Urteil des BVerfG vom 14.01.2004

verfall, gewinnabschöpfung, verfassungskonforme auslegung, organisierte kriminalität

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Christoph Prasse,
Friedrich-Ebert-Straße 120, 48153 Münster -
L e i t s ä t z e
zum Beschluss des Zweiten Senats vom 14. Januar 2004
- 2 BvR 564/95 -
1. Der erweiterte Verfall (§ 73d StGB) verfolgt nicht repressiv-vergeltende, sondern
präventiv-ordnende Ziele und ist daher keine dem Schuldgrundsatz unterliegende
strafähnliche Maßnahme.
2. § 73d StGB verletzt die Unschuldsvermutung nicht.
3. Die Annahme der deliktischen Herkunft eines Gegenstands im Sinne des § 73d Abs.
1 Satz 1 StGB ist gerechtfertigt, wenn sich der Tatrichter durch Ausschöpfung der
vorhandenen Beweismittel von ihr überzeugt hat.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 564/95 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn M ...
gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22. November 1994 - 4 StR
516/94 -,
b) das Urteil des Landgerichts Bochum vom 11. Mai 1994 - 22 KLs 47 Js 159/93 -
I 4/94 -,
c) mittelbar § 73d StGB
und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und
Richter
Vizepräsident Hassemer,
Jentsch,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt
am 14. Januar 2004 beschlossen:
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Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Vereinbarkeit des § 73d StGB (Erweiterter Verfall)
mit dem Grundgesetz. Sie richtet sich zugleich gegen die Anwendung dieser Vorschrift in der
Auslegung durch den Bundesgerichtshof.
I.
Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer
Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992 (BGBl I
S. 1302 ) hat die Vorschrift des § 73d über den erweiterten Verfall in den Allgemeinen Teil des
Strafgesetzbuchs eingefügt. Sie ergänzt die Regelung des § 73 StGB über den (einfachen)
Verfall, wonach das Gericht, wenn der Täter oder Teilnehmer etwas aus einer rechtswidrigen
Tat oder für sie erlangt hat, den Verfall des Erlangten anordnet. Die Anordnung des Verfalls
erstreckt sich gemäß § 73 Abs. 2 StGB auf Nutzungen und Surrogate, ferner gemäß § 73a
StGB auf den Geldwert nicht oder nicht mehr entziehbarer Vermögensvorteile. Sie
unterbleibt, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung
dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde (§ 73 Abs. 1
Satz 2 StGB), oder wenn sie für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre (§ 73c StGB). Die
rechtskräftige Anordnung des Verfalls bewirkt gemäß § 73e StGB, dass das Eigentum an der
Sache oder das verfallene Recht auf den Staat übergeht, wenn es dem von der Anordnung
Betroffenen zu dieser Zeit zusteht.
Die Vorschriften lauten:
§ 73 Voraussetzungen des Verfalls
(1) Ist eine rechtswidrige Tat begangen worden und hat der Täter oder
Teilnehmer für die Tat oder aus ihr etwas erlangt, so ordnet das Gericht
dessen Verfall an. Dies gilt nicht, soweit dem Verletzten aus der Tat ein
Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den
Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde.
(2) Die Anordnung des Verfalls erstreckt sich auf die gezogenen
Nutzungen. Sie kann sich auch auf die Gegenstände erstrecken, die der
Täter oder Teilnehmer durch die Veräußerung eines erlangten
Gegenstandes oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder
Entziehung oder auf Grund eines erlangten Rechts erworben hat.
(3) Hat der Täter oder Teilnehmer für einen anderen gehandelt und hat
dadurch dieser etwas erlangt, so richtet sich die Anordnung des Verfalls
nach den Absätzen 1 und 2 gegen ihn.
(4) Der Verfall eines Gegenstandes wird auch angeordnet, wenn er einem
Dritten gehört oder zusteht, der ihn für die Tat oder sonst in Kenntnis der
Tatumstände gewährt hat.
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§ 73a Verfall des Wertersatzes
Soweit der Verfall eines bestimmten Gegenstandes wegen der
Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grunde nicht
möglich ist oder von dem Verfall eines Ersatzgegenstandes nach § 73
Abs. 2 Satz 2 abgesehen wird, ordnet das Gericht den Verfall eines
Geldbetrags an, der dem Wert des Erlangten entspricht. Eine solche
Anordnung trifft das Gericht auch neben dem Verfall eines Gegenstandes,
soweit dessen Wert hinter dem Wert des zunächst Erlangten zurückbleibt.
§ 73c Härtevorschrift
(1) Der Verfall wird nicht angeordnet, soweit er für den Betroffenen eine
unbillige Härte wäre. Die Anordnung kann unterbleiben, soweit der Wert
des Erlangten zur Zeit der Anordnung in dem Vermögen des Betroffenen
nicht mehr vorhanden ist oder wenn das Erlangte nur einen geringen Wert
hat.
(2) Für die Bewilligung von Zahlungserleichterungen gilt § 42
entsprechend.
§ 73e Wirkung des Verfalls
(1) Wird der Verfall eines Gegenstandes angeordnet, so geht das
Eigentum an der Sache oder das verfallene Recht mit der Rechtskraft der
Entscheidung auf den Staat über, wenn es dem von der Anordnung
Betroffenen zu dieser Zeit zusteht. Rechte Dritter an dem Gegenstand
bleiben bestehen.
(2) Vor der Rechtskraft wirkt die Anordnung als Veräußerungsverbot im
Sinne des § 136 des Bürgerlichen Gesetzbuches; das Verbot umfaßt auch
andere Verfügungen als Veräußerungen.
Nach § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB ist, wenn eine rechtswidrige Tat nach einem auf diese
Vorschrift verweisenden Gesetz begangen worden ist, der Verfall von Gegenständen des
Täters oder Teilnehmers auch dann anzuordnen, wenn die Umstände die Annahme
rechtfertigen, dass diese Gegenstände für (andere) rechtswidrige Taten oder aus ihnen
erlangt worden sind. § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB sieht die Anordnung des erweiterten Verfalls
auch dann vor, wenn der Gegenstand dem Täter oder Teilnehmer nur deshalb nicht gehört
oder zusteht, weil dieser ihn für eine rechtswidrige Tat oder aus ihr erlangt hat.
§ 73d StGB erweitert somit den Anwendungsbereich des Verfalls zum einen auf
Vermögensgegenstände, die nicht aus dem abgeurteilten Delikt, sondern aus anderen
rechtswidrigen Taten stammen; einen Nachweis der konkreten Umstände dieser Taten
verlangt die Vorschrift ebenso wenig wie die schuldhafte Begehung und die strafrechtliche
Verfolgbarkeit. Zum anderen erfasst sie auch solche Vermögenswerte, die der Täter oder
Teilnehmer wegen eines Verstoßes gegen strafrechtliche Vorschriften zivilrechtlich nicht
wirksam erwerben konnte (Nichtigkeit auch des Verfügungsgeschäfts gemäß § 134 BGB,
vgl. die Begründung des Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Erweiterter
Verfall - <... StrÄndG> vom 9. März 1990, BTDrucks 11/6623, S. 7/8). Zivilrechtliche
Ersatzansprüche des durch die rechtswidrige Tat Verletzten hindern die Anordnung des
erweiterten Verfalls ebenfalls nicht (vgl. BTDrucks 11/6623, S. 7).
§ 73d StGB hat folgenden Wortlaut:
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§ 73d Erweiterter Verfall
(1) Ist eine rechtswidrige Tat nach einem Gesetz begangen worden, das
auf diese Vorschrift verweist, so ordnet das Gericht den Verfall von
Gegenständen des Täters oder Teilnehmers auch dann an, wenn die
Umstände die Annahme rechtfertigen, daß diese Gegenstände für
rechtswidrige Taten oder aus ihnen erlangt worden sind. Satz 1 ist auch
anzuwenden, wenn ein Gegenstand dem Täter oder Teilnehmer nur
deshalb nicht gehört oder zusteht, weil er den Gegenstand für eine
rechtswidrige Tat oder aus ihr erlangt hat. § 73 Abs. 2 gilt entsprechend.
(2) Ist der Verfall eines bestimmten Gegenstandes nach der Tat ganz oder
teilweise unmöglich geworden, so finden insoweit die §§ 73a und 73b
sinngemäß Anwendung.
(3) Ist nach Anordnung des Verfalls nach Absatz 1 wegen einer anderen
rechtswidrigen Tat, die der Täter oder Teilnehmer vor der Anordnung
begangen hat, erneut über den Verfall von Gegenständen des Täters oder
Teilnehmers zu entscheiden, so berücksichtigt das Gericht hierbei die
bereits ergangene Anordnung.
(4) § 73c gilt entsprechend.
Verweisungen auf § 73d StGB finden sich im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs,
und zwar jeweils für den Fall der banden- oder gewerbsmäßigen Begehung, in den
Abschnitten Geld- und Wertzeichenfälschung (§ 150 Abs. 1), Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung (§ 181c, § 184 Abs. 7 Satz 1), Diebstahl und Unterschlagung (§ 244
Abs. 3, § 244a Abs. 3), Raub und Erpressung (§ 256 Abs. 2), Begünstigung und Hehlerei
(§ 260 Abs. 3, § 260a Abs. 3, § 261 Abs. 7 Satz 3 und 4), Betrug und Untreue (§ 263 Abs. 7),
Urkundenfälschung (§ 282 Abs. 1), Strafbarer Eigennutz (§ 286 Abs. 1), Straftaten gegen den
Wettbewerb (§ 302) und Straftaten im Amt (§ 338). Im Bereich des Nebenstrafrechts
verweisen vor allem die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 und 2
BtMG) auf § 73d StGB, außerdem § 84 Abs. 5, § 84a Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes,
§ 92a Abs. 5, § 92b Abs. 3 des Ausländergesetzes, § 24 Abs. 3 des Gesetzes über die
Kontrolle von Kriegswaffen, § 54 Abs. 3 Satz 2 des Waffengesetzes, § 36 Abs. 3 des
Außenwirtschaftsgesetzes und § 19 Abs. 3 des Ausführungsgesetzes zum
Chemiewaffenübereinkommen.
Verfahrensrechtliche Vorschriften über den erweiterten Verfall, der unter den
Voraussetzungen des § 76a StGB auch selbständig angeordnet werden kann, enthalten
§ 442, §§ 430 ff. StPO. Die Regelungen der §§ 111b ff. StPO ermöglichen eine vorläufige
Beschlagnahme von beim Beschuldigten vorgefundenen Vermögensgegenständen, um die
Durchsetzung einer späteren Anordnung des Verfalls oder von Ersatzansprüchen
Tatgeschädigter sicherzustellen.
II.
1. Der Beschwerdeführer wurde am 11. Mai 1994 vom Landgericht wegen gemeinschaftlich
begangenen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt,
weil er (jeweils zusammen mit einem Mitangeklagten) am 15. Oktober 1992 telefonisch den
Ankauf von drei Kilogramm Heroin vereinbart und am 1. August 1993 ein Kilogramm Heroin
entgegen genommen hatte. Daneben verhängte das Landgericht gegen den
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Beschwerdeführer Maßregeln gemäß § 69, § 69a StGB und bestimmte außerdem, dass ein
auf seinem Sparkonto vorhandenes Guthaben in Höhe von 42.520,18 DM dem erweiterten
Verfall unterliege und eingezogen werde.
Die Kammer war zu der Überzeugung gelangt, dass dieses Geld aus anderen, ihr nicht
bekannten Rauschgiftgeschäften des Beschwerdeführers stamme. Er habe es angesichts
seines dauerhaft geringen Durchschnittseinkommens von 850 DM monatlich und der von
ihm neben seinen allgemeinen Lebenshaltungskosten und den laufenden Kosten eines Autos
zu bestreitenden monatlichen Miete von zuletzt 600 DM nicht aus legalen Mitteln ersparen
können; also komme nur ein strafbarer Erwerb in Betracht. Die beiden abgeurteilten, jeweils
gewerbsmäßig begangenen BtM-Straftaten zeigten - auch wenn aus ihnen kein Gewinn
erzielt worden sei (in dem einen Fall, weil das Geschäft nicht zu Stande kam, in dem anderen
Fall, weil das erworbene Rauschgift beschlagnahmt wurde) -, dass er mit Drogen gehandelt
habe, während es an Anhaltspunkten für irgendwelche anderen strafbaren Verhaltensweisen
des Beschwerdeführers fehle. Nach Überzeugung der Kammer konnte er das Geld daher nur
aus anderen Betäubungsmittelstraftaten erlangt haben.
2. Die vom Beschwerdeführer gegen das Urteil mit der Rüge einer Verletzung formellen und
materiellen Rechts eingelegte Revision verwarf der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf die
als zutreffend erachteten Ausführungen des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 2
StPO (BGHSt 40, 371). Die gegen den Beschwerdeführer ergangene Anordnung des
erweiterten Verfalls beruhe auf einer wirksamen Rechtsgrundlage. Im Schrifttum erhobene
Bedenken gegen die Vereinbarkeit des § 73d StGB mit der Unschuldsvermutung und der
Eigentumsgarantie könnten durch eine verfassungskonforme Auslegung vermieden werden:
Die in § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB für die Anordnung des erweiterten Verfalls (nur) verlangte
"ganz hohe Wahrscheinlichkeit", dass "Gegenstände für rechtswidrige Taten oder aus ihnen
erlangt worden sind", setze das Institut des erweiterten Verfalls dem verfassungsrechtlichen
Bedenken aus, es beruhe auf einer Unterstellung von Straftaten. Deshalb sei das normativ
wertende Element "wenn die Umstände die Annahme rechtfertigen" in § 73d Abs. 1 Satz 1
StGB - dem nach dem Willen des Gesetzgebers die Aufgabe zukomme, bei der
Gesamtbewertung des Sachverhalts auch die Grundrechtsverbürgungen zu berücksichtigen
- verfassungskonform einengend auszulegen. Die Anordnung des erweiterten Verfalls
komme nur in Betracht, wenn der Tatrichter auf Grund erschöpfender Beweiserhebung und -
würdigung die uneingeschränkte Überzeugung gewonnen habe, dass der Angeklagte die von
der Anordnung erfassten Gegenstände aus rechtswidrigen Taten erlangt habe. Ermittlungen
und Feststellungen zu diesen Taten im Einzelnen seien jedoch nicht erforderlich. An die
Überzeugungsbildung dürften keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Vor allem
sei das Gericht nicht gehindert, sondern vielmehr gehalten, die festgestellten Anlasstaten in
seine Überzeugungsbildung mit einzubeziehen - wie es das Landgericht getan habe -, auch
wenn aus ihnen kein Gewinn erlangt worden sei. Diesen Anforderungen würden die
Darlegungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers in
den Gründen des landgerichtlichen Urteils noch gerecht.
III.
Gegen das Urteil des Landgerichts und den Beschluss des Bundesgerichtshofs richtet sich
d i e Verfassungsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner
Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 14, 20 Abs. 3 und 103 Abs. 2 GG rügt.
Mittelbar wendet sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Vorschrift des § 73d StGB über
den erweiterten Verfall, der nach Auffassung des Beschwerdeführers den Charakter einer
Strafe hat.
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§ 73d StGB knüpfe die Anordnung des Verfalls lediglich an die Voraussetzung, dass
"Umstände die Annahme rechtfertigen, dass Gegenstände für rechtswidrige Taten oder aus
ihnen erlangt worden sind". Die Vorschrift verlange also den vollen Nachweis weder dafür,
dass der betroffene Gegenstand aus einer schuldhaft begangenen Straftat stammt, noch
dafür,
dass
dieser
gemeinschaftswidrig gebraucht wurde oder ein solcher
Eigentumsmissbrauch in konkretem Zusammenhang zu der abzuurteilenden Anknüpfungstat
steht. Damit verstoße er gegen das Schuldprinzip und - wegen der Unterstellung von
Straftaten - gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 der Konvention zum Schutze
der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK), außerdem gegen
d a s Bestimmtheitsgebot. Auf Grund dieser Mängel verletze § 73d StGB zugleich die
Eigentumsgewährleistung des Art. 14 GG und - mangels Begrenzung des Zugriffs - den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Der vom Bundesgerichtshof vorgenommenen verfassungskonformen Auslegung stehe der
Gesetzeswortlaut entgegen. Unabhängig davon werde die landgerichtliche Entscheidung den
vom Bundesgerichtshof aufgestellten erhöhten Beweisanforderungen nicht gerecht. Vor allem
habe es die Strafkammer versäumt, über die Eröffnung und Führung des Sparkontos, über
die Höhe der zwischenzeitlich erfolgten Einzahlungen und Abhebungen sowie über weitere
Konten des Beschwerdeführers Beweis zu erheben. Dabei hätte sich ergeben, dass das
Guthaben auf dem Sparkonto durch Einzahlungen von anderen, schon früher bestehenden,
Konten des Beschwerdeführers entstanden sei. Insoweit liege auch ein Verstoß gegen das
Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG vor; die Anordnung des Verfalls erstrecke sich
auf Vermögensgegenstände, die er vor Inkrafttreten des § 73d StGB erworben habe.
IV.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich namens der Bundesregierung das
Bundesministerium der Justiz sowie das Bayerische Staatsministerium der Justiz, die
Vorsitzenden des 1., 2., 3. und 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs und der
Generalbundesanwalt geäußert.
1. Nach Auffassung des Bundesministeriums der Justiz widerspricht die einengende
Auslegung des § 73d Abs. 1 StGB durch den Bundesgerichtshof im Ausgangsverfahren dem
in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, den
Nachweis der Herkunft eines Gegenstands aus rechtswidrigen Taten zu erleichtern. Auch
mit dieser Beweiserleichterung stehe die Regelung über den erweiterten Verfall, die mit der
Formulierung "rechtfertigen" eine Wertung im Einzelfall verlange, mit dem Grundgesetz in
Einklang.
a) Die Vorschrift verstoße nicht gegen den Schuldgrundsatz oder die Unschuldsvermutung,
weil eine Anordnung des Verfalls nach § 73d Abs. 1 StGB keine Strafe oder strafähnliche
Sanktion sei und deshalb keine Schuldfeststellung voraussetze. Als Sonderform des Verfalls
bezwecke der erweiterte Verfall den Ausgleich unrechtmäßiger Vermögensverschiebungen.
Dieser Zweck bestimme die Rechtsnatur des Instituts, bei dem es sich um eine
Abschöpfung eigener Art des aus der Straftat Erlangten handele.
b) § 73d StGB verletze auch nicht die verfassungsrechtlich geschützte
Selbstbezichtigungsfreiheit des Beschuldigten. Dieser sei rechtlich nicht gezwungen, zur
Abwendung einer Anordnung des Verfalls Angaben über eigene strafrechtlich erhebliche
Verhaltensweisen zu machen.
c) Die Regelung über den erweiterten Verfall verstoße auch nicht gegen die
Eigentumsgewährleistung des Art. 14 GG. Eine Anordnung des Verfalls entziehe zwar nach
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§ 73d StGB konkrete Rechtspositionen und greife damit in den Schutzbereich des
Eigentumsgrundrechts ein. Die Vorschrift bilde aber eine vom Grundgesetz stillschweigend
zugelassene Eigentumsschranke. Der erweiterte Verfall diene der Bekämpfung der
organisierten Kriminalität, insbesondere des illegalen Betäubungsmittelhandels, und damit
dem Schutz elementarer Rechtsgüter. Er finde – wie in der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 12. Dezember 1967 ( BVerfGE 22, 387 <422> ) verlangt –
eine Rechtfertigung in der Verfassung und entspreche darüber hinaus dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit. Er sei geeignet, die Gewinne aus dem Drogenhandel abzuschöpfen und
den Straftätern die Mittel für weitere Straftaten zu entziehen.
Der erweiterte Verfall sei hierzu auch erforderlich. Vor Einführung des erweiterten Verfalls
sei die Abschöpfung deliktisch erzielter Gewinne häufig daran gescheitert, dass die für die
Anordnung eines (einfachen) Verfalls gemäß § 73 Abs. 1 StGB erforderliche sichere
Zuordnung beim Beschuldigten vorgefundener Vermögensgegenstände zu einer bestimmten
Tat nicht möglich gewesen sei. Gegen eine deswegen in Polizeikreisen, aber auch
international – etwa in Art. 5 Abs. 7 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom
20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen
Stoffen (vgl. BTDrucks 12/3346) – geforderte Beweislast des Beschuldigten für den redlichen
Erwerb verdächtiger Vermögenswerte habe die Bundesregierung verfassungsrechtliche
Bedenken gehabt. Die anstelle einer solchen Beweislastumkehr in § 73d StGB vorgesehene
Beweiserleichterung sei das mildeste Mittel gewesen, um die Zugriffsmöglichkeiten auf
Tatgewinne zu erweitern.
Der mit dem erweiterten Verfall verbundene Eingriff stehe auch nicht außer Verhältnis zur
Bedeutung
der Sache. Der Verfall diene dem Ausgleich unrechtmäßiger
Vermögensverschiebung und müsse daher vom Betroffenen grundsätzlich hingenommen
werden. Unzumutbare Ergebnisse würden durch die Härtevorschrift des § 73c StGB
vermieden.
2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat keine verfassungsrechtlichen
Bedenken gegen die Regelung des § 73d StGB.
a) Sie sei mit der Unschuldsvermutung und dem Schuldgrundsatz vereinbar. Beim
erweiterten Verfall handele es sich grundsätzlich nicht um eine Strafe oder strafähnliche
Sanktion, sondern um eine quasi-kondiktionelle Ausgleichsmaßnahme, deren Anwendung
gemäß § 73d StGB die Feststellung von Schuld nicht voraussetze.
b) Der Eigentumsgewährleistung des Grundgesetzes werde § 73d StGB hinreichend
gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei die Entziehung von
Eigentum als Nebenfolge einer strafrechtlichen Verurteilung vom Grundgesetz als
traditionelle Eigentumsschranke stillschweigend zugelassen. Die aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2
GG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 GG herzuleitende Zulässigkeit von
Eigentumssanktionen rechtfertige sich aus dem Gedanken des Missbrauchs: Wer einen
Vermögensvorteil auf strafbare Weise erlange, gebrauche das Eigentum in einer vom
Grundgesetz nicht gebilligten Weise. Er verwirke deshalb insoweit sein Eigentumsrecht. Der
entsprechend dem Missbrauchsgedanken erforderliche konkrete Zusammenhang zwischen
der
die Verwirkung auslösenden strafbaren Handlung und dem zu entziehenden
Vermögensgegenstand werde von § 73d StGB vorausgesetzt. Die vorgesehene
Beweiserleichterung sei mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. An der Bekämpfung der
organisierten Kriminalität bestehe ein ganz erhebliches Allgemeininteresse, welches das
Interesse des Einzelnen am Schutz seines Eigentums überwiegen könne.
§ 73d StGB beruhe auf der Erfahrung, dass die organisierte Kriminalität mit dem
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herkömmlichen strafrechtlichen Instrumentarium nicht erfolgreich bekämpft werden könne.
Es falle in die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, ob eine effektivere Abschöpfung
der aus der Begehung von Straftaten erzielten Gewinne zu einer wirksameren Bekämpfung
dieser Art der Kriminalität beitragen werde.
Die Beweiserleichterung entspreche auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie sei
geeignet, die Abschöpfung von illegalen Gewinnen und damit das Ziel einer effektiveren
Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu fördern. Sie sei auch erforderlich, da nicht
ersichtlich sei, in welcher die Eigentumsgarantie schonenderen Weise die Abschöpfung
illegaler Gewinne erleichtert werden könnte. Schließlich sei die Regelung mit dem
Übermaßverbot vereinbar, auch wenn sie die Gefahr einer Einziehung legal erworbener
Gegenstände in sich berge. Diese Gefahr sei angesichts des in § 73d Abs. 1 StGB
verlangten hohen Wahrscheinlichkeitsgrades sehr gering und angesichts des mit dieser
Vorschrift verfolgten besonders gewichtigen Allgemeininteresses hinzunehmen.
c) Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG liege nicht vor, weil
§ 73d StGB keine Strafe anordne.
3. Nach Ansicht des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ist die verfassungskonforme
Auslegung des § 73d StGB durch den 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs im
Ausgangsverfahren mit dem Wortlaut der Vorschrift und der Intention des Gesetzgebers,
"eine ganz hohe Wahrscheinlichkeit" der deliktischen Herkunft für die Anordnung des
erweiterten Verfalls genügen zu lassen, unvereinbar. Unüberwindliche Bedenken gegen die
Verfassungsmäßigkeit
der
Regelung
hätten
daher
die
Einholung einer
verfassungsgerichtlichen Entscheidung gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nahe gelegt.
Der 3. Strafsenat hat sich der vom 4. Strafsenat im Ausgangsverfahren vertretenen
Auffassung angeschlossen, die Anordnung des erweiterten Verfalls gemäß § 73d Abs. 1
StGB setze die volle Überzeugung des Tatrichters von der deliktischen Herkunft der
erfassten Gegenstände voraus. Im Übrigen haben die Strafsenate auf ihre Rechtsprechung
Bezug genommen.
4. Der Generalbundesanwalt hält § 73d StGB in der verfassungskonformen Auslegung des
Bundesgerichtshofs und seine Anwendung im Ausgangsverfahren für verfassungsrechtlich
unbedenklich.
a) Die Regelung verstoße nicht gegen die Unschuldsvermutung oder gegen das
Schuldprinzip. Die kondiktionsähnliche Abschöpfung bemakelten Vermögens zwecks
Prävention sei etwas wesensverschieden Anderes als eine straftypische, konkret
schuldbezogene Nachteilszufügung. Schuldfeststellungen vor Schuldspruchreife hinsichtlich
d e r Herkunftstaten seien mit einer Anordnung des Verfalls gemäß § 73d StGB nicht
verbunden.
b) § 73d StGB verletze die Eigentumsgewährleistung nicht. Der mit dem erweiterten Verfall
ermöglichte Zugriff auf das Vermögen organisiert vorgehender Täter sei geeignet, kriminellen
Organisationen das "Investitionskapital" für weitere Straftaten zu entziehen, und diene damit
der präventiven Sicherung überragender Gemeinschaftsbelange. Dagegen könne das
Belassen solcher Gewinne das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung untergraben. Mit dem
Institut des erweiterten Verfalls verbundene Eigentumsbeeinträchtigungen stünden nicht
außer Verhältnis zu dem mit ihm erreichbaren Zuwachs an Rechtsgüterschutz, zumal man
dem Täter keine wohlerworbenen, sondern durch rechtswidrige Taten bemakelte Positionen
nehme. Unbillige Härten könnten im Einzelfall gemäß § 73d Abs. 4 StGB in Verbindung mit
§ 73c StGB vermieden werden. Die in § 73d StGB vorgesehene Beweiserleichterung
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unterliege
keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken, da das Grundgesetz keine
ausdrücklichen Regeln zur Beweisführung und Überzeugungsbildung enthalte.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise zulässig.
Soweit
der
Beschwerdeführer
rügt,
das Landgericht habe gegen das
Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen, weil es die Anordnung des
Verfalls – mangels hinreichender Sachverhaltsaufklärung – auf Vermögensgegenstände
erstreckt habe, die er schon vor Inkrafttreten des § 73d StGB erworben habe, steht einer
Berücksichtigung dieses Vortrags der Grundsatz der materiellen Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde entgegen. Der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck
kommende Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt neben der
formalen Erschöpfung des Rechtswegs, dass der Beschwerdeführer alle fachgerichtlichen
Möglichkeiten genutzt hat, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung zu verhindern
oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 95, 163 <171> ; stRspr). Der Beschwerdeführer hat es
insoweit versäumt, im Revisionsverfahren eine zulässige Aufklärungsrüge zu erheben.
C.
Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet.
I.
§ 73d StGB ist in der Auslegung des Bundesgerichtshofs mit dem Grundgesetz vereinbar.
1. § 73d StGB verstößt nicht gegen den Schuldgrundsatz.
a) Der Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" (nulla poena sine culpa) ist in der
Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG
und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert. Er gebietet, dass Strafen oder
strafähnliche Sanktionen in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum
Verschulden des Täters stehen. Straftatbestand und Strafrechtsfolge müssen sachgerecht
aufeinander abgestimmt sein. Insoweit deckt sich der Schuldgrundsatz in seinen die Strafe
begrenzenden Auswirkungen mit dem Verfassungsgrundsatz des Übermaßverbots. Er
schließt die strafende oder strafähnliche Ahndung einer Tat ohne Schuld des Täters aus (vgl.
BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 125 <133>; 50, 205 <214 f.>; 81, 228 <237>; 86,
288 <313>; siehe auch Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5.
Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 -).
Strafe ist die Auferlegung eines Rechtsnachteils wegen einer schuldhaft begangenen
rechtswidrigen Tat. Sie ist - neben ihrer Aufgabe abzuschrecken und zu resozialisieren - eine
angemessene Antwort auf strafrechtlich verbotenes Verhalten (vgl. BVerfGE 21, 378 <383>;
21, 391 <404>; 22, 125 <132>; 45, 187 <253 f.>; 95, 96 <140> ). Mit der Strafe wird ein
rechtswidriges sozial-ethisches Fehlverhalten vergolten. Das dem Täter auferlegte Strafübel
soll den schuldhaften Normverstoß ausgleichen; es ist Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit
(vgl. BVerfGE 9, 167 <171>; 22, 49 <79 f.>; 95, 96 <140>; 96, 10 <25> ).
Dem Schuldgrundsatz unterliegen auch Sanktionen, die wie eine Strafe wirken (vgl.
BVerfGE 22, 125 <131>; 27, 36 <40 ff.>; 35, 311 <320>; 74, 358 <375 f.>). Strafähnlich ist
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eine Maßnahme freilich nicht schon dann, wenn sie mit einer Einbuße an Freiheit oder
Vermögen verbunden ist und damit faktisch die Wirkung eines Übels entfaltet. Bei der
Beurteilung des pönalen Charakters einer Rechtsfolge sind vielmehr weitere, wertende,
Kriterien heranzuziehen, insbesondere der Rechtsgrund der Anordnung und der vom
Gesetzgeber mit ihr verfolgte Zweck (vgl. BVerfGE 9, 137 <144 ff.>; 21, 378 <383 ff.>; 21,
391 <403 ff.>; 22, 125 <131>; 23, 113 <126>; 27, 36 <40 ff.>; 80, 109 <120 ff.> ; Urteil des
Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 -
III. 2.>; siehe auch Volk, ZStW 1971, S. 405 ff.). So hat das Bundesverfassungsgericht den in
§ 890 Abs. 1 ZPO geregelten Zwangsmaßnahmen, die neben der Disziplinierung des
Schuldners auch Sühne für eine begangene Zuwiderhandlung bezwecken, strafähnliche
Wirkung beigemessen (vgl. BVerfGE 20, 323 <330 ff.>; 58, 159 <162>; 84, 82 <87>);
dagegen hat es die Anordnung von Untersuchungshaft im Ermittlungsverfahren und die
Unterbringung drogenabhängiger Täter in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB wegen
des sichernden Charakters dieser Maßnahmen nicht als strafähnlich angesehen (vgl.
BVerfGE 19, 342 <347 f.> und BVerfGE 91, 1 <27 ff.> ).
b) Das Rechtsinstitut des erweiterten Verfalls gerät mit dem Schuldgrundsatz nicht in
Konflikt, weil es keinen strafenden oder strafähnlichen Charakter hat. Eine an Wortlaut,
Systematik und Entstehungsgeschichte des § 73d StGB orientierte Auslegung ergibt, dass
die in der Vorschrift angeordnete Entziehung deliktisch erlangter Vermögensvorteile nicht
bezweckt, dem Betroffenen die Begehung der Herkunftstat als Fehlverhalten vorzuwerfen
und ihm deswegen vergeltend ein Übel zuzufügen (aa). Vielmehr verfolgt die Regelung des
§ 73d StGB vermögensordnende und normstabilisierende Ziele (bb). Das beim erweiterten
Verfall geltende Bruttoprinzip ändert hieran nichts (cc).
aa) Das Strafgesetzbuch bezeichnet Verfall und erweiterten Verfall nicht als "Strafen",
sondern als "Maßnahmen", zu denen es gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB auch die in § 61
StGB aufgeführten Maßregeln der Besserung und Sicherung zählt. Die Verfallvorschriften
sind zusammen mit der Regelung der Einziehung (§§ 74 ff. StGB) in einen eigenen, den
Siebenten Titel des Dritten Abschnitts eingeordnet und dadurch von den im Ersten Titel des
Dritten Abschnitts geregelten, als "Strafen" bezeichneten, Rechtsfolgen der Tat geschieden.
Die begriffliche Abgrenzung des Verfalls von den im Strafgesetzbuch vorgesehenen Strafen
und seine systematische Zusammenfassung mit anderen präventiv ausgerichteten
Maßnahmen sprechen gegen einen strafenden oder strafähnlichen Charakter des § 73d
StGB. Auch die Regelung des § 76a StGB, wonach der erweiterte Verfall unabhängig von der
strafrechtlichen Verfolgung einer Person angeordnet werden kann, ist nur bei einer nicht-
pönalen Natur des Rechtsinstituts verständlich.
Die Entstehungsgeschichte des § 73d StGB bestätigt, dass der Gesetzgeber mit dem
erweiterten Verfall ein Instrument der Gewinnabschöpfung ohne Strafcharakter schaffen
wollte.
Die Abschöpfung rechtswidrig erzielter Gewinne ist nicht notwendig eine vergeltende
Sanktion (vgl. BVerfGE 81, 228 <237 f.> ). Der Gesetzgeber kann weitgehend frei darüber
entscheiden, ob und auf welche Weise er rechtswidrig erlangte wirtschaftliche Vorteile
entziehen will. So kann er die Vorteilsentziehung selbständig neben der Festsetzung einer -
entsprechend dem Schuldgrundsatz - nur am Verschulden des Täters orientierten pönalen
Sanktion vorsehen oder, in Fällen, in denen eine solche Sanktion nicht verhängt werden
kann, auch als Inhalt einer in einem objektiven Verfahren ergehenden gesonderten
Anordnung. Ebenso steht es ihm offen, eine strafende Sanktion so zu bemessen, dass mit
ihr zugleich die Abschöpfung des Gewinns sichergestellt wird (a.a.O., S. 238). Es liegt mithin
in der Entscheidung des Gesetzgebers, ob er mit einer gewinnabschöpfenden Maßnahme
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zugleich Strafzwecke verfolgen will oder nicht.
Mit der Vorschrift des § 73d StGB bezweckt der Gesetzgeber keine pönale Rechtsfolge.
Seiner Auffassung nach teilt der erweiterte Verfall die Rechtsnatur des einfachen Verfalls
nach § 73 StGB (vgl. BTDrucks 11/6623, S. 6 und 7 sowie die Begründung des Entwurfs
eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer
Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 25. Juli 1991, BTDrucks
12/989, S. 23: "Eigenständige Erscheinungsform des Verfalls"). Ausweislich der
Gesetzesmaterialien zu § 73 StGB soll die Abschöpfung deliktisch erzielter
Vermögensvorteile als gesonderte Rechtsfolge neben die Strafe treten und vor allem das
Tagessatzsystem ergänzen. Der Gesetzgeber hält es nicht für sinnvoll, den Täter zu
bestrafen und ihm zugleich das aus der Tat unrechtmäßig Erlangte zu belassen; dies könne
geradezu als Anreiz zur Begehung weiterer entgelt- und gewinneinbringender Straftaten
wirken (vgl. die Begründung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches E 1962 vom 4.
Oktober 1962, BTDrucks IV/650, S. 241 und 245 sowie das Protokoll der 28. Sitzung des
Bundestags-Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vom 22. September 1966, S. 542
).
Der Gesetzgeber sieht in der Gewinnabschöpfung also nicht die Zufügung eines Übels,
sondern die Beseitigung eines Vorteils, dessen Verbleib den Täter zu weiteren Taten
verlocken könnte. Auch die Entwurfsbegründungen zu § 73d StGB betonen, der erweiterte
Verfall
sei
keine
Strafsanktion, sondern eine Maßnahme eigener Art mit
"kondiktionsähnlichem Charakter" (vgl. BTDrucks 11/6623, S. 4, 5 ff. und 8, BTDrucks
12/989, S. 1, 23, sowie die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen
Bundestags vom 4. Juni 1992, BTDrucks 12/2720, S. 42 f.). Demnach hat der Gesetzgeber
den erweiterten Verfall als selbständige, nicht-pönale Maßnahme neben die Strafe gestellt.
bb) Eine von den Vorstellungen des Gesetzgebers abweichende Einordnung (vgl. dazu
BVerfGE 22, 125 <131> ) des erweiterten Verfalls als Strafe oder strafähnliche Maßnahme
folgt auch nicht aus den mit der Regelung des § 73d StGB verfolgten weiteren Zwecken.
(1) Die strafrechtliche Gewinnabschöpfung soll einen "ordnenden Zugriff" des Rechts zur
Korrektur einer deliktisch zu Stande gekommenen Vermögenszuordnung ermöglichen (so
BTDrucks 11/6623, S. 7 und 8). Der Gesetzgeber misst dem erweiterten Verfall in erster
Linie eine vermögensordnende Aufgabe zu: Das Bürgerliche Recht kann deliktische
Vermögensveränderungen
nur
zum
Teil
unterbinden, indem es verbotenen
Rechtsgeschäften - etwa im Bereich des illegalen Betäubungsmittelhandels - die
zivilrechtliche Wirksamkeit versagt (§ 134 BGB, vgl. BGHSt 31, 145 ff.; Mayer-
Maly/Armbrüster, in: MünchKommBGB, 4. Aufl., § 134 Rn. 10; Sack, in: Staudinger, BGB,
2003, § 134 Rn. 223, jeweils m.w.N.). Es verhindert nicht, dass ein Straftäter durch die
Begehung rechtswidriger Taten faktisch Vermögensvorteile erlangt, etwa Gewinne aus der
Weiterveräußerung von Drogen. Der Gesetzgeber sieht in einem solchen deliktischen
Vermögenserwerb eine korrekturbedürftige Störung der Rechtsordnung, die die Strafgerichte
im Wege der Gewinnabschöpfung beseitigen sollen. Er weist dem Verfallrecht der §§ 73 ff.
StGB die Aufgabe zu, einen rechtswidrigen Zustand durch ordnenden Zugriff von hoher Hand
zu beenden.
Die vermögensordnende Funktion macht den erweiterten Verfall nicht zu einem
strafähnlichen Rechtsinstitut. Die Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung der
Vermögensordnung setzt zwar vergangenheitsbezogene Feststellungen voraus und ist
insoweit retrospektiv. Der korrigierende Eingriff aber, mit dem der Staat auf eine deliktisch
entstandene Vermögenslage reagiert, ist nicht notwendig repressiv. Auch das öffentliche
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Gefahrenabwehrrecht erlaubt hoheitliche Maßnahmen, um Störungen zu beseitigen.
Gefahrenabwehr endet nicht dort, wo gegen eine Vorschrift verstoßen und hierdurch eine
Störung der öffentlichen Sicherheit bewirkt wurde. Sie umfasst auch die Aufgabe, eine
Fortdauer der Störung zu verhindern (vgl. etwa Friauf, in: Badura u.a., Besonderes
Verwaltungsrecht, 11. Aufl., S. 138; Würtenberger, in: Achterberg u.a., Besonderes
Verwaltungsrecht, Band II, 2. Aufl., S. 445; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht,
13. Aufl., S. 63, jeweils m.w.N.).
Maßnahmen der Störungsbeseitigung sind ein Fall der Gefahrenabwehr. Sie knüpfen zwar
an in der Vergangenheit begründete Zustände an, sind in ihrer Zielrichtung aber
zukunftsbezogen. Sie wollen nicht ein normwidriges Verhalten öffentlich missbilligen und
sühnen, sondern verhindern, dass eine bereits eingetretene Störung der Rechtsordnung in
Zukunft andauert. Dementsprechend sollte eine auf § 21f Abs. 2 Satz 3 BNatSchG a.F.
gestützte Einziehung von Elfenbein, das ohne die erforderliche Genehmigung in die
Bundesrepublik Deutschland eingeführt worden war, einen Verstoß gegen die für Elfenbein
geltenden Handelsbeschränkungen beseitigen (vgl. den Beschluss der 3. Kammer des
Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Januar 1989 - 2 BvR 554/88 -,
NJW 1990, S. 1229). § 21f Abs. 2 Satz 3 BNatSchG a.F. zielte nicht auf Repression und
Vergeltung für ein rechtswidriges Verhalten, sondern diente als Teil eines Systems von
Handelsbeschränkungen, die die wirtschaftliche Nutzung gefährdeter Arten eindämmen
sollen, der Gefahrenabwehr (a.a.O., S. 1229).
Auch § 73d StGB verfolgt einen solchen präventiven Zweck. Der erweiterte Verfall ist zwar
nicht systematisch als Sicherungsmaßregel ausgestaltet, die eine drohende Reinvestition
von Deliktsgewinnen durch kriminelle Organisationen verhindern soll und sich auf eine
entsprechende Gefahrenprognose stützt. Die Erwägung des Gesetzgebers, die
strafrechtliche Gewinnabschöpfung könne auch sichernde Wirkungen erzielen (vgl.
BTDrucks 11/6623, S. 7 und BTDrucks 12/989, S. 1), hat in der Regelung des § 73d StGB
nicht unmittelbar Niederschlag gefunden (vgl. Weßlau, StV 1991, S. 226, 232 f.; Wallschläger,
Die strafrechtlichen Verfallsvorschriften, 2002, S. 158). Die vermögensordnende Zielsetzung
der Vorschrift ist aber klar zukunftsbezogen und präventiv: Der betroffene Straftäter soll
deliktisch erlangte Gegenstände nicht behalten; die mit der Bereicherung des Täters
verbundene Störung der Rechtsordnung soll nicht auf Dauer bestehen bleiben; die
Gewinnabschöpfung soll verhindern, dass die bereits eingetretene Störung der
Vermögensordnung auch zukünftig fortdauert.
Mit dieser präventiven Zielsetzung wirkt der erweiterte Verfall nicht wie eine Strafsanktion.
Seine Anordnung erfolgt nicht, um dem Betroffenen die Begehung der Herkunftstat
vorzuhalten und über sie ein sozialethisches Unwerturteil zu sprechen. Sie zielt vielmehr
darauf, einen rechtswidrigen Zustand für die Zukunft zu beseitigen. Die Entziehung deliktisch
erlangten Vermögens ist nicht Ausdruck vergeltender, sondern ordnender Gerechtigkeit
(ähnlich BGH, NStZ 1995, S. 491; Güntert, Gewinnabschöpfung als strafrechtliche Sanktion,
1983, S. 11 ff., 17; Schmidt, in: LKStGB, 11. Aufl., § 73 Rn. 8; Jekewitz, GA 1998, S. 276,
277).
(2) Der mit der Regelung des § 73d StGB beabsichtigte vermögensordnende Zugriff soll
nach dem Willen des Gesetzgebers zugleich Anreize für gewinnorientierte Delikte reduzieren.
Auch dieses in der Begründung des Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes -
Erweiterter Verfall - (... StrÄndG) vom 9. März 1990 (BTDrucks 11/6623, S. 4) als
generalpräventiv bezeichnete Ziel der Gewinnabschöpfung verleiht dem erweiterten Verfall
keinen strafähnlichen Charakter.
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Der Entziehung deliktisch erzielter Vermögensvorteile wird zwar zu Recht eine
strafergänzende Funktion beigemessen. Denn die übelszufügende und damit abschreckende
Wirkung einer Strafe kann sich mindern, wenn der materielle Tatvorteil in der Hand des
Täters verbleibt (vgl. Eser, Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum, 1969, S. 86
und S. 284). Dies wird vor allem bei Geldstrafen deutlich, die der Täter aus dem Tatgewinn
bestreiten könnte. Ein möglicher negativer Einfluss unterbliebener Gewinnabschöpfung auf
die Nachdrücklichkeit einer Strafe bedeutet aber nicht, dass die Gewinnabschöpfung selbst
strafende Wirkung erzielt oder intendiert (vgl. Güntert, Gewinnabschöpfung als strafrechtliche
Sanktion, 1983, S. 15 ff.).
Eine Abschreckungswirkung im Sinne der negativen Generalprävention ist mit dem
erweiterten Verfall ausweislich der Gesetzesmaterialien nicht beabsichtigt. In der Begründung
des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer
Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) heißt es im Anschluss an die
Darstellung der mit der Gewinnabschöpfung verfolgten Ziele, der Entwurf sehe neben der
Gewinnabschöpfung auch Strafschärfungen zur Erhöhung der Abschreckungswirkung bei
Straftaten der organisierten Kriminalität vor (vgl. BTDrucks 12/989, S. 1). Der Gesetzgeber
hat damit die Ziele der Gewinnabschöpfung ausdrücklich vom Abschreckungszweck
erhöhter Strafandrohungen unterschieden (siehe auch BTDrucks 12/989, S. 21 sub B.).
Die mit den strafrechtlichen Verfallvorschriften beabsichtigte generalpräventive Wirkung soll
nach dem Willen des Gesetzgebers auf andere Weise erzielt werden: Indem der Staat dem
Täter deliktisch Erlangtes wegnimmt, führt er ihm, wie auch der Rechtsgemeinschaft, vor
Augen, dass strafrechtswidrige Bereicherungen nicht geduldet werden und Straftaten sich
nicht lohnen. Der vermögensordnende Eingriff soll die Unverbrüchlichkeit und die
Gerechtigkeit der Rechtsordnung erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung stärken.
Diese auch als positiver Aspekt strafrechtlicher Generalprävention anerkannte Zielsetzung
(vgl. BVerfGE 45, 187 <256> ) ist - wie die Ausführungen zum Gefahrenabwehrrecht gezeigt
haben - kein Spezifikum strafrechtlicher Vorschriften (vgl. BVerfGE 22, 125 <132> ). Soweit
es um die Abschöpfung deliktisch erlangten Vermögens geht, deckt sie sich mit einem alle
Rechtsgebiete übergreifenden Grundsatz, wonach eine mit der Rechtsordnung nicht
übereinstimmende Vermögenslage auszugleichen ist (vgl. Güntert, Gewinnabschöpfung als
strafrechtliche Sanktion, 1983, S. 11 m.w.N.). Die normbestätigende Zielsetzung des § 73d
StGB charakterisiert den erweiterten Verfall daher nicht zwingend als pönale Maßnahme (vgl.
BGHSt 47, 369 <373 ff.>; Güntert, Gewinnabschöpfung als strafrechtliche Sanktion, 1983,
S. 17; Schmidt, in: LKStGB, 11. Aufl., § 73 Rn. 8; Eberbach, NStZ 1987, S. 486, 489 f.; Groth,
Verdeckte Ermittlung im Strafverfahren und Gewinnabschöpfung, 1995, S. 151; anders
Schultehinrichs, Gewinnabschöpfung bei Betäubungsmitteldelikten - Zur Problematik der
geplanten Vorschrift über den erweiterten Verfall, 1991, S. 153 f.; wohl auch Weßlau, StV
1991, S. 226, 231 f., und Hoyer, GA 1993, S. 406, 417 ff., 421).
cc) Schließlich hat das Rechtsinstitut des Verfalls auch nicht deshalb strafähnlichen
Charakter angenommen, weil der Gesetzgeber parallel zur Neuregelung des § 73d StGB das
bis dahin im Verfallrecht geltende Nettoprinzip (Abschöpfung des Taterlöses abzüglich der
Tatkosten) durch das Bruttoprinzip (Abschöpfung des erlangten "Etwas", des Taterlöses
ohne Abzug für die Tat geleisteter Aufwendungen, vgl. BGH, NStZ 1994, S. 123 f.; BGHSt 47,
369 <371 ff.>) ersetzt hat. Die Auffassung, der Verfall sei nur noch der Form nach eine
Maßnahme, dem Inhalt nach dagegen eine tatvergeltende Zufügung eines Übels, weil das
Gesetz nunmehr dem deliktisch bereicherten Täter - über die bloße Kondiktion hinaus - eine
wirtschaftliche Einbuße zumute (vgl. Nachw. bei Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl.,
§ 73d Rn. 2 ff., § 73 Rn. 18 ff.; Fischer, in: Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 73d Rn. 4 ff.,
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§ 73 Rn. 3; Lackner, in: Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl., § 73 Rn. 4 ff.; Jescheck/Weigend,
Lehrbuch des Strafrechts, 5. Aufl., S. 793; Horn, in: SKStGB, § 73 Rn. 5; Herzog, in:
NomosStGB, § 73 Rn. 10 ff.; anders BGH, NStZ 1995, S. 491; Schmidt, in: LKStGB, 11.
Aufl., § 73d Rn. 4, § 73 Rn. 8; Katholnigg, JR 1994, S. 353, 354; Baumann/Weber/Mitsch,
Strafrecht, Allgemeiner Teil, 10. Aufl., S. 716; Goos, wistra 2001, S. 313, 315), ist nicht
zwingend. Das Bruttoprinzip lässt sich auch anders und in größerer Nähe zum Willen des
Gesetzgebers sowie zum systematischen Ort des Verfalls einordnen:
Der Gesetzgeber hat dem Rechtsinstitut des Verfalls durch die Einführung des
Bruttoprinzips den kondiktionsähnlichen Charakter nicht genommen. Vielmehr hat er sich
eine an Wortlaut und Gesetzessystematik der §§ 812 ff. BGB orientierte Sichtweise des
zivilrechtlichen Bereicherungsrechts zu Eigen gemacht. Danach beschränkt sich die
Funktion der §§ 812 ff. BGB nicht auf die Abschöpfung noch vorhandener Vermögenswerte;
vielmehr ist die Kondiktion ein eigenständiges Instrument zur Korrektur irregulärer
Vermögenszuordnungen, das allein den gutgläubigen Bereicherungsschuldner vor
Vermögenseinbußen schützt (§ 818 Abs. 3 BGB), während es dem Bösgläubigen
wirtschaftliche Verlustrisiken zuweist (§ 818 Abs. 4, § 819 BGB; vgl. BGHZ 53, 144 <147 f.>;
55, 128 <135> und 57, 137 <146 ff.>; Lieb, in: MünchKommBGB, 3. Aufl., § 818 Rn. 47 ff.;
Lorenz, in: Staudinger, BGB, 1999, § 818 Rn. 1; Sprau, in: Palandt, BGB, 62. Aufl., § 818 Rn.
27 ff.; H.P. Westermann, in: Erman, BGB, 10. Aufl., § 818 Rn. 2; zur risikozuweisenden
Wirkung des Bruttoprinzips im strafrechtlichen Verfallrecht vgl. Katholnigg, JR 1994, S. 353,
356 und BayObLG, NStZ-RR 1997, S. 339).
Ausweislich der Gesetzesmaterialien soll die Einführung des Bruttoprinzips das Verfallrecht
d e r §§ 73 ff. StGB an die im zivilrechtlichen Bereicherungsrecht vorgefundene
Risikozuweisung angleichen. In der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuchs und anderer Gesetze vom 10.
September 1991 (BTDrucks 12/1134, S. 12) heißt es hierzu, die mit der Nettoabschöpfung
v e r b u n d e n e Saldierung
habe
zu
Wertungswidersprüchen
innerhalb
der
Gesamtrechtsordnung geführt, weil das Zivilrecht demjenigen, der sich außerhalb der
Rechtsordnung stelle, in § 817 Satz 2 BGB die Zuhilfenahme der Gerichte bei der
Rückabwicklung seines zweifelhaften Geschäfts versage. Der Rechtsgedanke des § 817
Satz 2 BGB, wonach das in ein verbotenes Geschäft Investierte unwiederbringlich verloren
sei, solle deshalb auch beim Verfall Anwendung finden.
Mit seinem Bezug auf den der Regelung des § 817 Satz 2 BGB nach überwiegender
Meinung zu Grunde liegenden Gedanken der Rechtsschutzverweigerung (vgl. BGHZ 44, 1
<6>; Lorenz, in: Staudinger, BGB, 1999, § 817 Rn. 4 f.; Honsell, Die Rückabwicklung
sittenwidriger oder verbotener Geschäfte, 1974, S. 58 ff.; Canaris, in: Festschrift für
Steindorff, 1990, S. 519, 523 ff.; Dauner, JZ 1980, S. 495, 499; Lieb, in: MünchKommBGB,
3. Aufl., § 817 Rn. 9) hat der Gesetzgeber klargestellt, dass er dem von einer Anordnung des
Verfalls Betroffenen lediglich eine rechtliche Begünstigung versagen und damit die im
zivilrechtlichen Bereicherungsrecht vorgefundene Risikozuweisung übernehmen, nicht aber
eine neue pönale Rechtsfolge schaffen wollte.
Insgesamt betrachtet ist die Gewinnabschöpfung gemäß § 73d StGB keine pönale Reaktion
auf ein früheres normwidriges Verhalten des Betroffenen. Vielmehr antwortet sie auf eine
gegenwärtige
Störung
der
Vermögensordnung
mit einem korrigierenden und
normbekräftigenden Eingriff. Der erweiterte Verfall verfolgt nicht repressiv-vergeltende,
sondern präventiv-ordnende Ziele und ist daher keine dem Schuldgrundsatz unterliegende
strafähnliche Maßnahme. Die verschuldensunabhängige Ausgestaltung des erweiterten
Verfalls begegnet insoweit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
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2. § 73d StGB ist mit der Unschuldsvermutung vereinbar.
a) Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips.
Sie muss in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren widerlegt werden, bevor wegen
eines Tatvorwurfs Entscheidungen getroffen werden, die die Feststellung von Schuld
erfordern. Sie schützt den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe
gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches, prozessordnungsgemäßes Verfahren zur
Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347 f.>;
35, 311 <320>; 74, 358 <369 ff.>; 82, 106 <118 ff.>).
b) Das Rechtsinstitut des erweiterten Verfalls verletzt die Unschuldsvermutung nicht.
§ 73d StGB sieht die Entziehung von Vermögenswerten vor, die der Beschuldigte aus
rechtswidrigen, aber nicht notwendig schuldhaft begangenen, Taten erlangt hat. Die
Anordnung des erweiterten Verfalls setzt die Feststellung von Schuld nicht voraus. Sie ist
daher von Gesetzes wegen auch nicht mit einer gerichtlichen Schuldzuweisung verbunden
(vgl. BTDrucks 11/6623, S. 5 und BTDrucks 12/2720, S. 42 f.). Eine strafgleiche Rechtsfolge
ordnet § 73d StGB - wie unter C. I. 1. ausgeführt - ebenfalls nicht an (vgl. auch das Urteil des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24. Oktober 1986 - Nr. 14/1984/86/133
-, EuGRZ 1988, S. 513, 519 zu einer zollrechtlichen Verfallerklärung). Die
Unschuldsvermutung steht einer Anordnung des erweiterten Verfalls ohne gesetzlichen
Schuldnachweis daher nicht entgegen.
3. Die Vorschrift des § 73d StGB verstößt in der Auslegung des Bundesgerichtshofs auch
nicht gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG.
a) Soweit § 73d StGB den Zugriff auf Vermögenswerte erlaubt, die dem unmittelbar
Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen strafrechtliche Vorschriften zivilrechtlich nicht
zustehen (vgl. § 134, § 935 BGB), ist dessen Eigentumsgrundrecht schon mangels einer
schutzfähigen Rechtsposition nicht berührt (vgl. BVerfGE 83, 201 <209>; 95, 267 <300>).
Dies betrifft vor allem die Entziehung von Gewinnen aus illegalen Drogengeschäften. Denn
wegen des strafrechtlichen Verbots des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ist gemäß
§ 134 BGB neben dem schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft zugleich die Übereignung
sowohl der Drogen als auch des für sie als Kaufpreis gezahlten Geldes zivilrechtlich
unwirksam (vgl. BGH, NJW 1983, S. 636; Mayer-Maly/Armbrüster, in: MünchKommBGB,
4. Aufl., § 134 Rn. 10; Sack, in: Staudinger, BGB, 2003, § 134 Rn. 223, jeweils m.w.N.). Einer
unveröffentlichten Erhebung des Statistischen Bundesamts zufolge ergehen gut acht von
zehn Anordnungen des erweiterten Verfalls im Bereich der Betäubungsmitteldelikte. Auch
nahmen die Gerichte in den zu § 33 Abs. 1 BtMG veröffentlichten Entscheidungen
regelmäßig - wie das Landgericht im Ausgangsverfahren - an, die für verfallen erklärten
Vermögenswerte stammten ihrerseits aus Betäubungsmittelstraftaten (vgl. die bei
Gradowski/Ziegler, Geldwäsche, Gewinnabschöpfung, 1997, S. 82 ff. referierten Fälle sowie
BGH, NStZ 1995, S. 540; StV 1995, S. 633; NStZ-RR 1998, S. 297; NStZ 2001, S. 531;
NStZ-RR 2003, S. 75; OLG Stuttgart, NJW 2000, S. 2598, 2599). Demnach berühren die
meisten Anwendungsfälle des § 73d StGB kein durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes
Eigentum. Die Geltung des Bruttoprinzips ändert hieran nichts. Es versagt dem Betroffenen
lediglich eine Erstattung seiner Tataufwendungen (vgl. C. I. 1. b) cc) sowie Katholnigg, JR
1994, S. 353, 356).
b) Soweit § 73d StGB die Entziehung von Gegenständen anordnet, die der Betroffene zwar
deliktisch, aber gleichwohl zivilrechtlich wirksam erworben hat, enthält er eine Inhalts- und
Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese genügt
in der Auslegung des Bundesgerichtshofs den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
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aa) Das Bundesverfassungsgericht hat schon im Beschluss vom 12. Dezember 1967 (
BVerfGE 22, 387 <422> ) klargestellt, dass der Verlust von Eigentum als Nebenfolge einer
strafrechtlichen Verurteilung zu den traditionellen Schranken des Eigentums gehört. Das
Grundgesetz hat dem Gesetzgeber in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 die Aufgabe übertragen, den
Inhalt und die Schranken des Eigentums zu bestimmen. Die das Eigentum ausformenden
Vorschriften des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts legen generell und abstrakt Rechte
und Pflichten hinsichtlich solcher Rechtsgüter fest, die als Eigentum im Sinne der Verfassung
zu verstehen sind (vgl. BVerfGE 52, 1 <27 f.>; 58, 137 <144 f.>; 58, 300 <330>; 70, 191
< 200> ; 72, 66 <76>; 100, 226 <240>). Solche Vorschriften bleiben Inhalts- und
Schrankenbestimmungen
des
Eigentums
auch dann,
wenn
sie
konkrete
Vermögenspositionen ganz oder teilweise entziehen oder hierzu für den Einzelfall die
Grundlage bilden (vgl. BVerfGE 58, 300 <351>; 70, 191 <200>; 83, 201 <212>; 100, 226
<240> ).
bb) § 73d StGB setzt dem Eigentum Schranken; die Vorschrift spricht deliktisch erlangten
Rechtspositionen in der Hand des Täters oder Teilnehmers den Schutz als Eigentum ab und
ordnet ihre Entziehung an.
(1) Schon mit der Einführung des einfachen Verfalls gemäß § 73 StGB hat der Gesetzgeber
bestimmt, dass der Inhaber deliktisch erlangten Vermögens die damit verbundenen
Befugnisse nicht nach eigener Entscheidung zu seinem Nutzen soll ausüben können. Die
Vorschrift regelt abstrakt-generell, dass deliktisch erlangte Vermögensgegenstände und
deren Surrogate dem Tatbeteiligten von hoher Hand entzogen werden sollen. Zugleich
bestimmt § 73 StGB die Voraussetzungen für den Vollzug der Eigentumsbeschränkung.
(2) Die Regelung über den erweiterten Verfall lockert die Voraussetzungen für die
Entziehung deliktisch erzielter Gewinne und Entgelte. § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB erlaubt den
Zugriff auf deliktisch erlangte Vermögensgegenstände in der Hand des Täters oder
Teilnehmers auch dann, wenn sie nicht aus der abgeurteilten Tat, sondern aus anderen,
möglicherweise nicht mehr verfolgbaren, rechtswidrigen Taten stammen; der erweiterte
Verfall eines Gegenstands ist gemäß § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB anzuordnen, wenn die
Umstände die Annahme rechtfertigen, dass der Gegenstand für eine rechtswidrige Tat oder
aus ihr erlangt worden ist. Nach § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB unterliegen auch solche
Gegenstände dem erweiterten Verfall, die dem Betroffenen wegen ihrer deliktischen
Erlangung nicht gehören oder zustehen. Die Anordnung des Verfalls erstreckt sich auf
Nutzungen und Surrogate (§ 73d Abs. 1 Satz 3, § 73 Abs. 2 StGB) sowie auf den Geldwert
nicht oder nicht mehr entziehbarer Vermögensvorteile (§ 73d Abs. 2, § 73a StGB). Sie
unterbleibt, soweit sie für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre (§ 73d Abs. 4, § 73c
StGB).
cc) Nach der vom Bundesgerichtshof im Ausgangsverfahren vertretenen Auffassung ist die
Annahme der deliktischen Herkunft eines Gegenstands nur dann im Sinne des § 73d Abs. 1
Satz 1 StGB gerechtfertigt, wenn sich der Tatrichter durch Ausschöpfung der vorhandenen
Beweismittel von ihr überzeugt hat. Für eine solche Überzeugungsbildung verlangt der
Bundesgerichtshof keine Feststellungen über konkrete Herkunftstaten. Auch sei der
Tatrichter nicht gehindert, sondern gehalten, die nachgewiesenen Anlasstaten in seine
Überzeugungsbildung einzubeziehen, selbst wenn aus ihnen kein Gewinn erzielt worden sei.
Insgesamt dürften die Anforderungen an den Herkunftsnachweis nicht überspannt werden
(BGHSt 40, 371 ff.).
Diese Auslegung des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB ist von Verfassungs wegen nicht zu
beanstanden.
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(1) Sie ist mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar, die mit der Formulierung "wenn die
Umstände die Annahme rechtfertigen" einen Spielraum zur Bestimmung des erforderlichen
Beweismaßes eröffnet (zu den Grenzen zulässiger Gesetzesauslegung BVerfGE 8, 28
<34>; 49, 148 <157>; 54, 277 <299 f.>; 71, 81 <105>; 90, 263 <275>). Die Auffassung des
Bundesgerichtshofs tritt auch nicht in Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers.
Ausweislich der Gesetzesmaterialien soll die Regelung des erweiterten Verfalls die
strafrechtliche Gewinnabschöpfung erleichtern; nach bisherigem Recht scheitere sie häufig
daran, dass "wegen des konspirativen Charakters des illegalen Betäubungsmittelhandels ...
die Herkunft von Vermögensgegenständen des Täters aus bestimmten Straftaten nicht
nachgewiesen werden" könne (vgl. BTDrucks 11/6623, S. 1). Die in § 73d Abs. 1 Satz 1
S t G B vorgesehenen Beweiserleichterungen könnten der Schwierigkeit entgegenwirken,
"dass bei den Tatbeteiligten Vermögenswerte angetroffen werden, deren kriminelle Herkunft
zwar nahe liegt, sich jedoch nicht konkret fassbaren, womöglich gar den im anhängigen
Strafverfahren zur Untersuchung gezogenen Straftaten zuordnen lassen" (vgl. BTDrucks
12/989, S. 22). Die Vorschrift solle einen Eigentumsentzug in Fällen ermöglichen, in denen
die Herkunft des Gegenstands des Verfalls mit den Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts
n i c h t aufgeklärt werden könne, eine deliktische Erlangung jedoch angesichts der
Einkommens- und Vermögenssituation des Täters sowie seines Vorlebens so hoch
wahrscheinlich sei, dass sie sich für einen objektiven Betrachter geradezu aufdränge (vgl.
BTDrucks 11/6623, S. 7). Dabei fordere und ermögliche das in dem Begriff "rechtfertigen"
enthaltene normative Element eine Anwendung der Vorschrift, die in jedem Einzelfall der
Eigentumsgewährleistung hinreichend gerecht werde (vgl. BTDrucks 11/6623, S. 5).
Diesen gesetzgeberischen Zielen trägt die Auslegung des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB durch
d e n Bundesgerichtshof Rechnung. Sie erleichtert einerseits den für die strafrechtliche
Gewinnabschöpfung erforderlichen Nachweis einer deliktischen Vermögenserlangung, indem
sie auf die Feststellung einer konkreten Herkunftstat verzichtet und dem Tatrichter in weitem
Umfang eine nur mittelbare Beweisführung erlaubt. Andererseits verlangt sie, dass Eingriffe
in das verfassungsrechtlich geschützte Legalvermögen des Betroffenen vermieden werden,
indem sich der Tatrichter zumindest vom "Ob" der deliktischen Vermögensherkunft
überzeugt. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs wird eine Anwendung des § 73d Abs. 1
Satz 1 StGB nur bei dieser einschränkenden Normauslegung der Eigentumsgewährleistung
hinreichend gerecht. Da der Gesetzgeber mit der Fassung des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB
eine verfassungsgemäße Anwendung der Norm in jedem Fall sicherstellen wollte, war der
Bundesgerichtshof nicht gehindert, zu diesem Zweck den möglichen Wortsinn der Vorschrift
auszuschöpfen.
Die restriktive Auslegung des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB durch den Bundesgerichtshof
entspricht auch den vom Gesetzgeber mit der Vorschrift verfolgten weitergehenden Zielen
der Gewinnabschöpfung (vgl. dazu bereits oben C. I. 1. b) bb). Sie konzentriert den
Anwendungsbereich
des erweiterten Verfalls auf nachweisbar deliktisch erlangte
Gegenstände und stellt damit sicher, dass die Eigentumsordnung nur dort korrigiert wird, wo
dies erforderlich ist, um deliktisch verursachte Störungen zu beseitigen. Eine derartige
Korrektur fehlerhafter Vermögenslagen verwirklicht zugleich das Ziel des Gesetzgebers, das
Vertrauen der Bevölkerung in die Gerechtigkeit und die Unverbrüchlichkeit der
Rechtsordnung zu stärken.
(2) Die Auslegung des Bundesgerichtshofs beruht auf sachbezogenen und
nachvollziehbaren Erwägungen. Sie bietet keine Anhaltspunkte für den Vorwurf der Willkür
oder für eine Verkennung der Bedeutung und Tragweite grundrechtlicher Gewährleistungen
(zu diesem Prüfungsmaßstab BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 60, 348 <357>; 70, 230 <239> ).
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dd) In der Auslegung des Bundesgerichtshofs beschränkt § 73d StGB den Inhalt des
Eigentums in verfassungsrechtlich zulässiger Weise.
(1) Bei der Erfüllung des ihm gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrags, Inhalt und
Schranken des Eigentums zu bestimmen, muss der Gesetzgeber die grundgesetzliche
Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wie auch das Sozialgebot
des Art. 14 Abs. 2 GG beachten (vgl. BVerfGE 52, 1 <29>; 71, 230 <246 f.>; 81, 208 <220>)
und die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers sowie die Belange des Gemeinwohls in
einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen (BVerfGE 100, 226
<240> ; stRspr). Dabei ist er an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden.
Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse müssen vom jeweiligen Sachbereich her
geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Sie dürfen nicht weiter gehen als
es ihr Grund, der Schutz des Gemeinwohls, erfordert (vgl. BVerfGE 20, 351 <361>; 52, 1
<29 f.>), und sie dürfen insbesondere auch nicht, gemessen am sozialen Bezug und an der
sozialen Bedeutung des Eigentumsobjekts sowie im Blick auf den Regelungszweck, zu einer
übermäßigen Belastung führen und den Eigentümer im vermögensrechtlichen Bereich
unzumutbar treffen (vgl. BVerfGE 58, 137 <148>). Zudem muss eine Inhalts- und
Schrankenbestimmung des Eigentums mit allen anderen Verfassungsnormen vereinbar sein,
insbesondere mit dem Gleichheitsgrundsatz (vgl. BVerfGE 14, 263 <278>; 18, 121 <132>;
25, 112 <117>; 52, 1 <27>; 62, 169 <183> ).
(2) Die Regelung über den erweiterten Verfall wird diesen Maßstäben gerecht. Sie enthält in
der
Auslegung des Bundesgerichtshofs eine sachgerechte Beschränkung der
Eigentümerbefugnisse, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt und auch sonst mit
dem Grundgesetz vereinbar ist.
(a) Der Gesetzgeber will mit der strafrechtlichen Gewinnabschöpfung eine Störung der
Vermögensordnung beseitigen und so der materiellen Rechtsordnung Geltung verschaffen.
Das in §§ 73 ff. StGB geregelte Rechtsinstitut des Verfalls kann dazu beitragen, dieses
legitime gesetzgeberische Ziel (vgl. BVerfGE 81, 228 <237 f.> ) zu erreichen (zu den
Anforderungen an die Geeignetheit einer gesetzlichen Regelung BVerfGE 30, 292 <316>; 33,
171 <187>; 67, 157 <173, 175>; 70, 278 <286>; 96, 10 <23> ):
Das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerechtigkeit und die Unverbrüchlichkeit der
Rec hts ordnung kann Schaden nehmen, wenn Straftäter deliktisch erlangte
Vermögensvorteile dauerhaft behalten dürfen. Eine Duldung solcher strafrechtswidrigen
Vermögenslagen durch den Staat könnte den Eindruck hervorrufen, kriminelles Verhalten
zahle sich aus, und damit staatlich gesetzten Anreiz zur Begehung gewinnorientierter Delikte
geben. Die strafrechtliche Gewinnabschöpfung ist ein geeignetes Mittel, um dies zu
verhindern. Sie kann der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, der Staat unternehme alles
ihm rechtsstaatlich Mögliche, um eine Nutznießung von Verbrechensgewinnen zu
unterbinden (vgl. Hoyer, GA 1993, S. 406, 412; Perron, JZ 1993, S. 918, 921, 922 f.; Julius,
ZStW 1997, S. 58, 97). Indem § 73d StGB die Gewinnabschöpfung erleichtert, kann er den
mit ihr verfolgten Zweck, der Rechtsordnung Geltung zu verschaffen, zusätzlich fördern.
(b) Ein im Vergleich zur Regelung des § 73d StGB milderes, aber gleich effektives Mittel zur
Erreichung dieses Ziels der Gewinnabschöpfung ist nicht ersichtlich. Das gilt auch für die
Erstreckung des erweiterten Verfalls auf die vom Täter anstelle des ursprünglichen
Tatgewinns oder -entgelts erworbenen Surrogate gemäß § 73d Abs. 1 Satz 3, § 73 Abs. 2
StGB und für die in § 73d Abs. 2, § 73a StGB angeordnete Wertersatzpflicht; ohne sie könnte
der Täter die mit der Vorschrift angestrebte Gewinnabschöpfung unterlaufen.
(c) Die Entziehung deliktisch erlangter Vermögenswerte im Wege des erweiterten Verfalls
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ist einem Tatbeteiligten grundsätzlich zumutbar. Unbillige Härten, die sich im Einzelfall aus
der Wertersatzpflicht des § 73d Abs. 2 in Verbindung mit § 73a StGB und aus dem
Bruttoprinzip ergeben können, sind von den Fachgerichten durch eine Anwendung der in
§ 73d Abs. 4, § 73c Abs. 1 StGB vorgesehenen Regelung auszuschließen. Eine
Beeinträchtigung legal erworbener Vermögenspositionen des Betroffenen ist nach der vom
Bundesgerichtshof im Ausgangsverfahren vorgenommenen Auslegung des § 73d Abs. 1
Satz 1 StGB nicht zu besorgen; diese stellt sicher, dass der Richter sich von der deliktischen
Herkunft des Objekts des Verfalls überzeugt.
(d) § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB ermöglicht unter anderem die Abschöpfung von Gewinnen
a u s illegalen Drogengeschäften, bei denen der Verkäufer nach der fachgerichtlichen
Rechtsprechung gemäß § 134 BGB kein Eigentum an dem von dem Abnehmer als Kaufpreis
gezahlten Geld erwerben kann (vgl. C. I. 3. a) sowie BTDrucks 11/6623, S. 7 f.). Die
Vorschrift beschränkt zugleich in zulässiger Weise das Eigentumsrecht des an der Tat
beteiligten Drogenkäufers. Seine für deliktische Zwecke freiwillig aufgegebene
Vermögensposition verdient keinen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. auch den in § 817
Satz 2 BGB zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken).
(e) Anordnungen des erweiterten Verfalls gemäß § 73d Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB können
jedoc h vermögenswerte Rechtspositionen tatgeschädigter Dritter beeinträchtigen (vgl.
Schultehinrichs, Gewinnabschöpfung bei Betäubungsmitteldelikten - Zur Problematik der
geplanten Vorschrift über den erweiterten Verfall, 1991, S. 186 ff.; Fischer, in:
Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 73d Rn. 5; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl.,
§ 73d Rn. 6 f.; Schmidt, in: LKStGB, 11. Aufl., § 73d Rn. 7). Denn anders als beim einfachen
Verfall (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB) hat der Gesetzgeber beim erweiterten Verfall
Schadensersatzansprüchen von Tatopfern keinen Vorrang vor der strafrechtlichen
Gewinnabschöpfung eingeräumt. Er sieht in dieser Ungleichbehandlung selbst einen
Systembruch, der im Rahmen einer Gesamtüberarbeitung der §§ 73 ff. StGB behoben
werden soll (vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten Abschöpfung von
Vermögensvorteilen aus Straftaten vom 3. Februar 1998, BTDrucks 13/9742; er räumt
Tatgeschädigten Erstattungsansprüche gegen den Staat ein, die in einem gesonderten
Nachverfahren geltend zu machen sind).
In der Begründung des Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Erweiterter
Verfall - (... StrÄndG) vom 9. März 1990 (BTDrucks 11/6623, S. 7) heißt es hierzu, wegen
des auf bestimmte Betäubungsmitteldelikte beschränkten Anwendungsbereichs des § 73d
StGB sei eine Verkürzung der Rechte Tatgeschädigter äußerst unwahrscheinlich. Die gemäß
§ 73d Abs. 4 StGB entsprechend anwendbare Härteregelung des § 73c Abs. 1 StGB biete
insoweit einen ausreichenden Schutz vor "unbilligen Ergebnissen".
Inzwischen hat der Gesetzgeber den erweiterten Verfall auf eine Reihe anderer Delikte,
insbesondere auch auf Vermögensstraftaten wie Bandendiebstahl und -hehlerei erstreckt
(vgl. A. I.). Auf der Grundlage dieser neuen Verweisungstatbestände sind nach einer
Erhebung des Statistischen Bundesamts in den Jahren 1993 bis 2001 insgesamt 115
Anordnungen des erweiterten Verfalls ergangen. Damit ist eine Beeinträchtigung von
Eigentumsrechten und Ersatzansprüchen Tatverletzter durch die Regelung des § 73d StGB
wahrscheinlicher geworden. Die strafprozessuale "Zurückgewinnungshilfe" der §§ 111b ff.
StPO, die Geschädigten die Durchsetzung ihrer aus der Straftat erwachsenen
Ersatzansprüche erleichtern soll, bietet wegen der zeitlichen Begrenzung des in § 111i StPO
vorgesehenen Zwangsvollstreckungsprivilegs nur einen unvollkommenen Opferschutz (vgl.
Güntert, Gewinnabschöpfung als strafrechtliche Sanktion, 1983, S. 72 f.; Lenz, Einziehung
und Verfall - de lege lata und de lege ferenda -, 1986, S. 289 ff.; Schäfer, in: LKStGB,
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10. Aufl., § 73 Rn. 26, 28; Achenbach, in: Festschrift für Blau, 1985, S. 7, 15 f., 20). Daher hat
der Gesetzgeber - auch unter sozialstaatlichen Aspekten - zu prüfen, ob die Rechte
Tatgeschädigter beim erweiterten Verfall nach der Ausdehnung seines Anwendungsbereichs
noch hinreichend gewahrt sind.
(f) § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB schränkt in der Auslegung des Bundesgerichtshofs die im
Rechtsstaatsprinzip verankerte Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten nicht ein. Dieser
muß sich weder zu der angeklagten Anlasstat noch zu eventuellen anderen strafbaren
Verhaltensweisen äußern, um eine Anordnung des erweiterten Verfalls zu vermeiden.
(g) Die angegriffene Regelung ist in der Auslegung des Bundesgerichtshofs auch
hinreichend bestimmt. Sie erlaubt einen Zugriff auf alle vom Betroffenen deliktisch erlangten
und durch dieses Kriterium von seinem verfassungsrechtlich geschützten Legalvermögen
abgrenzbaren Gegenstände. Das vom Bundesgerichtshof hinsichtlich der deliktischen
Vermögensherkunft geforderte Beweismaß der richterlichen Überzeugung macht eine
Anordnung des erweiterten Verfalls für den Täter klar vorhersehbar.
(h) § 73d StGB verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs ist der erweiterte Verfall von Gegenständen, die der Betroffene vor
Inkrafttreten der auf § 73d StGB verweisenden Vorschrift erworben hat, gemäß § 2 Abs. 5 in
Verbindung mit Abs. 1 StGB ausgeschlossen (vgl. BGHSt 41, 278; BGH, NStZ 2001, S. 419
und
wistra
2003, S. 228 f.). Bei dieser verfassungsrechtlich unbedenklichen
Gesetzesauslegung entfaltet die Vorschrift über den erweiterten Verfall keine Rückwirkung.
(i) Schließlich verstößt es nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG,
dass § 73d StGB die erleichterte Abschöpfung von Deliktsgewinnen auf bestimmte, dem
"organisierten Verbrechen" zugerechnete Tätergruppen beschränkt. Die abweichende
Behandlung dieser Tätergruppen ist durch besondere Beweisschwierigkeiten und durch die
vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 73d StGB verfolgten Gewinnabschöpfungsziele
sachlich hinreichend gerechtfertigt (zum Maßstab BVerfGE 96, 315 <325>; 100, 138 <174> ):
Mit den in § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB vorgesehenen Beweiserleichterungen will der
Gesetzgeber einen Zugriff auf deliktisch erlangte Vermögensgegenstände auch dann
ermöglichen, wenn deren Herkunft aus bestimmten Straftaten wegen des konspirativen
Vorgehens des von der Vorschrift erfassten Täterkreises nicht aufgeklärt werden kann (vgl.
oben C. I. 3. b) cc) (1) sowie BTDrucks 11/6623, S. 1). Außerdem soll eine effektivere
Gewinnabschöpfung gerade denjenigen Tätern, die für die "organisierte Kriminalität" typische
Delikte begangen haben, den Anreiz zur Begehung erneuter gewinnorientierter Straftaten
nehmen.
Die Einschätzung des Gesetzgebers, eine effektive Gewinnabschöpfung sei bei
"organisiert"
vorgehenden Straftätern wegen deren erfahrungsgemäß konspirativen
Verhaltens nur unter den erleichterten Voraussetzungen des § 73d StGB möglich, ist nicht
offensichtlich fehlsam und genügt daher den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Auch
die Typisierung der "organisierten Kriminalität" durch das Merkmal der banden- oder
gewerbsmäßigen Tatbegehung wahrt die Grenzen des dem Gesetzgeber vom Grundgesetz
zugebilligten Beurteilungsspielraums (vgl. dazu BVerfGE 8, 71 <80>; 30, 292 <317>).
II.
1. Die Rüge des Beschwerdeführers, das landgerichtliche Urteil verletze sein
Eigentumsgrundrecht, weil es den vom Bundesgerichtshof in einengender Auslegung des
§ 73d Abs. 1 Satz 1 StGB aufgestellten Beweismaßanforderungen nicht genüge, ist
117
unbegründet. Die Ausführungen des Landgerichts in den Gründen des angegriffenen Urteils
belegen, dass es die Überzeugung gewonnen hat, das vom Beschwerdeführer auf einem
Sparkonto angelegte Geld stamme aus verbotenen Drogengeschäften.
2. Damit erweist sich auch der Einwand des Beschwerdeführers, der seine Revision
verwerfende Beschluss des Bundesgerichtshofs halte den Verfassungsverstoß des
Landgerichts aufrecht, als unbegründet.
Hassemer
Jentsch
Richter Broß ist an der
Unterschrift verhindert.
Osterloh
Di Fabio
Mellinghoff
Lübbe-Wolff
Gerhardt