. Die Pflichten, die die Bundesrepublik sich mit Art. 16a Abs. 1 GG auferlegt
habe, könne sie danach nur soweit delegieren, wie die Verheißung eines im Gebiet
der Dublin-Verordnung geltenden Flüchtlingsschutzes im anderen Mitgliedstaat auch
wirklich eingelöst werde. Sei dies nicht der Fall, treffe die Bundesrepublik kraft des
wechselseitigen und auf Solidarität sowie Mindeststandards beruhenden
Lastenausgleichssystems die Rolle eines „Ausfallbürgen“. Europäische
Asylstandards würden in Italien jedoch nicht gewahrt; nach allem, was über die
dortige Situation von Asylbewerbern bekannt sei, würden dort entscheidende
Bestimmungen aus der Verfahrens-, Aufnahme- und Qualifikationsrichtlinie ebenso
verletzt wie Gewährleistungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK.
Aus der Pflicht der Bundesrepublik zu gewährleisten, dass die Beschwerdeführer
bei Überstellung an einen Dublin-Zielstaat keine Rechtsverletzungen an anderen
Rechtsgütern erlitten, folge, dass die Bundesrepublik sich derartige
Rechtsverletzungen zurechnen lassen müsse. Ihnen drohe in Italien Obdachlosigkeit
und eine defiziente Gesundheits- und Lebensmittelversorgung, die in die reale Gefahr
der Verelendung führe; hierin liege eine Verletzung sowohl der Menschenwürde aus
Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG als auch eine Gefahr für ihr Leben und ihre körperliche
Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Das Verwaltungsgericht habe im Übrigen
auch gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, indem es die
einfachgesetzlich geltenden Normen der EMRK verfehlt interpretiert habe. In ihrem
Falle sei Art. 3 EMRK zu berücksichtigen gewesen, der mit dem Verbot
„unmenschlicher“ oder „erniedrigender“ Behandlung nach allgemeiner Auffassung
gerade die Situation der Verelendung umschreibe, die durch den Zielstaat der
Überstellung zu unterbleiben habe. Die drohende Trennung der Familie verletze
Art. 6 GG.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die
Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr kommt
keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, und die Annahme ist nicht
zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die
Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90,
22 <25 f.>); sie ist unzulässig (dazu 1. und 2.). Hiervon unabhängig besteht allerdings
Anlass zu dem Hinweis, dass die mit der Rückführung befassten deutschen
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Behörden in dem vorliegenden Einzelfall geeignete Vorkehrungen zum Schutz des
von der Rückführung betroffenen Kleinkindes der Beschwerdeführer zu treffen haben
(dazu 3.).
1. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 16a
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG und Art. 3 Abs. 1 GG wegen willkürlicher
Verkennung der Vorgaben aus Art. 3 EMRK rügen, zeigen sie schon die Möglichkeit
einer Grundrechtsverletzung nicht auf (vgl. zu diesem Erfordernis nur BVerfGE 108,
370 <386 f.>). Die Beschwerdeführer setzen sich mit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 <95 ff.>), des Gerichtshofs der
Europäischen Union (vgl. EuGH , Urteil vom 21. Dezember 2011,
N.S. ./. Secretary of State, verb. Rs. C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, S. 417) und des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR , Urteil
vom 21. Januar 2011, M.S.S. v. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, NVwZ
2011, S. 413; Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande
und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336) nicht auseinander, die der angegriffenen
Entscheidung zugrunde liegt.
2. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 1 Abs. 1
und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 GG sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG
aufgrund einer drohenden Obdachlosigkeit und einer Trennung der Eltern von ihrem
neugeborenen Kind bei einer Abschiebung geltend machen, legen sie nicht
hinreichend substantiiert dar, dass sie in Italien mit Obdachlosigkeit und Trennung
der Familie zu rechnen haben und ihrem Sohn als Folge der Abschiebung mit hoher
Wahrscheinlichkeit erhebliche Gesundheitsgefahren drohen. Es bedarf daher keiner
Klärung, ob dahingehende systemische Mängel des italienischen Aufnahmesystems
bestehen und ob solche strukturelle Defizite in einem Mitgliedstaat der Europäischen
Union einen im Konzept der normativen Vergewisserung nicht aufgefangenen
Sonderfall darstellen können (vgl. dazu nur Moll/Pohl, ZAR 2012, S. 102 <104 ff.>; zu
den Darlegungslasten für die Begründung eines solchen Sonderfalles vgl. BVerfGE
94, 49 <100>). Hierbei wäre ohnehin zu berücksichtigen, dass etwaige mit der
Überforderung des Asylsystems eines Mitgliedstaats der Europäischen Union
verbundene transnationale Probleme vornehmlich auf der Ebene der Europäischen
Union zu bewältigen sind (vgl. BVerfGE 128, 224 <226>).
3. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es allerdings
- unbeschadet der Prüfung, ob einer Zurückweisung oder Rückverbringung eines
Ausländers in einen sicheren Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe
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entgegenstehen - in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden vor
einer solchen mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den
Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen
treffen (vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit
dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem
Gesundheitszustand
eines
Ausländers
folgende
tatsächliche
Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu
beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von
der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung
derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1.
Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998,
S. 241 <242>).
a) Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf
Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den
Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und
Flüchtlinge zu prüfen, ob „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden
kann.
Das
Bundesamt
hat
damit
sowohl
zielstaatsbezogene
Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende
inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene
Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach
§ 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern,
Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04, juris; Hamburgisches OVG,
Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris; VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, S. 310, dort <311>
auch m.w.N. zur a.A.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli
2012 - 2 LB 163/10 -, InfAuslR 2012, S. 383; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 -
10 CE 14.427 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B
215/14 -, juris; zuletzt VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -,
juris).
Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung
vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen
und
Duldungsgründen.
Gegebenenfalls
hat
das
Bundesamt
die
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Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von
deren Vollziehung abzusehen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rn. 4; BayVGH, Beschluss
vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss
vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai
2014 - A 9 K 3615/13 -, juris, Rn. 4).
b) Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit
der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2
Abs. 2 Satz 1 GG ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unter
anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der
Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar
lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte
Vorkehrungen
ausgeschlossen
oder
gemindert
werden
kann.
Diese
Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer
ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im
engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des
Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer
bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das dabei in den Blick zu nehmende
Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten
Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann
denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen
Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu
gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum
Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach
Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats.
In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts
wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu
beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes)
Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine
entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der
notwendigen Vorkehrungen abwehren (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 6. Februar 2008 - 11 S 2439/07 -, InfAuslR 2008, S. 213 <214> unter
Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar
1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241).
Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine
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entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu
treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen
gebieten, sicherzustellen, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im
Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort
allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt,
Beschluss vom 20. Juni 2011 - 2 M 38/11 -, InfAuslR 2011, S. 390 <392>).
c) So liegt es auch im vorliegenden Fall. Bei Rückführungen in sichere Drittstaaten
können hiervon betroffene Ausländer - anders als bei der Rückführung in ihr
Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales
Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer
Rückkehr zurückgreifen. Bestehen - wie gegenwärtig im Falle Italiens - aufgrund von
Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des
Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von
Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren
Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem
angemessen Rechnung zu tragen.
Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt
angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und
Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-
System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten
Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des
Kindeswohls (vgl. nunmehr Erwägungsgrund 16 der neugefassten Verordnung
Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 - Dublin III-Verordnung) jedenfalls bei der
Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 15 Abs. 1 und 2 der Dublin II-
Verordnung und Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum
Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen,
dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um
erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in
besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Huber
Müller
Maidowski