Urteil des BVerfG vom 20.12.1998

subjektives recht, verfassungsbeschwerde, ngo, gemeindeordnung

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Mathias Middelberg,
Ernst-Sievers-Straße 70, Osnabrück -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 69/98 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des Herrn B.,
2. des Herrn H.,
3. des Herrn J.,
4. der Frau J.,
5. des Herrn Dr. L.,
6. des Herrn Me.,
7. des Herrn Mi.,
8. des Herrn Dr. P.,
9. des Herrn S.,
gegen § 61 Abs. 3 Nr. 3 Niedersächsische Gemeindeordnung - NGO - in der Fassung
vom 22. Mai 1996 (Nds.GVBl S. 382)
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin
Präsidentin Limbach
und die Richter Kirchhof,
Jentsch
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 ( BGBl I S. 1473)
am 20. Dezember 1998 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Wahl der in Niedersachsen direkt von den
Gemeindebürgern zu wählenden hauptamtlichen Bürgermeister und richtet sich unmittelbar
gegen § 61 Abs. 3 Nr. 3 der Niedersächsischen Gemeindeordnung i.d.F. vom 22. August
1996 (Nds.GVBl S. 382 - NGO). Nach dieser Vorschrift werden die hauptamtlichen
Bürgermeister im Falle vorzeitiger Neuwahlen für den Rest der laufenden und der folgenden
Wahlperiode der Ratsmitglieder gewählt. Die Beschwerdeführer sehen sich durch diese
Regelung in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.
20 Abs. 1 und 2 und Art. 28 Abs. 1 GG verletzt. Hierzu rügen sie im einzelnen, die
angegriffene Regelung könne zu einer Amtszeit von bis zu zehn Jahren führen, was sowohl
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mit dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2, 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG) als auch mit
dem Grundsatz der freien Wahl (Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Art. 38 Abs. 1 GG) unvereinbar sei.
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Den
Beschwerdeführern steht für ihre Rüge kein mit der Verfassungsbeschwerde zum
Bundesverfassungsgericht rügefähiges Recht zur Seite (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs.
1 BVerfGG).
1. Art. 38 Abs. 1 GG ist schon deshalb nicht einschlägig, weil diese Bestimmung
unmittelbar nur die Wahlen zum Deutschen Bundestag erfaßt und eine analoge Anwendung
a u f Wahlen und Abstimmungen in den Ländern mit Rücksicht auf die selbständigen
Verfassungsräume von Bund und Ländern ausscheidet (vgl. BVerfG, Beschluß des Zweiten
Senats vom 16. Juli 1998 - 2 BvR 1953/95 - S. 10 f. des Umdrucks).
2. Allerdings haben die Länder bei der Regelung des Wahlrechts auch auf kommunaler
Ebene den Homogenitätsvorgaben des Art. 28 GG und damit insbesondere dem
Demokratieprinzip und den Wahlrechtsgrundsätzen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG zu
genügen.
Jedoch
vermitteln
diese Vorgaben dem Einzelnen keine mit der
Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht einforderbaren rügefähigen
subjektiven Rechtspositionen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG; vgl. auch Beschluß vom 16. Juli
1998, aaO, S. 11 und 16 ff.). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer können diese
objektivrechtlichen Verfassungsgebote auch nicht über die in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte
allgemeine Handlungsfreiheit als subjektives Recht eingefordert werden. Mit seinem
Wahlrecht übt der Bürger die vom Volk ausgehende Staatsgewalt aus. Die Wahrnehmung
dieses Rechts ist nicht Teil der jedem Menschen gewährleisteten freien Entfaltung seiner
Persönlichkeit. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist umfassender Ausdruck der persönlichen
Freiheitssphäre des Menschen und unterscheidet sich damit grundlegend von den im
Grundgesetz gewährleisteten politischen Rechten des Aktiv-Status (vgl. BVerfGE 49, 15
<23>; Beschluß vom 16. Juli 1998, aaO, S. 11).
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach
Kirchhof
Jentsch