Urteil des BVerfG vom 23.03.2016

Unzulässige Verfassungsbeschwerde mangels Erhebung der Anhörungsrüge

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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 544/16 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn Z... ,
gegen a) den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 19. Februar 2016 - 593 StVK 3/16
(Vollz) -,
b) den Bescheid der Justizvollzugsanstalt Plötzensee über die Anordnung einer
Disziplinarmaßnahme vom 26. Februar 2016
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Landau
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 23. März 2016 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
G r ü n d e :
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da sie keine Aussicht
auf Erfolg hat (vgl. § 93a Abs. 2 BVerfGG).
1. Sie ist aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig, weil der Beschwerdeführer
gegen den Beschluss des Landgerichts keine Anhörungsrüge erhoben hat. Der aus § 90
Abs. 2 Satz 1 BVerfGG abgeleitete Grundsatz der materiellen Subsidiarität gebietet, dass der
Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht lediglich formell erschöpft, sondern darüber hinaus
auch alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten
ergreift, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr
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zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl.
BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>; 129, 78 <92>; 134, 106 <115>; stRspr).
Das Landgericht hat dem Beschwerdeführer nach dessen Vortrag die Stellungnahme der
Justizvollzugsanstalt vor Erlass des angegriffenen Beschlusses nicht rechtzeitig zugänglich
gemacht, weshalb der Beschwerdeführer keine Möglichkeit hatte, sich zu dieser
Stellungnahme zu äußern. Gegen den darin liegenden Gehörsverstoß (vgl. BVerfGK 7, 438
<441>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juni 2011 - 2 BvR
960/11 -, juris, Rn. 4 f.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juni
2011 - 2 BvR 2076/08 -, juris, Rn. 3; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats
vom 24. Oktober 2012 - 2 BvR 1432/11 -, juris, Rn. 3; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer
des Zweiten Senats vom 30. Mai 2013 - 2 BvR 885/13 -, juris, Rn. 4; BVerfG, Beschluss der
2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Juli 2015 - 2 BvR 1245/15 -, juris, Rn. 5; BVerfG,
Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. August 2015 - 2 BvR 1554/15 -, juris,
Rn. 3; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2015 - 2
BvR 2087/15 -, juris, Rn. 3; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11.
Januar 2016 - 2 BvR 2474/15 -, juris, Rn. 3) stand dem Beschwerdeführer die
Anhörungsrüge nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, § 33a StPO offen.
Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass der Beschwerdeführer die Rüge einer
Gehörsverletzung in einem Nachtrag zu seiner Verfassungsbeschwerde zurückgenommen
hat. Wegen des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde kann der
Beschwerdeführer gehalten sein, eine Gehörsverletzung im fachgerichtlichen Verfahren auch
dann mit einer Anhörungsrüge anzugreifen, wenn er mit der Verfassungsbeschwerde zwar
keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG rügen will, die Erhebung der Anhörungsrüge aber
zur Beseitigung anderweitiger Grundrechtsverletzungen, durch die sich der
Beschwerdeführer beschwert fühlt, führen könnte (vgl. BVerfGE 134, 106 <115>; BVerfGK
19, 23 <24 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Mai 2015 - 2
BvR 2169/13, 2 BvR 2170/13 -, juris, Rn. 2). Dies ist vorliegend der Fall.
2.
Angesichts
der
Unzulässigkeit
der
Verfassungsbeschwerde
ist
dem
Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung darüber versagt, ob der angegriffene
Beschluss mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist. Diesbezüglich bestehen Bedenken, weil der
Beschluss keine Begründung enthält. Eine Begründung der Ablehnung des für den Erlass
einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG in Verbindung mit § 123
Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsgrundes dürfte erforderlich gewesen sein, weil dem
Beschwerdeführer der Erlass einer nicht unerheblichen Disziplinarmaßnahme durch die
Justizvollzugsanstalt drohte.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Landau
Kessal-Wulf
König