Urteil des BVerfG vom 13.05.2015

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die strafprozessuale Verwertbarkeit sogenannter "Beinahetreffer" bei einem Reihengentest nach § 81h StPO

- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. Ali B. Norouzi,
in Sozietät Widmaier Norouzi Rechtsanwälte,
Kurfürstendamm 216, 10719 Berlin -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 616/13 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des Herrn A…,
2. des Herrn A…,
3. des Herrn A…
1. unmittelbar gegen
a) das Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 117/12 -,
b) das Urteil des Landgerichts Osnabrück
vom 2. November 2011 - 3 KLs 10/11 -,
2. mittelbar gegen
§ 81h StPO
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Landau
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 13. Mai 2015 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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G r ü n d e :
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die strafprozessuale Verwertbarkeit sogenannter
„Beinahetreffer“ bei einem Reihengentest nach § 81h StPO.
1. Mit Urteil vom 2. November 2011 wurde der zur Tatzeit 16 Jahre und 11 Monate alte
Beschwerdeführer zu 1) wegen besonders schwerer Vergewaltigung schuldig gesprochen
und zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts sprang der Beschwerdeführer zu 1), der sich
entschlossen hatte, die Nebenklägerin unter Einsatz massiver Gewalt zum
Geschlechtsverkehr zu nötigen, diese nachts auf dem Nachhauseweg von einer Gaststätte
von hinten an, so dass sie auf den Bauch zu Boden fiel. Auf ihr sitzend oder liegend gelang
es ihm trotz heftiger Gegenwehr der Nebenklägerin unter Einsatz massiver Schläge gegen
ihren Kopf, den er auch auf den Boden schlug, ihr den Rock hochzuschieben, den Slip
auszuziehen und ihre Beine zu spreizen. Anschließend drang er mit seinem erigierten Glied
mehrfach in ihre Scheide und einmal kurzzeitig in ihren Anus ein, bevor er sie nach einem
kurzen, missglückten Befreiungsversuch erneut zu Boden warf und mit ihr den
Vaginalverkehr bis zum Samenerguss vollzog. Als die Nebenklägerin, die den
Beschwerdeführer zu 1) nicht erkennen konnte, weil ihre Augen wegen der heftigen Schläge
gegen den Kopf zugeschwollen waren, sich bewusstlos stellte, ließ er von ihr ab, auch weil er
auf dem Weg herannahende Personen hörte.
Die Nebenklägerin, die infolge der massiven Schläge im Kopfbereich zwischenzeitlich
mehrfach dem Bewusstseinsverlust nahe war, trug neben Verletzungen im Scheiden- und
Analbereich - unter anderem einen drei bis vier Zentimeter langen Riss am äußeren
Genitalbereich - erhebliche Kratz- und Prellungsspuren am gesamten Körper davon. Zudem
erlitt sie schwere Prellungen, Schwellungen und Hämatome im Kopfbereich. Die
Nebenklägerin blutete aus Nase und Ohr. Noch Tage nach der Tat bestanden flächige
Einblutungen in beiden Augen. Während der Tat hatte sie das Gefühl, der Beschwerdeführer
zu 1) zertrümmere ihren Kopf. Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung war die Nebenklägerin
stark psychisch belastet. Mehr als zwanzig Psychologen lehnten aufgrund der Schwierigkeit
des Falles eine Behandlung ab. Die Nebenklägerin kann sich nur eingeschränkt frei bewegen
und ist auf Helfer angewiesen. Zudem ist sie durch Schlafstörungen und durch öffentliche
Fragen der dörflichen Gemeinschaft belastet.
b) Seine Feststellungen und die Überzeugung von der Täterschaft des Beschwerdeführers
zu 1) stützte das Landgericht neben der Einlassung des Beschwerdeführers zu 1), er sei in
der Tatnacht in einer Gaststätte in unmittelbarer Nähe des Tatortes gewesen, sowie den
Angaben der Nebenklägerin und weiterer Zeugen im Wesentlichen auf einen DNA-Abgleich
der Spuren, die auf der Bluse und im Slip der Nebenklägerin sowie in den von ihr
genommenen insgesamt sieben Abstrichen festgestellt werden konnten, mit einer beim
Beschwerdeführer zu 1) erhobenen DNA-Probe.
Zum Ablauf des Ermittlungsverfahrens führte das Landgericht aus, dass die Untersuchung
des bei der Nebenklägerin sichergestellten DNA-Materials zwar einen bestimmten
Spurenverursacher, aber keine Hinweise auf einen polizeilich bekannten Täter ergab.
Nachdem weitere Ermittlungen eine örtliche Verwurzelung des Täters nahegelegt hatten,
ordnete der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Osnabrück auf Antrag der
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Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 13. September 2010 hinsichtlich sämtlicher zwischen
dem 1. Januar 1970 und dem 31. Dezember 1992 geborener männlicher Personen in der
Samtgemeinde D. die freiwillige Abgabe von Körperzellen zur Feststellung des DNA-
Identifizierungsmusters an. An dem Reihengentest, bei dem von 2.406 Männern nach der
gesetzlich vorgeschriebenen Belehrung über die Freiwilligkeit und den Umfang der Nutzung
der DNA Speichelproben genommen wurden, nahmen auch der Vater des
Beschwerdeführers zu 1) (Beschwerdeführer zu 2)) sowie zwei seiner Onkel teil (davon ist
einer der Beschwerdeführer zu 3)); der Beschwerdeführer zu 1) selbst war davon aufgrund
seines jugendlichen Alters - er wurde 1993 geboren - nicht betroffen. Bei der Untersuchung
und dem Vergleich der DNA-Proben aus dem Reihengentest mit dem DNA-Muster der
Tatspuren stellte die beauftragte Sachverständige bei zwei anonymisierten Proben aufgrund
des Vorkommens eines sehr seltenen Allels eine hohe Übereinstimmung zwischen diesen
und der des mutmaßlichen Täters fest. Sie teilte diesen Befund dem ermittelnden
Polizeibeamten mit und wies darauf hin, dass diese beiden Probengeber zwar nicht als Täter
in Betracht kämen, aber Verwandte des Spurenlegers sein könnten. Die beiden Proben
wurden daraufhin bei der Polizeidienststelle entanonymisiert, und es wurde festgestellt, dass
sie von untereinander Verwandten - dem Vater des Beschwerdeführers zu 1)
(Beschwerdeführer zu 2)) und seinem Onkel (Beschwerdeführer zu 3)) - stammten. Ein von
der Polizei durchgeführter Melderegisterabgleich erbrachte das Ergebnis, dass einer der
Probengeber einen Sohn - den Beschwerdeführer zu 1) - hatte, der aufgrund seines
jugendlichen Alters nicht in das Raster für den Reihengentest gefallen war, der aber
gleichwohl die Tat begangen haben könnte. Daraufhin erließ das Amtsgericht Osnabrück auf
Antrag der Staatsanwaltschaft einen Beschluss auf Entnahme von Körperzellen beim
Beschwerdeführer zu 1) und deren Untersuchung zur Bestimmung des DNA-
Identifizierungsmusters. Diese Untersuchung ergab eine Übereinstimmung mit der Tatspur.
c) In rechtlicher Hinsicht befasste sich das Landgericht in seinem Urteil umfassend mit der
Frage, ob ein Beweiserhebungs- oder -verwertungsverbot vorliege.
Der Fall weise die „einmalige Konstellation“ auf, dass der Täter eines Deliktes nicht
unmittelbar im Zusammenhang mit einem Massengentest ermittelt werden konnte, sondern
lediglich anlässlich der Untersuchung zufällig eine Teilübereinstimmung mit der Täterspur
festgestellt werden konnte (sog. „Beinahetreffer“). Die Verwertung eines solchen
Beinahetreffers führe nicht zu einer rechtlich durchgreifenden Verletzung von § 81h StPO
oder von verfassungsrechtlichen Grundsätzen.
Die vom Gesetzgeber in § 81h Abs. 1 StPO vorgenommene tatbestandliche Beschränkung
der Zielsetzung der Ermittlungsmaßnahme gehe nach dem Sinn und Zweck von einem von
den Ermittlungsbehörden angestrebten positiven oder negativen Feststellungserfolg aus.
Dies treffe auf einen Beinahetreffer nicht zu, bei dem es sich im Hinblick auf die
Durchführung der auf § 81h StPO gestützten eigentlichen Ermittlungsmaßnahme um eine
zufällig gewonnene Erkenntnis handle.
Es sei den die DNA Untersuchenden faktisch nicht möglich, das Ergebnis der
Identitätsprüfung zur Kenntnis zu nehmen, ohne die auf eine mögliche Verwandtschaft
deutende Übereinstimmung der DNA-Muster ebenfalls zu registrieren, da das
Auswertungsergebnis jeweils erst am Ende des Abgleichungsprozesses vorliege. Die sich
daraus ergebenden Ansätze für weitere Ermittlungen seien ein zufälliges zusätzliches
Resultat der gesetzlich vorgesehenen Untersuchungsmethoden und -zwecke. Bei den
Beinahetreffern handele es sich um ein „technisch bedingtes Nebenprodukt“.
Die in § 81h Abs. 4 StPO vorgeschriebene Belehrung und Einwilligung der Betroffenen
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hindere eine Verwertung der Beinahetreffer nicht. Denn die von den Betroffenen erklärte
Einwilligung treffe keine Aussage zu der Frage, wie mit einer eventuellen Zufallserkenntnis
umzugehen sei, da eine entsprechende Belehrung vom Gesetz nicht vorgesehen sei. Über
eine solche Möglichkeit der Erklärung seiner Einwilligung würde sich der Betroffene auch
keine Gedanken machen. Anders wäre dies theoretisch nur dann, wenn der Betroffene um
die mögliche Tatbeteiligung eines Verwandten wüsste. So liege der Fall hier aber nicht. Das
dem Gesetzgeber bei körperlichen Untersuchungen bekannte Zeugnisverweigerungsrecht
des § 81c Abs. 3 StPO sei in die Regelung des § 81h StPO deshalb gerade nicht
eingeflossen.
Ein Verstoß gegen das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren liege - auch unter
Berücksichtigung der Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege - nicht vor.
Auch der Angehörigenschutz gebiete keine andere Beurteilung. Dabei sei zu berücksichtigen,
dass der strafprozessuale Angehörigenschutz vor staatlichen Ermittlungsmaßnahmen nicht
absolut schütze. So beziehe sich beispielsweise die Vorschrift des § 252 StPO nicht auf die
Einvernahme des (Ermittlungs)Richters. Zu beachten sei vielmehr, dass das Zugeständnis
von Zeugnisverweigerungsrechten der konkreten Konfliktsituation Rechnung trage, in der
sich ein Angehöriger befinde. An einer solchen Konfliktsituation fehle es aber bei der
Verwertung eines Beinahetreffers im Rahmen des § 81h StPO, da die Teilnahme an einer
DNA-Reihenuntersuchung grundsätzlich freiwillig sei und nicht mit staatlichem Zwang
durchgesetzt werden könne.
Nach Auffassung der Strafkammer lag auch kein Verstoß gegen das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung vor, da die Verwertung der Kenntnisse eines gemäß § 81a
StPO gewonnenen Beinahetreffers nicht dem absolut geschützten Bereich privater
Lebensgestaltung unterfalle. Durch die freiwillige Teilnahme an der DNA-Reihenuntersuchung
und die Abgabe der DNA-Probe hätten die Betroffenen bereits selbst einen Bezug zur
Öffentlichkeit hergestellt.
Selbst wenn man zu dem Ergebnis käme, im vorliegenden Fall liege ein
Beweiserhebungsverbot vor, gegen das verstoßen worden sei, müsste in einem zweiten
Schritt über das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots entschieden werden. Einem
solchen komme nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lediglich
Ausnahmecharakter zu. Eine Fernwirkung bezüglich der weiteren Ermittlungsergebnisse, die
auf Grundlage der ausgewerteten Beinahetreffer folgen, sei nicht anzunehmen. Ein
vorsätzlicher oder gar willkürlicher Verstoß sei nicht ersichtlich. Dies könne nur dann
angenommen werden, wenn vor der Durchführung der Reihenuntersuchung konkrete
Anhaltspunkte für einen bestimmten Tatverdächtigen - hier den Beschwerdeführer zu 1) -
vorgelegen hätten und dieser Tatverdacht etwa durch eine Untersuchung von DNA der
Familienangehörigen bestätigt werden sollte. Eine solche Fallkonstellation liege aber
ersichtlich nicht vor. Schließlich dürfe bei alldem nicht außer Acht bleiben, welche
Rechtsgüter auf der anderen Seite durch die strafrechtliche Aufarbeitung geschützt werden
sollten. Vorliegend sei die Nebenklägerin durch die Tat in erheblicher Weise in ihrer
psychischen und physischen Unversehrtheit beeinträchtigt worden. Sie leide noch bis heute
an der Tat und habe ihr Leben umstellen müssen. Vergleiche man dies mit dem geltend
gemachten Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit derjenigen, die sich freiwillig zu dem
DNA-Reihentest begeben hätten, vermutlich auch, um an der Überführung des Täters
mitzuwirken, so überwiege eindeutig das Interesse am Rechtsgüterschutz des Opfers.
2. Gegen das Urteil des Landgerichts legte der Beschwerdeführer zu 1) Revision ein. Die
Verwertung der Ergebnisse der DNA-Untersuchung betreffend den Angeklagten und seine
Verwandten stelle einen Verstoß gegen § 261 StPO in Verbindung mit § 81h Abs. 3, Abs. 4
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Nr. 1 StPO und den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes dar, weil diese Erkenntnisse
auf rechtswidrige Art und Weise erlangt worden und deshalb unverwertbar seien. Fehlerhaft
sei, dass die Proben des Vaters und des Onkels des Beschwerdeführers zu 1), welche die
teilweise Übereinstimmung zur Tatspur aufgewiesen hätten, sowie die Aufzeichnungen über
deren festgestellte DNA-Identifizierungsmuster nicht unverzüglich vernichtet worden seien,
nachdem festgestellt worden sei, dass die beiden Probanden nicht als Spurenleger in
Betracht kämen. Die Sachverständige habe zudem einen Quervergleich der Proben
untereinander durchgeführt, was eine von § 81h StPO nicht erlaubte Untersuchungsmethode
darstelle. Weitere Gesetzesverletzungen seien in der Entanonymisierung der Proben und in
dem später durchgeführten Abgleich mit der Probe des weiteren Onkels des Angeklagten zu
sehen. Der Vater und die beiden Onkel des Beschwerdeführers zu 1) hätten zudem nicht
wirksam in die Entnahme und Untersuchung ihres Zellmaterials eingewilligt, weil sie bei der
durchgeführten Belehrung über das Schicksal ihrer DNA-Probe getäuscht worden seien.
Schließlich seien durch die Vorgehensweise der Ermittlungsbehörden die analog
anwendbaren Vorschriften des § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO und des § 81c Abs. 3 Satz 1 StPO
verletzt worden. Die Vielzahl der Verstöße, die auf ein willkürliches Handeln der
Ermittlungsorgane hindeute, sowie ihr Gewicht begründeten nicht nur ein Beweiserhebungs-,
sondern auch ein Beweisverwertungsverbot.
3. In seiner Stellungnahme im Revisionsverfahren verneinte der Generalbundesanwalt ein
Beweiserhebungs- und erst recht ein Beweisverwertungsverbot.
4. Mit dem angefochtenen Urteil vom 20. Dezember 2012 verwarf der Bundesgerichtshof
die Revision des Beschwerdeführers zu 1).
a) In tatsächlicher Hinsicht stellte der Bundesgerichtshof zunächst den Grund der Mitteilung
der Beinahetreffer von der Sachverständigen an die Ermittlungsbehörden heraus: Die
Sachverständige erbat deshalb die Überprüfung, ob weitere Verwandte der zwei auffälligen
Probengeber an dem Reihengentest teilgenommen hätten, um - zu diesem Zeitpunkt stand
noch die Untersuchung von etwa 800 Speichelproben aus - deren Untersuchung
gegebenenfalls vorzuziehen.
b) Die von der Revision erhobenen Beanstandungen wegen Rechtsverletzungen bei der
Gewinnung der DNA-Identifizierungsmuster der Beschwerdeführer zu 2) und 3) im Rahmen
des Reihengentests drängen nicht durch. Die Durchführung des Reihengentests gebe keinen
Anlass zu rechtlichen Beanstandungen.
Vorliegend sei ein Verstoß gegen die Löschungsverpflichtung nicht gegeben. Im Zeitpunkt
der Untersuchung der DNA-Proben der beiden Onkel des Beschwerdeführers zu 1) sei der
Reihengentest noch nicht abgeschlossen gewesen; es stand noch die Untersuchung von
etwa 800 Speichelproben aus. Eine Verpflichtung zur sofortigen Löschung jedes einzelnen -
nicht übereinstimmenden - Identifizierungsmusters unmittelbar nach seinem Abgleich mit
dem der Tatspur lasse sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Im Übrigen würde auf
der unterlassenen Löschung der beiden DNA-Identifizierungsmuster das Urteil nicht beruhen.
Soweit beanstandet werde, dass die Sachverständige einen gezielten Quervergleich der
Proben des Vaters des Beschwerdeführers zu 1) und seiner Onkel untereinander
durchgeführt habe, sei die Rüge bereits unzulässig, da die Verfahrensrüge insoweit nicht in
der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben worden sei. Außerdem ergebe sich aus
dem Verfahrensgeschehen ohnehin, dass ein „gezielter Quervergleich“ der Proben des
Vaters des Beschwerdeführers zu 1) und seiner Onkel untereinander durch die
Sachverständige nicht vorgenommen worden sei. Vielmehr sei eine hohe Übereinstimmung
„mit der Tatspur“ festgestellt worden. Damit habe diese Rüge auch in der Sache keinen
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Erfolg.
Schließlich lägen keine Gesetzesverletzungen mit Blick auf die Entanonymisierung des
DNA-Identifizierungsmusters vor. Die Körperzellen würden durch die Ermittlungsbehörden
nicht in anonymisierter Form erhoben. Diesen lägen vielmehr bezüglich jedes Probanden die
vollständigen Daten vor. Die über § 81h Abs. 3 Satz 1 StPO anwendbare Vorschrift des § 81f
Abs. 2 Satz 3 StPO regele nur, dass die Proben an den einzuschaltenden Sachverständigen
in teilanonymisierter Form zu versenden seien. Dies sei geschehen. Dass der ermittelnde
Polizeibeamte auf die Mitteilung der hohen Übereinstimmung der DNA-Identifizierungsmuster
mit der Tatspur in der Personenliste der DNA-Reihenuntersuchung die Identität der
Probengeber überprüft und so die Beschwerdeführer zu 2) und 3) ermittelt habe, verletze die
Vorschrift des § 81f Abs. 2 Satz 3 StPO ersichtlich nicht.
Auch der Angriff gegen die Belehrung greife nicht durch, da diese - wie die Revision selbst
vortrage - der gemäß § 81h Abs. 4 StPO gesetzlich vorgesehenen Form entsprochen habe.
Sie könne nicht durch spätere Vorgänge, die im Zeitpunkt der Erteilung der Belehrung nicht
absehbar waren, nachträglich verfahrensfehlerhaft werden. Insgesamt könne von der
vorgetragenen „selbstherrlichen Missachtung“ einer richterlichen Anordnung oder einer
Täuschungsabsicht der ermittelnden Behörden keine Rede sein.
c) Allerdings sei das Vorgehen der Sachverständigen und der Ermittlungsbehörden von
§ 81h Abs. 1 StPO und der Einwilligung der Beschwerdeführer zu 2) und 3) insoweit nicht
gedeckt, als von der Sachverständigen auch mitgeteilt worden sei, dass die teilweise
Übereinstimmung der DNA-Identifizierungsmuster von zwei Probanden es als möglich
erscheinen lasse, es handele sich bei diesen um Verwandte des mutmaßlichen Täters.
Gemäß § 81h Abs. 1 StPO dürfe die Ermittlung von Identifizierungsmustern und ihr Abgleich
mit dem des Spurenmaterials nur vorgenommen werden, soweit dies zur Feststellung
erforderlich sei, ob das Spurenmaterial von den Teilnehmern des Reihengentests stamme.
Die nach § 81h Abs. 3 Satz 1 StPO entsprechend geltende Vorschrift des § 81g Abs. 2
Satz 2 StPO verbiete es, darüber hinausgehende Untersuchungen vorzunehmen und
weitergehende Feststellungen zu treffen. Die vorliegend festgestellte mögliche
Verwandtschaft zwischen zwei Probanden und dem mutmaßlichen Täter stelle eine für die
Frage, ob die DNA-Identifizierungsmuster der Teilnehmer des Reihengentests mit dem der
Tatspur übereinstimmen, nicht erforderliche Erkenntnis dar. Diese sei allerdings nicht durch
eine darauf gerichtete und damit unzulässige Untersuchung erlangt worden, denn nach den
rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts liege das Auswertungsergebnis
der automatisierten Abgleichung der DNA-Identifizierungsmuster erst am Ende des
Abgleichungsprozesses in verschiedenen DNA-Systemen vor, so dass es der
Sachverständigen faktisch nicht möglich gewesen sei, das Ergebnis der Identitätsprüfung zur
Kenntnis zu nehmen, ohne die auf eine mögliche Verwandtschaft deutende Übereinstimmung
der DNA-Muster ebenfalls zu registrieren. Ein Verstoß gegen ein Untersuchungsverbot liege
nicht vor. Bedenken bestünden zudem, ein Feststellungsverbot im Sinne eines
Kenntnisnahmeverbots anzunehmen, weil dadurch von den zur Untersuchung und
Auswertung einzuschaltenden Sachverständigen etwas verlangt würde, was ihnen nach den
tatsächlichen Gegebenheiten unmöglich sei.
Dennoch verbleibe es bei der nach dem Wortlaut des § 81h Abs. 1 StPO eindeutigen
Zweckbindung von Untersuchung und Abgleich der DNA-Proben und dem Verbot
überschießender Feststellungen. Dieses führe dazu, dass sich die Weitergabe der zusätzlich
gewonnenen Erkenntnisse im Sinne einer möglichen verwandtschaftlichen Beziehung und
ihre anschließende Verwendung im Verfahren gegen den Angeklagten als
verfahrensfehlerhaft erwiesen. Denn die darin liegende Verwertung als Verdachtsmoment
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stelle eine Verwendung personenbezogener Daten zu einem Zweck dar, zu dem sie nicht
erhoben worden seien. Für den darin liegenden Eingriff in die Grundrechte der
Beschwerdeführer zu 2) und 3) fehle es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage. Sei die
Verwendung der Daten der Angehörigen des Beschwerdeführers zu 1) in Form der
verdachtsbegründenden Verwertung gegen ihn verfahrensfehlerhaft, so sei davon auch der
gegen ihn erlassene Beschluss nach § 81a StPO betroffen. Die Gewinnung der daraus
folgenden Beweismittel - die Übereinstimmung seines DNA-Identifizie-rungsmusters mit dem
der Tatspuren - erweise sich damit ebenfalls als rechtswidrig.
d) Gleichwohl kommt der Bundesgerichtshof unter Anwendung der Abwägungslehre zu
dem Ergebnis, dass die Strafkammer diese Beweismittel in die Hauptverhandlung einführen
und im Urteil gegen den Angeklagten verwerten durfte. Der Verstoß gegen § 81h Abs. 1,
Abs. 3 Satz 1, § 81g Abs. 2 Satz 2 StPO und die daraus resultierende Rechtswidrigkeit des
gegen den Beschwerdeführer zu 1) erwirkten Beschlusses nach § 81a StPO führten hier
ausnahmsweise noch nicht dazu, dass das Ergebnis der DNA-Analyse nicht gegen ihn hätte
verwendet werden dürfen.
Die hinreichend bestimmte Vorschrift des § 261 StPO diene als Legitimation für die
Verwertung der in die Hauptverhandlung eingeführten Daten zur Urteilsfindung und
beschränke hierbei die Verwertung nicht auf rechtmäßig erhobene Beweise; auch in
verfahrensfehlerhafter Weise gewonnene Beweismittel könnten zur Urteilsfindung
herangezogen werden, wenn nicht im Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot entgegenstehe.
Danach sei die Verwertung der erlangten Beweisergebnisse - namentlich des mit dem der
Tatspur übereinstimmenden DNA-Identifizierungsmusters des Beschwerdeführers zu 1) -
hier (noch) zulässig.
Zwar liege in der Verwendung der durch den angeordneten Reihengentest zufällig
gewonnenen Erkenntnisse ein Rechtsverstoß von erheblichem Gewicht, denn eine
Zweckbindung, wie sie von § 81h Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, § 81g Abs. 2 Satz 2 StPO
vorgesehen sei, solle gerade jede sonstige Datenverwendung verhindern.
Dem stünde jedoch gegenüber, dass der Reihengentest, der zu der Erkenntnis geführt
habe, in rechtmäßiger Art und Weise richterlich angeordnet und die Probanden entsprechend
den gesetzlichen Bestimmungen ordnungsgemäß belehrt worden seien. Auch bei der
Durchführung der Maßnahme sei es nicht zu Rechtsverstößen gekommen; die
Beweisgewinnung sei insoweit rechtmäßig gewesen. Zudem habe die Sachverständige mit
ihrer Mitteilung an die Ermittlungsbehörden lediglich den schnelleren Abschluss des
Reihengentests zum Ziel gehabt; die Weitergabe der Information an die Ermittlungsbehörden
sei daher von einem nachvollziehbaren, die Zweckbindung der Datenverwendung nicht
missachtenden Motiv getragen gewesen.
Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber Regelungen für den Umgang mit sogenannten
Beinahetreffern nicht getroffen habe. Die Rechtslage sei für die Ermittlungsbehörden im
Zeitpunkt der weiteren Verwendung ungeklärt gewesen. Dabei habe die Ausgangslage der
zufälligen Gewinnung einer überschießenden Erkenntnis im Rahmen des Reihengentests
eine strukturelle Nähe zum Gegenstand anderer strafprozessualer Regelungen über den
Umgang mit Zufallserkenntnissen aufgewiesen. Diese Regelungen verböten die Verwertung
von Zufallserkenntnissen jedoch nicht generell, wie § 108 Abs. 1 StPO oder § 477 Abs. 2
Satz 2 StPO zeigten. Angesichts all dessen sei die Annahme der Ermittlungsbeamten nicht
völlig unvertretbar, dass die Erkenntnis der möglichen Verwandtschaft zwischen dem
mutmaßlichen Täter und den Beschwerdeführern zu 2) und 3) als Ermittlungsansatz
verwertet werden konnte. Jedenfalls stelle sich diese Annahme nicht als eine bewusste oder
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gar willkürliche Umgehung des Gesetzes oder grundrechtlich geschützter Positionen des zu
diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannten Beschwerdeführers zu 1) oder seiner
Verwandten dar.
Nach alledem wiege der Verfahrensverstoß auch mit Blick auf die Überschreitung der
Zweckbindung und den berührten Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG nicht so schwer, dass
er hier die Unverwertbarkeit der infolge der unbefugten Datenverwendung erlangten
Erkenntnisse zur Folge hätte. Auch der weitere Verfahrensgang würde einer Verwertung der
erlangten Beweisergebnisse nicht entgegenstehen.
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die drei Beschwerdeführer gegen die
Verwendung der durch den angeordneten Reihengentest zufällig gewonnenen Erkenntnis,
dass zwischen dem mutmaßlichen Täter und den Beschwerdeführern zu 2) und 3)
möglicherweise eine verwandtschaftliche Beziehung bestehen könnte, sowie mittelbar gegen
§ 81h StPO.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs verletze den Beschwerdeführer zu 1) in seinem Recht
aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG auf ein faires
Strafverfahren, an dem die Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener oder erlangter Information
zu messen sei. Wenngleich das vorliegende Urteil die vom Bundesverfassungsgericht
gebilligten Obersätze der ständigen Rechtsprechung zur Abwägungslehre verbal übernehme,
verfehle es materiell deren Gehalt. Es liege ein Abwägungsausfall vor.
Der Bundesgerichtshof verfehle den verfassungsrechtlichen Willkürbegriff, der keinen
subjektiven Schuldvorwurf enthalte, sondern im objektiven Sinne zu verstehen sei. Der
Bundesgerichtshof scheine den Begriff der Willkür als Steigerung gegenüber einer bewussten
Umgehung zu sehen.
Entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs sei die Rechtslage nicht unklar, sondern
eindeutig. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber keine Regelung für sogenannte
Beinahetreffer getroffen habe, folge nicht eine objektive Rechtsunklarheit, sondern eine
eindeutige Vermutung für die Rechtswidrigkeit der Maßnahme. Die Einwilligung (§ 81h Abs. 4
StPO) gebe vorliegend die Reichweite der strengen Zweckbindung (§ 81h Abs. 3 Satz 1
StPO i.V.m. § 81g Abs. 2 StPO) vor. Der Vergleich zu § 477 Abs. 2 StPO, der letztlich
Ausdruck des Gedankens des hypothetischen Ersatzeingriffs sei, greife nicht durch, da der
Bundesgerichtshof selbst feststelle, dass die in den Reihengentests gewonnenen DNA-
Identifizierungsmuster gegen den Beschwerdeführer zu 1) verdachtsbegründend und als
Grundlage für die Anordnung nach § 81a StPO nur verwendet werden dürften, wenn die
Beschwerdeführer zu 2) und 3) bei nachgeholter Belehrung in die Datennutzung eingewilligt
hätten. Dies sei indes nicht der Fall. Auch der Vergleich mit § 108 StPO als geschriebener
Ausnahmevorschrift gehe an der Sache vorbei, da diese im Datenschutzrecht nicht
analogiefähig sei. Im Übrigen habe der Gesetzgeber den abschließenden Charakter der
Regelung in § 81h StPO klar zum Ausdruck gebracht.
Zwar habe der Bundesgerichtshof festgestellt, die vorliegende Gesetzesverletzung sei von
erheblichem Gewicht, jedoch stehe zu befürchten, dass der Bundesgerichtshof lediglich
berücksichtigt habe, dass es für das Verhalten der Ermittlungspersonen an einer tauglichen
Rechtsgrundlage gefehlt habe. Darüber hinaus sei nämlich zu beachten, dass bei der
Beurteilung der Schwere des Verstoßes auch zu berücksichtigen sei, dass die tatsächliche
Verwendung der DNA-Proben nicht durch die Einwilligung der Beschwerdeführer zu 2) und 3)
gedeckt gewesen sei.
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Selbst bei so gravierenden Verbrechen wie einer besonders schweren Vergewaltigung
komme auch nach der Abwägungslehre nicht stets der unbedingten Wahrheitssuche der
Vorrang zu. Der Bundesgerichtshof habe sich vom Gewicht der vorliegenden Straftat „aber
anscheinend unterschwellig leiten lassen“. Dabei sprächen alle sonstigen Kriterien der
Abwägungslehre für ein Beweisverwertungsverbot.
Die Beschwerdeführer zu 2) und 3) würden durch das angegriffene Urteil in ihren
Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 GG (Recht auf informationelle
Selbstbestimmung) sowie Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Auch hinsichtlich der Beschwerdeführer
zu 2) und 3) biete § 261 StPO vorliegend keine hinreichende Rechtfertigung für die Eingriffe,
da
Landgericht
und
Bundesgerichtshof
in
verfassungswidriger
Weise
ein
Beweisverwertungsverbot verneint hätten.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die
Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die maßgeb- lichen
verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits geklärt (§ 93a Abs. 2 Buchst. a BVerfGG). Die
Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der
Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG), da die
Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Sie ist
unter anderem wegen einer nicht den gesetzlichen Anforderungen genügenden Begründung
unzulässig (1., 2.). In der Sache wäre sie zudem, ohne dass die Kammer darüber
abschließend befinden müsste, unbegründet (3.).
1. Eine § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügende Begründung der
Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der die Rechtsverletzung enthaltende Vorgang
substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>; 89, 155 <171>;
99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>). Bei einer gegen eine gerichtliche
Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer sich mit dieser
inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGE 82, 43 <49>; 86, 122 <127>; 88, 40 <45>; 105,
252 <264>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das
bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115,
166 <179 f.>). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen bereits
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, aus der sich der behauptete
Grundrechtsverstoß nicht ohne weiteres ergibt, so ist dieser in Auseinandersetzung mit den
vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 77,
170 <214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>).
a)
Ein
Beweisverwertungsverbot
stellt
nach
der
Rechtsprechung
des
Bundesverfassungsgerichts von Verfassungs wegen eine begründungsbedürftige Ausnahme
dar, weil es die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder
Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen einschränkt und so die Findung einer
materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt. Grundrechtsverletzungen, zu
denen es außerhalb der Hauptverhandlung gekommen ist, führen daher nicht zwingend dazu,
dass auch das auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhende Strafurteil gegen
Verfassungsrecht
verstößt.
Aus
verfassungsrechtlicher
Sicht
ist
ein
Beweisverwertungsverbot geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu
führen, dass dem Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf
Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine
zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind oder die Informationsverwertung
zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde.
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Zudem darf eine Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen
Rechtsvorschriften gewonnen würden, nicht bejaht werden, wo dies zu einer Begünstigung
rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein Beweisverwertungsverbot kann daher
insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen
Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch
außer Acht gelassen worden sind, geboten sein (BVerfGE 130, 1 <28>; vgl. auch BVerfGE
113, 29 <61>; 125, 260 <339 f.>).
Das Bundesverfassungsgericht erkannte in seiner Rechtsprechung ausdrücklich an, dass
die Abwägungslösung des Bundesgerichtshofs und die von ihm herangezogenen Kriterien
den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen, die sich aus dem Recht auf ein
faires Verfahren ergeben (BVerfGE 130, 1 <31>). Nach dieser unbeanstandet gebliebenen
ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Rechtsverstoß bei der
Beweiserhebung nicht ohne weiteres zur Unverwertbarkeit der dadurch erlangten
Erkenntnisse. Es bedarf in jedem Einzelfall einer Abwägung der für und gegen die
Verwertung sprechenden Gesichtspunkte. Für die Verwertbarkeit spricht stets das staatliche
Aufklärungsinteresse, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung
der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der
Straftat bestimmt wird. Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden, welches Gewicht
der Rechtsverstoß hat. Dieses wird im konkreten Fall vor allem dadurch bestimmt, ob der
Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen wurde, welchen
Schutzzweck die verletzte Vorschrift hat, ob der Beweiswert beeinträchtigt wird, ob die
Beweiserhebung hätte rechtmäßig durchgeführt werden können und wie schutzbedürftig der
Betroffene ist. Verwertungsverbote hat der Bundesgerichtshof insbesondere bei grober
Verkennung oder bewusster Missachtung der Rechtslage angenommen (BVerfGE 130, 1
<29 f.> m.w.N. zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).
Das Bundesverfassungsgericht prüft die von den Fachgerichten vorgenommene Abwägung
nicht im Einzelnen nach. Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher
Rechtsverstoß hat und ob er zu einem Beweisverwertungsverbot führt, obliegt in erster Linie
den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich auf die
Kontrolle, ob die Fachgerichte in verfassungsrechtlich erheblicher Weise den Schutzbereich
einer verletzten Norm und eines betroffenen Grundrechts verkannt, die weiteren
Anforderungen für die Annahme eines Verwertungsverbots nach einem Rechtsverstoß bei
der Informationserhebung oder -verwendung überspannt und rechtsstaatliche
Mindeststandards gewahrt haben (BVerfGE 130, 1 <31 f.>).
b) Gemessen an diesem Maßstab zeigt die Verfassungsbeschwerde keinen Verstoß gegen
den Grundsatz des fairen Verfahrens auf.
aa) Soweit die Beschwerdeführer einzelne Aspekte aus der Abwägungsentscheidung
herauslösen und verfassungsrechtlich beanstanden, gelingt es der Verfassungsbeschwerde
nicht, einen Verfassungsverstoß darzutun. Auch soweit sie dem Bundesgerichtshof einen
Abwägungsausfall vorwerfen, greift ihre Argumentation nicht durch.
Zunächst kann die Verfassungsbeschwerde mit der Kritik, der Bundesgerichtshof habe den
Willkürbegriff verkannt, nicht durchdringen. Die Verfassungsbeschwerde übersieht dabei,
dass der Bundesgerichtshof in seinen Formulierungen sehr wohl zu erkennen gegeben hat,
dass die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf enthält, sondern Willkür
im objektiven Sinne zu verstehen ist als eine Maßnahme, welche im Verhältnis zu der
Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (vgl. BVerfGE
80, 48 <51>; 86, 59 <62>). Entscheidend ist, dass die Rechtsanwendung nicht mehr
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verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden
Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>; 86, 59 <63>). Auch wenn die Formulierung
„bewusst oder gar willkürliche Umgehung des Gesetzes“ in der angefochtenen Entscheidung
des Bundesgerichtshofs missverständlich sein mag - wenngleich sie dem allgemeinen
Sprachgebrauch entspricht - ergibt sich jedoch aus dem - von den Beschwerdeführern nicht
berücksichtigten - Kontext dieses Satzes, dass der Bundesgerichtshof die objektive
Vertretbarkeit als Kontrollmaßstab genommen hat. Denn einen Satz zuvor statuiert er:
„Angesichts dieser Umstände war die Annahme der Ermittlungsbeamten nicht völlig
unvertretbar, […]“. Dies zeigt, dass der Bundesgerichtshof keine subjektiven Elemente in den
Willkürbegriff implementiert hat.
Die Beschwerdeführer verkennen, dass zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen
die Rechtslage nicht eindeutig, sondern auslegungsfähig und -bedürftig war. Soweit die
Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Rechtsanwendung bei sogenannten Beinahetreffern
zum Zeitpunkt der tatgerichtlichen Entscheidungen eine eindeutige Rechtslage attestiert,
spiegelt sich dies in § 81h StPO und im damaligen Schrifttum nicht wider. Das Landgericht
und der Bundesgerichtshof haben in ihren Urteilen jeweils darauf hingewiesen, dass die
Frage in Rechtsprechung und Literatur zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht hinreichend
geklärt gewesen sei (im Ergebnis ebenso Hüttenrauch, NJ 2013, S. 218; Kanz, ZJS 2013,
S. 518 <520>). Lediglich auf einen Aufsatz aus dem Jahr 2011 wurde in den angefochtenen
Urteilen verwiesen. In diesem wurde mit Blick auf die vorliegende Fallkonstellation kein
Verstoß gegen § 81h StPO, insbesondere auch kein Beweisverwertungsverbot
angenommen (Brocke, StraFo 2011, S. 298). Erst durch die vorliegend angegriffene
Rechtsprechung und deren Besprechung in der Literatur wurde die Problematik sogenannter
Beinahetreffer weitergehend thematisiert (dem Bundesgerichtshof im Wesentlichen
zustimmend Busch, NJW 2013, S. 1771 <1774>; Löffelmann, JR 2013, S. 277; Paul, NStZ
2013, S. 489; Rogall, JZ 2013, S. 874; im Wesentlichen dagegen: Hunsmann, StRR 4/2013,
S. 142; Jahn, JuS 2013, S. 470 <472>; Kanz, ZJS 2013, S. 518; Swoboda, StV 2013, S. 461
<469>).
Zwar ist zuzugeben, dass § 81h Abs. 1 StPO klar formuliert ist, soweit er die Verwendung
der DNA-Proben auf die Feststellung beschränkt, ob das Spurenmaterial von den
Probengebern stammt. Dies erkennt auch der Bundesgerichtshof an. Gleichwohl ist die
Regelung in § 81h Abs. 1 StPO insofern nicht eindeutig (gewesen), als der Umgang mit
sogenannten Beinahetreffern keine Regelung gefunden hat. Darüber hat sich der
Gesetzgeber auch offensichtlich keine Gedanken gemacht (Kanz, ZJS 2013, S. 518 <520>).
Soweit die Verfassungsbeschwerde behauptet, der Gesetzgeber habe den abschließenden
Charakter der Regelung in § 81h StPO klar zum Ausdruck gebracht, kann dies aus dem in
der Verfassungsbeschwerde zitierten bloßen Hinweis in der Gesetzesbegründung, die
aufgetretenen Rechtsunsicherheiten würden mit der Regelung beseitigt (vgl. BTDrucks
15/5674, S. 7), insbesondere für die Behandlung von Beinahetreffern, nicht hergeleitet
werden. Der abschließende Charakter ist vielmehr lediglich dahingehend zu verstehen, dass
Reihenuntersuchungen ausschließlich nach der Vorschrift des § 81h StPO zu behandeln sind
(vgl. Krause, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2008, § 81h Rn. 5). Dies sagt jedoch
nichts zu der vorliegenden Problematik der Behandlung sogenannter Beinahetreffer.
Zum Zeitpunkt der fachgerichtlichen Entscheidungen war die Rechtslage damit unklar.
Nach der Veröffentlichung der vorliegend angegriffenen Entscheidungen und für zukünftige
Fälle von Beinahetreffern kann das Argument der ungeklärten Rechtslage jedoch nicht mehr
herangezogen werden (vgl. Jahn, JuS 2013, S. 470 <472>). Insoweit ist die Rechtslage für
zukünftige Fallgestaltungen geklärt. Dies sehen im Ergebnis auch beide angefochtenen
Urteile, die konkret auf den Einzelfall bezogen („hier“; vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom
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20. Dezember 2012 - 3 StR 117/12 -, juris, Rn. 30, 34) „ausnahmsweise“ (vgl.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 117/12 -, juris, Rn. 30) noch von
der Verwertbarkeit ausgehen.
Soweit die Verfassungsbeschwerde vorträgt, aus der unklaren Rechtslage folge eine
Vermutung für die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen, lässt sich dies der von den
Beschwerdeführern genannten Rechtsprechung nicht entnehmen. Zudem setzen sich die
Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang nicht näher damit auseinander, welche
Bedeutung dem letztlich für die Abwägungsentscheidung hinsichtlich der Beweisverwertung
zukommen soll. Überdies entstünde, folgte man der Argumentation der
Verfassungsbeschwerde, die vermeintlich klare Rechtslage erst durch die Anwendung der
von den Beschwerdeführern genannten Vermutungsregel, läge also gerade nicht klar zu
Tage. Wenn sich die Beschwerdeführer gegen die Heranziehung des in den vom
Bundesgerichtshof zitierten, Zufallsfunde betreffenden Vorschriften zugrundeliegenden
Rechtsgedankens wenden (insbesondere in § 108 StPO), verkürzen sie ihre Argumentation
auf die vermeintlich abschließende Regelung des § 81h StPO, die - wie aufgezeigt -
allerdings Beinahetreffer überhaupt nicht erfasst.
Soweit die Verfassungsbeschwerde anführt, der Bundesgerichtshof habe zwar festgestellt,
die vorliegende Gesetzesverletzung sei von erheblichem Gewicht, jedoch stehe zu
befürchten, dass der Bundesgerichtshof lediglich berücksichtigt habe, dass es für das
Verhalten der Ermittlungspersonen an einer tauglichen Rechtsgrundlage gefehlt habe, genügt
dies ebenfalls nicht den Begründungsanforderungen. Zum einen handelt es sich bei den
Ausführungen um schlichte Vermutungen („steht jedoch zu befürchten“), ohne dass diese
von den Beschwerdeführern aufgestellte Behauptung anhand des Urteils des
Bundesgerichtshofs belegt wird oder sich anderweitig verifizieren lässt. Zum anderen ist der
Ansatz in der Verfassungsbeschwerde zirkelschlüssig.
bb) Überdies geht die Argumentation der Beschwerdeführer, der Bundesgerichtshof habe
sich vom Gewicht der vorliegenden Tat als gravierendes Verbrechen „anscheinend
unterschwellig leiten lassen“, über eine bloße Behauptung nicht hinaus.
Zu kurz greift des Weiteren die Argumentation, „alle sonstigen Kriterien der Abwägungslehre
[sprächen] für ein Beweisverwertungsverbot“. Auch dies erschöpft sich in einer pauschalen
Behauptung, ohne die sonstigen Kriterien zu benennen oder den Sachverhalt hierunter zu
subsumieren. Zudem versäumt es die Verfassungsbeschwerde damit den
Abwägungsvorgang mit all seinen Kriterien umfassend zu würdigen und auf der Grundlage
der nur eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Prüfungskompetenz hinsichtlich der von
den Fachgerichten vorgenommenen Abwägung einen Verstoß gegen Verfassungsrecht
darzutun.
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde darüber hinaus mittelbar auch die Vorschrift des
§ 81h StPO angreift, zeigt sie nicht auf, weshalb durch diese Norm Verfassungsrecht verletzt
sein soll. Soweit die Verfassungsbeschwerde mit Blick auf den vorliegenden Fall darauf
abstellt, dass das gesetzgeberische Ziel, die in der Praxis auftretenden Rechtsunsicherheiten
zu beseitigen und die rechtsstaatliche Ausgestaltung zu verbessern, leerlaufe, wenn bei
klaren Verstößen keine wirksame Sanktionierung durch Beweisverwertungsverbote erfolge,
kann die Verfassungsbeschwerde weder im vorliegenden Fall noch darüber hinaus darlegen,
dass dies unter Anwendung der gegenwärtig praktizierten und in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts gebilligten Abwägungslösung des Bundesgerichtshofs nicht
erreicht werden könnte. Dies gilt umso mehr, weil der Bundesgerichtshof deutlich hat
erkennen lassen, dass er im vorliegenden Einzelfall angesichts der zum
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Entscheidungszeitpunkt offenen Rechtslage nur ausnahmsweise noch von der
Verwertbarkeit der Beinahetreffer ausgegangen ist und einer Verwertung derartiger
Beinahetreffer, nachdem die Rechtslage nunmehr durch die Entscheidung der Fachgerichte
geklärt ist, künftig widersprechen wird (vgl. dazu Busch, NJW 2013, S. 1771 <1774>).
3. Nach dem Ausgeführten dürfte die Verfassungsbeschwerde schließlich auch
unbegründet sein. Bei Berücksichtigung des eingeschränkten verfassungsgerichtlichen
Prüfungsmaßstabes (vgl. dazu BVerfGE 130, 1 <31 f.>) ist nicht erkennbar, dass der
Bundesgerichtshof den Schutzbereich von § 81h StPO oder der betroffenen Grundrechte
verkannt hätte oder die Anforderungen für die Annahme eines Verwertungsverbots
überspannt oder rechtsstaatliche Mindeststandards nicht gewahrt hätte. Vielmehr hat sich
der Bundesgerichtshof mit allen abwägungsrelevanten Gesichtspunkten umfassend
auseinandergesetzt. Dass er dabei zwar einen gewichtigen Verstoß angenommen hat, im
Rahmen der Abwägung im konkreten Fall - unter besonderer Berücksichtigung der unklaren
Rechtslage - aber zu dem Ergebnis gelangte, ein Beweisverwertungsverbot sei im
vorliegenden Fall noch nicht anzunehmen, ist daher von Verfassungs wegen nicht zu
beanstanden.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Landau
Kessal-Wulf
König