Urteil des BVerfG vom 05.06.2001

russische föderation, zulässigkeit der auslieferung, verfassungsbeschwerde, auslieferungshaft

- Bevollmächtigte: 1. Rechtsanwalt Ulfert Jährig,
Sedanstraße 6, 30161 Hannover,
2. Rechtsanwälte Dr. Heinrich Senfft und Koll.,
Schlüterstraße 6, 20146 Hamburg -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 507/01 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des russischen Staatsangehörigen B...
gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 9. März 2001 - 3 ARs 1/00
(Ausl) -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Präsidentin Limbach
und die Richter Jentsch,
Di Fabio
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 ( BGBl I S. 1473 ) am 5. Juni 2001 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
I.
Der seit 3. Februar 2000 in Auslieferungshaft befindliche Beschwerdeführer wendet sich mit
seiner Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem die Auslieferung in die Russische
Föderation wegen des Verdachts der Unterschlagung/Veruntreuung für zulässig erklärt und
die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet wurde.
Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, es sei nicht hinreichend der Frage nachgegangen
worden, ob die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes trotz einer Erklärung der
Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 22. Januar 2001 in rechtlicher
und tatsächlicher Hinsicht gewährleistet sei. Dem Beschwerdeführer drohten in russischen
Haftanstalten Bedingungen, die menschenrechtlichen Mindestanforderungen nicht genügten.
Die Fortsetzung der Auslieferungshaft sei unverhältnismäßig.
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II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da sie keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und die Annahme schon deshalb zur Durchsetzung der
in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte nicht angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
Die deutschen Gerichte sind von Verfassungs wegen gehalten, in Auslieferungsverfahren
zu prüfen, ob die Auslieferung und ihr zu Grunde liegende Akte mit dem nach Art. 25 GG in
der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit
den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar
sind (vgl. BVerfGE 63, 332 <337 f.> ). Anwendung und Auslegung einfachen Rechts sind
jedoch Aufgabe der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht überprüft sie nur darauf,
ob Fehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der
Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere dem Umfang seines Schutzbereichs beruhen,
und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht
sind (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; stRspr). Derartige Anwendungs- oder Auslegungsfehler legt
das
im
Kern lediglich die falsche Anwendung einfachen Rechts rügende
Beschwerdevorbringen nicht dar, noch sind solche ersichtlich.
1. a) Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung über die Zulässigkeit der
Auslieferung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation in verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise keinen Anlass zu Zweifeln an der Einhaltung des durch
Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens völkervertraglich verpflichtenden
Grundsatzes der Spezialität gesehen. Die insoweit gehegte Erwartung, die Russische
Föderation werde sich daran angesichts der Erklärung ihrer Generalstaatsanwaltschaft vom
22. Januar 2001, nach der der Beschwerdeführer wegen politischer Auftragsmorde weder
verdächtigt noch beschuldigt werde und für die Belangung von mit der Todesstrafe bewährten
Verbrechen keine Grundlage bestehe, auch vorliegend - wie bisher - halten, lässt einen
Verstoß gegen die verfassungsrechtlich gebotene Aufklärungs- und Prüfungspflicht der
Fachgerichte nicht erkennen (vgl. BVerfGE 15, 249 <252>; 93, 248 <256 f.> ; Beschluss der
3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 1994 - 2 BvR
1193/93 -, NJW 1994, S. 2883; s. auch Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2000 betreffend das vom Beschwerdeführer
betriebene frühere Verfahren 2 BvR 1560/00). Dass es dem Oberlandesgericht mit Blick auf
Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens darauf angekommen ist, dass
der z eit keine erheblichen sonstigen strafrechtlichen Verfolgungen wegen früherer
Handlungen drohen, die behauptete Aufklärungslücke also lediglich hinsichtlich von in der
Vergangenheit aufgekommenen Verdächtigungen besteht, unterliegt keiner Beanstandung.
D i e Verfassungsbeschwerde hat nicht hinreichend deutlich gemacht, weshalb eine
ausdrückliche
Zusicherung
zwingend
erforderlich gewesen
sein
soll,
den
Spezialitätsgrundsatz betreffend den Beschwerdeführer einzuhalten, respektive ein Verfahren
w e g e n Mordverdachts auch nicht wieder aufnehmen zu wollen. Die bisherige
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigt ferner nicht die mit der
Verfassungsbeschwerde zum Ausdruck gebrachte Ansicht, die Auslieferung in einen Staat,
der - wie der Beschwerdeführer annimmt - keine freiheitlich demokratische Grundordnung
und keine geordneten innerstaatlichen Verhältnisse aufweise, schließe eine Berücksichtigung
von Zusagen etwa hinsichtlich der Einhaltung des Spezialitätsgrundatzes (grundsätzlich oder
v o n vornherein) aus; zu verlangen ist in diesen Fällen vielmehr eine Würdigung des
konkreten Einzelfalls (vgl. BVerfGE 9, 174 <182>; 38, 398 <402 f.>; 60, 348 <358> ).
b) Das weitere Vorbringen ist nicht geeignet darzulegen, inwieweit verfassungsrechtlich
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geschützte Positionen des Beschwerdeführers verletzt sein sollen. Dass die Erklärung der
Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 22. Januar 2001 von einem
unzuständigen Bediensteten ohne notwendige Vorlage einer Vollmacht abgegeben worden
sei, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entnehmen; abgesehen davon
fehlt es an einer Erörterung über die Erheblichkeit angesichts des in Auslieferungsfällen
eingeschränkten Prüfungsmaßstabs. Den Anforderungen an eine hinreichende Darlegung
genügen auch nicht die Ausführungen zum behaupteten "Abrücken" des Oberlandesgerichts
von seinem früheren Beschluss vom 7. Dezember 2000.
Des Weiteren lässt sich nicht feststellen, dass dem Oberlandesgericht bei der Würdigung
der dem Beschwerdeführer in russischen Gefängnissen drohenden Haftbedingungen im
Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 75, 1 <16 f.> ) Fehler
unterlaufen sind. Insoweit wird im Wesentlichen verkannt, dass das Oberlandesgericht auf
Grund der Zusage der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation über eine
konkret beabsichtigte, nach seiner fachgerichtlichen Einschätzung den europäischen
Mindeststandards genügenden Unterbringung des Beschwerdeführers verfassungsrechtlich
nicht gehalten war, auf die allgemein vorherrschenden Bedingungen in russischen
Haftanstalten abzustellen.
2. Es ist nicht ersichtlich, dass die angeordnete Fortdauer der Auslieferungshaft als
unverhältnismäßig anzusehen ist und daher eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG
begründet. Der Beschwerdeführer rügt auch hier die den Fachgerichten obliegende
Anwendung einfachen Rechts, ohne verfassungsrechtlich erhebliche Fehler aufzuzeigen.
Ausgehend von den Ausführungen des Beschlusses der 1. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts
vom 11. Dezember 2000 in dem ebenfalls den
Beschwerdeführer betreffenden Verfahren 2 BvR 2184/00 zu einer früheren Bestätigung der
Fortdauer der Auslieferungshaft sind keine geeigneten Anhaltspunkte dafür vorgetragen
worden, die die Annahme rechtfertigen, die andauernde Haft sei nicht in dem
Auslieferungsverfahren selbst begründet (vgl. BVerfGE 61, 28 <34> ; Beschluss der
1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 1999 - 2 BvR
898/99 -, NJW 2000, S. 1252). Solche ergeben sich insbesondere nicht aus dem weiteren
Ablauf des Auslieferungsverfahrens nach dem für den Beschwerdeführer erfolgreichen
Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom
9. November 2000 in dem Verfahren 2 BvR 1560/00; auch in der - wie dargelegt -
v erfas s ungs rec htlic h vertretbaren
Berücksichtigung
der
Erklärung
der
Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 22. Januar 2001 durch das
Oberlandesgericht lässt sich eine willkürliche, vorwerfbare Verfahrensverzögerung nicht
erkennen.
III.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung.
Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach
Jentsch
Di Fabio