Urteil des BVerfG vom 16.12.1998

verfassungsbeschwerde, gemeinde, auflösung, stadt

- Bevollmächtigter:
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 627/94 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der (ehemaligen) Gemeinde R...
gegen § 14 Satz 1 des saarländischen Gesetzes Nr. 986 zur Neugliederung der
Gemeinden und Landkreise des Saarlandes (Neugliederungsgesetz - NGG) vom
19. Dezember 1973 ( ABl S. 852), geändert durch das Gesetz Nr. 1220 zur
Änderung des Neugliederungsgesetzes vom 15. Juli 1987 ( ABl S. 1025), als
dadurch die Gemeinde R. mit der Stadt I. und den Gemeinden H., O. sowie R. zu
einer neuen Gemeinde zusammengeschlossen wird
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin
Präsidentin Limbach
und die Richter Winter,
Hassemer
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung
der Bekanntmachung vom 11. August 1993 ( BGBl I S. 1473)
am 16. Dezember 1998 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
Die beschwerdeführende ehemalige Gemeinde R. wurde durch § 14 Satz 1 des Gesetzes
Nr.
986
zur Neugliederung der Gemeinden und Landkreise des Saarlandes
(Neugliederungsgesetz) vom 19. Dezember 1973 zum 1. Januar 1974 mit der Stadt I. und
anderen Gemeinden zu einer neuen Gemeinde mit dem Namen Stadt I.
zusammengeschlossen. Ihre gegen den Zusammenschluß beim Verfassungsgerichtshof
des Saarlandes erhobene Verfassungsbeschwerde wurde mit Urteil vom 28. Juni 1974 als
unbegründet zurückgewiesen. Der Gesetzgeber dürfe Gemeinden nur aus Gründen des
Gemeinwohls auflösen, ihm stehe diesbezüglich aber ein weiter Gestaltungsraum zu. Dieser
sei nicht verletzt. Die Beschwerdeführerin sei auch angemessen angehört worden.
Unter dem 22. Oktober 1991 erhob die Beschwerdeführerin erneut gegen ihre Auflösung
Verfassungsbeschwerde
zum
Verfassungsgerichtshof
des Saarlandes. § 14
Neugliederungsgesetz beruhe auf prognostischen Erwägungen des Gesetzgebers, deren
Fehlerhaftigkeit nunmehr offensichtlich sei. Die Regelung habe sich nachträglich als von
Anfang an verfassungswidrig erwiesen.
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Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes verwarf die Verfassungsbeschwerde mit Urteil
vom 22. März 1993 als unzulässig. Der Beschwerdeführerin fehle die Beteiligtenfähigkeit im
Kommunalverfassungsbeschwerde-Verfahren nach Art. 123 der Verfassung des Saarlandes
(SVerf), § 55 Abs. 2 des saarländischen Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof
(VGHG). Sie habe ihre Rechtspersönlichkeit als Gemeinde am 1. Januar 1974 verloren. Die
Beteiligtenfähigkeit könne für das vorliegende Verfahren auch nicht mehr fingiert werden. Die
Beschwerdeführerin sei endgültig aufgelöst, nachdem der Verfassungsgerichtshof ihr unter
Fiktion ihrer Beteiligtenfähigkeit Rechtsschutz gewährt und dabei die Rechtmäßigkeit der
Auflösung in seinem Urteil vom 28. Juni 1974 bestätigt habe.
II.
Mit ihrer am 21. März 1994 beim Bundesverfassungsgericht gegen § 14
Neugliederungsgesetz eingelegten
Kommunalverfassungsbeschwerde
rügt
die
Beschwerdeführerin eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28
Abs. 2 GG. Die Subsidiaritätsklausel des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 2 BVerfGG
stehe ihrer Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Zwar eröffneten Art. 123 SVerf, § 55
Abs. 2 VGHG den Gemeinden die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof
des Saarlandes. Aufgrund der Entscheidungspraxis des Verfassungsgerichtshofs sei aber
ein effektiver Rechtsschutz gegen Auflösungsakte nicht gewährleistet, weil nach Ablauf der
Beschwerdefrist mangels Beteiligtenfähigkeit nicht mehr gerügt werden könne, daß sich die
gesetzgeberischen Prognosen im nachhinein als falsch herausgestellt hätten.
III.
Die Kommunalverfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die
Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1.
Die
Verfassungsbeschwerde
hat
keine grundsätzliche Bedeutung. Das
Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits
entschieden (vgl. Be schluß der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Februar 1993 - 2
BvR 688/92 -, NVwZ 1994, S. 58 f.).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Garantie
kommunaler Selbstverwaltung angezeigt, da die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.
a) Die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist nach § 91 Satz 2
BVerfGG ausgeschlossen, soweit eine Beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf
Selbstverwaltung nach dem Recht des Landes beim Landesverfassungsgericht erhoben
werden kann. § 91 Satz 2 BVerfGG verlangt, anders als § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, nicht
bloß die vorgängige Erschöpfung des Rechtswegs. Die Verfassungsbeschwerde zum
Bundesverfassungsgericht ist vielmehr generell ausgeschlossen, wenn der Rechtsweg zu
d e n Landesverfassungsgerichten eröffnet ist. Auf die prozessuale Ausgestaltung des
Rechtsbehelfs beim Landesverfassungsgericht kommt es nicht an. Die Gemeinden sind
insofern auf das Verfahrensrecht des Landes verwiesen (vgl. Beschluß der 1. Kammer des
Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Februar 1993 - 2 BvR 688/92 -,
NVwZ 1994, S. 58 f. ).
b)
Das
Verfahrensrecht
des
Saarlandes
in
der Auslegung durch den
Verfassungsgerichtshof des Saarlandes schließt die Kommunalverfassungsbeschwerde
gegen Auflösungsakte von Gemeinden nicht grundsätzlich aus. Gegen die durch § 14 Satz 1
Neugliederungsgesetz
bewirkte Auflösung der Beschwerdeführerin war vielmehr
grundsätzlich die Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 123 SVerf, § 55 Abs. 2
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VGHG zum Verfassungsgerichtshof des Saarlandes statthaft. Die Beschwerdeführerin hat
d i e s e s Rechtsmittel auch in Anspruch genommen und mit dem Urteil des
Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 28. Juni 1974 eine Entscheidung in der Sache
erlangt.
Daneben
ist
gemäß §
91
Satz
2
BVerfGG
für
eine
Kommunalverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht wegen desselben
Beschwerdegegenstands kein Raum mehr.
Die generelle Sperrwirkung des § 91 Satz 2 BVerfGG bleibt auch davon unberührt, daß der
Verfassungsgerichtshof des Saarlandes die weitere Verfassungsbeschwerde vom 22.
Oktober 1991 mangels Beteiligtenfähigkeit als unzulässig verworfen hat, weil die Auflösung
der Beschwerdeführerin durch eine frühere Entscheidung bereits bestätigt worden war. Dies
b e t r i f f t allein
die
prozessuale
Ausgestaltung
des
an
sich
statthaften
landesverfassungsrechtlichen Rechtsmittels und die Anwendung des einschlägigen
Landesverfahrensrechts im Einzelfall.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach
Winter
Hassemer