Urteil des BVerfG vom 09.07.2009

verfassungsbeschwerde, wartefrist, zustellung, mitbewerber

- Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Gertrud Bernhardt,
Aarstraße 141, 65232 Taunusstein -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 706/09 -
In dem Verfahren
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die Verfassungsbeschwerde
des Herrn K ...,
gegen den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. März
2009 - 1 B 2642/08 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Voßkuhle,
den Richter Mellinghoff
und die Richterin Lübbe-Wolff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473 ) am 9. Juli 2009 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Versagung einstweiligen
Rechtsschutzes in einem beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren. Da das
Hessische Ministerium des Innern und für Sport die Ernennungsurkunde dem
ausgewählten Bewerber fünf Tage nach Zustellung der Beschwerdeentscheidung
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ausgehändigt hat, rügt er insbesondere,
dass ihm die Möglichkeit genommen worden sei, Rechtsschutz beim
Bundesverfassungsgericht zu erlangen.
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B.
Die Verfassungsbeschwerde war wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung
anzunehmen. Im Hinblick auf die aus Gründen der Subsidiarität (vgl. BVerfG,
Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. September 2007 – 2 BvR
1586/07 –, NVwZ 2008, S. 70) unzulässige Rüge der verfrühten Aushändigung der
Urkunde
an den Mitbewerber des Beschwerdeführers wird auf Folgendes
hingewiesen:
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass aus Art. 19 Abs. 4 GG
i n Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG eine Verpflichtung des Dienstherrn folgt, vor
Aushändigung der Ernennungsurkunde einen ausreichenden Zeitraum abzuwarten,
um dem unterlegenen Mitbewerber die Möglichkeit zu geben, Eilantrag, Beschwerde
oder Verfassungsbeschwerde zu erheben, wenn nur so die Möglichkeit der
Gewährung effektiven Rechtsschutzes besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der
1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 2007 – 2 BvR 206/07 –, NVwZ 2007,
S. 1178; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. September
2007 – 2 BvR 1586/07 –, NVwZ 2008, S. 70; vgl. auch BVerfGK 5, 205 <210> zur
Notarstellenbesetzung). Zwar stellt die Verfassungsbeschwerde keinen zusätzlichen
Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren, sondern einen außerordentlichen
Rechtsbehelf zur Abwehr von Eingriffen der öffentlichen Gewalt in das vermeintlich
verletzte Grundrecht dar (vgl. BVerfGE 94, 166 <213 f.>; 107, 395 <413>; 115, 81
<92> ; stRspr). Gleichwohl ist der Dienstherr grundsätzlich zur Einhaltung einer
ausrei chenden und
angemessenen
Wartefrist
vor
Aushändigung
der
Ernennungsurkunde
verpflichtet,
um
dem
im
fachgerichtlichen
Konkurrentenstreitverfahren unterlegenen Bewerber die Chance zur Erhebung einer
Verfassungsbeschwerde zu geben. Dies ergibt sich aus den Fortwirkungen des
Bewerbungsverfahrensanspruchs aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 19
Abs. 4 GG, der dem Beamten das Recht zur gerichtlichen Überprüfung einer
dienstrechtlichen Auswahlentscheidung verleiht (vgl. BVerfGE 39, 334 <354> ;
BVerfGK 1, 292 <295 f.>; BVerfGK 10, 474 <477>), in Zusammenschau mit der
Fürsorgepflicht des Dienstherrn aus Art. 33 Abs. 5 GG (vgl. hierzu BVerfGE 43, 154
<165 f.>; 46, 97 <117>; 83, 89 <100>; 106, 225 <232>) sowie dem Gedanken des
Rechtsmissbrauchs unter dem Gesichtspunkt der Vereitelung der Inanspruchnahme
verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Durch die umgehende Ernennung des
Mitbewerbers wird dem unterlegenen Konkurrenten nämlich faktisch die Möglichkeit
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genommen,
die
Besetzung
der
ausgeschriebenen
Stelle
durch eine
verfassungsgerichtliche Eilentscheidung zu verhindern (BVerfG, Beschluss der
1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 2007 – 2 BvR 206/07 –, NVwZ 2007,
S. 1178 <1179>; vgl. auch BVerfGK 5, 205 <210 f.> zur Notarstellenbesetzung).
Im Fall dringender dienstlicher Bedürfnisse können Ausnahmen von der
grundsätzlich anzuerkennenden Wartefrist gegeben sein. Diese entziehen sich
allerdings – ebenso wie die Bestimmung der Länge der Wartefrist – einer
schematischen Beurteilung; vielmehr kommt es maßgeblich auf die Umstände des
Einzelfalls an. Dabei sind das Interesse des Beschwerdeführers an der
Inanspruchnahme verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes und das Interesse
seines Dienstherrn an einer zeitnahen Stellenbesetzung gegeneinander abzuwägen.
Eine Frist von zwei Tagen genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen
jedenfalls nicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom
9. Juli 2007
– 2 BvR 206/07 –, NVwZ 2007, S. 1178 <1179>). In der obergerichtlichen
Rechtsprechung hat sich teilweise eine Wartefrist von zwei Wochen nach Zustellung
der zweitinstanzlichen Eilentscheidung eingebürgert, zu deren Begründung auf eine
Analogie zu § 147 Abs. 1 VwGO rekurriert wird (Hess. VGH, Beschluss vom
4. September 2007 – 1 TG 208/07 –, juris, Rn. 8). Zur Vermeidung von
Missverständnissen ist allerdings darauf hinzuweisen, dass für die Einlegung der
Verfassungsbeschwerde die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG gilt, die der
Beschwerdeführer zur Substantiierung seines Vortrags bzw. gegebenenfalls zur
Nachreichung von Unterlagen ausschöpfen kann. Des Weiteren muss dem
Bundesverfassungsgericht ein hinreichender zeitlicher Spielraum für eine – zügige –
Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde bzw. über den Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung verbleiben. Dies ist bei der Einhaltung der im
Einzelfall maßgeblichen Frist zu berücksichtigen.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Voßkuhle
Mellinghoff
Lübbe-Wolff