Urteil des BVerfG vom 23.03.1995

Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes in einem Asylfolgeverfahren

Bundesverfassungsgericht
Sie sind hier:
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 492/95 -
- 2 BvR 493/95 -
IM NAMEN DES VOLKES
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
der türkischen Staatsangehörigen
1. S …,
2. S …,
3. B …,
4. L …,
die Beschwerdeführer zu 3. und 4. gesetzlich vertreten durch ihre Eltern, die Beschwerdeführer zu 1. und 2.,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Michael Sack und Ralph D. Keysers, Barer Straße 82, München -
gegen a) den Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 9. Februar 1995 - AN 2 E 95.31292 -,
b) den Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. Januar 1995 - AN 2 E 95.31000 -
u n d Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsidentin Limbach,
Böckenförde,
Klein,
Graßhof,
Kruis,
Kirchhof,
Winter,
Sommer
am 23. März 1995 beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, soweit darüber noch nicht entschieden
worden ist.
G r ü n d e :
A.
1
Die Beschwerdeführer, eine türkische Familie kurdischer Volkszugehörigkeit, wenden sich gegen die Versagung einstweiligen
Rechtsschutzes in einem Asylfolgeverfahren.
I.
2
1. Die Beschwerdeführer zu 1. bis 3. - die Beschwerdeführerin zu 4. ist in der Bundesrepublik Deutschland am 14. Mai 1992
geboren - reisten am 10. Mai 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 22. Mai 1992 politisches
Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 28. März 1994
die Anträge als offensichtlich unbegründet ab. Ferner stellte das Bundesamt fest, daß Abschiebungshindernisse nach § 51
Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorlägen und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben seien, und forderte
die Beschwerdeführer unter Androhung der Abschiebung in die Türkei zur Ausreise auf.
3
Die gegen den Bescheid des Bundesamtes erhobene Klage nahmen die Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführer
mit Schriftsatz vom 23. Dezember 1994 zurück, nachdem ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage
(§ 36 Abs. 3 AsylVfG, § 80 Abs. 5 VwGO) sowie ein Abänderungsantrag (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO) erfolglos geblieben waren.
4
2. Ebenfalls am 23. Dezember 1994 stellten die Bevollmächtigten beim Bundesamt einen Folgeantrag. Sie machten geltend,
es seien neue Beweismittel vorhanden und die Sachlage habe sich geändert (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, § 51 Abs. 1 Nr. 1
und 2 VwVfG).
5
Aus neuen Beweismitteln ergebe sich die Glaubhaftigkeit des Vortrages des Beschwerdeführers zu 1. Dieser habe nunmehr
ein Urteil des Staatssicherheitsgerichtes in Diyarbakir vom 8. November 1991 erhalten, durch das er vom Vorwurf der
Unterstützung einer bewaffneten Bande (PKK) rechtskräftig freigesprochen worden sei. Amnesty international habe mit
Schreiben vom 23. September 1994 die Echtheit des Urteils bestätigt. In dem Ermittlungsverfahren, das dem Urteil
zugrunde liege, sei der Beschwerdeführer zu 1. - wie bereits im ersten Asylverfahren vorgetragen - Ende 1990/Anfang 1991
in einem Gefängnis in Siverek gefoltert worden. Die Spuren dieser Mißhandlung habe der ärztliche Dienst der JVA Augsburg
- wo der Beschwerdeführer zu 1. zur Zeit in Abschiebehaft sitze - mit Attest vom 25. August 1994 bestätigt. Nach der
Auffassung von amnesty international seien abgeschobene Kurden gefährdet, bei ihrer Ankunft in der Türkei
festgenommen, verhört und gegebenenfalls gefoltert zu werden; diese Gefahr bestehe insbesondere, wenn sich
Anhaltspunkte für Kontakte zur PKK ergäben. Unter Berücksichtigung des früheren Strafverfahrens in der Türkei, das nicht
aufgrund erwiesener Unschuld, sondern aus Mangel an Beweisen mit einem Freispruch geendet habe, und in Anbetracht
der exilpolitischen Aktivitäten des Beschwerdeführers zu 1. in der Bundesrepublik halte amnesty international ihn für
stärker gefährdet als sonstige Kurden.
6
Die zum Beleg dieser Behauptungen dienenden Schriftstücke lagen dem Verwaltungsgericht Ansbach bereits in dem nach
der am 23. Dezember 1994 erfolgten Rücknahme der Klage gegen den Bundesamtsbescheid vom 28. März 1994
eingestellten Asylverfahren vor.
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Darüber hinaus liege eine veränderte Sachlage vor, zum einen bezogen auf die allgemeine Lage in der Türkei, zum anderen
im Hinblick auf die persönliche Situation der Beschwerdeführer. Nach der Verurteilung von acht kurdischen
Parlamentsabgeordneten zu hohen Haftstrafen sei ein einheitlicher Abschiebestop für Kurden ergangen. Der
Bundesinnenminister habe zum Ausdruck gebracht, daß er vor allem PKK-Anhänger für gefährdet halte. Der
Beschwerdeführer zu 1. sei durch seine exilpolitischen Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland in den Verdacht
geraten, die PKK zu unterstützen. Es müsse davon ausgegangen werden, daß dies den türkischen Behörden bekannt sei,
zumal in zwei Berichten der Augsburger Zeitung vom 21. und 29. Oktober 1994 über ihn und seine Familie berichtet worden
sei. Vermeintliche und tatsächliche Unterstützer der PKK müßten bei ihrer Rückkehr mit Verhaftung und Folterung /
unmenschlicher Behandlung rechnen; dies gelte vor allem für Personen, die vom Amt für Terrorbekämpfung gesucht
würden. Insoweit seien zumindest Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG gegeben.
8
3. Mit Bescheid vom 27. Dezember 1994 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung weiterer Asylverfahren ab.
Den Begehren stehe aufgrund der Rücknahme der Klage vom 23. Dezember 1994 und der im unmittelbaren zeitlichen
Zusammenhang erfolgten Stellung von Asylfolgeanträgen bereits § 51 Abs. 2 VwVfG entgegen. Die im Folgeantrag
vorgetragenen Gründe seien dadurch auch nach § 51 Abs. 3 VwVfG verspätet, da nicht nachvollziehbar und auch nicht
vorgetragen worden sei, inwiefern die Gründe nicht im anhängigen Klageverfahren hätten vorgetragen werden können.
Abgesehen davon seien die vorgebrachten Gründe bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im ersten
Asylverfahren durch das Verwaltungsgericht Ansbach ausführlich gewürdigt worden. Nach alledem könne nur geschlossen
werden, daß der Asylfolgeantrag rechtsmißbräuchlich gestellt worden sei, um die ursprünglich für den 27. Dezember 1994
geplante Abschiebung des Beschwerdeführers zu 1. zu verhindern.
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4. Gegen diesen Bescheid erhoben die Bevollmächtigten der Beschwerdeführer Klage und beantragten die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO.
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Im Folgeantrag sei dargelegt worden, warum der Beschwerdeführer zu 1. trotz des Freispruchs in der Türkei im Falle einer
Abschiebung konkret gefährdet sei. Das beabsichtigte Vorgehen der Behörden verstoße gegen § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 1
und Art. 2 GG und gegen Art. 3 EMRK. Der Beschwerdeführer zu 1. sei auch nicht dadurch geschützt, daß sein Fall eine
große Publizität erhalten und angeblich die türkische Seite zugesichert habe, ihn wegen seiner Aktivitäten in Deutschland
nicht zu verfolgen. Es bestehe die Gefahr, daß er bei einer Rückkehr zwar zunächst unbehelligt bleiben, später aber
gegebenenfalls erneut festgenommen oder von nichtstaatlichen Kräften (Konter-Guerillas) umgebracht werde. Darüber
hinaus liege - wie sich aus einem Gutachten des Beratungs- und Behandlungszentrums für Flüchtlinge und Folteropfer
REFUGIO vom 2. Januar 1995 ergebe - bei dem Beschwerdeführer zu 1. eine konkrete Gesundheitsgefährdung bis zur
Suizidgefahr vor. Nach der ärztlichen Stellungnahme bestehe bei ihm im Falle der Abschiebung die Gefahr eines
Zusammenbruchs in Form von schweren psychischen und psychosomatischen Störungen, wobei Verzweiflungshandlungen
nicht auszuschließen seien. Die beabsichtigte Abschiebung verstoße auch gegen Art. 3 GG, da auf den Beschwerdeführer
zu 1. der derzeit geltende Abschiebestop nicht angewandt werde. Zwar gelte nach dem einschlägigen Erlaß des Bayerischen
Staatsministeriums des Innern vom 13. Dezember 1994 eine Ausnahme für "Straftäter". Auch sei gegen den
Beschwerdeführer zu 1. wegen seiner Beteiligung an den Kurdendemonstrationen in Augsburg am 19. März 1994 ein
Strafbefehl ergangen; dieser sei aber nicht rechtskräftig. Deshalb dürfe der Beschwerdeführer zu 1. nicht als "Straftäter"
behandelt werden. Darüber hinaus verletze die beabsichtigte Abschiebung Art. 6 GG, da die Beschwerdeführer zu 2. bis 4.
unter den geltenden Abschiebestop fielen, mithin durch das beabsichtigte Vorgehen der Behörden die Familie
auseinandergerissen werde.
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5. Mit Beschluß vom 30. Januar 1995 wies das Verwaltungsgericht Ansbach die Anträge zurück.
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Zu Recht habe das Bundesamt die Durchführung erneuter Asylverfahren abgelehnt. Die Beschwerdeführer seien mit ihrem
Vorbringen gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG präkludiert. Sämtliche Umstände seien bereits im vorangegangenen Klageverfahren
vorgetragen worden und hätten vom Gericht gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG auch berücksichtigt werden müssen, da das
Verwaltungsgericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt habe.
Angesichts dieser auch den Verfahrensbevollmächtigten bekannten Rechtslage sei die Geltendmachung der Umstände im
Folgeverfahren grob verschuldet. Die Beschwerdeführer hätten ihre Einwände, wie in § 51 Abs. 2 VwVfG ausdrücklich
geregelt, durch Rechtsbehelf gegen den ursprünglichen Bescheid des Bundesamtes geltend machen müssen. Diesen Weg
hätten sie auch zunächst beschritten, jedoch durch die Klagerücknahme eine gerichtliche Überprüfung im
Hauptsacheverfahren vorsätzlich vereitelt. Nachdem das Bundesamt im ursprünglichen Bescheid vom 28. März 1994
sowohl zur Asylanerkennung als auch zu den Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG
Sachentscheidungen getroffen habe, seien die Beschwerdeführer mit ihrem gesamten Vorbringen hinsichtlich aller vom
Bundesamt zu prüfenden Entscheidungen durch die verfahrensrechtliche Vorgehensweise ihrer Bevollmächtigten
präkludiert.
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Der Abschiebung des Beschwerdeführers zu 1. stehe auch nicht die von ihm behauptete konkrete Gesundheitsgefährdung
bis hin zur Suizidgefahr entgegen. Diese Behauptung sei mit der ärztlichen Stellungnahme vom 2. Januar 1995 nicht
glaubhaft gemacht, da in einem zwischenzeitlich eingeholten amtsärztlichen Attest vom 9. Januar 1995 die Reisefähigkeit
des Beschwerdeführers zu 1. sowie seine Flugtauglichkeit bescheinigt werde. Danach sei nicht einmal die Begleitung durch
medizinisches Personal notwendig, so daß die Feststellung vom 2. Januar 1995 als überholt anzusehen sei.
14
Die beabsichtigte Abschiebung des Beschwerdeführers zu 1. verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 GG (wird
ausgeführt).
15
6. Auf Antrag des Beschwerdeführers zu 1. hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichtes mit
Beschluß vom 9. Februar 1995 im Verfahren 2 BvQ 7/95 dem Freistaat Bayern (zuständige Ausländerbehörde) einstweilen
- zunächst längstens bis zum 15. März 1995 (einschließlich) - untersagt, den Beschwerdeführer zu 1. in die Türkei
abzuschieben, solange nicht eine amtsärztliche Begutachtung feststellt, daß für ihn im Falle einer solchen Abschiebung
keine Suizidgefahr bestehe. In den Gründen der Entscheidung ist im Rahmen der Folgenabwägung ausgeführt:
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"Soweit es um dem Antragsteller bei Rückkehr in die Türkei drohende Maßnahmen geht, ist gegenwärtig nicht ersichtlich,
daß ihm durch eine Abschiebung ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Nachteil entstünde. Denn der Türkische
Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 1. Februar 1995 an den Bayerischen Staatsminister
des Innern folgende ihm von den zuständigen türkischen Stellen gegebene Information über den Antragsteller übermittelt:
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Die zuständigen türkischen Stellen teilen mit, daß Herr Fariz Simsek kein Strafregister hat und auch nicht auf der
Fahndungsliste steht. Er werde bei Einreise in die Türkei nach der üblichen Befragung freigelassen.
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Das Bundesverfassungsgericht geht aufgrund dieser amtlichen Mitteilung davon aus, daß dem Antragsteller bei einer
Rückkehr in die Türkei keine staatlichen Maßnahmen drohen, die ein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG begründen
könnten. Die Gefahr, daß der Antragsteller bei erneut ihm unmittelbar drohender Abschiebung Hand an sich legt, erscheint
hingegen bislang nicht hinreichend ausgeräumt."
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7. Parallel zum Verfahren 2 BvQ 7/95 beantragte der Beschwerdeführer zu 1. mit Schriftsatz vom 6. Februar 1995
gegenüber dem Verwaltungsgericht Ansbach eine Abänderung der Entscheidung vom 30. Januar 1995. Zwischenzeitlich
hätten sich neue Gesichtspunkte ergeben, die zur Gewährung von Abschiebungsschutz führen müßten. Er sei im Falle einer
Abschiebung konkret gefährdet, entgegen Art. 3 EMRK der Folter oder menschenrechtswidriger Behandlung unterzogen zu
werden. Die türkische Zeitung "Hürriyet" habe in ihren Ausgaben vom 1. und 2. Februar 1995 über seinen Fall berichtet und
ihn mehrfach als PKK-Anhänger bezeichnet. Wenn in der türkischen Öffentlichkeit über ihn in dieser Form berichtet werde,
bestehe die Gefahr, daß er bei einer Rückkehr auch als PKK-Anhänger behandelt, inhaftiert und gefoltert werde. Darüber
hinaus lägen neue ärztliche Erkenntnisse zur Suizidgefahr vor. Danach bestehe zwar keine akute Gefahr dieser Art; sie
werde jedoch im Falle der Abschiebung akut.
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8. Mit Beschluß vom 9. Februar 1995 lehnte das Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag ab.
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Angesichts der prozessualen Bindungswirkung eines Beschlusses nach § 123 Abs. 1 VwGO sei im Abänderungsverfahren
nicht die Rechtmäßigkeit der ursprünglich getroffenen Anordnung zu prüfen, sondern lediglich darüber zu befinden, ob
deren Aufrechterhaltung wegen veränderter Umstände noch zu rechtfertigen sei. Daraus folge, daß für diese Entscheidung
ausschließlich auf solche Umstände abzustellen sei, die noch nicht Gegenstand des vorangegangenen
Anordnungsverfahrens gewesen seien. Da der Vortrag des Beschwerdeführers zu 1. die temporale Zäsur des Beschlusses
vom 30. Januar 1995 berücksichtige, sei sein Antrag insoweit zulässig.
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Der Antrag sei aber unbegründet, da mit den geltend gemachten Umständen kein dem Vollzug der Abschiebung
entgegenstehender Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sei.
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Gemessen an den Kriterien des über § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG anzuwendenden oder im Hinblick auf asylverfahrensfremde
Abschiebungshindernisse direkt anwendbaren § 51 VwVfG scheitere der Hinweis auf die Publikation in der türkischen
Zeitschrift "Hürriyet" am Schlüssigkeitserfordernis. Äußerungen der Boulevardpresse könnten die vom Beschwerdeführer zu
1. gehegten Befürchtungen hinsichtlich der Gefährdung seiner Person durch den türkischen Staat jedenfalls dann nicht
stützen, wenn ausdrücklich auf seine Person individualisiert die aktuelle Bestätigung der zuständigen türkischen Stellen
existiere, daß gegen ihn nichts vorliege. Insoweit habe sich die Tatsachenlage nach jeder vernünftigerweise vertretbaren
Betrachtungsweise zu Lasten seines Asylbegehrens und zugunsten seiner persönlichen Sicherheit dahingehend geändert,
daß nunmehr seitens seines Heimatlandes amtlicherseits bestätigt worden sei, nach ihm werde nicht gefahndet. Zu Zweifeln
am Wahrheitsgehalt des Schreibens der türkischen Botschaft vom 1. Februar 1995 sehe das Gericht keinen Anlaß, zumal
diese Bestätigung doch dem zuletzt vom Beschwerdeführer zu 1. vorgetragenen Sachverhalt - freisprechendes Urteil des
Staatssicherheitsgerichtes vom 8. November 1991 - entspreche und das Gericht davon überzeugt sei, daß sich der türkische
Staat angesichts seines auf die Annäherung an die Europäische Union zielenden politischen Bestrebens keinen politisch-
diplomatischen Fauxpas in einem durch die deutsche Presse so intensiv begleiteten Fall werde leisten wollen. Demzufolge
stehe zur Überzeugung des Gerichtes fest, daß der vom Beschwerdeführer zu 1. vorgetragene Umstand der Qualifizierung
seiner Person als "PKK-Anhänger" in der türkischen Presse mangels asylrelevanter Schlüssigkeit die Einleitung eines
weiteren Asylverfahrens nicht rechtfertige bzw. keine Abschiebungshindernisse zu begründen vermöge.
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Auch die vorgetragene Suizidgefahr und die insoweit vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen seien im Ergebnis nicht
geeignet, die Annahme eines die Abschiebung hindernden Anordnungsgrundes zu rechtfertigen. Zwar habe angesichts der
Schutzpflichtenfunktion gerade des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG der Staat mit allen seinen Organen die
Verantwortung für das Leben auch gegenüber Gefährdungen von nicht-staatlicher Seite. Daraus folge für die Abschiebung
eines suizidgefährdeten Ausländers aber kein generelles Abschiebungsverbot, sondern der Staat habe in Ausübung seiner
Schutzpflicht für das Leben alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu nutzen, die Verwirklichung der
Suizidabsichten zu unterbinden. Nach dem Vorbringen des Antragsgegners zu 2. - Freistaat Bayern, vertreten durch die
Landesanwaltschaft Ansbach - sei sich der Freistaat Bayern dieser Verantwortung auch in vollem Umfang bewußt und habe
bereits vom Beginn der Abschiebung an lückenlose Maßnahmen zur Verhinderung eines Suizids ins Auge gefaßt und
darüber hinaus angeboten, in Kooperation mit den türkischen Behörden den Beschwerdeführer zu 1. ohne Unterbrechung
den ärztlichen Diensten in der Türkei zu überstellen. In der lückenlosen und intensiven Umsetzung der angekündigten
Maßnahme werde der Freistaat Bayern seiner verfassungsrechtlichen Verantwortung für den Schutz des Lebens des
Beschwerdeführers zu 1. für den Fall einer Suizidgefahr gerecht, so daß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zwar modal den Vollzug der
Abschiebung beeinflusse, ihm aber nicht als solchem entgegenstehe.
II.
25
1. Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes
vom 30. Januar und 9. Februar 1995. Sie rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 3
Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und - ohne nähere Begründung - Art. 16a Abs. 1 GG.
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Die Verfassungsbeschwerden beträfen die Frage, ob das Verwaltungsgericht in seinen Beschlüssen zwingend zu
berücksichtigende Abschiebungshindernisse zu Unrecht zum Teil gar nicht geprüft und zum Teil als nicht vorliegend
angesehen habe.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. April 1992,
InfAuslR 1993, S. 176) sei bei der Auslegung und Anwendung des § 53 AuslG die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte
stets zu beachten. Auch bei erfolglosem Asylverfahren sei es nicht ausgeschlossen, sich auf § 53 AuslG zu berufen. Der
Grundsatz der Menschenwürde verbiete es deutschen Behörden, an einer menschenrechtswidrigen Behandlung eines
Betroffenen durch dessen zwangsweise Überstellung in sein Heimatland mitzuwirken. Nachdem bereits im Asylfolgeantrag
konkrete Abschiebungshindernisse, insbesondere die Gefahr der Folter und der unmenschlichen Behandlung dargelegt
worden seien, habe das Bundesamt hierüber eine Entscheidung treffen müssen. Dies sei jedoch nicht geschehen, weil - so
das Verwaltungsgericht in seinem Beschluß vom 30. Januar 1995 - die Beschwerdeführer mit ihrem gesamten Vorbringen
präkludiert seien. Damit werde dem Beschwerdeführer zu 1. die Möglichkeit genommen, daß über zwingende
Abschiebungshindernisse noch vor seiner zwangsweisen Rückkehr in die Türkei in einem Gerichtsverfahren entschieden
werde. Effektiver Rechtsschutz werde dadurch verweigert. Deshalb sei der Beschluß vom 30. Januar 1995 verfassungswidrig.
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Aufgrund der vorliegenden Suizidgefahr hätte eine einstweilige Anordnung durch das Fachgericht erlassen werden müssen.
Soweit im Beschluß vom 30. Januar 1995 eine solche Gefahr als nicht glaubhaft gemacht verneint werde, übersehe die
Kammer, daß in dem amtsärztlichen Attest vom 9. Januar 1995 lediglich die Reisefähigkeit und Flugtauglichkeit bescheinigt
werde. Nach dem Gutachten der Organisation REFUGIO vom 2. Januar 1995 sei eine Suizidgefahr nicht ausgeschlossen;
dies werde durch eine weitere ausführlichere Stellungnahme derselben Organisation vom 18. Februar 1995 bestätigt. Die
drohende Selbstmordgefahr sei ein zwingendes Abschiebungshindernis. Sie bestehe auch nach einer erfolgten Abschiebung
im Heimatland. Soweit im Beschluß des Fachgerichtes vom 9. Februar 1995 hierzu ausgeführt werde, der Freistaat Bayern
sei sich der Verantwortung für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers zu 1. bewußt,
werde dieser Gefahr jedoch mit geeigneten Maßnahmen begegnen, sei darauf hinzuweisen, daß eine Suizidgefahr im
Heimatland durch solche Maßnahmen nicht beseitigt werden könne. Vielmehr bestehe eine staatliche Verpflichtung,
zunächst für eine angemessene Behandlung der Folterfolgen zu sorgen. Denn erst wenn der Beschwerdeführer zu 1. seine
traumatischen Erfahrungen überwunden habe, könne die Suizidgefahr beseitigt werden.
29
Darüber hinaus verstoße - wie bereits im fachgerichtlichen Verfahren ausgeführt - die beabsichtigte Abschiebung des
Beschwerdeführers zu 1. gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 GG.
30
2. Dem Freistaat Bayern wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das Bayerische Staatsministerium des Innern hält
die Verfassungsbeschwerden für unbegründet, da die angegriffenen Entscheidungen weder einen Rechts- noch einen
Verfassungsverstoß erkennen ließen.
31
3. Der Beschwerdeführer zu 1. wurde am 21. März 1995 im Auftrag des Landratsamtes Augsburg vom Staatlichen
Gesundheitsamt Augsburg amtsärztlich untersucht. Nach dem Ergebnis der Untersuchung ist der Beschwerdeführer zu 1.
nicht psychisch krank, nicht behandlungsbedürftig und derzeit auch nicht suizidgefährdet. Eine suizidale Handlung als
Folge einer unmittelbar bevorstehenden oder tatsächlichen Abschiebung könne aber keinesfalls ausgeschlossen werden. Es
gebe keine wissenschaftliche, medizinische oder sonstige Methode, die eine Vorhersage zukünftigen menschlichen
Verhaltens mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ermögliche. Ein solcher Suizid wäre auch nicht Folge
einer psychischen Erkrankung, sondern könnte nur als Folge der schwierigen sozialen und politischen Umstände
- vergleichbar mit einem Bilanzsuizid in auswegloser Lage - angesehen werden.
B.
32
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie im wesentlichen unzulässig sind und im
übrigen keine Aussicht auf Erfolg haben.
33
1. Unbeschadet der Frage, ob die vor dem Verfassungsgericht erhobenen Rügen einer Verletzung der Grundrechte aus
Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG den an einen substantiierten Vortrag zu stellenden Anforderungen (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2,
§ 92 BVerfGG) genügen, ergibt sich die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerden insoweit im Blick auf den Grundsatz der
Subsidiarität jedenfalls daraus, daß dem Beschwerdeführer zu 1. andere verfahrensrechtliche Wege offenstehen, den von
ihm als möglich angesehenen Verletzungen seiner Grundrechte zu begegnen (vgl. BVerfGE 33, 247 <258>; 78, 58 <68>).
34
Dem Beschwerdeführer zu 1., der nach einer gutachtlichen Äußerung des ärztlichen Dienstes der Justizvollzugsanstalt
Augsburg in der Türkei bereits früher schwer gefoltert worden ist und deshalb nach amtsärztlicher Einschätzung wegen der
ihm drohenden Abschiebung unter erheblichen Angstzuständen leidet, geht es ersichtlich darum, Sicherheit vor ihm nach
seiner Ansicht im Falle einer Abschiebung in die Türkei drohender Folterung und einer im Zusammenhang damit
möglicherweise entstehenden Suizidgefahr zu gewinnen.
35
a) Unter dem 10. März 1995 hat ein Briefwechsel zwischen dem Bundesminister des Innern und dem Innenminister der
Türkei stattgefunden. Der Brief des türkischen Innenministers hat in der dem Senat vorliegenden Übersetzung den
folgenden Wortlaut:
36
"Sehr geehrter Herr Kollege,
37
ich beehre mich, Ihnen unter Bezugnahme auf die am 10. und 11. Mai 1994 in Ankara und die am 9. und 10. Juni 1994
sowie am 16. und 17. Januar 1995 in Bonn im Geiste der traditionellen Freundschaft und Verbundenheit zwischen der
Republik Türkei und der Bundesrepublik Deutschland sowie des gegenseitigen Vertrauens und der guten Zusammenarbeit
geführten Gespräche über die Abschiebung von türkischen Staatsangehörigen, die sich an Straftaten im Zusammenhang
mit der PKK und anderen Terrororganisationen in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt haben, folgendes mitzuteilen:
38
1. Die Regierung der Republik Türkei nimmt zur Kenntnis, daß die deutschen Behörden türkische Staatsangehörige
abschieben wollen, die sich an Straftaten im Zusammenhang mit der Tätigkeit der PKK und anderen Terrororganisationen
in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt haben, und bestätigt ihre Bereitschaft, diese Personen zurückzunehmen.
39
2. Die Regierung der Republik Türkei ist darüber unterrichtet, daß nach deutschem Recht für die Zulässigkeit der
Abschiebung in sämtliche Staaten auch von Bedeutung ist, ob ein Ausländer im Heimatstaat menschenrechtswidrige
Behandlung oder Strafverfolgung zu erwarten hat, und daß insbesondere im Fall möglicher Todesstrafe die Abschiebung
unzulässig ist.
40
Zum Verfahren schlage ich folgendes vor:
41
a) Die deutschen Behörden werden den türkischen Behörden, soweit möglich und erforderlich, rechtzeitig vor einer
Abschiebung nähere Angaben dazu übermitteln.
42
b) Die türkischen Behörden teilen in diesem Fall durch Note offiziell mit, ob nach den ihnen vorliegenden Erkenntnissen der
betreffenden Person in der Türkei wegen eines vor der Abschiebung begangenen Delikts eine Strafverfolgung oder
Strafvollstreckung droht und ob ggf. eine Strafverfolgung wegen eines Delikts in Betracht kommt, für das nach türkischem
Recht die Todesstrafe verhängt werden kann.
43
Stellt sich erst nach Abschiebung heraus, daß die betreffende Person unter Buchstabe 2 h) fällt, wird sie ebenfalls
entsprechend dieser Vereinbarung behandelt. Das bedeutet, daß unter den dort genannten Voraussetzungen die türkischen
Behörden auch in solchen Fällen den Betroffenen, auf Anweisung der zuständigen Justizorgane, die Möglichkeit einräumen
werden, jederzeit mit einem Anwalt zu sprechen, und daß auch in diesen Fällen die Möglichkeit jederzeitiger und
wiederholter Beantragung einer ärztlichen Untersuchung besteht.
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c) Ist ggf. eine Strafverfolgung in der Republik Türkei zu erwarten, werden die türkischen Behörden die deutschen Behörden
über nähere Einzelheiten (verfolgte Delikte, Zuständigkeit der Staatssicherheitsgerichte) informieren.
45
d) Die Regierung der Republik Türkei ist bereit, auf Ersuchen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland dieser die
erforderlichen Informationen über die gegen die betreffende Person eingeleiteten Maßnahmen zu erteilen.
46
e) Die Regierung der Republik Türkei wird - wie bei allen Bürgern - alle gesetzlichen und verwaltungsmäßigen Maßnahmen
ergreifen, damit die betreffende Person keiner rechtswidrigen Behandlung ausgesetzt wird.
47
f) Die betreffende Person wird bei ihrer Ankunft in der Republik Türkei und bei ihrer Freilassung nach der Identitätsprüfung
und Befragung durch die türkischen Grenz- und Sicherheitsbehörden jeweils durch einen Arzt untersucht, der für seinen
Befund nur persönlich verantwortlich ist und dabei keinen Weisungen unterliegt.
48
g) Die betreffende Person kann von ihrer Ankunft in die Republik Türkei an sowohl bei der Identitätsprüfung und Befragung
durch die türkischen Grenz- und Sicherheitsbehörden bei der Wiedereinreise in die Republik Türkei als auch bei
anschließenden Befragungen und Vernehmungen durch türkische Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden einen oder
mehrere ggf. schon vor der Wiedereinreise beauftragte Anwälte ihrer Wahl hinzuziehen; wird die betreffende Person in
Untersuchungs- oder Strafhaft genommen, kann sie dort - wie jede andere in der Türkei inhaftierte Person auch - jederzeit
von einem Anwalt ihrer Wahl aufgesucht werden.
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h) Die Möglichkeit, jederzeit mit einem Anwalt zu sprechen, besteht auch im Falle der Strafverfolgung wegen eines Delikts,
das in die Zuständigkeit der Staatssicherheitsgerichte fällt, vorausgesetzt, daß die zuständigen Justizorgane dies erlauben.
Die diesbezügliche Entscheidung wird der deutschen Seite vor der Abschiebung mitgeteilt. Der Anwalt des Beschuldigten
kann jederzeit und wiederholt bei der zuständigen Staatsanwaltschaft beantragen, daß sein Mandant von einem Arzt
untersucht wird. Die diesbezügliche Anweisung der Staatsanwaltschaft wird umgehend durchgeführt. Dies ist in den
türkischen Gesetzen eindeutig geregelt.
50
3. Die Regierung der Republik Türkei weist darauf hin, daß allen aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschobenen
türkischen Staatsangehörigen in Übereinstimmung mit den Vorschriften der türkischen Verfassung und der von der
Republik Türkei ratifizierten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten eine
rechtsstaatliche Behandlung zuteil wird. Die Einhaltung dieser Rechte wird durch die türkischen Gerichte sowie ggf. durch
die Europäische Kommission für Menschenrechte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sichergestellt.
Die Türkei hat sich der Rechtsprechung dieser Instanzen unterworfen, die auch auf Initiative einer Einzelperson angerufen
werden können. Das gilt insbesondere auch für eine behauptete Verletzung des in Art. 3 der Konvention niedergelegten
Verbots der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, das nach Art. 15 der Konvention auch
im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen, das Leben der Nation bedrohenden Notstands nicht außer Kraft
gesetzt werden darf. Weiterhin hat die Republik Türkei sowohl die Europäische als auch die Anti-Folterkonvention der
Vereinten Nationen ratifiziert, deren Kontrollinstanzen ungehinderten Zugang in der Türkei haben.
51
4. Die Regierung der Republik Türkei bekräftigt, daß nach den türkischen Gesetzen Folter und unmenschliche Behandlung
strafbar sind, und daß diejenigen, die hiergegen verstoßen, zur Rechenschaft gezogen werden.
52
5. Die Regierung der Republik Türkei wird wie bisher mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zusammenarbeiten
und rasch Informationen austauschen.
53
6. Um die illegale Zuwanderung aus der Republik Türkei in die Bundesrepublik Deutschland einzudämmen, sollten beide
Seiten zur wirksamen Bekämpfung des Schlepperunwesens intensiv auch durch Austausch von Personal zusammenarbeiten.
Beide Seiten sollten insbesondere die erforderlichen Informationen austauschen.
54
7. Die Regierung der Republik Türkei ist bereit, auf Bitten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland Vorwürfen
unzulässiger Übergriffe an den betreffenden Personen nachzugehen, sie aufzuklären und die Regierung der Bundesrepublik
Deutschland über das Ergebnis zu informieren. Zu diesem Zweck wird ein gemeinsamer ständiger Ausschuß hoher Beamter
vorgeschlagen, der alle Fragen im Zusammenhang mit Abschiebungen und dem Abschiebeverfahren erörtert. Die Arbeit
dieses Ausschusses soll sich auch auf Anregungen, die an die Regierungen herangetragen werden, erstrecken.
55
Genehmigen Sie, Herr Kollege, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
56
Mit freundlichen Grüßen"
57
Das Antwortschreiben des Bundesinnenministers lautet:
58
"Sehr geehrter Herr Kollege,
59
ich beehre mich, Ihnen den Erhalt Ihres Briefes vom 10. März 1995 zum Verfahren bei der Abschiebung von türkischen
Staatsangehörigen, die sich an Straftaten im Zusammenhang mit der PKK und anderen Terrororganisationen in der
Bundesrepublik Deutschland beteiligt haben, zu bestätigen.
60
Gleichzeitig darf ich Ihnen mein Einverständnis mit dem Inhalt des Briefes mitteilen.
61
Für die Bundesrepublik Deutschland erkläre ich ebenfalls meine Bereitschaft, mit der Regierung der Republik Türkei wie
bisher zusammenzuarbeiten und rasch Informationen auszutauschen.
62
Um die illegale Zuwanderung aus der Republik Türkei in die Bundesrepublik Deutschland einzudämmen, begrüße ich Ihren
Vorschlag, daß beide Seiten zur wirksamen Bekämpfung des Schlepperunwesens intensiv auch durch Austausch von
Personal zusammenarbeiten und insbesondere die erforderlichen Informationen austauschen sollten.
63
Des weiteren bedanke ich mich für Ihre Bereitschaft, Vorwürfen unzulässiger Übergriffe an den betreffenden Personen
nachzugehen, sie aufzuklären und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland über das Ergebnis zu informieren sowie
zu diesem Zweck einen gemeinsamen Ausschuß hoher Beamter zu bilden, der alle Fragen im Zusammenhang mit
Abschiebungen und dem Abschiebeverfahren erörtern soll.
64
Hierzu teile ich Ihre Auffassung, daß sich die Arbeit dieses Ausschusses auch auf Anregungen, die an die Regierungen
herangetragen werden, erstrecken sollte.
65
Genehmigen Sie, Herr Kollege, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
66
Mit freundlichen Grüßen"
67
Dem Beschwerdeführer zu 1., der ausreisepflichtig ist und für den Fall einer Abschiebung befürchtet, erneut gefoltert zu
werden, eröffnet sich durch diesen Briefwechsel, wie immer seine Rechtsqualität zu bestimmen sein mag und ungeachtet
seiner noch ausstehenden Umsetzung in nationales Recht, die Möglichkeit, im Rahmen eines weiteren
Abänderungsverfahrens gemäß § 123 i.V.m. § 80 Abs. 7 VwGO (vgl. dazu den Beschluß des Verwaltungsgerichtes vom
9. Februar 1995 unter II.1. m.N.) einen Aufschub der ihm angedrohten Abschiebung zu erreichen, bis geklärt ist, daß das in
dem Schreiben des türkischen Innenministers unter Nr. 2 vorgeschlagene und vom Bundesminister des Innern in seinem
Antwortschreiben akzeptierte Verfahren auch in seinem Falle Anwendung finden und wie es im einzelnen ins Werk gesetzt
wird, insbesondere hinsichtlich der Sicherstellung der unter Nr. 2 Buchstaben e) bis h) des Schreibens des türkischen
Innenministers genannten Maßnahmen. Das Schreiben des Türkischen Botschafters an den Bayerischen Staatsminister des
Innern vom 1. Februar 1995 - ein Schritt in diese Richtung - konnte diese Funktion nicht haben, weil es vor den in der
türkischen Presse erschienenen Berichten über den Beschwerdeführer und auch vor dem Briefwechsel zwischen dem
deutschen und dem türkischen Innenminister abgefaßt worden ist.
68
b) Was die Gefahr angeht, daß der Beschwerdeführer zu 1. im Zusammenhang mit einer Abschiebung Hand an sich legen
könnte, verweisen die Verfassungsbeschwerden auf eine psychologischärztliche Stellungnahme des Beratungs- und
Behandlungszentrums für Flüchtlinge und Folteropfer REFUGIO vom 18. Februar 1995. Sie hat dem Fachgericht bisher
nicht vorgelegen. Der Beschwerdeführer zu 1. hat auch insoweit die Möglichkeit, im Abänderungsverfahren dem
Verwaltungsgericht diesen Sachverhalt zu unterbreiten. Das Gericht wird dabei auch das vom Staatlichen Gesundheitsamt
Augsburg unter dem 22. März 1995 erstattete Gutachten in die Prüfung einzubeziehen haben. Dabei wird zu
berücksichtigen sein, daß nach den vorliegenden ärztlichen Gutachten und der eigenen Einlassung des Beschwerdeführers
zu 1. eine etwaige Suizidgefahr wesentlich auf seiner Befürchtung beruht, im Falle seiner Abschiebung in die Türkei erneut
gefoltert zu werden, und deshalb bei hinreichend sicherem Ausschluß dieser Gefahr die Möglichkeit eines Suizids in
anderem Licht erscheinen kann.
69
2. Soweit die Verfassungsbeschwerden rügen, eine Abschiebung des Beschwerdeführers zu 1. verletze Art. 3 Abs. 1 und
Art. 6 Abs. 1 GG, haben sie keine Aussicht auf Erfolg. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes kann
verwiesen werden.
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