Urteil des BVerfG vom 02.06.2005
behandlung, rechtliches gehör, revisionsgrund, unparteilichkeit
- Bevollmächtigte: 1.  Rechtsanwälte Dr. Hans Latz und Koll.,
Merlostraße 4, 50668 Köln,
2.  Rechtsanwalt Dr. Christof W. Miseré,
Graf–Geßler–Straße 4, 50679 Köln -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 625/01 -
- 2 BvR 638/01 -
Im Namen des Volkes
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S ...
gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 2001 – 5 StR
239/00 –,
b) das Urteil des Landgerichts Köln vom 8. September 1999 – 110-8/98 –,
c) den Beschluss des Landgerichts Köln vom 26. August 1999 – 110-8/98
–,
d) den Beschluss des Landgerichts Köln vom 27. Juli 1999 – 110-8/98 –,
e) den Beschluss des Landgerichts Köln vom 26. Mai 1999 – 110-8/98 –
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG und § 93b
BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 ( BGBl I S. 1473
) am 2. Juni 2005 einstimmig beschlossen:
1.  Die Verfahren 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01 werden zu gemeinsamer
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Entscheidung verbunden.
2.  Die Beschlüsse des Landgerichts Köln vom 26. Mai 1999, vom 27. Juli 1999
und vom 26. August 1999 - 110-8/98 -, das Urteil des Landgerichts Köln vom
8. September 1999 - 110-8/98 - und der Beschluss des Bundesgerichtshofs
vom 20. Februar 2001 - 5 StR 239/00 - verletzen die Rechte des
Beschwerdeführers aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.
3.  Das Urteil des Landgerichts Köln und der Beschluss des
Bundesgerichtshofs werden aufgehoben, und die Sache wird an eine andere
Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen.
4.  Das Land Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik Deutschland haben
dem Beschwerdeführer die in dem Verfahren 2 BvR 625/01 entstandenen
notwendigen Auslagen je zur Hälfte zu erstatten.
Gründe:
Die  Verfassungsbeschwerde  stellt  die  Frage nach  den  verfassungsrechtlichen
Grenzen  der  Auslegung  und Anwendung  des  §  26  a  StPO,  der  es  dem  wegen
Besorgnis  der  Befangenheit  abgelehnten  Richter  in  den  dort genannten  Fällen
gestattet,  selbst  an  der  Entscheidung  über ein  gegen  ihn  gerichtetes
Ablehnungsgesuch mitzuwirken.
I.
1.  a)  Das  Landgericht  Köln  verurteilte  den Beschwerdeführer,  der  von  Beruf
Rechtsanwalt  ist,  wegen versuchter  Strafvereitelung  in  drei  Fällen  und  wegen
Schuldnerbegünstigung  zu  einer  Gesamtfreiheitsstrafe  von  neun Monaten,  deren
Vollstreckung  es  zur  Bewährung  aussetzte;  von den  weiteren  Tatvorwürfen  der
Begünstigung  und  der Steuerhinterziehung sprach es ihn frei. Auf die Revision der
Staatsanwaltschaft  hob  der  Bundesgerichtshof  das  Urteil hinsichtlich  des
Teilfreispruchs auf und verwies die Sache insoweit an eine andere Strafkammer des
Landgerichts Köln zurück.
b)  Das  Landgericht  Köln  sprach  den Beschwerdeführer  im  zweiten  Durchgang
außerdem  der Begünstigung  und  Steuerhinterziehung  schuldig  und  verurteilte ihn  -
unter  Einbeziehung  der  bereits  in  Rechtskraft erwachsenen  Einzelstrafen  -  zu  der
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung.
In
der
mehrere
Monate
andauernden Hauptverhandlung  lehnte  der
Beschwerdeführer die Mitglieder der Strafkammer in drei Fällen wegen Besorgnis der
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Befangenheit ab. Das Landgericht wies die Gesuche jeweils gemäß § 26 a Abs. 1 Nr.
2 StPO als unzulässig zurück.
Dem liegt im Wesentlichen das folgende Prozessgeschehen zu Grunde:
aa) Beschluss vom 26. Mai 1999
(1)  Im  Rahmen  der  Beweisaufnahme  hatte  der Mitangeklagte  P.  den
Vorsitzenden  der  Strafkammer  wegen Besorgnis  der  Befangenheit
abgelehnt, weil er im Verlaufe eines Disputs gegenüber seinem Verteidiger verärgert
geäußert haben soll:
"Wir  können  hier  noch  viele  Aktenbestandteile einführen.  Wenn
einer  der  Beteiligten  zu  diesen  Akten  etwas sagen  kann,  ist  es  Ihr
Mandant. Er hat die Akte geführt.
Er kann sich ja einlassen, wenn er das nicht tut, ist er selber schuld!"
Diese  Äußerung  begründe  die  Besorgnis,  dass der  Vorsitzende  sich  von
sachfremden  Erwägungen,  insbesondere von  der  Vorstellung  leiten  lassen
könnte,  dass  das  Schweigen des  Mandanten  das  Gericht  von  seiner
Aufklärungspflicht befreie.  Vor  dem  Hintergrund  wiederholter  Hinweise  des
Vorsitzenden,  die  Verteidiger  hätten  für  die  Folgen  der  von ihnen  gewählten
Verteidigungsstrategie  (Schweigen  ihrer Mandanten)  einzustehen  und  könnten  am
Ende des Prozesses das Ergebnis dieses Konzepts feststellen, handele es sich nicht
um  eine  spontane  Entgleisung,  sondern  die  Äußerung  deute  auf eine
voreingenommene Einstellung des Vorsitzenden hin.
Die  Strafkammer  hatte  das  Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung des Vorsitzenden
durch Beschluss vom 25. Mai 1999 gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig
verworfen,  weil  ein  Grund  zur  Ablehnung  in  dem  Gesuch  nicht angegeben  werde.
Dem Fehlen einer Begründung im Sinne dieser Vorschrift stehe der Fall gleich, dass
die  angegebene Begründung – wie hier - aus zwingenden rechtlichen Gründen zur
Rechtfertigung  eines  Ablehnungsgesuchs  völlig  ungeeignet sei.  Die  Äußerung  des
Vorsitzenden  Richters  könne  aus  der Sicht  eines  verständigen  Angeklagten  die
Besorgnis
der Befangenheit  ersichtlich  nicht  begründen.  Die  in  dem
Ablehnungsgesuch  wörtlich  wiedergegebene  Äußerung  des Vorsitzenden  Richters
("selber schuld") sei so nicht gefallen. Der Vorsitzende habe - ohne dass die fragliche
Äußerung im Wortlaut wiedergegeben werden könne - sinngemäß geäußert, dass der
Angeklagte  P.  sich  zu  der  Akte  einlassen könne,  wenn  er  das  wolle;  wenn  er  sich
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nicht einlassen wolle, müsse er das selber wissen. Das auf eine bruchstückhafte und
inhaltlich  teilweise  unzutreffende  Wiedergabe  der beanstandeten  Äußerung  des
Vorsitzenden  gestützte Ablehnungsgesuch des Angeklagten P. sei daher insgesamt
völlig  ungeeignet,  die  Besorgnis  der  Befangenheit  des abgelehnten  Richters  zu
begründen.
(2) Der Beschwerdeführer lehnte die Berufsrichter des erkennenden Gerichts wegen
Besorgnis der Befangenheit ab, weil sie das Ablehnungsgesuch des Mitangeklagten
willkürlich  als  unzulässig  verworfen  hätten; die  an  dieser  Entscheidung  beteiligten
Richter hätten die in dem Gesuch angegebene Begründung durch eine eigene und im
Detail  abweichende  Darstellung  der  beanstandeten  Äußerung  des Vorsitzenden
ersetzt  und  sie  anschließend  als  "völlig ungeeignet"  zur  Begründung  eines
Befangenheitsantrags angesehen. Damit habe die Kammer das Ablehnungsgesuch
der Sache nach einer Begründetheitsprüfung "im Gewand der Zulässigkeitsprüfung"
unterzogen mit dem Ziel, eine sachliche Prüfung des Gesuchs unter Mitwirkung eines
unbeteiligten Vertreters zu umgehen.
(3)  Die  Strafkammer  verwarf  das Ablehnungsgesuch  gemäß  §  26  a  Abs.  1  Nr.  2
StPO  als  unzulässig,  weil  die  darin  angegebene  Begründung  aus zwingenden
rechtlichen  Gründen  zur  Rechtfertigung  des Ablehnungsgesuchs  völlig  ungeeignet
sei. Die Begründung des Gesuchs stütze sich im Wesentlichen auf die Gründe des
Verwerfungsbeschlusses vom 25. Mai 1999 und enthalte im Übrigen nur allgemeine
Erwägungen.  Zur  Vermeidung  von Wiederholungen  nahm  die  Kammer  auf  ihren
Beschluss vom 25. Mai 1999 Bezug.
bb) Beschluss vom 27. Juli 1999
(1)  Die  Strafkammer  hatte  einen  Antrag  der Verteidigung,  die  "sinngemäß
zusammengefasste" Aussage des die Ermittlungen führenden Oberstaatsanwalts
in  das Hauptverhandlungsprotokoll  aufzunehmen,  weil  sie  im Widerspruch  zu  den
Angaben zweier bereits vernommener Zeugen stehe und deren Aussagen als unwahr
widerlege, abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO lägen nicht vor,
weil  "es  auf  den  gesamten  Zusammenhang  der  Aussage" ankomme;  eine
Protokollierung  sei  auch  nicht  im  Hinblick  auf §  183  GVG  veranlasst,  weil  es  an
konkreten Anhaltspunkten für eine Falschaussage der bereits vernommenen Zeugen
fehle.
Der Vorsitzende soll der Verkündung dieses Beschlusses die Bemerkung angefügt
haben,  dass  die Strafkammer  Divergenzen  zwischen  den  Angaben  der  bereits
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vernommenen Zeugen und der Aussage des Oberstaatsanwalts nicht sehe.
(2) Der Beschwerdeführer lehnte die Berufsrichter der Strafkammer und die beiden
Schöffen  wegen Besorgnis  der  Befangenheit  ab.  Der  Beschluss  enthalte  keinen
Hinweis  darauf,  dass  die  Strafkammer  die  Wiedergabe  der Zeugenaussagen  im
Protokollierungsantrag  für  unzutreffend halte.  Deshalb  beziehe  sich  die  der
Ablehnung  des  Antrags angefügte  Bewertung  der  Aussagen  (keine  Divergenz)
unmittelbar  auf  diesen  Antrag  und  nicht  auf  eine  eigene, möglicherweise
abweichende Wahrnehmung und Bewertung der Zeugenaussagen; daher belege sie,
dass die Mitglieder des Gerichts dem Prozessverlauf nicht mehr unvoreingenommen
folgen könnten. In seinem Gesuch wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er auf
Grund  der  Behandlung  der vorangegangenen  Ablehnungsgesuche  damit  rechne,
dass  die Strafkammer  auch  dieses  Gesuch  als  unzulässig  zurückweisen werde;  er
stelle  es  gleichwohl,  weil  er  darauf  vertraue,  dass die  erkennenden  Richter  den
sachlichen Gehalt seines Ablehnungsgesuchs erfassten und der Vertreterkammer die
Entscheidung über die Frage der Begründetheit überließen.
(3)  Das  Landgericht  verwarf  das Ablehnungsgesuch  gemäß  §  26  a  Abs.  1  Nr.  2
StPO als unzulässig. Die Zurückweisung des Protokollierungsantrags könne aus der
Sicht  eines  verständigen  Angeklagten  die Besorgnis  der  Befangenheit  nicht
begründen,  weil  der  Antrag aus  zwingenden  rechtlichen  Gründen  abzulehnen
gewesen
sei. Die  behaupteten  Widersprüche  zwischen  den  Angaben  des
Oberstaatsanwalts  und  den  Aussagen  der  bereits  vernommenen Zeugen  seien
mittels  einer  eigenen,  zusammenfassenden Bewertung  der  Angaben  durch  die
Verteidiger  konstruiert, obwohl  es  ersichtlich  auf  den  Gesamtzusammenhang  der
jeweiligen Aussagen ankomme.
cc) Beschluss vom 26. August 1999
(1) Die Verteidigung hatte die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur
Frage  der  Entwicklung  des Deutschen Aktienindex in einem für den Tatvorwurf
relevanten Zeitraum  beantragt.  Der  Vorsitzende  soll  (mit  der  Bemerkung "Ich  habe
hier  auch  noch  etwas  Schönes")  einem  vor  ihm  auf dem  Richtertisch  liegenden
Ordner,  der  weder  Bestandteil  der Gerichtsakten  noch  Beweismittel  gewesen  sei,
zwei  an  das Finanzamt  für  Steuerstrafsachen  gerichtete  Schreiben entnommen und
zu  Beweiszwecken  verlesen  haben.  Den  Antrag  der Verteidigung,  ihr  Einsicht  in
diesen  Ordner  und  die  darin enthaltenen  weiteren  Schreiben  zu  gewähren,  hatten
zunächst der  Vorsitzende  und  sodann  das  angerufene  Gericht  mit  der Begründung
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abgelehnt,  es  handele  sich  um  einen  vom Vorsitzenden  zur  Vorbereitung  der
Hauptverhandlung  geführten Ordner,  der  lediglich  als  Transportmittel  für  die
verlesenen beiden Schreiben gedient habe.
(2)  Der  Beschwerdeführer  lehnte  die erkennenden  Berufsrichter  und  die  Schöffen
wegen  Besorgnis der Befangenheit ab; er müsse besorgen, dass in dem Ordner, in
den  ihm  die  Einsicht  verwehrt  werde,  weitere  Beweismittel mit  Verfahrensbezug
enthalten seien und von der Kammer in das Verfahren eingeführt würden, ohne ihm
Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu geben. Die Begründung des die
Akteneinsicht  ablehnenden  Beschlusses  vertiefe  und verstärke  die  Besorgnis  der
Befangenheit,  weil  sie  den Verdacht  nahe  lege,  dass  der  Vorsitzende
verfahrensbezogene Schriftstücke, die als Beweismittel in Betracht kämen, außerhalb
der einsehbaren Gerichtsakten in einer "Geheimakte" sammele und sie bewusst der
Verteidigung  vorenthalte,  um diese  überraschend  damit  zu  konfrontieren.  Das
Verhalten des Vorsitzenden lege den Verdacht einer Straftat nach §§ 274, 133 StGB
nahe, weshalb parallel zu dem Ablehnungsgesuch ein Strafantrag gestellt werde, der
dem Gesuch beigefügt und auf den Bezug genommen werde.
(3) Die Kammer verwarf das Ablehnungsgesuch gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO als
unzulässig und begründete dies wie folgt:
"Die  verlesenen  beiden  Schreiben  an  das Finanzamt  für
Steuerstrafsachen  enthalten  allgemeinkundige Tatsachen  (...).  Den
Verfahrensbeteiligten  ist  durch Einführung dieser beiden Schreiben
in  die  Hauptverhandlung insoweit  rechtliches  Gehör  gewährt
worden.  Daher  liegen  die Ausführungen  in  der  Begründung  des
Ablehnungsgesuches sämtlich neben der Sache."
c) Mit seiner Revision rügte der Beschwerdeführer auch eine Verletzung des § 338
Nr. 3 StPO. Die Strafkammer habe seine Ablehnungsgesuche auf der Grundlage des
§  26  a  StPO  willkürlich  als  unzulässig verworfen,  um  ein  Eintreten  in  eine
Begründetheitsprüfung
der Ablehnungsgesuche  unter  Hinzuziehung  der  zur
Entscheidung über die Begründetheit seiner Ablehnungsgesuche berufenen und am
Verfahren  unbeteiligten  Richter  zu  verhindern.  Dabei  sei im  ersten  Fall  der  im
Ablehnungsgesuch  vorgetragene  und glaubhaft gemachte Lebenssachverhalt durch
eine  abweichende eigene  Würdigung  ersetzt  und  sodann  behauptet  worden,  diese
sei  völlig  ungeeignet,  die  Befangenheit  der  abgelehnten Richter  zu  begründen.
Hinsichtlich des zweiten und dritten Ablehnungsgesuchs habe die Kammer die das
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Gesuch
tragenden Gründe  nicht  zur  Kenntnis  genommen,  um  eine
Begründetheitsprüfung durch unbeteiligte Vertreter zu vermeiden.
Dies  begründe  insgesamt  den  Verdacht,  dass  die Kammer  sich  "gegenüber  ihr
nachteiligen Entscheidungen anderer Spruchkörper immunisieren" wolle, und sei für
einen verständigen Angeklagten ein unabweisbares Indiz dafür, dass die Richter die
Sachentscheidung  nicht  mehr  unbeeinflusst  von sachfremden  Erwägungen  treffen
könnten.  Die Befangenheitsgesuche seien daher nicht nur willkürlich als unzulässig
behandelt  worden,  sondern  es  liege  der  absolute Revisionsgrund  des  §  338  Nr.  3
StPO vor; das Urteil sei von befangenen Richtern gefällt worden.
d) Der Generalbundesanwalt beantragte, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als
offensichtlich unbegründet  zu  verwerfen.  Hinsichtlich  der  Verfahrensrügen  im
Zusammenhang mit der Behandlung der Ablehnungsgesuche führte er aus, dass die
Strafkammer  das  Ablehnungsgesuch  des Mitangeklagten P. mit Beschluss vom 25.
Mai 1999 und das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 26.
Mai 1999 zwar zu Unrecht als unzulässig verworfen habe; beide Gesuche hätten eine
taugliche  Begründung  enthalten.  Weil  die Ablehnungsgesuche  aber  jedenfalls
unbegründet  gewesen  seien, liege  der  absolute  Revisionsgrund  des  §  338  Nr.  3
StPO nicht vor.
Die mit dem ersten Gesuch beanstandete Äußerung des Vorsitzenden sei anlässlich
eines Disputs gefallen und stelle eine nach Sachlage verständliche, augenblickliche
Unmutsäußerung dar, der bei vernünftiger Würdigung des Gesamtsachverhalts nicht
entnommen  werden könne,  der  Beschwerdeführer  werde  bei  weiterem  Schweigen
verurteilt
werden;
auch
die
verfahrensfehlerhafte Zurückweisung
des
Ablehnungsgesuchs begründe die Besorgnis der Befangenheit nicht.
Gleiches  gelte  für  die  beiden  weiteren Beschlüsse.  Die  Kammer  habe  die
Voraussetzungen
für
die Protokollierung  der  beantragten,  "sinngemäß
zusammengefassten"  Bekundung  des  Zeugen  zu  Recht  abgelehnt; der  zusätzliche
Hinweis auf die Würdigung der Angaben der Zeugen sei überflüssig gewesen. Auch
die  Ablehnung  einer Beweiserhebung  zur  Entwicklung  des  Deutschen  Aktienindex
begründe die Besorgnis der Befangenheit nicht. Ersichtlich habe das Gericht sich mit
dieser  durch  die  Verteidigung aufgeworfenen  Frage  vorab  im  Rahmen  seiner
Aufklärungspflicht auseinandergesetzt  und  die  entsprechenden  Publikationen  über
allgemein  zugängliche  Quellen  beschaffen  lassen;  das  Ergebnis dieser
Nachforschungen  sei  prozessordnungsgemäß  in  die Hauptverhandlung  eingeführt
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worden.  Die  mit  dem Befangenheitsgesuch  verbundene  Anbringung  eines
Strafantrags lege im Übrigen den Verdacht nahe, dass mit dem Ablehnungsgesuch
verfahrensfremde Zwecke verfolgt worden seien.
e)  Der  Bundesgerichtshof  verwarf  die  Revision des  Beschwerdeführers  gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet, ohne auf das Revisionsvorbringen
einzugehen.
II.
1.  Mit  Schriftsatz  vom  6.  April  2001 (Verfahren  2  BvR  625/01)  rügt  der
Beschwerdeführer  eine Verletzung  seines  Rechts  auf  den  gesetzlichen  Richter
(Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 sowie
Art. 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor:
a)  Das  Landgericht  habe  seine Befangenheitsgesuche  willkürlich  als  unzulässig
behandelt  und ihn  daher  im  Ablehnungsverfahren  seinem  gesetzlichen  Richter
entzogen.
In dem Beschluss vom 26. Mai 1999 habe die Kammer jede Auseinandersetzung mit
dem  Inhalt  seines Ablehnungsgesuchs  vermieden.  Anlass  dieses  Gesuchs  sei  die
Behandlung  des  Ablehnungsgesuchs  des  Mitangeklagten  P. gewesen,  das  mit
Beschluss  vom  25.  Mai  1999  als unzulässig  verworfen  worden  sei.  In  jenem
Beschluss habe sich die Kammer in eine Begründetheitsprüfung begeben und damit
offenbart,  dass  sie  vor  einer  Prüfung  des  Gesuchs  unter Hinzuziehung  eines
Vertreters  zurückschrecke;  sie  habe  damit willkürlich  nicht  nur  gegenüber  dem
Mitangeklagten,  sondern auch  ihm  gegenüber  gehandelt,  sodass  der  in  seinem
Ablehnungsgesuch  enthaltene  Hinweis  auf  eine  Scheinbegründung zutreffend
gewesen sei.
Gleiches  gelte  für  den  Beschluss  vom 27.  Juli  1999;  mit  keinem  Wort  sei  die
Strafkammer
auf den  in  seinem  Gesuch  genannten  Befangenheitsgrund
eingegangen,  sondern  habe  sich  ausschließlich  mit  der Rechtmäßigkeit  der  zuvor
ergangenen  Entscheidung  über  die Zurückweisung  seines  Protokollierungsantrags
beschäftigt, die er gar nicht in Zweifel gezogen habe; dieses Vorgehen sei willkürlich.
Auch der Beschluss vom 26. August 1999 weise das Ablehnungsgesuch willkürlich
zurück  und  ignoriere  den eigentlich  vorgebrachten  Ablehnungsgrund  (Führen  einer
Geheimakte).
Mit  der  Zurückweisung  seiner  Ablehnungsgesuche als  unzulässig  hätten  sich  die
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Mitglieder  des  erkennenden Gerichts  zum  Richter  in  eigener  Sache  gemacht.  Dies
widerspreche dem Wesen des Ablehnungsrechts und der richterlichen Tätigkeit und
verletze  zugleich  Art.  101 Abs.  1  Satz  2  GG.  Darüber  hinaus  seien  auch  sein
grundrechtsgleiches Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4
GG) und sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil das
Zwischenverfahren über die Richterablehnung nicht durchgeführt worden sei.
Das Urteil der 10. Strafkammer verstoße gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil es
von befangenen Richtern gefällt worden sei.
b)  Der  Bundesgerichtshof  habe  die  Garantie  des Art.  101  Abs.  1  Satz  2  GG
grundlegend verkannt und seine auf den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3
StPO  gestützte  Revision  willkürlich  verworfen.  In  der Fallkonstellation  willkürlicher
Verwerfung
der Befangenheitsgesuche  nach  §  26  a  StPO  sei  die  vom
Bundesgerichthof  vorgenommene  sachliche  Prüfung  der Ablehnungsgesuche  nach
Beschwerdegrundsätzen ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. § 26 a StPO
unterscheide
sich
in
grundsätzlicher
Weise
von
anderen
zuständigkeitsbestimmenden  Normen  der  Strafprozessordnung; sie  verleihe  dem
durch das Befangenheitsgesuch in seiner Zuständigkeit bereits angegriffenen Richter
die  Befugnis, jedenfalls  noch  über  die  Zulässigkeit  des  Gesuchs  zu entscheiden;
damit  sei  der  Bereich  des  "Urteilens  in  eigener Sache"  berührt.  Bei
verfassungskonformer Auslegung erfasse § 26 a Abs. 1 StPO nur Gesuche, die allein
a u f der  Grundlage  einer  formellen  Prüfung  verbeschieden  werden könnten;  sie
beziehe  sich  auf  evidente  Missbrauchsfälle  des Ablehnungsrechts und enthalte ein
auf  Verfassungsgrundsätze gestütztes  Verbot  der  Mitwirkung  eines  von  dem
entscheidungsgegenständlichen  Gesuch  betroffenen  abgelehnten Richters  an  der
Sachentscheidung  über  das  Gesuch;  denn  jeder richterlichen  Tätigkeit  sei
wesenseigen,  dass  sie  von  einem nicht  beteiligten  Dritten  ausgeübt  werde.  §  26  a
StPO
enthalte
zugleich
eine
Zuständigkeitsbestimmung,
mit
der eine
verfassungswidrige Entziehung des gesetzlichen Richters möglich werde, sofern die
Entscheidung unter Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1
Satz  2 GG  ergehe.  Die  willkürliche  Verwerfung  eines Befangenheitsgesuchs  als
unzulässig  sei  eine  willkürliche richterliche  Zuständigkeitsbestimmung,  die  den
Antragsteller im Ablehnungsverfahren seinem  gesetzlichen  Richter  entziehe. Dieser
Grundrechtsverstoß  könne  durch  eine  Entscheidung  des Revisionsgerichts  nach
Beschwerdegrundsätzen  nicht  geheilt werden.  Zudem  würde  im  Fall  willkürlicher
Verwerfung  eines Befangenheitsgesuchs als unzulässig die Entscheidungsbefugnis
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des  Revisionsgerichts  auch  in  der  Sache  dazu  führen,  dass  das in  §  26  a  StPO
enthaltene Verbot der Entscheidung in eigener Sache der freien Willkür der über die
Zulässigkeit des  Gesuchs  entscheidenden  Richter  anheim  gestellt  sei.  Die Gefahr
des Missbrauchs der Verwerfungsbefugnis nach § 26 a StPO sei bei einem solchen
Verständnis  der Vorschrift  des  §  338  Nr.  3  StPO  regelrecht angelegt,  obwohl  die
Norm das Gegenteil bewirken wolle.
2. Mit weiterem Schriftsatz vom 9. April 2001 (Verfahren 2 BvR 638/01) machte der
Beschwerdeführer eine  Verletzung  seines  Anspruchs  auf  ein  rechtsstaatliches und
faires Verfahren und zugleich eine weitere Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
geltend. Entgegen der zwingenden Vorschrift des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO sei die
Anklageschrift in der erneuten Hauptverhandlung nicht verlesen worden; die Schöffen
seien
daher
in
Ermangelung vollständiger
Information
über
den
entscheidungserheblichen Verfahrensstoff zur Verhandlung in der Sache nicht fähig
gewesen.  Dieser  Verfahrensfehler  habe  zu  einer  (teilweisen) Entziehung  des
gesetzlichen Richters und zu einer Verletzung der Verfahrensfairness geführt.
III.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Äußerungsberechtigten im Verfahren 2 BvR
625/01  Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Von dieser Möglichkeit haben die
Regierungen  des  Bundes  und  des  Landes  Nordrhein-Westfalen keinen  Gebrauch
gemacht.  Der  Präsident  des  Bundesgerichtshofs hat  Stellungnahmen  des  1.,  2.,  4.
und  5.  Strafsenats übersandt,  denen  sich  im  Wesentlichen  Folgendes  entnehmen
lässt:
Die  Strafsenate  haben  übereinstimmend mitgeteilt,  in  ihrer  Entscheidungspraxis
bislang noch nicht mit einem willkürlich nach § 26 a StPO als unzulässig verworfenen
Ablehnungsgesuch befasst gewesen zu sein.
Der  1.  Strafsenat  des  Bundesgerichthofs  hob hervor,  dass  er  in  mehreren
Entscheidungen auf die Problematik einer Entscheidung des Revisionsgerichts nach
Beschwerdegrundsätzen  im  Hinblick  auf  die  Garantie  des gesetzlichen  Richters
hingewiesen  und  ein  Ausweichen  des Tatrichters  in  den  Ablehnungsgrund  der
Unzulässigkeit kritisiert  habe  (BGHSt  44,  26  <29>;  Beschluss  vom  22. November
2000  –  1  StR  442/00  –,  BGHR  StPO  §  26  a Unzulässigkeit  9).  Weil  der  absolute
Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO aber nur verhindern wolle, dass ein befangener
Richter an der  Urteilsfindung  mitwirke,  scheide seine Annahme jedenfalls in Fällen
unterhalb der Willkürschwelle aus.
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Der  2.  Strafsenat  des  Bundesgerichthofs  führte aus,  dass  er  die  einer
jahrzehntelangen,  einhelligen  und  von der  Literatur  überwiegend  gebilligten
Rechtsprechung  zu Grunde  liegende  Rechtsansicht  teile,  ein  zu  Unrecht  als
unzulässig  verworfenes  Ablehnungsgesuch  begründe  die  Revision nicht,  weil  ein
solcher  Fehler  nur  eine  Zwischenentscheidung und  nicht  das  Urteil  betreffe.  Der
Senat  habe  aber  für  andere Verfahrenskonstellationen  der  Zuständigkeitsregel  des
§  27  Abs.  1  StPO  entnommen,  dass  ein  Richter  sachlich nicht  über  seine  eigene
angebliche  Befangenheit  entscheiden dürfe  und  die  Mitwirkung  eines  abgelehnten
Richters  an  einer solchen Entscheidung einen eigenen Ablehnungsgrund darstelle,
auf den ein erneutes Ablehnungsgesuch gestützt werden könne.
Auch  der  4.  Strafsenat  des  Bundesgerichtshofs wies  darauf  hin,  dass  das
Revisionsgericht  im  Rahmen  des § 338 Nr. 3 StPO ein Befangenheitsgesuch nach
Beschwerdegrundsätzen  auch  in  den  Fällen  inhaltlich  prüfe,  in denen  das  Gesuch
rechtsfehlerhaft  als  unzulässig  verworfen worden  sei.  Ergebe  sich  aus  dem
Ablehnungsvorbringen zweifelsfrei, dass das Ablehnungsgesuch unbegründet sei, so
komme es nicht mehr darauf an, ob die Beschlusskammer vorschriftsmäßig  besetzt
gewesen sei; dies schließe die Möglichkeit einer Aufhebung und Zurückverweisung
bei fehlender tatsächlicher Beurteilungsgrundlage allerdings nicht aus.
Der 5. Strafsenat hob ergänzend hervor, dass diese Auslegung und Anwendung des
§ 338 Nr. 3 StPO gerade mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geboten sei. Erweise
sich  ein  Ablehnungsgesuch  in  der  Sache  als unbegründet,  so  sei  der  abgelehnte
Richter  tatsächlich  der zur  Entscheidung  in  der  Hauptsache  berufene,  gesetzliche
Richter.  Führe  ein  schlichter  Verfahrensfehler  in  der Behandlung  des
Ablehnungsgesuchs  zur  Aufhebung  und Zurückverweisung  der  Sache,  so  entzöge
eine  solche Entscheidung  des  Revisionsgerichts  den  Betroffenen tatsächlich  und
endgültig seinem gesetzlichen Richter.
IV.
Die  Verfassungsbeschwerde  wird  zur Entscheidung  angenommen,  weil  dies  zur
Durchsetzung  der Rechte  des  Beschwerdeführers  angezeigt  ist  (§  93a Abs.  2
Buchstabe  b  BVerfGG).  Soweit  der Beschwerdeführer  die  Behandlung  seiner
Ablehnungsgesuche beanstandet,  ist  die  Verfassungsbeschwerde  in  einer  die
Zuständigkeit der Kammer ergebenden Weise offensichtlich begründet.
Die für die Beurteilung maßgeblichen Fragen zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103
Abs.  1  GG und  Art.  19  Abs.  4  GG  hat  das  Bundesverfassungsgericht bereits
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48
49
50
entschieden  (§  93c  Abs.  1  Satz  1  BVerfGG). Mit  der  Zurückweisung  der
Ablehnungsgesuche  als  unzulässig hat  die  Strafkammer  den  Beschwerdeführer  im
Ablehnungsverfahren seinem gesetzlichen Richter entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG). Der Bundesgerichtshof hat diese Fehler des Landgerichts nicht geheilt, sondern
durch die  Verwerfung  der  Revision  vertieft.  Zugleich  hat  er  bei  der Auslegung  und
Anwendung  des  absoluten  Revisionsgrunds  des § 338 Nr. 3 StPO im Rahmen der
Prüfung  der Begründetheit  der  Ablehnungsgesuche  Bedeutung  und  Tragweite des
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht hinreichend bedacht.
1.  a)  Art.  101  Abs.  1  Satz  2  GG gewährleistet  dem  Einzelnen  das  Recht  auf  den
gesetzlichen Richter. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen
Einflussnahme  auf  den  Inhalt  einer gerichtlichen  Entscheidung  vorzubeugen,  die
durch  eine  auf den  Einzelfall  bezogene  Auswahl  der  zur  Entscheidung berufenen
Richter  eröffnet  sein  könnte  (vgl. BVerfGE  17,  294  <299>; 48,  246 <254>; 82,  286
<296>; 95,  322 <327>).  Damit  sollen  die Unabhängigkeit  der  Rechtsprechung
gewahrt  und  das  Vertrauen der  Rechtssuchenden  und  der  Öffentlichkeit  in  die
Unparteilichkeit  und  Sachlichkeit  der  Gerichte  gesichert werden  (vgl.  BVerfGE  95,
322 <327>).
Deshalb  verpflichtet  Art.  101  Abs.  1  Satz 2 GG den Gesetzgeber dazu, eine klare
und  abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung  zu  schaffen,  die  für  jeden  denkbaren
Streitfall  im  Voraus  den  Richter  bezeichnet,  der  für  die Entscheidung  zuständig  ist.
Jede  sachwidrige  Einflussnahme auf  die  rechtsprechende  Tätigkeit  von  innen  und
von  außen soll  dadurch  verhindert  werden.  Die  Gerichte  sind  bei  der ihnen
obliegenden Anwendung der vom Gesetzgeber geschaffenen Zuständigkeitsordnung
verpflichtet,  dem  Gewährleistungsgehalt und der Schutzwirkung des Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG angemessen Rechnung zu tragen.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG darüber hinaus auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die
Verfassungsnorm  garantiert,  dass  der  Rechtssuchende  im Einzelfall  vor  einem
Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität
u n d Distanz  gegenüber  den  Verfahrensbeteiligten  bietet  (vgl. BVerfGE  10,  200
<213 f.>; 21, 139 <145 f.>; 30, 149 <153>; 40, 268 <271>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>;
siehe dazu auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 162, 165 ff.; kritisch Sowada, Der
gesetzliche Richter im Strafverfahren, S. 179 ff.).
Der Gesetzgeber hat deshalb in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu treffen, dass
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die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung
anstehenden  Streitfall  nicht  mit  der erforderlichen  professionellen  Distanz  eines
Unbeteiligten und  Neutralen  gegenüberstehen.  Die  materiellen  Anforderungen der
Verfassungsgarantie  verpflichten  den  Gesetzgeber  dazu, Regelungen  vorzusehen,
die  es  ermöglichen,  einen  Richter,  der im  Einzelfall  nicht  die  Gewähr  der
Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes auszuschließen.
b) Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die
Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im
Einzelfall  obliegt,  kann  nicht  in  jeder  fehlerhaften Rechtsanwendung  gesehen
werden;  andernfalls  müsste  jede fehlerhafte  Handhabung  des  einfachen  Rechts
zugleich als Verfassungsverstoß angesehen werden (vgl. BVerfGE 82, 286 <299> ).
Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn
die  Auslegung  einer  Zuständigkeitsnorm  oder  ihre Handhabung  im  Einzelfall
willkürlich  oder  offensichtlich unhaltbar  ist  oder  wenn  die  richterliche  Entscheidung
Bedeutung  und  Tragweite  der  Verfassungsgarantie  des Art.  101  Abs.  1  Satz  2  GG
grundlegend  verkennt  (vgl. BVerfGE  82,  286  <299> ).  Ob  die  Entscheidung  eines
Gerichts  auf  Willkür,  also  auf  einem  Fall  grober  Missachtung oder  grober
Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 82,  159 <197>; 87,
282  <286> )  beruht  oder  ob  sie  darauf hindeutet,  dass  ein  Gericht  Bedeutung  und
Tragweite  der Verfassungsgarantie  des  Art.  101  Abs.  1  Satz  2  GG grundlegend
verkennt,  kann  nur  anhand  der  besonderen  Umstände des  Einzelfalls  beurteilt
werden.
2.  Nach  diesen  Prüfungsmaßstäben  verletzen  die angegriffenen  Entscheidungen
des  Landgerichts  Köln  über  die Befangenheitsgesuche  das  Recht  des
Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter im Ablehnungsverfahren.
a) Die strafprozessualen  Vorschriften  über  die Ausschließung und Ablehnung von
Richtern  (§§  22,  23  und 24  StPO)  dienen  dem  durch  Art.  101  Abs.  1  Satz  2  GG
verbürgten Ziel, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung
berufenen  Richter  zu  sichern. §  24  StPO  eröffnet  die  Möglichkeit,  einen  Richter
wegen Besorgnis  der  Befangenheit  abzulehnen,  wenn  der  Betroffene einen  Grund
sieht,  der  geeignet  ist,  Misstrauen  im  Hinblick auf  seine  Unparteilichkeit  zu
rechtfertigen.
Regelungen
über das  Verfahren  zur  Behandlung  des
Ablehnungsgesuchs
enthalten die  §§  26  a  und  27  StPO,  die  das
Ablehnungsverfahren
unterschiedlich
je
danach
ausgestalten, ob  ein
Ablehnungsgesuch  unzulässig  ist  oder  ob  es  eine Sachprüfung  erfordert.  Ein
54
vereinfachtes
Ablehnungsverfahren sieht  §  26  a  StPO  im  Interesse  der
Verfahrensbeschleunigung  für  unzulässige  Ablehnungsgesuche vor;  über  sie
entscheidet das Gericht, ohne dass der abgelehnte Richter ausscheidet (vgl. § 26 a
Abs. 2 Satz 1 StPO). Kommt eine Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig
nicht  in  Betracht,  so  ist das  Gericht,  dem  der  Abgelehnte  angehört,  ohne  dessen
Mitwirkung  zur  Entscheidung  auf  der  Grundlage  einer dienstlichen  Stellungnahme
des abgelehnten Richters berufen, die dem Antragsteller zur Gewährung rechtlichen
Gehörs zuzuleiten  ist  (vgl.  BVerfGE  24,  56 <62>;  BGHSt  21,  85 <87>).  Die
Zuständigkeitsregelung des § 27 Abs. 1 StPO trägt dabei dem Umstand Rechnung,
dass  es  "nach  der Natur  der  Sache  an  der  völligen  inneren  Unbefangenheit  und
Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe
für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste" (BGH, Urteil vom 30.
Juni  1955  –  4  StR 178/55  -,  zitiert  nach  BGH,  NJW  1984,  S.  1907  <1909>). Die
besondere  Bedeutung  der  richterlichen  Zuständigkeit  im Ablehnungsverfahren  wird
durch § 24 Abs. 3 Satz 2 StPO illustriert, der dem Antragsteller schon im Vorfeld der
Entscheidung  über  sein  Gesuch  das  Recht  verleiht,  die Namhaftmachung  der  zur
Mitwirkung  an  der  Entscheidung  über sein  Ablehnungsgesuch  berufenen
Gerichtspersonen  zu  verlangen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats
des Bundesverfassungsgerichts  vom  5.  Juni  1991  –  2  BvR  103/91  -, NJW  1991,
S. 2758).
Mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in Fällen der Richterablehnung hat
der Gesetzgeber  einerseits  dem  Gewährleistungsgehalt  des Art. 101 Abs.  1  Satz  2
GG  angemessen  Rechnung  getragen: Ein  Richter,  dessen  Unparteilichkeit  mit
jedenfalls nicht von vornherein untauglicher Begründung in Zweifel gezogen worden
ist,  kann  und  soll  nicht  an  der  Entscheidung  über  das  gegen ihn  selbst  gerichtete
Ablehnungsgesuch  mitwirken,  das  sein eigenes  richterliches  Verhalten  und  die  –
ohnehin  nicht einfach  zu  beantwortende  -  Frage  zum  Gegenstand  hat,  ob  das
beanstandete  Verhalten  für  einen  verständigen  Angeklagten Anlass  sein  kann,  an
seiner  persönlichen  Unvoreingenommenheit zu  zweifeln.  Andererseits  hat  der
Gesetzgeber  aus  Gründen  der Vereinfachung  und  Beschleunigung  des
Ablehnungsverfahrens von einer Zuständigkeitsregelung dergestalt abgesehen, dass
d e r abgelehnte  Richter  auch  in  den  klaren  Fällen  eines unzulässigen  oder
missbräuchlich  angebrachten Ablehnungsgesuchs  an  der  Mitwirkung  an  der
Entscheidung  über das  Gesuch  gehindert  ist  (vgl.  BTDrucks  IV/178,  S.  35).  Die
Mitwirkung  des  abgelehnten  Richters  bei  der  Entscheidung  über die  Zulässigkeit
eines Ablehnungsgesuchs oder über die Frage seiner missbräuchlichen Anbringung,
55
56
wie  §  26  a  StPO sie  erlaubt,  verhindert  ein  aufwändiges  und  zeitraubendes
Ablehnungsverfahren  unter  Hinzuziehung  von  Vertretern  in Fällen  gänzlich
untauglicher  oder  rechtsmissbräuchlicher Ablehnungsgesuche; bei strenger Prüfung
ihrer tatbestandlichen  Voraussetzungen  gerät  sie  mit  der Verfassungsgarantie  des
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des
eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine echte
Entscheidung in eigener Sache ist (vgl. BTDrucks IV/178, S. 35; siehe auch Frister,
StV  1997,  S.  150 <151>;  Günther,  NJW  1986,  S.  281  <289>; kritisch  Wendisch,  in:
Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., 1999, § 26 a Rn. 3 ff.). Eine gesetzliche Regelung,
die  dem  abgelehnten  Richter  eine  inhaltliche Entscheidung  über  das  gegen  ihn
gerichtete
Ablehnungsgesuchs ermöglichte,
wäre
demgegenüber
verfassungsrechtlich bedenklich.  Der  ursprünglich  im  Bundesratsentwurf  eines
Zweiten  Gesetzes  zur  Entlastung  der  Rechtspflege  enthaltene Vorschlag,  den
Zurückweisungsgründen  des  §  26  a Abs.  1  StPO  den  der  "offensichtlichen
Unbegründetheit" hinzuzufügen  (BTDrucks  13/4541,  S.  4,  Begründung  S.  11  und
15  f.),  ist  nicht  Gesetz  geworden  (vgl.  nur Stellungnahme  der  Bundesregierung,
Anlage 2 zu BTDrucks 13/4541, S. 32 f.; vgl. BTDrucks 14/1714, S. 3; kritisch Herzog,
StV 2000, S. 444 <446>).
b)  §  26  a  StPO  ist  daher  eine  der Vereinfachung  des  Ablehnungsverfahrens
dienende  Vorschrift; weil  sie  nur  echte  Formalentscheidungen  ermöglichen  oder
einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern will, ist sie eng
auszulegen  (vgl.  Wendisch,  in: Löwe-Rosenberg,  StPO,  25.  Aufl.,  1999,  §  26  a
Rn. 13). In Fällen, in denen die Frage der Unzulässigkeit nicht klar und eindeutig zu
beantworten ist, wird es nahe liegen, das Regelverfahren nach § 27 StPO zu wählen,
um jeden Anschein einer Entscheidung in eigener Sache zu vermeiden (vgl. Lemke,
in:  Heidelberger  Kommentar zur  StPO,  3.  Aufl.,  2001,  §  26  a  Rn.  4;  Wendisch, in:
Löwe-Rosenberg,  StPO,  25.  Aufl.,  1999, §  26  a  Rn.  5).  Auf  Fälle  "offensichtlicher
Unbegründetheit"
des
Ablehnungsgesuchs
darf
das
vereinfachte
Ablehnungsverfahren wegen des sonst vorliegenden Verstoßes gegen Art. 101 Abs.
1  Satz  2  GG  nicht  ausgedehnt  werden (vgl.  Bockemühl,  in:  KMR,  StPO,  Stand:
Dezember 2004, § 26 a Rn. 8).
c)  Gemessen  an  diesen  für  die  Auslegung  und Anwendung  des  §  26  a  StPO
geltenden  Maßstäben verletzen die angegriffenen und dem Urteil voraus gehenden
Beschlüsse  der  Strafkammer  Art.  101  Abs.  1  Satz  2  GG. Die  Behandlung  der
Ablehnungsanträge  geschah  in  allen  drei Fällen  unter  Verletzung  des
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verfassungsrechtlich  verbürgten Anspruchs  auf  Gewährung  rechtlichen  Gehörs
(Art.  103 Abs.  1  GG);  ihre  Zurückweisung  als  unzulässig  unter Einbeziehung  der
abgelehnten Richter beruhte in sämtlichen Fällen auf grob fehlerhaften Erwägungen
und  deutet  insgesamt darauf hin, dass das Landgericht den Gewährleistungsgehalt
des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt hat.
aa)  Der  rechtliche  Ausgangspunkt  der Strafkammer,  dass  ein  Ablehnungsgesuch,
dessen  Begründung  aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines
Ablehnungsgesuchs  völlig  ungeeignet  sei,  einem Ablehnungsgesuch  ohne  Angabe
eines  Ablehnungsgrundes  gleich stehe,  entspricht  der  herrschenden  Ansicht  in
Rechtsprechung und  Schrifttum  (vgl.  Beschluss  des  1.  Strafsenats  des
Bundesgerichtshofs  vom  10.  Mai  2001  –  1  StR  410/00  -,  NStZ–RR 2002,  S.  66;
Beschluss des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 23. Februar 1999 – 4 StR
15/99  -,  NStZ 1999,  S.  311;  Beschluss  des  3.  Strafsenats  des Bundesgerichtshofs
vom 4. Januar 1989 – 3 StR 398/88 -, BGHR StPO § 26 a Unzulässigkeit 2; siehe
auch  Beschluss des  Bundesverwaltungsgerichts  vom  3.  September  1992  -  2  WDB
11/92  -,  veröffentlicht  in  Juris;  Rudolphi,  in: Systematischer  Kommentar  zur  StPO,
Stand: Juni 2004, § 26 a Rn. 6; Pfeiffer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl.,
2003,  §  26  a  Rn.  3;  Lemke, a.a.O.,  Rn.  7).  Sie  ist  verfassungsrechtlich  nicht  zu
beanstanden.  Ein  Ablehnungsantrag,  der  zwar  –  rein  formal betrachtet  –  eine
Begründung für die angebliche Befangenheit enthält, der aber – ohne nähere Prüfung
und  losgelöst  von  den konkreten Umständen des Einzelfalls – zur Begründung der
Besorgnis  einer  Befangenheit  gänzlich  ungeeignet  ist,  kann rechtlich  dem  völligen
Fehlen einer Begründung gleichgeachtet werden. Im Rahmen der Anwendung dieses
Prüfungsmaßstabs  ist das  Gericht  allerdings  in  besonderem  Maße  verpflichtet,  das
Ablehnungsgesuch  seinem  Inhalt  nach  vollständig  zu  erfassen und  gegebenenfalls
wohlwollend auszulegen, da es andernfalls leicht dem Vorwurf ausgesetzt sein kann,
tatsächlich  im Gewande  der  Zulässigkeitsprüfung  in  eine Begründetheitsprüfung
einzutreten.  Überschreitet  das  Gericht die ihm gezogenen Grenzen, so kann dies –
worauf  der  2. Strafsenat  des  Bundesgerichtshofs  in  seiner  Stellungnahme
hingewiesen hat – die Besorgnis der Befangenheit begründen.
bb)
Bei
der
Anwendung
dieses verfassungsrechtlich  unbedenklichen
Prüfungsmaßstabs  hat  die Strafkammer die ihr von Verfassungs wegen gezogenen
Grenzen allerdings überschritten.
(1) Hinsichtlich des ersten Ablehnungsgesuchs hat die Strafkammer angenommen,
dass  es  nur  allgemeine Erwägungen  enthalte,  und  dabei  verkannt,  dass  der
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Beschwerdeführer  seine  Besorgnis  auf  die  eindeutige  und  grob fehlsame,  in
verfassungsrechtlichem  Sinne  daher  objektiv willkürliche  Behandlung  des
Ablehnungsgesuchs des Mitangeklagten durch die Strafkammer stützte.
Bei  der  Prüfung  der  Frage,  ob  das Ablehnungsgesuch  des  Mitangeklagten  einen
Grund für die Besorgnis der Befangenheit angebe, hatte die Strafkammer den in dem
Gesuch tatsächlich angeführten Grund (spontane Unmutsäußerung des Vorsitzenden
vor  dem  Hintergrund mehrfacher  und  als  Kritik  an  der  Verteidigungsstrategie
aufgefasster  Bemerkungen  im  Rahmen  der  Verhandlungsleitung) nicht  unverändert
auf seine Tauglichkeit geprüft, sondern der eigenen Erinnerung an das Geschehen in
der  Hauptverhandlung entsprechend  modifiziert.  Anschließend  hat  das  erkennende
Gericht geprüft, ob der von ihm modifizierte Sachverhalt geeignet sei, die Besorgnis
der  Befangenheit  zu  begründen, und  hat  dies  verneint.  Damit  hat  es  nicht  nur  den
Anspruch des  Antragstellers  auf  Gewährung  rechtlichen  Gehörs  in  grober Weise
verletzt,
sondern
das
Ablehnungsgesuch
der
Sache
nach einer
Begründetheitsprüfung unterzogen, die ihm von Verfassungs wegen gerade verwehrt
ist.  Diese  Art  der Behandlung  eines  Befangenheitsgesuchs  konnte  ohne  weiteres
geeignet sein, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Bei  dieser  Sachlage  hat  die  Strafkammer  das auf  diesen  Sachverhalt  gestützte
Ablehnungsgesuch  des Beschwerdeführers  nur  unter  Verletzung  seines  Anspruchs
auf Gewährung rechtlichen Gehörs und willkürlich als unzulässig verwerfen können.
(2)  Auch  die  Behandlung  der  beiden  weiteren Ablehnungsgesuche  verletzte  nicht
nur  den  Anspruch  des Beschwerdeführers  auf  Gewährung  rechtlichen  Gehörs,
sondern zugleich auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
aaa)  Ihr  rechtlicher  Ausgangspunkt,  dass  eine vermeintlich  oder  tatsächlich
rechtsfehlerhafte Vorentscheidung  für  sich  genommen  die  Besorgnis  der
Befangenheit  nicht  rechtfertige,  mit  der  Folge,  dass  ein darauf  gestütztes
Ablehnungsgesuch als unzulässig im Sinne des § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO angesehen
werden  kann, entspricht  allerdings  der  herrschenden  Meinung  in Rechtsprechung
und  Literatur  (vgl.  BGHSt  21,  334  <343>; BGH,  NStZ-RR  2001,  S.  258;  KG  Berlin,
Beschluss vom 31. Januar 2001 - 1 AR 59/01 - 4 Ws 17/01 –, veröffentlicht in Juris;
Pfeiffer,  in:  Karlsruher  Kommentar zur  StPO,  5.  Aufl.,  2003,  §  24  Rn.  6  m.w.N.;
Günther,  NJW  1986,  S.  281  <285>;  siehe  aber  auch BGH,  NJW  1984,  S.  1907
<1909>). Danach müssen Umstände hinzutreten, die nach den konkreten Umständen
des  Einzelfalls die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermögen (vgl. BGH,
64
65
NStZ-RR  2001,  S.  258);  diese  über  die  Vorentscheidung hinausreichenden
Umstände muss der  Antragsteller  daher  in seinem Gesuch vortragen und glaubhaft
machen  (vgl.  BGH,  NStZ 1999,  S.  311;  BGHR  StPO  §  26  a  Unzulässigkeit 2;
BayObLG, wistra 2002, S. 196 <197>; OLG Köln, StV 1991, S. 293; Pfeiffer, a.a.O.,
m.w.N.;  Günther,  NJW 1986,  S.  281  <283>).  Anhaltspunkte  für  die Besorgnis  der
Befangenheit  können  in  dem  Verhalten  des Richters  oder  in  den  Gründen  der
vorangegangenen Entscheidung gefunden werden (vgl. Beschluss des 3. Strafsenats
des Bundesgerichtshofs vom 9. August 2000 – 3 StR 504/99 -, StV 2002, S. 116; OLG
Düsseldorf, VRS 87, S. 344 ff.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. August 1996 - 1
Ss 96/96 -, Juris-Ausdruck, S. 2 f.). Dieser Maßstab soll auch für die Mitwirkung an der
Entscheidung  über  die  Zulässigkeit  eines Ablehnungsgesuchs  gelten,  selbst  wenn
diese  rechtliche Bewertung unzutreffend gewesen sein sollte (vgl. Beschluss des 1.
Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. November 2000 – 1 StR 442/00 -, NStZ–
RR 2001, S. 258).
bbb)  Entgegen  der  Annahme  der  Strafkammer  hat der  Beschwerdeführer  seine
Ablehnungsgesuche nicht auf die Ablehnung seines Antrags auf Protokollierung der
zusammengefassten  Aussage  und  auf  die  überraschende Einführung  der  beiden
Schreiben oder eine Ablehnung der beantragten Beweiserhebung gestützt. Er hatte
vielmehr  im ersten Fall auf eine über den Beschluss hinausgehende Äußerung des
Gerichts zur Würdigung verschiedener Zeugenaussagen und im zweiten Fall auf die
Versagung der Akteneinsicht in den vom Vorsitzenden geführten Beweismittelordner
abgestellt  und  daraus  seine  Besorgnis  der Befangenheit  hergeleitet.  Die
Ablehnungsgesuche waren mithin beide mit einer nicht von vornherein untauglichen
Begründung versehen. Ihre Behandlung als unzulässig kann daher insbesondere vor
dem Hintergrund der Behandlung der beiden vorangegangenen Ablehnungsgesuche,
auf  die  der Beschwerdeführer  mit  seinem  zweiten  Ablehnungsgesuch ausdrücklich
hingewiesen  hat,  nicht  als  lediglich rechtsirrtümliche  Behandlung  der  Gesuche
angesehen  werden; das  Vorgehen  der  Strafkammer  ist  vielmehr  sachlich  nicht
gerechtfertigt und daher willkürlich.
3. Der Bundesgerichtshof  hat  bei  seiner Entscheidung über die auf den absoluten
Revisionsgrund
des §  338  Nr.  3  StPO  gestützte  und  zulässig  erhobene
Verfahrensrüge  der  Ausstrahlungswirkung  des  Art.  101 Abs.  1  Satz  2  GG  nicht
hinreichend  Rechnung  getragen.  Denn  er hat  nicht  erkennbar  geprüft,  ob  die  hier
unter
Verletzung verfassungsrechtlicher
Mindestgarantien
behandelten
Befangenheitsgesuche  der  Sache  nach  das  vom  Beschwerdeführer gehegte
66
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Misstrauen in die Unparteilichkeit der Mitglieder der Strafkammer rechtfertigen. Damit
hat  er  nicht  nur  den  im Ablehnungsverfahren  verletzten  Anspruch  auf  Gewährung
rechtlichen  Gehörs  nicht  geheilt,  sondern  zugleich  auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
verletzt.
a)  Der  Bundesgerichtshof  hat  die  von  ihm getroffene Entscheidung nicht mit einer
Begründung  versehen. Da  es  in  Fällen,  in  denen  das  Revisionsgericht  dem
Verwerfungsantrag  des  Generalbundesanwalts  nur  im  Ergebnis, nicht  aber  in  der
Begründung  folgt,  der  allgemeinen  Übung  der Strafsenate  entspricht,  der
Bezugnahme  auf  §  349  Abs.  2 StPO die eigene  Rechtsauffassung  anzufügen  (vgl.
nur Beschluss des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 2004 – 2
StR  116/03  -,  NStZ  2004,  S.  511),  dies hier  aber  nicht  geschehen  ist,  kann  davon
ausgegangen  werden, dass  der  5.  Strafsenat  sich  die  Rechtsauffassung  des
Generalbundesanwalts zu Eigen gemacht hat.
b) Nach Auffassung des Bundesgerichthofs ist ein Ablehnungsgesuch nur dann im
Sinne des absoluten Revisionsgrunds des § 338 Nr. 3 StPO "mit Unrecht verworfen",
wenn es tatsächlich begründet gewesen wäre. Darauf, ob das Befangenheitsgesuch
tatsächlich verfahrensfehlerhaft als unzulässig zurückgewiesen worden ist, kommt es
mithin nicht an.
aa) Dieser rechtliche Ausgangspunkt entspricht der heute herrschenden Ansicht in
Rechtsprechung und Kommentarliteratur. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr.
3 StPO soll danach - wie die Ablehnungsvorschriften selbst - die Unparteilichkeit des
Richters gewährleisten. Die schutzwürdigen Belange des Beschwerdeführers fänden
ihre Grenze deshalb dort, wo eine Besorgnis in dieser Richtung tatsächlich fehle. Ein
Ablehnungsgesuch sei deshalb nur dann im Sinne von § 338 Nr. 3 StPO "mit Unrecht
verworfen", wenn es sachlich gerechtfertigt gewesen sei und ihm hätte stattgegeben
werden müssen  (vgl.  BGHSt  18,  200  <202>;  Beschluss  des  4. Strafsenats  des
Bundesgerichthofs vom 16. Dezember 1988 – 4 StR 563/88 -, BGHR StPO, § 26 a
Unzulässigkeit  3; Beschluss  des  3.  Strafsenats  des  Bundesgerichtshofs  vom  9.
August  2000  –  3  StR  504/99  -,  StV  2002,  S.  116;  Dahs/Dahs, Die  Revision  im
Strafprozess, 6. Aufl., 2001, Rn. 161; Kuckein, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5.
Aufl.,  2003, §  338  Rn.  59;  Meyer-Goßner,  StPO,  47.  Aufl.,  2004, §  338  Rn.  28;
Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., 2003, § 338 Rn. 65).
(1) Das Reichsgericht hatte noch angenommen, dass ein Ablehnungsgesuch schon
dann im Sinne des § 338 Nr. 3 StPO "mit Unrecht verworfen" worden sei, wenn über
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das Gesuch ein nicht vorschriftsmäßig besetztes Gericht entschieden habe (vgl. die
Nachweise bei BGHSt 18, 200 <201>; siehe auch BGHSt 21, 334 <338>); denn auf
andere Weise sei das den Prozessbeteiligten zugefügte prozessuale Unrecht nicht zu
beseitigen.  Nachdem  der Bundesgerichthof  dieser  Rechtsprechung  in  einer  frühen
Entscheidung  noch  gefolgt  ist  (vgl.  MDR  1955,  S.  271),  hat  er diese  Auffassung  in
einem  Fall  relativiert,  in  dem  die Mitwirkung  eines  beauftragten  Richters  an  einer
Entscheidung über ein Befangenheitsgesuch als unvorschriftsmäßige Besetzung des
Gerichts  beanstandet  worden  ist;  da  das Ablehnungsersuchen  "offensichtlich
unbegründet" sei, liege der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO nicht vor
(vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1956 – 5 StR 5/56 -, JR 1957, S. 68; siehe auch
BGHSt  18,  200  <203>; 21,  334  <338>).  Unter  Betonung  des  Ziels  des  §  338 Nr.  3
StPO, der wie die Ablehnungsvorschriften dafür Sorge tragen wolle, die Richterbank
von Richtern freizuhalten, deren Unparteilichkeit und Neutralität in berechtigte Zweifel
gezogen worden sei, hat der Bundesgerichtshof auch die Ansicht vertreten, dass das
Revisionsgericht  ein  irrtümlich als  unzulässig  verworfenes  Ablehnungsgesuch  "auf
seine Begründetheit  nachzuprüfen  hat  oder  jedenfalls  nachprüfen darf"  (vgl.  die
Nachweise  zweier  insoweit  unveröffentlichter Entscheidungen  bei  BGHSt  18,  200
<203>; BGHSt 23, 265 <267>; zweifelnd BGHSt 44, 26 <29>). Nach anderer Ansicht
soll  das  Revisionsgericht  jedenfalls  in  Fällen,  in denen  die  abgelehnten  Richter
selbst rechtsirrtümlich über das gegen sie gerichtete Ablehnungsgesuch entschieden
haben, zu  einer  solchen  Prüfung  nicht  verpflichtet  sein,  sondern  das Urteil  auf  die
fehlerhafte  Behandlung  des  Ablehnungsgesuchs hin  aufheben  können,  wenn  nicht
auszuschließen ist, dass das Urteil auf den dargelegten Mängeln beruhen kann (vgl.
BGHSt 23, 200 <202>).
(2)  Nach  anderer  Ansicht  soll  der  absolute Revisionsgrund  allerdings  vorliegen,
wenn die Behandlung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig im Sinne des § 26 a
StPO  auf  offenkundig  willkürlicher Gesetzesauslegung  beruht  (vgl.  Pfeiffer,  StPO,
4. Aufl., 2002, § 338 Rn. 13).
bb)  Ob  diese  Auslegung  des  §  338  Nr.  3 StPO auch dann mit der Verfassung im
Einklang stünde, wenn die Gerichte tatsächlich zunehmend in Fällen offensichtlicher
Unbegründetheit  eines  Ablehnungsantrags  bewusst  in  das Verfahren  nach  §  26  a
StPO ausweichen sollten (vgl. Beschluss des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs
vom 27. Februar 2004 – 2 StR 496/03 -, StraFo 2004, S. 238), weil der begangene
Rechtsverstoß  im  Revisionsrechtszug  regelmäßig folgenlos  bleibt,  kann  hier  offen
bleiben.  Eine  systematische Umgehung des gesetzlich  als  Regelfall  vorgesehenen
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Ablehnungsverfahrens  unter  Hinzuziehung  einer  Vertreterkammer könnte  allerdings
geeignet  sein,  die  verfassungsrechtlich verbürgten  Rechte  des  Antragstellers  auf
Gewährung rechtlichen  Gehörs,  die  Verbürgung  des  gesetzlichen  Richters im
Ablehnungsverfahren  und  nicht  zuletzt  die  Garantie effektiven  Rechtsschutzes  zu
beeinträchtigen.  Das  nach  dem Willen  des  Gesetzgebers  regelmäßig  vorgesehene
Ablehnungsverfahren  gewährleistet  durch  die  zeitnah einzuholenden  dienstlichen
Stellungnahmen  der  betroffenen Richter  eine  optimale  Aufklärung  des  dem
Ablehnungsgesuch  zu Grunde liegenden Lebenssachverhalts  und  ermöglicht  damit
zugleich  eine  effektive  Kontrolle  der  vom  Antragsteller vorgebrachten
Ablehnungsgründe;  die  spätere,  nach vollständiger  Durchführung  einer  unter
Umständen  langen  und aufwändigen  Hauptverhandlung  stattfindende  Kontrolle  im
Revisionsrechtszug  bietet  hier  keinen  vollständigen  Ausgleich (zu  den
Erfolgaussichten  einer  auf  §  338  Nr.  3  StPO gestützten  Verfahrensrüge  vgl.  Nack,
NStZ  1997,  S.  153 <158>;  Nehm/Senge,  NStZ  1998,  S.  377  <383>; Barton,  Die
Revisionsrechtsprechung des BGH in Strafsachen, 1999, S. 147 f.).
c) Dem Bundesgerichtshof als dem zuständigen Fachgericht hätte es oblegen, die
im  Ablehnungsverfahren geschehenen,  gravierenden  Verfassungsverstöße  durch
Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen zu beheben.
Mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist es verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar,
wenn  das Revisionsgericht  auch  in  den  Fällen,  in  denen  ein Ablehnungsgesuch  –
wie hier –  willkürlich  und  unter Verletzung des grundrechtsgleichen Anspruchs des
Angeklagten auf  Gewährung  rechtlichen  Gehörs  im  Ablehnungsverfahren  als
unzulässig  verworfen  worden  ist,  lediglich  prüft,  ob  das Ablehnungsgesuch  in  der
Sache erfolgreich gewesen wäre. Das Revisionsgericht hat in Fällen wie dem hier zu
entscheidenden nicht über die hypothetische Begründetheit des Ablehnungsgesuchs,
sondern vielmehr darüber zu entscheiden, ob die Grenzen der Vorschrift des § 26 a
StPO,  die den  gesetzlichen  Richter  gewährleistet,  eingehalten  wurden. Andernfalls
würde § 26 a StPO leer laufen und entgegen dem erklärten Willen des Gesetzgebers
auch  auf  die Entscheidung  über  offensichtlich  unbegründete Ablehnungsgesuche
ausgedehnt. Jedenfalls bei einer willkürlichen Überschreitung des von § 26 a StPO
gesteckten  Rahmens  hat  das  Revisionsgericht  die  angegriffenen Entscheidungen
aufzuheben  und  an  das  Tatgericht zurückzuverweisen,  damit  dieses  in  der
Zusammensetzung des § 27 StPO über das Ablehnungsgesuch entscheidet.
d)  Bei  dieser  Sachlage  kommt  es  daher  nicht mehr  darauf  an,  ob  –  wie  vom
Beschwerdeführer  vorgetragen  – die  Behandlung  der  Verfahrensrüge  durch  den
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Bundesgerichtshof auch  sein  grundrechtsgleiches  Recht  auf  Gewährung  effektiven
und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 67, 43 <58> ;
stRspr) verletzt.
4. Aus diesen Gründen ist auch die Entscheidung des Landgerichts aufzuheben.
V.
Im  Übrigen  ist  die  Verfassungsbeschwerde jedenfalls  unbegründet.  Die
unterlassene  Verlesung  des Anklagesatzes  verletzt  den  Beschwerdeführer  nicht  in
Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.
VI.
Die  Entscheidung  über  die  Erstattung  der notwendigen  Auslagen  des
Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Osterloh
Mellinghoff