Urteil des BVerfG vom 30.06.2010

verfassungsbeschwerde, sexueller missbrauch, erlass, freiheit

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Rolf-Reiner Stanke,
Boddinstraße 65, 12053 Berlin -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 571/10 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn G...
gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. Januar 2010 - 1 StR
595/09 -,
b) das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 18. August 2009 - 1 Ks
401 VRs 400/09 -
hier:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Di Fabio,
die Richterin Lübbe-Wolff
und den Richter Landau
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 ( BGBl I S. 1473 ) am 30. Juni 2010
einstimmig beschlossen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe:
1. Der wegen zahlreicher schwerer Sexualstraftaten vorbestrafte Beschwerdeführer
wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen seine Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung, die anlässlich seiner letzten Verurteilung vom 2. Februar
1990 wegen versuchter Vergewaltigung und wegen Mordes nachträglich gemäß
§ 66b Abs. 2 StGB angeordnet worden ist. Im Hinblick auf das zwischenzeitlich
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rechtskräftige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom
17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rechtssache M. ./.
Deutschland) beantragt er, die Vollziehung der Maßregel im Wege der einstweiligen
Anordnung auszusetzen.
2. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen
Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr
schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl
dringend geboten ist. Auch in einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde
kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (vgl. BVerfGE 66, 39 <56> ;
stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen
Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Etwas
anderes gilt nur, wenn sich die Verfassungsbeschwerde von vornherein als
unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des
Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht hingegen
die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge,
die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen,
die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der
Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 87, 334
<338>; 89, 109 <110>; stRspr).
3. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht von vornherein unzulässig oder
offensichtlich
unbegründet.
Die aufgeworfenen Rechtsfragen werden im
Hauptsacheverfahren zu klären sein.
4. Die danach gebotene Folgenabwägung führt zur Ablehnung des Antrags auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung. Erginge die einstweilige Anordnung nicht,
h ä t t e aber die Verfassungsbeschwerde später Erfolg, so entstünde dem
Beschwerdeführer in der Zwischenzeit durch den Vollzug der Sicherungsverwahrung
ein schwerer, nicht wieder gutzumachender Verlust an persönlicher Freiheit. Wenn
d i e einstweilige Anordnung erginge und der Verfassungsbeschwerde später der
Erfolg zu versagen wäre, entstünden ebenfalls schwerwiegende Nachteile. Das
Landgericht Baden-Baden hat auf der Grundlage zweier psychiatrischer
Sachverständigengutachten nachvollziehbar dargelegt, dass der Beschwerdeführer
einen Hang zu schweren Sexualstraftaten (sexueller Missbrauch von Kindern,
Vergewaltigung) habe und deshalb im Falle seiner Freilassung mit hoher
Wahrscheinlichkeit entsprechende Delikte verüben werde, durch welche die Opfer
seelisch oder körperlich schweren Schaden nehmen würden. Angesichts der
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besonderen Schwere der drohenden Straftaten überwiegt das Sicherheitsinteresse
d e r Allgemeinheit das Interesse des Beschwerdeführers an der Wiedererlangung
seiner persönlichen Freiheit.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Di Fabio
Lübbe-Wolff
Landau