Urteil des BVerfG vom 10.12.2014
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wenn das Gericht in seiner Entscheidung erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Sachvortrag zugrundelegt und zuvor ausreichend deutlich gemacht wurde, dass ein Prozessbeteiligter sich die Möglic
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 514/12 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau W…,
gegen
a)
den Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn
vom 31. Januar 2012 - 13 C 13/10 (XVIII) -,
b)
das Urteil des Amtsgerichts Gifhorn
vom 29. Dezember 2011 - 13 C 13/10 (XIX) -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Voßkuhle,
den Richter Landau
und die Richterin Hermanns
am 10. Dezember 2014 einstimmig beschlossen:
1.  Das Urteil des Amtsgerichts Gifhorn vom 29. Dezember 2011
- 13 C 13/10 (XIX) - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem aus Artikel 103
Absatz 1 des Grundgesetzes folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör. Es
wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Gifhorn
zurückverwiesen.
2.  Der Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 31. Januar 2012
- 13 C 13/10 (XVIII) - wird gegenstandslos.
3.  Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen
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Auslagen zu erstatten.
G r ü n d e :
I.
1. Die Beschwerdeführerin ist Rechtsanwältin. Sie nahm den Beklagten des
Ausgangsverfahrens auf Zahlung von Honorar in Anspruch. Der Beklagte rechnete
hilfsweise mit Rückzahlungsansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung wegen
überhöhter Honorarabrechnungen auf. Er machte unter anderem geltend, die
Beschwerdeführerin habe in der von ihr erstellten und die vorherigen Rechnungen
vom 6., 10. und 14. Januar, 4. Februar, 3. März, 18. September, 6. und 27. November
2003, 25. Februar 2005 und 18. Januar 2006 ersetzenden Endabrechnung vom
17. Oktober 2007 die Gegenstandswerte für vier von ihr abgerechnete
gebührenrechtliche Angelegenheiten betreffend die Korrespondenz und Telefonate
mit vier verschiedenen Gläubigern wegen eines Vermieterpfandrechts jeweils zu
hoch angesetzt.
Im dritten Termin zur mündlichen Verhandlung legte der Beklagtenvertreter erstmals
eine  Rechnung  der  Beschwerdeführerin  vom  18.  Juli  2003  vor,  in  der  sie  die
genannten Angelegenheiten mit der Folge deutlich geringeren Gebührenaufkommens
(lediglich)  als  eine  gebührenrechtliche  Angelegenheit  behandelt  hatte.  Die
Beschwerdeführerin erklärte zu Protokoll, dass sie sich aus der Erinnerung nicht zu
der  Reihenfolge  der  Rechnungen,  insbesondere  zum  Zusammenhang  zur
Endabrechnung vom 17. Oktober 2007 erklären könne.
2. Das Amtsgericht wies die Klage der Beschwerdeführerin ab. Zur Begründung
führte es aus, die ursprünglich begründete Honorarforderung sei durch Aufrechnung
mit einer Gegenforderung aus ungerechtfertigter Bereicherung untergegangen. Die
Beschwerdeführerin habe in ihrer Rechnung vom 18. Juli 2003 für den Komplex
Vermieterpfandrecht einen Wert von 7.000 € zugrunde gelegt und hierfür inklusive
Steuern und Pauschale 893,20 € in Rechnung gestellt. In der Rechnung vom
17. Oktober 2007 zu demselben Aktenzeichen rechne sie die Angelegenheit einzeln
ab und gelange so zu einer Summe von 1.985,05 €, somit 1.091,85 € mehr als
ursprünglich er- und berechnet. Dies sei in Teilen treuwidrig, weil die
Beschwerdeführerin damit gegen die von ihr selbst vorgenommene
Abrechnungsweise verstoße. Die Zahlung des Beklagten sei daher in der
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errechneten Höhe ohne rechtlichen Grund erfolgt.
3. Mit der Anhörungsrüge machte die Beschwerdeführerin geltend, obwohl ihre
Erklärung, dass sie sich zu der vorgelegten Rechnung im Hinblick auf den
umfangreichen Schriftverkehr spontan nicht äußern könne, im Protokoll
aufgenommen worden sei, sei ihr keine Frist zur Stellungnahme gewährt worden.
Wenn sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hätte, hätte sie vorgetragen, dass
die Rechnung vom 18. Juli 2003 auf Wunsch des Beklagten durch die von ihm
bezahlte Rechnung vom 27. November 2003 ersetzt worden sei, in der sie ihre
Tätigkeit bereits wie in der Endabrechnung vom 17. Oktober 2007 behandelt habe. Im
Hinblick darauf habe sie sich jedenfalls nicht treuwidrig verhalten.
4. Das Amtsgericht wies die Gehörsrüge als unbegründet zurück, weil der Anspruch
auf rechtliches Gehör nicht verletzt sei. Die Beschwerdeführerin könne sich nicht
darauf berufen, dass ihr die Rechnung vom 18. Juli 2003 nicht bekannt gewesen sei.
Zwar habe die Beschwerdeführerin erklärt, sich nicht zur Reihenfolge der
Rechnungen äußern zu können, sie habe aber die Erstellung, den Zugang und die
Richtigkeit der Rechnung vom 18. Juli 2003 nicht bestritten. Vielmehr habe der
Beklagte schon zuvor im Rahmen des jahrelangen Rechtsstreits Zweifel an der Höhe
der zugrunde gelegten Streitwerte geäußert. Es habe somit der Beschwerdeführerin
oblegen, inhaltlich zur Rechnung Stellung zu nehmen, nötigenfalls
Schriftsatznachlass zu beantragen. Das gelte insbesondere vor dem Hintergrund der
umfangreichen Erörterungen in der mündlichen Verhandlung zur Aufrechnung.
Gelegenheit zur Stellungnahme habe ausreichend bestanden.
5. Mit der fristgemäß eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die
Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103
Abs. 1 GG), des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20
Abs. 3 GG) sowie des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG). Es finde im Prozessrecht
keine Stütze, dass das Gericht ihre protokollierte Erklärung, sie könne sich zu der
Reihenfolge der Rechnungen, insbesondere im Zusammenhang mit der
Endabrechnung, nicht erklären, nicht als Antrag auf Schriftsatznachlass verstanden
habe. Die angegriffene Entscheidung stelle eine Überraschungsentscheidung dar.
Der Richter stütze sich maßgeblich auf die Rechnung vom 18. Juli 2003 mit einer
zuvor nicht erörterten, erst in der Urteilsbegründung von ihm selbst erstellten
Berechnung, die bisher selbst von dem Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen
Verhandlung so nicht vorgetragen oder beziffert worden sei.
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Der Grundrechtsverletzung komme trotz der vergleichsweise geringen Klagesumme
besonderes  Gewicht  zu,  weil  sich  daraus  der  Vorwurf  der  Gebührenüberhebung
ergebe. Es sei Strafanzeige gegen sie erstattet worden. Sie müsse ferner mit einem
Verfahren  vor  der  Anwaltskammer  rechnen.  Die  Feststellung  des  treuwidrigen
Vorgehens in dem angegriffenen Urteil schädige ihr Ansehen und begründe in einer
Kleinstadt wie Gifhorn die Gefahr des vorzeitigen Endes ihrer beruflichen Tätigkeit.
6. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für
unbegründet. Die Sach- und Rechtslage sei in der Sitzung umfassend erörtert
worden. Dass die Beschwerdeführerin zur Äußerung möglicherweise nicht
hinreichend in der Lage gewesen sei, habe nicht das Gericht, sondern die
Beschwerdeführerin zu vertreten. Sie habe sich auf die Begründung ihres
Abrechnungsverhaltens ausreichend vorbereiten können und nicht davon ausgehen
dürfen, dass das Gericht die Rechnung nicht als entscheidungsrelevant ansehe.
7. Das Niedersächsische Justizministerium hält die Verfassungsbeschwerde für
unbegründet. Die Beschwerdeführerin habe als gewissenhafte und kundige
Prozessbeteiligte damit rechnen müssen, dass das Amtsgericht die in der mündlichen
Verhandlung vorgelegte Abrechnung vom 18. Juli 2003 in die Würdigung und
Entscheidungsfindung einbeziehe, da der Beklagtenvertreter bereits in seinem
Schriftsatz vom 31. August 2011 der nicht nachvollziehbaren Abrechnung der
Gebührenforderung des Komplexes „Vermieterpfandrecht“ entgegengetreten sei. Die
Nichtbeantragung einer Frist zur Stellungnahme vermöge die Beschwerdeführerin
nicht dadurch zu kompensieren, dass sie sich auf die Verletzung rechtlichen Gehörs
berufe.
8. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr
statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c
Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG sind erfüllt. Die
für  die  Beurteilung  der  Verfassungsbeschwerde  maßgeblichen  Fragen  hat  das
Bundesverfassungsgericht
bereits
entschieden.
Die
Annahme
der
Verfassungsbeschwerde  ist  zur  Durchsetzung  des  grundrechtsgleichen  Rechts  der
Beschwerdeführerin  aus  Art.  103  Abs.  1  GG  angezeigt  (§  93a  Abs.  2  Buchstabe  b
BVerfGG).  Die  Verfassungsbeschwerde  ist  zulässig  und  offensichtlich  begründet
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(§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Das angegriffene Urteil verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem
grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a. Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der
Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl.
BVerfGE 96, 205 <216>; BVerfGK 10, 41 <45>). Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt
sein, sondern vor Entscheidungen, die seine Rechte betreffen, zu Wort kommen, um
Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können. Daher garantiert
Art. 103 Abs. 1 GG den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, sich zu dem einer
gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage vor
deren Erlass zu äußern. Das Gericht darf nur solche Tatsachen und
Beweisergebnisse verwerten, zu denen die Beteiligten vorher Stellung nehmen
konnten (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 11. Oktober 1995
- 1 BvR 1249/95 -, juris, Rn. 17 m.w.N.). Es darf daher seiner Entscheidung erstmals
in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Sachvortrag nicht zugrunde legen,
wenn ausreichend deutlich ist, dass ein Prozessbeteiligter sich die Möglichkeit
vorbehalten will, auf das Vorbringen der Gegenseite noch Stellung zu nehmen
(BVerfG, a.a.O., Rn. 19). Es darf ferner nicht über einen Antrag auf
Schriftsatznachlass hinweggehen, ohne Gründe anzuführen, die eine Ablehnung der
Frist im Sinne des § 283 ZPO rechtfertigen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des
Ersten Senats vom 10. Februar 1992 - 1 BvR 784/91 -, juris, Rn. 7).
b)  Diesen  Anforderungen  wird  die  angegriffene  Entscheidung  nicht  gerecht.  Das
Gericht hat in seinem Urteil bei der Auslegung der Vorschriften der §§ 283, 139 Abs. 1
Satz  2  ZPO  die  Bedeutung  und  Tragweite  des  Grundrechts  auf  rechtliches  Gehör
verkannt  und  das  unabdingbare  Maß  verfassungsrechtlich  verbürgten  Gehörs
verkürzt.
Aus  der  zu  Protokoll  genommenen  Erklärung  der  Beschwerdeführerin  ließ  sich
unzweifelhaft  entnehmen,  dass  sie  sich  aus  der  Erinnerung  zu  der  Rechnung  vom
18.  Juli  2003  im  Hinblick  auf  die  Reihenfolge  der  Rechnungen  und  den
Zusammenhang zur Endabrechnung nicht äußern könne. Mit der Protokollierung hat
das Gericht zu erkennen gegeben, dass es diese Erklärung für einen wesentlichen
Vorgang der Verhandlung hielt (§ 160 Abs. 2 ZPO). Demgegenüber hat es von einer
Protokollierung  des  Sachvortrags  des  Beklagten  zu  der  erstmals  vorgelegten
Rechnung
abgesehen.
Die
Beschwerdeführerin
hat
mit
ihrer
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Verfassungsbeschwerde,  ohne  dass  der  Beklagte  dies  in  seiner  Stellungnahme  in
Abrede  gestellt  hätte,  vorgetragen,  der  Beklagte  habe  die  Rechnung  im  Termin
vorgelegt,  substantiierter  Vortrag  sei  dazu  aber  nicht  erfolgt.  Die  in  dem  Urteil
enthaltene Berechnung habe das Gericht im Urteil selbst vorgenommen, ohne dass
sie von dem Beklagten in den Rechtsstreit eingeführt worden sei. Das Gericht konnte
deshalb  nicht  davon  ausgehen,  dass  die  aus  seiner  Sicht  bestehende
Entscheidungserheblichkeit der Rechnung für die Beschwerdeführerin auf der Hand
lag  und  sie  zu  einem  ausdrücklichen  Antrag  auf  Schriftsatznachlass  veranlassen
musste.  Es  hat  indes  weder  gemäß  §  139  Abs.  1  Satz  2  ZPO  aufgeklärt,  ob  die
protokollierte Erklärung als Antrag auf Schriftsatznachlass zu verstehen sei (vgl. auch
BGH, Urteil vom 24. April 1985 - VIII ZR 95/84 -, juris, Rn. 61), noch eine Auslegung
der Erklärung als Antrag auf  Schriftsatznachlass  in  Betracht  gezogen.  Obwohl  sich
aus  der  Erklärung  der  Beschwerdeführerin  deutlich  ergab,  dass  sie  sich  zu  dem
Zusammenhang der vorgelegten Rechnung mit der Endabrechnung lediglich „aus der
Erinnerung“  nicht  äußern  könne,  sich  also  dazu  -  im  Umkehrschluss  -  nach
Einsichtnahme in ihre Unterlagen durchaus in der Lage sah, hat das Gericht diese
Erklärung in seinem Urteil gänzlich unberücksichtigt gelassen.
Hinzu tritt hier, dass die Rechnung vom 18. Juli 2003 in der Endabrechnung vom
17.  Oktober  2007,  in  der  eingangs  sämtliche  bisherigen  und  durch  sie  ersetzten
Rechnungen aufgeführt werden, nicht genannt war. Auch aus diesem Grund musste
sich aufdrängen, dass sie möglicherweise keinen Bestand gehabt hatte, es jedenfalls
aber  auf  ihren  Zusammenhang  mit  der  Endabrechnung,  zu  dem  sich  die
Beschwerdeführerin noch erklären wollte, entscheidend ankommen konnte.
c)  Der  Verstoß  gegen  Art.  103  Abs.  1  GG  ist  durch  den  Beschluss,  mit  dem  das
Gericht  die  Gehörsrüge  der  Beschwerdeführerin  zurückwies,  nicht  geheilt  worden.
Über den Kern der in der Anhörungsrüge erhobenen Beanstandung geht auch dieser
Beschluss  ohne  Begründung  hinweg.  Das  Gericht  zieht  eine  Auslegung  der
protokollierten Erklärung der Beschwerdeführerin als Antrag auf Schriftsatznachlass
nicht  in  Betracht,  obwohl  die  Beschwerdeführerin  gerügt  hatte,  dass  ihr  auf  ihre
Erklärung ein Schriftsatznachlass nicht gewährt worden sei.
Dass  die  Erstellung,  der  Zugang  und  der  schriftliche  Inhalt  der  Rechnung  vom
18.  Juli  2003  unstreitig  sind,  ist  dagegen  im  Hinblick  auf  den  Vortrag  der
Beschwerdeführerin, diese Rechnung sei im Einvernehmen mit dem Beklagten durch
die  Rechnung  vom  27.  November  2003  ersetzt  worden,  unerheblich.  Es  erschließt
sich nicht, weshalb dies geeignet sein soll, eine Gehörsverletzung auszuschließen.
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Das gilt auch für den Umstand, dass der Beklagte schon zuvor Zweifel an der Höhe
der  zugrunde  gelegten  Streitwerte  geäußert  hatte.  Dies  hätte  nur  dann  Bedeutung
erlangen  können,  wenn  der  Beschwerdeführerin  mit  diesem  Argument  ein
Schriftsatznachlass zu versagen gewesen wäre. Das stellt das Gericht aber nicht fest;
es  ist  auch  nicht  Aufgabe  des  Bundesverfassungsgerichts,  diese  einfachrechtliche
Frage anstelle des Fachgerichts zu entscheiden (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer
des Ersten Senats vom 10. Februar 1992 - 1 BvR 784/91 -, juris, Rn. 7).
2. Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dem Gehörsverstoß. Das Urteil
setzt sich mit der gebührenrechtlichen Frage, ob die Beschwerdeführerin zu Recht
mehrere Gebührenangelegenheiten zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom
11. Dezember 2003 - IX ZR 109/00 -, juris, Rn. 27 ff.; Urteil vom 3. Mai 2005
- IX ZR 401/00 -, juris, Rn. 11 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 15. November 2012
- 28 U 32/12 -, juris, Rn. 76 ff.), nicht auseinander. Es meint offenbar, selbst wenn die
Abrechnung mehrerer Angelegenheiten mit den angesetzten Gegenstandswerten
gebührenrechtlich zutreffend sei, bestehe ein aus dem Grundsatz von Treu und
Glauben folgendes Rückforderungsrecht aus ungerechtfertigter Bereicherung, weil
die Beschwerdeführerin sich in ihrer Rechnung vom 18. Juli 2003 auf die Abrechnung
einer Angelegenheit festgelegt habe. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass das
Gericht anders entschieden hätte, wenn es die unstreitig nach einem Gespräch mit
der Ehefrau des Beklagten erstellte und von dem Beklagten bereits im Jahr 2005
bezahlte Rechnung vom 27. November 2003 in seine Erwägungen einbezogen hätte.
3. Ob - etwa unter dem Gesichtspunkt der so genannten
Überraschungsentscheidung - Art. 103 Abs. 1 GG noch in einer weiteren Hinsicht
verletzt ist und neben der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch ein
Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren oder gegen das allgemeine
Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) vorliegt, bedarf keiner Entscheidung.
III.
1. Das Urteil des Amtsgerichts Gifhorn vom 29. Dezember 2011 ist daher aufzuheben.
Der Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 31. Januar 2012 wird damit
gegenstandslos. Die Sache wird an das Amtsgericht Gifhorn zur erneuten
Entscheidung zurückverwiesen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a
Abs. 2 BVerfGG.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Voßkuhle
Landau
Hermanns