Urteil des BVerfG vom 29.05.2002

verfassungsbeschwerde, kontrolle, faires verfahren, rechtliches gehör

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Hellmut Nonnenmacher und Koll.,
Wendtstraße 17, 76185 Karlsruhe -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 723/99 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn H...
gegen a) den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10.
März 1999 - 4 S 3008/98 -,
b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 5. Oktober 1998 - 12 K
2694/97 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Sommer,
Di Fabio und die Richterin Lübbe-Wolff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 ( BGBl I S. 1473) am 29. Mai 2002 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die eingeschränkte gerichtliche Kontrolle
einer dienstlichen Beurteilung.
1. Der Beschwerdeführer ist zuletzt am 1. Februar 1993 im Alter von 37 Jahren zum
Oberregierungsrat befördert worden. Zum Stichtag 30. September 1993 erfolgte seine
Regelbeurteilung, die mit der Gesamtwertung "entspricht den Anforderungen" (= e.d.A.)
abschloss. Trotz verschiedener Einwendungen des Beschwerdeführers lehnte es der
beklagte Dienstherr mit Bescheid vom 2. Februar 1994 ab, die Regelbeurteilung in "tritt
hervor" abzuändern, unter anderem mit dem Hinweis, acht Monate nach seiner Beförderung
zum Oberregierungsrat habe er sich im Vergleich zu anderen Beamten noch nicht in einem
solchen Maße qualifiziert, dass er bereits mit der nächst höheren Stufe und damit geeignet
für die Beförderung zum Regierungsdirektor hätte beurteilt werden können. Der Präsident der
Oberfinanzdirektion fügte hinzu: "Die Zusammenarbeit mit ihm im Beurteilungszeitraum war
auch in anderen Punkten nicht immer beanstandungsfrei".
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens forderte der Beschwerdeführer vergeblich eine
Konkretisierung des zuletzt genannten Satzes und die Abänderung der Beurteilung.
2. Das Verwaltungsgericht verpflichtete den beklagten Dienstherrn, unter Aufhebung des
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Bescheides vom 2. Februar 1994 und des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1994
über den Antrag des Beschwerdeführers auf Abänderung der dienstlichen Beurteilung vom 3.
Dezember 1993 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
D ie fehlende Erläuterung der pauschalen Bewertung: "Die Zusammenarbeit mit ihm im
Beurteilungszeitraum war auch in anderen Punkten nicht immer beanstandungsfrei" sah das
Verwaltungsgericht als wesentlichen Mangel des Beurteilungsverfahrens an.
Den Hauptantrag des Beschwerdeführers, den beklagten Dienstherrn zu verpflichten, die
dienstliche Beurteilung vom 3. Dezember 1993 durch eine Beurteilung mit der
Gesamtwertung "tritt hervor" zu ersetzen, wies das Verwaltungsgericht ab. Die dienstliche
Beurteilung
sei
ein Akt wertender Erkenntnis, für den dem Beurteiler ein
Beurteilungsspielraum
eingeräumt
sei.
Dafür,
dass ausnahmsweise
der
Beurteilungsspielraum auf Null reduziert und dem Beschwerdeführer die von ihm gewünschte
Gesamtwertung "tritt hervor" zu erteilen sei, spreche nichts.
3. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung lehnte der
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 10. März 1999 ab.
4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, Verwaltungsgericht und
Verwaltungsgerichtshof hätten - insbesondere wenn man die Grundsätze der Entscheidung
BVerfGE 84, 34 zur Kontrolldichte bei berufsbezogenen Prüfungen zugrunde lege - in den
angegriffenen Entscheidungen gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art.
19 Abs. 4 GG in Verbindung mit dem Anspruch auf Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach
d e n Grundsätzen der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG verstoßen. Das
Verwaltungsgericht hätte angesichts der besonderen Umstände des Falles den beklagten
Dienstherrn dazu verpflichten bzw. ihm eindeutig vorgeben müssen, dass die dienstliche
Beurteilung in "tritt hervor" abzuändern sei. Gerügt werden ferner eine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, des Anspruchs auf ein faires
Verfahren sowie Verstöße gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) und das
Rechtsstaatsgebot gemäß Art. 20 Abs. 3 GG.
II.
1. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG für die Annahme der
Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (vgl. BVerfGE 90, 22).
a) Die Verfassungsbeschwerde spricht zwar mit der Forderung, die Kontrolldichte bei
dienstlichen Beurteilungen sei zu verstärken, eine verfassungsrechtliche Frage von über den
Einzelfall hinaus weisender Bedeutung an. Diese lässt sich jedoch anhand der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantworten.
aa) Dienstliche Beurteilungen von Beamten sind nach der ständigen Rechtsprechung der
Verwaltungsgerichte
nur beschränkt
überprüfbar.
Die
verwaltungsgerichtliche
Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich nur darauf zu erstrecken, ob die Verwaltung gegen
Verfahrensvorschriften verstoßen, anzuwendende Begriffe oder den rechtlichen Rahmen, in
dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt
ausgegangen ist, allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen
angestellt hat (vgl. BVerwGE 60, 245 m.w.N.).
Auch nach Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kontrolldichte
bei berufsbezogenen Prüfungen ( BVerfGE 84, 34) hat das Bundesverwaltungsgericht an
seinem Standpunkt festgehalten und eine Übernahme der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zur weiter gehenden Kontrolle bei berufsbezogenen Prüfungen
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auf die gerichtliche Kontrolle von dienstlichen Beurteilungen unter Hinweis auf die
Andersartigkeit des Kontrollgegenstandes grundsätzlich abgelehnt (vgl. dazu Beschluss vom
17. März 1993, DVBl 1993, S. 956; BVerwGE 97, 128 f.; Beschluss vom 17. Juli 1998,
Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 19).
bb) Dies hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand.
Auch im Rahmen der eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle erstreckt
sich diese voll auf den Sachverhalt, soweit Einzelvorkommnisse in der dienstlichen
Beurteilung konkret benannt werden (vgl. BVerwGE 97, 128 <129> und schon BVerwGE 60,
245 <246>). Wird die Beurteilung auf allgemein gehaltene Tatsachenbehauptungen oder auf
allgemeine oder pauschal formulierte Werturteile gestützt, hat der Dienstherr diese auf
Verlangen des Beamten im Beurteilungsverfahren zu konkretisieren bzw. plausibel zu
machen
(so
BVerwGE
60,
245 <251>
m.w.N.).
Im
nachfolgenden
Verwaltungsgerichtsprozess kann das Gericht auch insoweit voll kontrollieren, ob der
Dienstherr von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist (so z.B. BVerwGE 21, 127
<130>; 97, 128 <129>; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. Februar 2000 - 2 A 10.98 -,
ZBR 2000, S. 303 <304>). Soweit eine dienstliche Beurteilung auf reine Werturteile gestützt
wird, kann das Verwaltungsgericht jedoch nicht die Darlegung und den Nachweis der
einzelnen "Tatsachen" verlangen, die dem Werturteil untrennbar miteinander verschmolzen
zugrunde liegen; diese Werturteile selbst sind einer beweismäßigen Prüfung nicht zugänglich
(BVerwGE 60, 245 <249 f.>). Insoweit eröffnet Art. 33 Abs. 2 GG selbst mit den Begriffen
"Eignung, Befähigung und fachliche Leistung" einen Beurteilungsspielraum des Dienstherrn,
der nur eingeschränkter Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. Für dienstliche
Beurteilungen mit Prognosecharakter besteht schon von Verfassungs wegen nur eine
begrenzte verwaltungsgerichtliche Kontrollbefugnis (vgl. BVerfGE 39, 334 <354>).
Art. 19 Abs. 4 GG begründet zwar für jeden Bürger den Anspruch auf eine tatsächlich
wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 <401>). Daraus folgt grundsätzlich die
Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher
Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Andererseits können unbestimmte Gesetzesbegriffe
wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre
Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig sein, dass die
gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt (vgl. BVerfGE 84,
34 <50>). Der Behörde kann in solchen Fällen ohne Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze
ein begrenzter Entscheidungsfreiraum zuzubilligen sein (vgl. BVerfGE 54, 173 <197>; 61, 82
< 1 1 4 > ; 8 3 , 130 <148>). Die gegenwärtige, allgemeine Verwaltungspraxis im
Beurteilungswesen (Bekanntgabe der Beurteilung; Besprechung derselben; Möglichkeit,
Änderungen oder Konkretisierungen von pauschalen Tatsachen und zu pauschalen
Werturteilen zu verlangen sowie das Widerspruchsverfahren) gewährleistet generell
ausreichenden Grundrechtsschutz im Verfahren (vgl. dazu BVerwGE 60, 245 <251, 252>;
Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, 3. Aufl., 2001, Rn.
319 ff., 325 ff., 330 ff.; Schröder/Lemhöfer/Krafft, Das Laufbahnrecht der Bundesbeamten,
Kommentar zur BLV, 2001, § 41 Rn. 34 f.).
Soweit der Beschwerdeführer aus dem Prüfungsentscheidungen betreffenden Beschluss in
BVerfGE 84, 34 ff. die Forderung nach verstärkter gerichtlicher Kontrolle auch von
diens tlic hen Beurteilungen
ableiten
will,
ergibt
sich
auch
hieraus
keine
entscheidungserhebliche Frage von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung. Ob
der
in
dieser Entscheidung
aufgestellte
Grundsatz,
wonach
fachliche
Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfer und Prüfling der gerichtlichen Kontrolle nicht
generell entzogen werden dürfen (a.a.O., S. 34 f.), überhaupt auf dienstliche Beurteilungen
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übertragen
werden
kann,
kann
offen
bleiben, weil die Begründung der
Verfassungsbeschwerde nicht erkennen lässt, inwiefern die Entscheidung von der
Beantwortung dieser Frage abhängt und auch im Übrigen keinen grundrechtlich erheblichen
Fehler in den angegriffenen Entscheidungen aufzeigt.
b) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der vom
Beschwerdeführer als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2
Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde bietet keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
Der Beschwerdeführer macht unter Berufung auf den Grundsatz des fairen Verfahrens
geltend,
das Verwaltungsgericht hätte die Beurteilung (Gesamtnotenbildung) selbst
vornehmen müssen, weil der Dienstherr dem Konkretisierungsverlangen nicht in
angemessener Zeit bzw. bis zur mündlichen Verhandlung nachgekommen und nach fünf
Jahren ohnehin kaum mehr in der Lage gewesen sei, die pauschalen Vorwürfe noch zu
konkretisieren. Hierfür ist aber der genannte Grundsatz, wonach der Richter u.a. nicht aus
i h m zuzurechnenden Verfahrensversäumnissen Verfahrensnachteile für den dadurch
Betroffenen ableiten darf (vgl. BVerfGE 78, 123 <126> m.w.N.), nicht einschlägig.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs, dass im Fall des
Beschwerdeführers eine Reduzierung des Beurteilungsspielraums auf Null nicht vorliege, ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts der eingeschränkten Kontrolldichte
bei der gerichtlichen Überprüfung dienstlicher Beurteilungen kommt eine Abänderung der
Gesamtbewertung durch ein Gericht im Wege eines Verpflichtungsurteils (§ 113 Abs. 5 Satz
1 VwGO) - wenn überhaupt - nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Die hierfür
erforderliche Spruchreife wurde von den angegriffenen Entscheidungen nachvollziehbar
abgelehnt. Insbesondere haben die Gerichte aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens ohne
Verfassungsverstoß den Schluss gezogen, dass es sich bei dem Vorbringen des
Beschwerdeführers, seine Beurteilung zum 30. September 1993 als erst acht Monate zuvor
beförderter Oberregierungsrat habe sich unbestrittenermaßen bereits am oberen Rand der
Bandbreite einer Gesamtbewertung mit "e.d.A" bewegt, um eine "Selbsteinschätzung"
handele, die in den Bescheiden des Dienstherrn keine Stütze finde.
2. Hinsichtlich der weiteren Rügen des Beschwerdeführers wird von einer Begründung
gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Sommer
Di Fabio
Lübbe-Wolff