Urteil des BVerfG vom 12.05.2003

verfassungsbeschwerde, erlass, untersuchungshaft, verlobte

- Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Johanna Dreger-Jensen,
Schulterblatt 124, 20357 Hamburg -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 570/03 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn K...
gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 10. März 2003 - 1 Ws 89/03
-,
b) das Schreiben des Landgerichts Hannover vom 13. Februar 2003 - 39 a
01/2003 -,
c) die Verfügung des Landgerichts Hannover vom 13. Januar 2003 - 39 a 01/2003
-
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Jentsch,
Broß
und die Richterin Lübbe-Wolff
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 12. Mai 2003 einstimmig
beschlossen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe:
Der Antragsteller, der sich in Untersuchungshaft befindet, begehrt die einstweilige
Aussetzung einer Besuchssperre, die für Besuche seiner Verlobten verhängt wurde, weil
diese mit dem Antragsteller unerlaubten Kontakt über die Gefängnismauer aufgenommen
hatte.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand
durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur
Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen
Wohl dringend geboten ist. Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1
BVerfGG gegeben sind, kommt es auf die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache
erhobenen Verfassungsbeschwerde nur an, sofern sich diese als von vornherein unzulässig
oder offensichtlich unbegründet erweist (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 80, 360 <363 f.>; 99,
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57 <66> stRspr). Beides ist nicht der Fall. Maßgeblich für die Entscheidung über den Antrag
ist daher allein die Abwägung der Nachteile, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung
nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde sich aber als begründet erwiese, gegen die
Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der
Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (BVerfG, a.a.O.).
Diese Abwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Erginge die einstweilige Anordnung
nicht, hätte die Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung der Besuchserlaubnis jedoch
Erfolg, so wäre der Antragsteller längstens für den Zeitraum bis zum Erlass der
Hauptsacheentscheidung zu Unrecht daran gehindert worden, Besuche seiner Verlobten zu
empfangen. Darin läge für den Antragsteller ein erheblicher Nachteil. Dafür, dass über den
unmittelbar in der Besuchssperre liegenden Nachteil hinaus bereits gegenwärtig ein
irreparabler Schaden deshalb drohte, weil, wie der Antragsteller geltend macht, gerade diese
Besuchssperre die Beziehung zu seiner Verlobten zerstören werde, sind jedoch
überzeugende Anhaltspunkte weder vorgetragen noch ersichtlich. Für den Kontakt zwischen
ihm und seiner Verlobten ergeben sich wesentliche Beschränkungen ganz unabhängig von
der verhängten Besuchssperre bereits daraus, dass er sich in Untersuchungshaft befindet.
D i e Besuchssperre ist außerdem nicht gleichbedeutend mit einer Kontaktsperre. Der
Antragsteller und seine Verlobte sind nicht gehindert, sich brieflich oder mittelbar über
Familienangehörige des Antragstellers, die ihn weiter in der Untersuchungshaft besuchen
dürfen, auszutauschen.
Erginge die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde jedoch später keinen
Erfolg, so würden demgegenüber Besuche der Verlobten des Antragstellers gestattet, obwohl
solche
Besuche
nach
Einschätzung
der
in
der Hauptsache angegriffenen
Gerichtsentscheidungen - die hier der hypothetischen Voraussetzung gemäß als
verfassungsrechtlich beanstandungsfrei zu unterstellen sind - die Gefahr unlauterer Einflüsse
auf das Strafverfahren gegen den Antragsteller mit sich brächten. Es geht in diesem
Strafverfahren, in dem die Verlobte des Antragstellers als Zeugin benannt ist, um den Vorwurf
gemeinschaftlich begangenen Mordes. Eine Gefährdung der Wahrheitsfindung in diesem
Verfahren wiegt daher schwerer als der dem Antragsteller im Falle des Nichterlasses der
einstweiligen Anordnung drohende Nachteil.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Jentsch
Broß
Lübbe-Wolff