Urteil des BVerfG vom 29.01.2002

strafverfahren, verfassungsbeschwerde, beschlagnahme, durchsuchung

- Bevollmächtigter: Prof. Dr. Karl Heinrich Friauf,
Eichenhainallee 17, 51427 Bergisch Gladbach -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 494/01 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. der W. GmbH & Co. KG,
2. der W. GmbH,
3. der F. GmbH & Co. KG,
4. der F. GmbH,
gegen a) das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 24. November 2000 - 6 U
178/00 -,
b) das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 21. Juni 2000 - 5 O 904/00-94 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Präsidentin Limbach
und die Richter Hassemer,
Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 ( BGBl I S. 1473) am 29. Januar 2002 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft zivilgerichtliche Entscheidungen über die Herausgabe
von Geschäftsunterlagen, die im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vorläufig sichergestellt
wurden.
I.
Im
steuerstrafrechtlichen
Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer der
Beschwerdeführerinnen ordnete der Ermittlungsrichter die Durchsuchung seiner Wohn- und
Geschäftsräume an; die Beschwerdeführerinnen wurden in dem Beschluss nicht erwähnt.
Bei der Durchsuchung wurden zahlreiche Unterlagen, darunter auch solche, die sich auf die
Beschwerdeführerinnen bezogen, von den Ermittlungsbeamten mitgenommen. Diese waren
zunächst freiwillig herausgegeben worden. Durch Schriftsatz vom 3. Juli 1998 erklärte der
Beschuldigte aber den Widerruf der freiwilligen Herausgabe. Er erhob Beschwerde im
eigenen
Namen
gegen
den
genannten Durchsuchungsbeschluss und weitere
ermittlungsrichterliche Entscheidungen. Für die Beschwerdeführerinnen wurde kein
Rechtsmittel eingelegt. Das Landgericht verwarf die Beschwerden des Beschuldigten. Diese
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Rechtsmittel seien unbegründet. Es bestehe der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat. Die
Beschlagnahme der Beweismittel erscheine ohne weiteres möglich. Dass die Auswertung
der Unterlagen mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden sei, müsse der Beschuldigte
hinnehmen. Auf Verteidigerantrag für den Beschuldigten lehnte die Strafverfolgungsbehörde
die Herausgabe der Unterlagen ab und verwies darauf, dass das Landgericht sich auch zur
Beschlagnahme geäußert habe.
Hiernach wandten sich die Beschwerdeführerinnen mit einer Herausgabeklage an die
Zivilgerichte. Das Landgericht wies die Klage ab. Ein Herausgabeanspruch bestehe nicht. Die
Wirksamkeit einer Beschlagnahme sei allein im Strafverfahren zu prüfen.
Das Oberlandesgericht wies die hiergegen gerichtete Berufung zurück. Rechtsschutz vor
den Zivilgerichten könne nicht gewährt werden. Die Beschwerdeführerinnen seien auf den
Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO zu verweisen. Dies gelte auch, soweit es an
einer richterlichen Beschlagnahmeanordnung fehle und die Ermittlungsbehörde es trotz
Widerrufs der freiwilligen Herausgabe bei der formlosen Sicherstellung belasse. Der Antrag
nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO sei der einfachere Weg zur Rechtsschutzgewährleistung.
Unabhängig hiervon sei das Herausgabeverlangen unbegründet.
II.
Die Beschwerdeführerinnen sehen sich in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 12
Abs. 1, 14 Abs. 1, 103 Abs. 1 GG verletzt. Sie seien im Strafverfahren nicht im Sinne des
§ 103 StPO berücksichtigt worden. Eine wirksame Einwilligung in die Herausgabe der
Gegenstände durch sie habe nicht vorgelegen. Die Erklärung des Beschuldigten sei ihnen
nicht zuzurechnen gewesen. Zumindest wäre dessen Widerrufserklärung zu beachten
gewesen. Ein Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO sei für sie nicht gestellt worden und die
Frage der Beweismittelbeschlagnahme demnach nicht Gegenstand des strafprozessualen
Beschwerdeverfahrens geworden. Die Zivilgerichte hätten diese Rechtslage verkannt. Die
Verweisung auf den Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO führe zu einer Verkürzung
ihres Rechtsschutzes. Das Strafverfahren sei nicht auf den Eigentumsschutz Dritter
ausgerichtet und stelle nur ein Beschlussverfahren in zwei Instanzen zur Verfügung. Im
Zivilprozess könne hingegen ein Urteilsverfahren in Gang gesetzt werden, bei dem
gegebenenfalls drei Instanzen zur Verfügung stünden. Insoweit seien die Rechtswege zu den
Strafgerichten und zu den Zivilgerichten ungleichwertig. Nicht unmittelbar am Strafverfahren
beteiligten Dritten gegenüber sei es nicht gerechtfertigt, den Rechtsschutz nur im
zweistufigen Beschlussverfahren gemäß §§ 98 Abs. 2 Satz 2, 304 StPO zu gewähren.
Verfehlt sei die Annahme des Oberlandesgerichts, die Zivilgerichte dürften nicht unter Eingriff
in das Strafverfahren einen Herausgabetitel gegen das beklagte Land erlassen. Die
Hilfsbegründungen zur Unbegründetheit des Herausgabeanspruchs verletzten ihren
Anspruch auf Gehör vor Gericht, erwiesen sich als objektiv willkürlich und würden die
Bedeutung und Tragweite ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG
verkennen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein
Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Fragen sind entschieden. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde
ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt; denn sie
hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).
1. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist nicht gewahrt. Er
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verlangt, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren
Sinn hinaus auch alle sonstigen prozessualen Möglichkeiten ergreift, die eine Korrektur der
geltend gemachten Grundrechtsverletzungen versprechen (stRspr; vgl. BVerfGE 95, 163
<171>). Eine solche Möglichkeit besteht, ohne dass sie von den Beschwerdeführerinnen
genutzt wurde. Sie haben im eigenen Namen weder den Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 Satz
2 StPO noch das Rechtsmittel nach § 304 Abs. 1 StPO ergriffen. Dazu sind sie auch als
nicht unmittelbar am Strafverfahren beteiligte Betroffene befugt (vgl. Kleinknecht/Meyer-
Goßner, StPO, 45. Aufl., § 98 Rn. 20 und § 304 Rn. 6). Zwar liegt noch keine
Beschlagnahmeanordnung vor; das Verfahren befindet sich im Stadium der Durchsicht der
Papiere gemäß § 110 StPO, das der Durchsuchung zugeordnet ist und richterlicher Kontrolle
unterliegt (vgl. Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 110 Rn. 8). Insoweit
muss aber im Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (vgl.
BVerfGE 96, 27 <39 ff.>) ein strafprozessualer Rechtsbehelf zur Verfügung stehen. Die
Mitnahme der Papiere zur Durchsicht gemäß § 110 StPO ist noch keine Beschlagnahme,
sondern sie dient dazu, mögliche Beschlagnahmegegenstände aus dem bei der
Durchsuchung vorgefundenen Material auszusondern. Deshalb ist § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO
nicht unmittelbar anwendbar. Da die vorläufige Sicherstellung von Unterlagen zur Durchsicht
e i n e der späteren Beschlagnahme vergleichbare Beschwer begründet, ist nach der
fachgerichtlichen Rechtsprechung dagegen entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO ein
Antrag auf richterliche Entscheidung zulässig (vgl. BGH - Ermittlungsrichter, CR 1999, S.
292 f. mit Anm. Bär; LG Koblenz, WM 1998, S. 2290 ff.; Park, wistra 2000, S. 453 <458>).
Mit diesem Rechtsbehelf kann unter anderem eine unangemessen lange Dauer des
Verfahrens nach § 110 StPO beanstandet werden (vgl. LG Frankfurt am Main, NStZ 1997, S.
564 f. mit Anm. Hoffmann/Wißmann, NStZ 1998, S. 443 f.). Gegen die behauptete
Durchsuchung auch in einem räumlichen Schutzbereich der Beschwerdeführerinnen steht
diesen die Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO zur Verfügung.
Die Ergreifung dieser Rechtsbehelfe nach §§ 98 Abs. 2 Satz 2, 304 StPO vor Erhebung der
Verfassungsbeschwerde wäre den Beschwerdeführerinnen zuzumuten gewesen.
2. Im Übrigen kann auch der verfassungsrechtliche Angriff auf die zivilgerichtlichen
Entscheidungen keinen Erfolg haben.
Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführerinnen das Rechtsschutzinteresse für eine
Herausgabeklage abgesprochen, weil ihnen das Verfahren nach §§ 98 Abs. 2 Satz 2, 304
StPO als einfacherer Weg zur Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes zur Verfügung stehe.
Dagegen ist von Verfassungs wegen nichts einzuwenden. Sowohl Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG
als auch die materiellen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebieten die
Gewährung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes; diese Gewährleistung wird im
Verfahren nach §§ 98 Abs. 2 Satz 2, 304 StPO in zwei Rechtszügen erfüllt. Dass ein solches
gerichtliches Beschlussverfahren nicht ausreiche, um den gebotenen Rechtsschutzstandard
zu erfüllen, wird von den Beschwerdeführerinnen nicht näher erläutert. Allein das
Vorhandensein eines Urteilsverfahrens im Zivilprozess mit - zum Teil - drei Instanzen besagt
aber nicht, dass ein Beschlussverfahren mit zwei Instanzen im Strafverfahren die
Rechtsschutzgewährleistung nicht erfülle; denn dabei geht es nicht um eine umfassende
Richtigkeitsgewähr, sondern um die Einhaltung eines Rechtsschutzstandards (vgl.
Krugmann,
ZRP 2001, S. 306 <307>). Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts besteht von Verfassungs wegen kein Anspruch auf einen
Instanzenzug (vgl. BVerfGE 54, 277 <291> - Plenum).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach
Hassemer
Mellinghoff