Urteil des BVerfG vom 11.05.2004

verfassungsbeschwerde, gemeindeordnung, erfüllung, verfahrensart

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. S... -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 693/04 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Gemeinde O...
gegen a) den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5.
März 2004 – 10 LA 49/03 -,
b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 12. Februar 2003 – 5
A 243/02 –,
c) mittelbar: § 77 Abs. 1 der Niedersächsischen Gemeindeordnung
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 ( BGBl I S. 1473 )am 11. Mai 2004 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Beschwerdeführerin wird eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 1.000 EURO (in
Worten: eintausend Euro) auferlegt.
Gründe:
I.
Die
Beschwerdeführerin
ist
Mitgliedsgemeinde einer niedersächsischen
Samtgemeinde. Auf Grund eines Beschlusses ihres Rates erklärte sie gegenüber der
Samtgemeinde ihren Austritt aus der Samtgemeinde und bat diese, ihre
Hauptsatzung entsprechend zu ändern. Eine solche Änderung lehnte die
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Samtgemeinde ab.
Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Klage mit dem Antrag festzustellen, dass
sie nicht mehr Mitglied der Samtgemeinde sei. Das Verwaltungsgericht Lüneburg
wies diese Klage ab. An der rechtmäßigen Bildung der Samtgemeinde und der
ursprünglichen Mitgliedschaft der Beschwerdeführerin bestünden keine Zweifel. Eine
Mitgliedsgemeinde könne ihre Zugehörigkeit zur Samtgemeinde nicht durch eine
einseitige Austritts- oder Kündigungserklärung beenden. § 77 Abs. 1 NGO verlange
vielmehr neben dem Einverständnis der ausscheidenden Gemeinde eine Änderung
der Hauptsatzung der Samtgemeinde, die nur zulässig sei, wenn Gründe des
öffentlichen Wohls nicht entgegenstünden. Die Hauptsatzung sei indes nicht geändert
worden.
Den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung lehnte das
Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ab. Ein Zulassungsgrund bestehe nicht,
weil der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht geeignet sei, die Richtigkeit des
angefochtenen Urteils in Zweifel zu ziehen.
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, die
Anwendung der Niedersächsischen Gemeindeordnung durch das Verwaltungsgericht
und das Oberverwaltungsgericht verletze Art. 28 GG. Es verstoße gegen ihr Recht auf
Selbstverwaltung und auch gegen das Demokratieprinzip, dass eine Gemeinde nicht
allein über ihr Verbleiben in einer Samtgemeinde entscheiden könne, sondern von
e i n e r Entscheidung der Samtgemeinde abhängig sei. Die Vorschriften der
Niedersächsischen
Gemeindeordnung,
die
ein
Ausscheiden aus einer
Samtgemeinde nicht durch einseitige Erklärung der Gemeinde ermöglichten, seien
mit Art. 28 Abs. 2 GG nicht vereinbar.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein
Annahmegrund fehlt. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt ihr
nicht zu, und sie dient auch nicht der Durchsetzung der Rechte der
Beschwerdeführerin aus Art. 28 GG. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht
auf Erfolg.
Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unzulässig. Die Beschwerdeführerin
hat die Voraussetzungen, die an eine zulässige Verfassungsbeschwerde einer
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Gemeinde zu stellen sind, in mehrfacher Hinsicht grob verkannt.
1. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Bestimmungen der
Niedersächsischen
Gemeindeordnung wendet, die das Ausscheiden einer
Mitgliedsgemeinde aus einer Samtgemeinde regeln, benennt sie ein Landesgesetz
a l s tauglichen
Prüfungsgegenstand
einer
Verfassungsbeschwerde. Die
Verfassungsbeschwerde gegen ein Landesgesetz kann aber nach Art. 93 Abs. 1
Nr. 4b GG, § 13 Nr. 8a, § 91 Satz 2 BVerfGG zum Bundesverfassungsgericht nur
dann erhoben werden, wenn eine Beschwerde wegen der Verletzung des Rechts auf
Selbstverwaltung
zum
Landesverfassungsgericht
nicht
möglich ist. Die
Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist insoweit subsidiär
gegenüber einem Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht. Daran scheitert die
Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin, denn Art. 54 Nr. 5
NV, § 8 Nr. 10, § 36 Nds. StGHG sehen eine zum Niedersächsischen
Staatsgerichtshof zu erhebende Verfassungsbeschwerde von Gemeinden wegen
einer Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung durch ein Landesgesetz vor.
2. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die ergangenen gerichtlichen
Entscheidungen wendet, ist ihre Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sich die
Verfassungsbeschwerde einer Gemeinde nur gegen ein Gesetz richten kann (Art. 93
Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 1 BVerfGG). Andere Maßnahmen öffentlicher Gewalt als
Rechtsnormen können in dieser Verfahrensart nicht zur Prüfung durch das
Bundesverfassungsgericht gestellt werden.
IV.
Das Auferlegen einer Missbrauchsgebühr beruht auf § 34 Abs. 2 BVerfGG. Die
Beschwerdeführerin
hat die
Voraussetzungen
der
Zulässigkeit
einer
Verfassungsbeschwerde, die sich aus dem klaren Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b
GG und des § 91 BVerfGG ergeben, so eklatant missachtet, dass ihre
Verfassungsbeschwerde als missbräuchlich zu beurteilen ist.
Es ist Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, grundsätzliche Verfassungsfragen
zu entscheiden, die für das Staatsleben und die Allgemeinheit von Bedeutung sind,
und
- wo nötig - die Grundrechte des Einzelnen durchzusetzen. Das
Bundesverfassungsgericht ist nicht gehalten hinzunehmen, dass es in der Erfüllung
dieser Aufgaben durch - wie hier - an gravierenden Zulässigkeitsmängeln leidende
Verfassungsbeschwerden behindert wird (stRspr; vgl. z.B. BVerfG, NJW 1995, S.
1418, NStZ 1998, S. 363). Der Beschwerdeführerin war zuzumuten, wenigstens durch
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i h r e n anwaltlichen Vertreter vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde die
Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts
zu
den
Zulässigkeitsvoraussetzungen der Kommunalverfassungsbeschwerde zu ermitteln.
E i n e Sorgfaltspflichtverletzung ihres Verfahrensbevollmächtigten muss sich die
Beschwerdeführerin
zurechnen
lassen.
Sollte
die Einlegung
der
Verfassungsbeschwerde auf unzulänglicher anwaltlicher Beratung beruhen, mag die
Beschwerdeführerin gegebenenfalls einen Regressanspruch geltend machen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Osterloh
Mellinghoff