Urteil des BVerfG vom 20.03.2013

unterbringung, verfassungsbeschwerde, rechtswidrigkeit, körperliche unversehrtheit

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dirk Thenhausen,
in Sozietät Rechtsanwälte Schneider, Lindrath, Thenhausen
Herforder Straße 74, 33602 Bielefeld -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 67/11 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn R...
gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. November 2010
- 1 Vollz (Ws) 588/10 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 21. September 2010 - 33i
StVK 361/10 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Lübbe-Wolff,
den Richter Landau
und die Richterin Kessal-Wulf
am 20. März 2013 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Landgerichts Aachen vom 21. September 2010 - 33i StVK
361/10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19
Absatz 4 des Grundgesetzes, soweit darin der Antrag des Beschwerdeführers, die
Rechtswidrigkeit der gemeinsamen Unterbringung mit einem Raucher festzustellen,
verworfen wurde.
Der Beschluss des Landgerichts wird insoweit aufgehoben und die Sache wird an
das Landgericht Aachen zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts
Hamm vom 23. November 2010 - 1 Vollz (Ws) 588/10 - wird damit gegenstandslos.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die Hälfte der
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notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Bedingungen der Haftraumunterbringung
des Beschwerdeführers.
1. Der Beschwerdeführer wurde am 30. März 2010 von der Justizvollzugsanstalt
Werl in die Justizvollzugsanstalt Aachen verlegt. Am 13. April 2010 wurde er in einem
Raum mit drei Mitgefangenen untergebracht, von denen einer Raucher war. Am
selben Tag beantragte er die Verlegung in einen Einzelhaftraum. Nach Ablehnung
des Antrags seitens der Justizvollzugsanstalt stellte er mit Schriftsatz vom 16. April
2010 Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Abs. 1 StVollzG). Im
Gemeinschaftsraum könne er sich seinem Fernstudium nicht mit der erforderlichen
Ruhe widmen, was dazu führe, dass er Kurse im nächsten Semester erneut belegen
müsse, wodurch zusätzliche Kosten entstünden. Aufgrund einer Störung - unter
anderem einer Angststörung -, die sich haftbedingt entwickelt habe, sei in der
Vergangenheit seine Einzelunterbringung aus medizinischen Gründen verfügt
worden. Zudem sei er aus Sicherheitsgründen in die Justizvollzugsanstalt Aachen
verlegt worden, weil die frühere Justizvollzugsanstalt für seine Sicherheit nicht mehr
habe garantieren können. Aufgrund seines erlernten Berufs als Polizeibeamter hätten
während der gesamten Haftzeit Bedrohungen, Beleidigungen und Nötigungen
seitens der Mitinhaftierten zur Tagesordnung gehört. Zudem sei er durch die
gemeinsame Unterbringung mit einem Raucher schädlichem Passivrauchen
ausgesetzt. Sollte die Justizvollzugsanstalt sich nicht im Stande fühlen, kurzfristig
einen Einzelhaftraum zur Verfügung zu stellen, behalte er sich die Feststellung der
Rechtswidrigkeit in einem separaten Verfahren vor.
Die Justizvollzugsanstalt, der mit gerichtlichem Schreiben vom 10. Mai 2010
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, nahm unter dem 14. Mai 2010
dahingehend Stellung, dass in der Sache Erledigung eingetreten sei. Der
Beschwerdeführer sei seit dem 12. Mai 2010 allein untergebracht. Wie aus dem
Vermerk eines Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Werl - vom Beschwerdeführer
mit der Verfassungsbeschwerde nicht vorgelegt - ersichtlich sei, sei der
Beschwerdeführer auf eigenen Wunsch in die Justizvollzugsanstalt Aachen verlegt
worden. Es sei ihm erläutert worden, dass eine Einzelunterbringung nicht zeitnah
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umgesetzt werden könne. Hiermit habe er sich ausdrücklich einverstanden erklärt.
Der Beschwerdeführer erwiderte hierauf mit Schriftsatz vom 26. Mai 2010, dass er
die Feststellung der Rechtswidrigkeit beantrage. Hintergrund hierfür sei auch die
Tatsache, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit einem weiteren zivilrechtlichen
Folgenbeseitigungsverfahren diene. Zwar ergebe sich aus der beigefügten Anlage,
dass er einer Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Aachen zugestimmt habe. Diese
Zustimmung sei jedoch unter den Vorbehalt „entsprechende(r) Voraussetzungen“
gestellt worden, zu denen die zeitnahe Zuweisung eines Einzelhaftraums gehört
habe. Es sei festzustellen, dass die Justizvollzugsanstalt auf das Bekanntwerden des
Antrags auf gerichtliche Entscheidung sofort reagiert habe, obwohl ihm noch am
15. April 2010 eröffnet worden sei, dass die Zuweisung eines Einzelhaftraumes
geraume Zeit in Anspruch nehmen würde. Dies sei ein Beweis dafür, dass die
Rechtswidrigkeit der Maßnahme bekannt gewesen sei. Zudem bleibe festzuhalten,
dass er rechtswidrig gemeinsam mit einem Raucher untergebracht gewesen sei. Es
stehe der Verdacht der fahrlässigen Körperverletzung im Amt im Raum. Hieraus
ergebe sich auch das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit
der Maßnahme. Die aufgezwungene Situation des Passivrauchens lasse
Schadensersatzansprüche entstehen, die in einem anderen Verfahren auf der
Grundlage der Feststellung der Rechtswidrigkeit gemäß § 115 Abs. 3 StVollzG
durchgesetzt werden sollten.
Die Justizvollzugsanstalt erklärte mit Schreiben vom 20. August 2010, dass keine
Veranlassung bestehe, an der Richtigkeit des Vermerks der Justizvollzugsanstalt
Werl zu zweifeln. Der Beschwerdeführer sei im Rahmen des Belastungsausgleichs in
d i e Justizvollzugsanstalt Aachen verlegt worden; diese Verlegung habe zwar mit
seinem Wunsch, wegen angeblicher Bedrohungen verlegt zu werden, korrespondiert,
dieser sei aber nicht der Anlass für seine Verlegung gewesen. Soweit der
Beschwerdeführer zur Begründung seines Feststellungsantrags nicht mehr auf
mögliche Schadensersatzansprüche wegen nicht erreichter Studienziele abstelle,
sondern den Nichtraucherschutz in den Vordergrund stelle, sei auszuführen, dass
selbstverständlich der Nichtraucherschutz in der dortigen Anstalt mit der notwendigen
Konsequenz gewährleistet werde; es solle nicht der Eindruck aufkommen, die
Gesundheitsgefahren
des
Passivrauchens
würden relativiert. In diesem
Zusammenhang verwundere allerdings, dass der Beschwerdeführer selbst
Umschluss mit Rauchern wahrgenommen habe und wahrnehme und sich damit den
Gefahren des Passivrauchens freiwillig aussetze. Vor diesem Hintergrund dürften
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einem Schadensersatzanspruch jegliche Erfolgsaussichten fehlen. Zudem habe der
Beschwerdeführer selbst vorgetragen, dass er nur mit einem Gelegenheitsraucher auf
dem Haftraum untergebracht worden sei, so dass sich die Belastung durch
Passivrauchen auf einem zu vernachlässigenden Niveau befunden haben dürfte.
Der Beschwerdeführer erwiderte darauf unter anderem, dass er während des
Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt Aachen zweimal Umschluss bei einer
einzigen Person gemacht habe; diese habe aus Rücksicht während des
Umschlusses nicht geraucht. Auch wenn er dargelegt habe, dass es sich bei dem
Raucher
auf
dem gemeinsamen Haftraum um einen so genannten
Gelegenheitsraucher gehandelt habe, bedeute dies nicht zwangsläufig, dass dieser
nur gelegentlich geraucht habe. Für ihn, den Beschwerdeführer, sei ein
Gelegenheitsraucher jemand, der nicht Kettenraucher sei, also ein „normaler
Raucher“.
2. Das Landgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 21. September 2010
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag (§ 115
Abs. 3 StVollzG) sei mangels berechtigten Interesses an der Feststellung der
Rechtswidrigkeit
unzulässig.
Ein
solches Interesse bestehe, wenn der
diskriminierende Charakter der Maßnahme anhalte, die angefochtene Maßnahme
sich später für den Antragsteller nachteilig auswirken könne, eine sich konkret
abzeichnende Wiederholungsgefahr bestehe oder die Feststellung der Vorbereitung
anderer Prozesse, namentlich der Geltendmachung von Amtshaftungs- und
Schadensersatzansprüchen, diene. Die Unterbringung in dem Gemeinschaftsraum
habe jedoch für den Beschwerdeführer weder konkrete Folgen noch wirke sie sich
jetzt nachteilig für ihn aus. Hinreichende eine Wiederholungsgefahr begründende
Tatsachen seien dem Gericht nicht bekannt. Ferner sei auch kein
Feststellungsinteresse wegen einer schwerwiegenden Grundrechtsverletzung
anzunehmen. Eine solche werde nur bei menschenunwürdiger Unterbringung in
einer Gemeinschaftszelle bejaht, die hier angesichts der Größe (29,93 qm bei 4-
Personen-Zelle) und Ausstattung (abgetrennter und gesondert belüfteter
Sanitärbereich) nicht gegeben sei. Schließlich sei auch ein Feststellungsinteresse
zur
Vorbereitung
der Geltendmachung
von
Amtshaftungs-
und
Schadensersatzansprüchen nicht erkennbar, da ein hierauf gerichteter Zivilprozess
ohne Erfolgsaussicht sei. Schon zu einem durch die gemeinschaftliche Unterbringung
entstandenen Schaden sei nicht substantiiert vorgetragen worden. Soweit ersichtlich,
stelle der Beschwerdeführer insoweit lediglich auf eine Gesundheitsbeschädigung
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durch
die
Gefahren
des
Passivrauchens ab, nicht mehr durch die
Gemeinschaftsunterbringung an sich. Insoweit fehle es schon an näherem Vortrag, ab
welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang einer der Mitgefangenen geraucht habe.
Bedeutung komme auch dem Umstand zu, dass der Antragsteller seinen
Mitinhaftierten als Gelegenheitsraucher bezeichnet habe. Vor diesem Hintergrund
dürften allenfalls geringfügige Folgen des Passivrauchens zu verzeichnen sein.
Darauf komme es jedoch nicht entscheidend an, da der Beschwerdeführer nach
Auffassung des Landgerichts einen möglichen Schaden jedenfalls in weit
überwiegendem Umfang selbst zu vertreten habe. Denn nach dem überzeugenden
Vortrag der Justizvollzugsanstalt, dem der Beschwerdeführer lediglich pauschal
verneinend entgegengetreten sei, habe der Beschwerdeführer sich im Zuge seiner
Verlegung ausdrücklich damit einverstanden erklärt, dass er nicht sofort einen
Einzelhaftraum zugewiesen bekomme. Dies ergebe sich eindeutig aus dem von der
Justizvollzugsanstalt vorgelegten Vermerk der Justizvollzugsanstalt Werl.
Selbst bei Bejahung eines Feststellungsinteresses sei der Antrag aus den zuvor
genannten Gründen jedenfalls unbegründet. Namentlich sei die ursprünglich
angefochtene Maßnahme, die Unterbringung in einem Gemeinschaftshaftraum vom
1. April bis 11. Mai 2010, nicht rechtswidrig gewesen. Von einer weiteren Begründung
der Entscheidung werde insoweit gemäß § 115 Abs. 1 Satz 4 StVollzG abgesehen,
da das Landgericht insoweit vollumfänglich der Begründung der angefochtenen
Entscheidung in der Fassung der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 14.
Mai 2010, 25. Juni 2010 und 20. August 2010 folge.
3. Mit der Rechtsbeschwerde machte der Beschwerdeführer geltend, dass der
gemeinschaftlichen Unterbringung § 18 Abs. 1 StVollzG entgegengestanden habe.
Die ausdrücklich als „Übergangsvorschrift“ gefasste Regelung des § 201 Nr. 3 Satz 1
StVollzG sei inzwischen - nach fast 34 Jahren - nicht mehr geeignet, die Abweichung
von der Regel des § 18 Abs. 1 StVollzG zu rechtfertigen. Die gemeinschaftliche
Unterbringung sei zudem wegen des erzwungenen Passivrauchens rechtswidrig
gewesen. Das Landgericht habe verkannt, dass die vermeintliche Einwilligung in die
gemeinschaftliche Unterbringung jedenfalls nicht die Unterbringung mit einem
Raucher decke. Diese sei nach § 3 Abs. 5 Satz 2 NiSchG NW, wonach bei der
Belegung eines Haftraumes mit mehr als einer Person das Rauchen in diesem
Haftraum nicht zulässig sei, wenn eine der in dem Haftraum untergebrachten
Personen Nichtraucher sei, eindeutig rechtswidrig. Im Übrigen sei auch ein
fortbestehendes Rechtsschutzinteresse gegeben. Wie das Bundesverfassungsgericht
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erst unlängst in einem Verfahren festgestellt habe, in dem es um die rechtswidrige
Inhaftierung
eines
Bürgers
gegangen
sei,
fehle
das erforderliche
Rechtsschutzinteresse an einer Sachentscheidung nicht etwa deshalb, weil der
Beschwerdeführer in dem entschiedenen Verfahren zwischenzeitlich aus der Haft
entlassen worden und der Freiheitseingriff beendet sei. Genauso liege der Fall hier.
Er, der Beschwerdeführer, müsse gewärtigen, dass er erneut mit anderen
(rauchenden) Gefangenen untergebracht werde.
4. Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 23. November
2010 die Rechtsbeschwerde als unzulässig, da es nicht geboten sei, die
Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
5. Mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der
Beschwerdeführer den Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 19 Abs. 4,
Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 GG. Die Unterbringung im Gemeinschaftshaftraum
sei mangels Rechtsgrundlage unabhängig von dem erzwungenen Passivrauchen
rechtswidrig; durch die Übergangsvorschrift des § 201 Nr. 3 StVollzG könne sie heute
nicht mehr gerechtfertigt werden. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse nach
Erledigung bestehe insbesondere dann, wenn die Maßnahme diskriminierend wirke.
Soweit ein Gefangener entgegen den Regelungen des Nichtraucherschutzgesetzes
mit anderen Gefangenen zusammengelegt werde, die rauchten, könne nur von einer
schweren Missachtung der Menschenwürde gesprochen werden; zudem dürfte auch
ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vorliegen. Dass hiergegen
Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen müssten, auch im Rahmen einer
Fortsetzungsfeststellungsklage, könne nur als denknotwendig bezeichnet werden, da
anderenfalls die Grundrechte des Beschwerdeführers leerlaufen würden. Zudem
müsse er, wenn ihm eine Fortsetzungsfeststellung verwehrt würde, Wiederholung
gewärtigen.
6. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit zur
Stellungnahme.
II.
1. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich dagegen richtet, dass das Landgericht
den Antrag des Beschwerdeführers insoweit abgewiesen hat, als dieser die
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Gemeinschaftsunterbringung als solcher
begehrt hat, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit unzulässig, weil sie nicht hinreichend
substantiiert begründet ist. Zur ausreichenden Substantiierung gehört die Vorlage
oder inhaltliche Wiedergabe von Dokumenten, auf die eine angegriffene
Entscheidung sich bezieht und ohne Kenntnis von deren Inhalt nicht beurteilt werden
kann, ob Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt wurden (vgl. BVerfGE 112, 304
<314> ; BVerfGK 5, 170 <171>). Das Landgericht hat angenommen, dass -
abgesehen
vom
Fehlen
eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses - der
Fortsetzungsfeststellungsantrag des Beschwerdeführers auch unbegründet sei, und
zur Begründung auf die Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt vom 14. Mai 2010,
vom 25. Juni 2010 und vom 20. August 2010 verwiesen. Eine dieser Stellungnahmen
- die vom 25. Juni 2010 - legt der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde
nicht vor; auch hat er den Vermerk der Justizvollzugsanstalt Werl betreffend sein
Einverständnis
mit der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Aachen der
Verfassungsbeschwerde nicht beigelegt. Aus den vorgelegten Unterlagen ist
ersichtlich, dass im fachgerichtlichen Verfahren gerade umstritten war, ob der
Beschwerdeführer der gemeinschaftlichen Unterbringung im Falle seiner Verlegung
nach Aachen zugestimmt hatte beziehungsweise ob eine erteilte Zustimmung die
gemeinschaftliche Unterbringung für einen so langen Zeitraum deckte, wie sie
tatsächlich stattfand. Da die diese Frage betreffenden Unterlagen vom
Beschwerdeführer nicht vorgelegt wurden, kann die Frage, ob das Landgericht ohne
Grundrechtsverstoß davon ausgehen durfte, dass die gemeinschaftliche
Unterbringung als solche von den gesetzlichen Vorschriften gedeckt war, nicht
beurteilt werden.
2. Soweit das Landgericht im angegriffenen Beschluss den Antrag des
Beschwerdeführers, die Rechtswidrigkeit der gemeinsamen Unterbringung mit einem
Raucher im Zeitraum vom 13. April 2010 bis 11. Mai 2010 festzustellen, verworfen
hat, wird die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur
Entscheidung angenommen. Die Annahme zur Entscheidung ist insoweit zur
Durchsetzung
der
Grundrechte
des
Beschwerdeführers
angezeigt. Die
Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen insoweit vor
(§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die diesbezügliche verfassungsrechtliche Beurteilung
maßgeblichen
verfassungsrechtlichen
Fragen
sind
durch
das
Bundesverfassungsgericht geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zur
Entscheidung angenommen wird, zulässig und in einem die Kammerzuständigkeit
begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) offensichtlich begründet.
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a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht die Nichtvorlage der
Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Aachen vom 25. Juni 2010 und des
Vermerks der Justizvollzugsanstalt Werl nicht entgegen, weil sich auch ohne
Kenntnis des näheren Inhalts dieser Unterlagen beurteilen lässt, dass das
Landgericht in seiner Beurteilung des vom Beschwerdeführer beanstandeten Zwangs
z u m Passivrauchen von verfassungsrechtlich nicht haltbaren Voraussetzungen
ausgegangen ist.
b) Im zur Entscheidung angenommenen Umfang ist die Verfassungsbeschwerde
begründet. Soweit im angegriffenen Beschluss des Landgerichts das Begehren des
Beschwerdeführers, die Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung mit einem Raucher
feststellen zu lassen, verworfen wurde, verletzt der Beschluss das Grundrecht des
Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG.
aa) (1) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet die Effektivität des Rechtsschutzes. Der
Bürger hat einen substanziellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle
(vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 104, 220 <231 ff.> ; stRspr). Der Zugang zu den
staatlichen Gerichten darf nicht in einer Weise erschwert werden, die sich aus
Sachgründen nicht rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 96, 27 <39> ; ''104, 220 <232>;
125, 104 <137> ). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es allerdings
prinzipiell vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden
Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen. Daher ist es grundsätzlich nicht zu
beanstanden, wenn die Fachgerichte bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes
einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses annehmen (vgl. BVerfGE 104, 220 <232> ).
Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach
gerichtlicher Entscheidung aber fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an
der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist (vgl. BVerfGE
104, 220 <232 ff.> ).
Ein Rechtsschutzinteresse besteht trotz Erledigung unter anderem dann fort, wenn
ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass
gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt
erlangt werden kann (vgl. BVerfGE 96, 27 <39 f.> ; 110, 77 <86>; 117, 71 <122 f. >; für
den Bereich des Haftvollzuges BVerfGK 11, 54 <59>; BVerfG, Beschlüsse der
3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. November 2010 - 2 BvR 2111/09 -, juris; vom
3. August 2011 - 2 BvR 1739/10 -, juris; vom 7. März 2012 - 2 BvR 988/10 -, StraFo
2012, S. 129 <130>; vom 28. Oktober 2012 - 2 BvR 737/11-, juris). Nur so kann
verhindert werden, dass Rechte - und insbesondere Grundrechte - in bestimmten
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Konstellationen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt
bleiben. In diesem Zusammenhang kann auch von Bedeutung sein, ob - wie es in
Strafvollzugssachen häufig und in einem gewissen Maß sogar zwangsläufig
vorkommt - der Antragsgegner, ohne die Rechtswidrigkeit einer zuvor ergriffenen
Maßnahme anzuerkennen, die Erledigung des darüber geführten Rechtsstreits selbst
herbeigeführt hat. Es wäre nicht hinnehmbar, wenn die Strafvollzugsbehörden sich in
einzelnen Bereichen der gerichtlichen Kontrolle erheblich grundrechtseingreifender
Maßnahmen systematisch dadurch entziehen könnten, dass sie, ohne damit ein
vorausgegangenes Unrecht einzuräumen, deren Erledigung herbeiführen, bevor es
zu einer gerichtlichen Entscheidung kommt. Im Hinblick darauf kommt auch den
Umständen der Erledigung Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 116, 69 <80> ). Die
Anforderungen an das Fortbestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses nach
Erledigung dürfen nicht so gehandhabt werden, dass damit einer Strategie der
Mängelverwaltung zum Erfolg verholfen wird, die Gefangene rechtswidrigen
Haftbedingungen aussetzt und dabei gerichtlichen Beanstandungen gezielt durch
fallweise Erledigung zu entgehen versucht. Die Gerichte müssen daher bei der
Entscheidung über das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses
Hinweisen des Antragstellers oder sich aus den Umständen ergebenden Hinweisen
darauf, dass der konkrete Fall Teil einer Praxis versuchter Vermeidung gerichtlicher
Kontrolle durch gezielte Erledigungsmaßnahmen sein könnte, nachgehen (vgl.
BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 2. März 2011 - 2 BvR
576/09 -, juris, Rn. 4, und vom 28. Oktober 2012 - 2 BvR 737/11 -, juris, Rn. 12) und
auch insoweit ihrer Pflicht zur Aufklärung des entscheidungserheblichen
Sachverhalts (vgl. BVerfGE 101, 275 <294 f.>; BVerfGK 9, 390 <395>; 9, 460 <463>)
nachkommen.
(2) Diesen Anforderungen entspricht die Entscheidung des Landgerichts nicht.
Die Justizvollzugsanstalt hatte sich nach dem unbestrittenen Vortrag des
Beschwerdeführers nicht in der Lage gesehen, dessen gemeinsame
Unterbringung mit einem Raucher auf den bei ihr gestellten Antrag hin zu beenden
o d e r auch nur eine Beendigung innerhalb kurzer Frist in Aussicht zu stellen.
Nachdem der Beschwerdeführer sich aber an das Landgericht gewandt hatte, erfolgte
die das Begehren des Beschwerdeführers erledigende Verlegung in einen
Einzelhaftraum innerhalb von zwei Tagen nach Eingang der gerichtlichen
Aufforderung zur Stellungnahme. Dieses Vorgehen deutete nicht nur auf das
Vorliegen von Schwierigkeiten bei der rechtmäßigen Unterbringung der Gefangenen,
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sondern auch auf die Möglichkeit einer gezielt zur Vermeidung einer ungünstigen
gerichtlichen Entscheidung herbeigeführten Erledigung hin und musste dem
Landgericht Anlass zur Auseinandersetzung mit der sich aufdrängenden Frage
geben, ob Fälle, in denen Gefangene aus der betreffenden Justizvollzugsanstalt
substantiiert eine rechtswidrige Unterbringung geltend machen, sich womöglich
typischerweise vor Ergehen einer gerichtlichen Entscheidung erledigen. Zur Klärung
wäre insbesondere auf etwaige Erfahrungen des Gerichts in anderen Fällen, in denen
Gefangene substantiiert die Bedingungen der Haftraumunterbringung in der
betreffenden Justizvollzugsanstalt beanstandeten, einzugehen gewesen. Dies gilt
umso mehr, als der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom 26. Mai 2010
ausdrücklich geltend gemacht hatte, die sofortige Reaktion der Justizvollzugsanstalt
auf seinen beim Landgericht gestellten Antrag in Verbindung mit dem Umstand, dass
ihm noch am 15. April 2010 - das heißt am Tag vor dem Datum, unter dem der Antrag
nach § 109 Abs. 1 StVollzG gestellt wurde - eine längere Wartezeit in Aussicht
gestellt worden sei, verdeutliche, dass die Justizvollzugsanstalt ihn wissentlich
rechtswidrigen Haftbedingungen ausgesetzt habe.
bb) Der Beschluss des Landgerichts beruht auf dem festgestellten
Grundrechtsverstoß. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem
Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren nach Aufhebung des Beschlusses
und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht keine ihm günstigere
Entscheidung zuteil werden könnte und er daher durch die Nichtannahme keinen
schweren Nachteil (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) erleidet. Dem steht nicht entgegen, dass
das Landgericht in der Begründung seines - den Antrag des Beschwerdeführers als
unzulässig
verwerfenden
-
Beschlusses nicht nur vom Fehlen eines
Feststellungsinteresses ausgegangen ist, sondern darüber hinaus angenommen hat,
d e r Fortsetzungsfeststellungsantrag sei jedenfalls auch unbegründet. Denn diese
Annahme war ihrerseits nicht tragfähig begründet. Eine auf die gegebene
Begründung gestützte Abweisung des Antrages als unbegründet hätte ihrerseits
Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt.
Angesichts der nicht auszuschließenden Wirkungen des Passivrauchens (vgl.
BVerfGE 121, 317 <350 ff., 356>) greift die gemeinschaftliche Unterbringung eines
nichtrauchenden Gefangenen mit einem rauchenden Mitgefangenen - jedenfalls
wenn der Betroffene ihr nicht in gesicherter vollkommener Freiwilligkeit zustimmt - in
das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Der
Gefangene hat Anspruch auf Schutz vor Gefährdung und erheblicher Belästigung
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durch das Rauchen von Mitgefangenen und Aufsichtspersonal (vgl. BVerfGK 13, 67
<68>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Oktober 2008
- 2 BvR 1203/07 - juris, und vom 28. Oktober 2012 - 2 BvR 737/11 -, juris; aus der
fachgerichtlichen Rechtsprechung siehe OLG Celle, Beschluss vom 1. Juni 2004
- 1 Ws 102/04 -, NJW 2004, S. 2766 <2767>; OLG Frankfurt, Beschluss vom
12. September 1988 - 3 Ws 402/88 -, NStZ 1989, S. 96; OLG Hamm, Beschluss vom
26. Juli 1984 - 1 Vollz (Ws) 120/84 -, NStZ 1984, S. 574 <575>; OLG Nürnberg,
Beschluss vom 9. September 2008 - 2 Ws 416/08 -, juris; LG Detmold, Urteil vom 2.
November 2006 - 9 O 163/05 -, juris).
Für den in der gemeinschaftlichen Unterbringung mit einem Raucher liegenden
Eingriff fehlt bereits eine gesetzliche Grundlage. Auf die Frage, ob und inwieweit es
mit den Grundrechten eines Gefangenen, der Tabakrauch in seinem Haftraum nicht
ausgesetzt werden will, vereinbar sein könnte, ihm durch Gesetz gewisse
diesbezügliche Duldungspflichten aufzuerlegen, kommt es daher nicht an.
Das nordrhein-westfälische Nichtraucherschutzgesetz verbietet darüber hinaus
ausdrücklich das Rauchen in einem Haftraum, wenn eine der darin untergebrachten
Personen Nichtraucher ist (§ 3 Abs. 5 Satz 2 NiSchG NW). Die Durchsetzung dieses
auf den Schutz des Nichtrauchers zielenden Gebots kann schon im Hinblick darauf,
dass er sich damit der Gefahr von Repressalien seitens der Mitgefangenen aussetzen
würde, nicht dem nichtrauchendem Gefangenen - sei es auch auf dem Weg über auf
Verbotsdurchsetzung zielende Beschwerden an die Anstalt - überlassen bleiben. Das
gesetzliche Verbot schließt daher die Unzulässigkeit der gemeinsamen
Unterbringung nichtrauchender mit rauchenden Gefangenen ein, sofern nicht die
Anstalt
durch geeignete, von Beschwerden des betroffenen Nichtrauchers
unabhängige Vorkehrungen, wie zum Beispiel Rauchmelder, für eine systematische
Durchsetzung des gesetzlichen Verbots sorgt. Dass das Verbot des § 3 Abs. 5 Satz 2
NiSchG NW im vorliegenden Fall wirksam durchgesetzt worden sei, ist im
fachgerichtlichen Verfahren von der Justizvollzugsanstalt nicht geltend gemacht
worden.
Der Beschluss des Landgerichts enthält auch keine tragfähige Begründung dafür,
dass eine den grundrechtseingreifenden Charakter der Maßnahme ausschließende
Einwilligung des Beschwerdeführers vorlag. Schon mit der Frage, ob eine
Einwilligung hier überhaupt eingriffsausschließende Wirkung - insbesondere auch
eingriffsausschließende Wirkung über die Dauer des Einverständnisses hinaus -
entfalten konnte, setzt sich das Landgericht nicht auseinander. Auch dazu, ob eine
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Einwilligung überhaupt erteilt worden war, fehlt jede Feststellung. Ein Einverständnis
des
Beschwerdeführers
mit einer
vorübergehenden
gemeinschaftlichen
Unterbringung, von dessen Vorliegen das Landgericht ausging, kann offenkundig
nicht mit einer Einwilligung in die gemeinschaftliche Unterbringung mit einem
Raucher gleichgesetzt werden. Auch wenn der Vortrag der Justizvollzugsanstalt,
dass der Beschwerdeführer Umschluss mit einem rauchenden Mitgefangenen in
Anspruch genommen habe, zutreffend gewesen sein sollte, könnte hieraus nicht auf
ein Einverständnis auch mit der kontinuierlichen gemeinschaftlichen Unterbringung
mit einem Raucher geschlossen werden. Unabhängig davon konnte die Annahme
der Rechtmäßigkeit dieser Unterbringung auf das den Umschluss betreffende
Vorbringen der Justizvollzugsanstalt schon deshalb nicht gestützt werden, weil der
Beschwerdeführer mit einer abweichenden Sachverhaltsschilderung bestritten hatte,
dass er es jemals in Kauf genommen habe, während eines Umschlusses Tabakrauch
ausgesetzt zu sein. Das Gericht verletzt seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung,
wenn es bei umstrittenem Sachvortrag ohne weitere Ermittlungen und ohne jede
Begründung für deren Entbehrlichkeit von der Richtigkeit des Vortrags einer Seite
ausgeht (vgl. BVerfGK 9, 460 <464 f.>; 13, 137 <146>).
3. Der Beschluss des Landgerichts ist daher gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG
aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Der Beschluss
des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. November 2010 - 1 Voll (Ws) 588/10 - wird
damit gegenstandslos.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung ergeht gemäß § 34a Abs. 2
BVerfGG.
Lübbe-Wolff
Landau
Kessal-Wulf