Urteil des BVerfG vom 18.06.1997

Verfassungsbeschwerden betreffend den Rechtsschutz verurteilter ausländischer Strafgefangener hinsichtlich der von ihnen gewünschten Überstellung zur Strafvollstreckung in ihr Heimatland teilweise erfolgreich

Bundesverfassungsgericht
Sie sind hier:
L e i t s ä t z e
zum Beschluß des Zweiten Senats vom 18. Juni 1997
- 2 BvR 483/95 -
- 2 BvR 2501/95 -
- 2 BvR 2990/95 -
1. Stellt ein Gesetz die Vornahme oder das Unterlassen einer Maßnahme in das Ermessen der zuständigen Behörde, so
greift die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, wenn das Entscheidungsprogramm des Gesetzes der Behörde
aufgibt, bei der Ermessensausübung rechtlich geschützte Interessen des Betroffenen zu berücksichtigen.
2. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und das Übereinkommen über die Überstellung
verurteilter Personen veranlassen ein Verfahren, in dem die Grundrechtsposition des Verurteilten neben dem
öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung zu berücksichtigen ist. Findet ein zweistufiges Verfahren statt, in dem vor
der Bewilligungsentscheidung des Bundesministeriums der Justiz die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde die
vollstreckungsrechtlichen Belange prüft und eine Überstellung anregt, so muß der Resozialisierungsanspruch des
Verurteilten bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Berücksichtigung finden. Art. 19 Abs. 4 GG verbürgt insoweit
den gerichtlichen Rechtsschutz zur Prüfung, ob die Vollstreckungsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 483/95 -
- 2 BvR 2501/95 -
- 2 BvR 2990/95 -
IM NAMEN DES VOLKES
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
1. des Herrn K ...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Hans-Eberhard Schultz und Kollegen, Lindenstraße 14, Bremen -
gegen
a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Köln vom 5. Januar 1995 - 2 Ws 610/94 -,
b) den Beschluß des Landgerichts Bonn vom 20. Oktober 1994 - 52 StVK 1623/94 -
und
Anträge auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts
- 2 BvR 483/95 -,
2. des Herrn F ...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Reinhard Schön, Roonstraße 71, Köln -
gegen
a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 25. September 1995 - 1 VAs 97/95 -,
b) den Bescheid des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 8. August 1995 - 9354 E III B. 63/94 -,
c) den Bescheid des Generalstaatsanwalts Köln vom 19. Juli 1995 - Aus 311/94 (E) -,
d) den Bescheid der Staatsanwaltschaft Bonn vom 20. April 1995 - 37 VRs 1226 5/93 -
und
Anträge auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts
- 2 BvR 2501/95 -,
3. des Herrn Y ...
gegen
a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Koblenz vom 15. November 1995 - 2 VAs 22/95 -,
b) den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vom 9. August 1995 -,
c) den Bescheid der Staatsanwaltschaft Koblenz vom 20. Juni 1995 - 110 VRs 15855/93 -
- 2 BvR 2990/95 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsidentin Limbach,
Graßhof,
Kruis,
Kirchhof,
Winter,
Sommer,
Jentsch,
Hassemer
am 18. Juni 1997 beschlossen:
1. Die Beschlüsse des Landgerichts Bonn vom 20. Oktober 1994 - 52 StVK 1623/94 - und des Oberlandesgerichts Köln
vom 5. Januar 1995 - 2 Ws 610/94 - verletzen den Beschwerdeführer zu 1. in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4
des Grundgesetzes. Der Beschluß des Landgerichts Bonn wird aufgehoben. Der Beschluß des Oberlandesgerichts Köln
ist damit gegenstandslos. Die Sache wird an das Landgericht Bonn zurückverwiesen.
2. Der Beschluß des Oberlandesgerichts Koblenz vom 15. November 1995 - 2 VAs 22/95 - verletzt den Beschwerdeführer
zu 3. in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das
Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.
3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer zu 1., das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer
zu 3. die notwendigen Auslagen zu erstatten.
4. Die Verfassungsbeschwerde zu 2. wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Anträge auf Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts werden abgelehnt.
G r ü n d e :
1
Die zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen Fragen des Rechtsschutzes verurteilter
ausländischer Strafgefangener hinsichtlich der von ihnen gewünschten Überstellung zur Strafvollstreckung in ihr
Heimatland.
A.
I.
2
Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) vom 23. Dezember 1982 (BGBl 1982 I S. 2071) - in Kraft
seit 1. Juli 1983 - sieht in §§ 71 ff. erstmals vor, daß ein ausländischer Staat um die Vollstreckung eines Strafurteils ersucht
werden kann. Dies kommt vor allem in Betracht, wenn ein von einem deutschen Gericht verurteilter Ausländer nach dem
Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen den Wunsch äußert, in seinen Heimatstaat überstellt zu
werden. Dieses vom Europarat zur Unterzeichnung aufgelegte und von der Bundesrepublik Deutschland am 21. März 1983
unterzeichnete Übereinkommen ist aufgrund des Zustimmungsgesetzes vom 26. September 1991 für die Bundesrepublik
Deutschland am 1. Februar 1992 in Kraft getreten.
3
1. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in der für die Entscheidung maßgeblichen Fassung der
Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl 1994 I S. 1537) bestimmt:
§ 71
4
Ersuchen um Vollstreckung
5
(1) Ein ausländischer Staat kann um Vollstreckung einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen einen Ausländer
verhängten Strafe oder sonstigen Sanktion ersucht werden, wenn
6
1. der Verurteilte in dem ausländischen Staat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder sich dort aufhält und
nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht
ausführbar ist, oder
7
2. die Vollstreckung in dem ersuchten Staat im Interesse des Verurteilten oder im öffentlichen Interesse liegt.
8
Die Überstellung des Verurteilten darf nur zur Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion erfolgen; § 6 Abs. 2, § 11
gelten entsprechend.
9
(2 bis 4) ...
§ 74
10
Zuständigkeit des Bundes
11
(1) Über ... die Stellung von Ersuchen an ausländische Staaten um Rechtshilfe entscheidet der Bundesminister der Justiz im
Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und mit anderen Bundesministern, deren Geschäftsbereich von der Rechtshilfe
betroffen wird. Ist für die Leistung der Rechtshilfe eine Behörde zuständig, die dem Geschäftsbereich eines anderen
Bundesministers angehört, so tritt dieser an die Stelle des Bundesministers der Justiz. ...
12
(2) Die Bundesregierung kann die Ausübung der Befugnisse, über ausländische Rechtshilfeersuchen zu entscheiden und
ausländische Staaten um Rechtshilfe zu ersuchen, im Wege einer Vereinbarung auf die Landesregierungen übertragen. Die
Landesregierungen haben das Recht zur weiteren Übertragung.
§ 77
13
Anwendung anderer Verfahrensvorschriften
14
Soweit dieses Gesetz keine besonderen Verfahrensvorschriften enthält, gelten die Vorschriften des
Gerichtsverfassungsgesetzes und seines Einführungsgesetzes, der Strafprozeßordnung, des Jugendgerichtsgesetzes, der
Abgabenordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sinngemäß.
15
2. Das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (ÜberstÜbk) vom 21. März 1983 (BGBl 1991 II
S. 1006 ff.; 1992 II S. 98 ff.) lautet in seinen hier maßgeblichen Vorschriften:
16
Die Mitgliedstaaten des Europarats und die anderen Staaten, die dieses Übereinkommen unterzeichnen -
...
17
in dem Wunsch, die internationale Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten weiterzuentwickeln;
18
in der Erwägung, daß diese Zusammenarbeit den Interessen der Rechtspflege dienen und die soziale Wiedereingliederung
verurteilter Personen fördern sollte;
19
in der Erwägung, daß es diese Ziele erfordern, Ausländern, denen wegen der Begehung einer Straftat ihre Freiheit entzogen
ist, Gelegenheit zu geben, die gegen sie verhängte Sanktion in ihrer Heimat zu verbüßen;
20
in der Erwägung, daß dieses Ziel am besten dadurch erreicht werden kann, daß sie in ihr eigenes Land überstellt werden -
21
sind wie folgt übereingekommen:
22
Art. 1
23
Begriffsbestimmungen
24
Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck
25
a) "Sanktion" jede freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme, die von einem Gericht wegen einer Straftat für eine
bestimmte Zeit oder auf unbestimmte Zeit verhängt worden ist;
26
b) "Urteil" eine Entscheidung eines Gerichts, durch die eine Sanktion verhängt wird;
27
c) "Urteilsstaat" den Staat, in dem die Sanktion gegen die Person, die überstellt werden kann oder überstellt worden ist,
verhängt worden ist;
28
d) "Vollstreckungsstaat" den Staat, in den die verurteilte Person zum Vollzug der gegen sie verhängten Sanktion überstellt
werden kann oder überstellt worden ist.
29
Art. 2
30
Allgemeine Grundsätze
31
(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, nach diesem Übereinkommen im Hinblick auf die Überstellung verurteilter
Personen weitestgehend zusammenzuarbeiten.
32
(2) Eine im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei verurteilte Person kann nach diesem Übereinkommen zum Vollzug der gegen
sie verhängten Sanktion in das Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei überstellt werden. Zu diesem Zweck kann sie
dem Urteils- oder dem Vollstreckungsstaat gegenüber den Wunsch äußern, nach diesem Übereinkommen überstellt zu
werden.
33
(3) Das Ersuchen um Überstellung kann entweder vom Urteils- oder vom Vollstreckungsstaat gestellt werden.
34
Art. 3
35
Voraussetzungen für die Überstellung
36
(1) Eine verurteilte Person kann nach diesem Übereinkommen nur unter den folgenden Voraussetzungen überstellt werden:
37
a) daß sie Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaats ist;
38
b) daß das Urteil rechtskräftig ist;
39
c) daß zum Zeitpunkt des Eingangs des Ersuchens um Überstellung noch mindestens sechs Monate der gegen die
verurteilte Person verhängten Sanktion zu vollziehen sind oder daß die Sanktion von unbestimmter Dauer ist;
40
d) daß die verurteilte Person oder, sofern einer der beiden Staaten es in Anbetracht ihres Alters oder ihres körperlichen
oder geistigen Zustands für erforderlich erachtet, ihr gesetzlicher Vertreter ihrer Überstellung zustimmt;
41
e) daß die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, nach dem Recht des
Vollstreckungsstaats eine Straftat darstellen oder, wenn sie in seinem Hoheitsgebiet begangen worden wären, darstellen
würden;
42
f) daß sich der Urteils- und der Vollstreckungsstaat auf die Überstellung geeinigt haben.
...
43
Art. 4
44
Informationspflicht
45
(1) Jede verurteilte Person, auf die dieses Übereinkommen Anwendung finden kann, wird durch den Urteilsstaat vom
wesentlichen Inhalt dieses Übereinkommens unterrichtet.
46
(2) Hat die verurteilte Person dem Urteilsstaat gegenüber den Wunsch geäußert, nach diesem Übereinkommen überstellt zu
werden, so teilt der Urteilsstaat dies dem Vollstreckungsstaat so bald wie möglich nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils
mit.
47
(3) Die Mitteilung enthält
48
a) Namen, Geburtstag und Geburtsort der verurteilten Person;
49
b) gegebenenfalls ihre Anschrift im Vollstreckungsstaat;
50
c) eine Darstellung des Sachverhalts, welcher der Sanktion zugrunde liegt;
51
d) Art und Dauer der Sanktion sowie Beginn ihres Vollzugs.
52
(4) Hat die verurteilte Person dem Vollstreckungsstaat gegenüber ihren Wunsch geäußert, überstellt zu werden, so
übermittelt der Urteilsstaat dem Vollstreckungsstaat auf dessen Ersuchen die in Absatz 3 bezeichnete Mitteilung.
53
(5) Die verurteilte Person wird schriftlich von dem durch den Urteils- oder den Vollstreckungsstaat aufgrund der
vorstehenden Absätze Veranlaßten sowie von jeder Entscheidung, die einer der beiden Staaten aufgrund eines Ersuchens
um Überstellung getroffen hat, unterrichtet.
54
3. Ergänzende Bestimmungen enthält die Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens über die
Überstellung verurteilter Personen vom 19. Dezember 1991 (BGBl 1992 II S. 98 ff.):
...
55
"Bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde hat
Deutschland
folgende Erklärungen abgegeben:
56
'Zum Übereinkommen insgesamt:
57
Die Bundesrepublik Deutschland geht in Übereinstimmung mit der Präambel des Übereinkommens davon aus, daß dessen
Anwendung nicht nur die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen fördern, sondern auch den Interessen der
Rechtspflege dienen soll. Sie wird dementsprechend die Entscheidung über die Überstellung von Verurteilten in jedem
Einzelfall auf der Grundlage aller ihrem Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke treffen.
58
Zu Artikel 2 Abs. 2 Satz 2:
59
Die Bundesrepublik Deutschland legt das Übereinkommen dahin aus, daß es Rechte und Pflichten ausschließlich zwischen
den Vertragsparteien begründet und verurteilten Personen hieraus keine Ansprüche oder subjektiven Rechte erwachsen
noch solche Ansprüche oder Rechte begründet werden müssen.
...'"
II.
60
1. a) Der Beschwerdeführer zu 1., ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, wurde wegen
Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die Hälfte der Strafe wird er am 5. Januar
1998, zwei Drittel am 6. Januar 2000 verbüßt haben; das Strafende ist auf den 6. Januar 2004 notiert. Er beantragte bei der
Staatsanwaltschaft, zur weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe in die Türkei überstellt zu werden. Er habe ein
berechtigtes Interesse an der Überstellung, da er die deutsche Sprache nicht beherrsche, in der Bundesrepublik
Deutschland nicht integriert und im deutschen Strafvollzug weitgehend isoliert sei. Seine Verlobte und seine engere Familie
(Eltern und elf Geschwister) lebten in der Türkei und könnten ihn aus Kosten- und teilweise auch aus Gesundheitsgründen
nicht oder nicht regelmäßig besuchen. Die Überstellung in sein Heimatland, wo er bleiben wolle, sei auch im Blick auf das
Resozialisierungsziel sinnvoll.
61
Die Staatsanwaltschaft teilte daraufhin dem Beschwerdeführer mit, daß das Justizministerium des Landes Nordrhein-
Westfalen nicht beabsichtige, die Überstellung des Beschwerdeführers an die türkische Regierung heranzutragen. Die
dagegen erhobene Beschwerde verwarf die Strafvollstreckungskammer als unzulässig, weil eine Überstellung gemäß § 71
IRG im Ermessen der Staatsanwaltschaft liege, wogegen es kein Rechtsmittel gebe. Mit einer dagegen zum
Oberlandesgericht erhobenen Beschwerde machte der Beschwerdeführer insbesondere geltend, die Staatsanwaltschaft
habe ihr Ermessen sachgerecht auszuüben. Dies sei offensichtlich nicht geschehen, denn die Begründung habe nur in der
Mitteilung der Entscheidung des Justizministeriums bestanden.
62
Das Oberlandesgericht entschied daraufhin, daß das Rechtsmittel gemäß § 304 Abs. 1 StPO zwar statthaft, in der Sache
jedoch unbegründet sei. Der ablehnende Bescheid des Justizministeriums, den die Staatsanwaltschaft der Verteidigung
mitgeteilt habe, unterliege keiner gerichtlichen Nachprüfung. Der Beschwerdeführer habe weder einen Anspruch auf ein
völkerrechtliches Ersuchen noch auf Anregung eines solchen Ersuchens durch die Vollstreckungsbehörde. Dies folge aus
der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 2 Satz 2 ÜberstÜbk anläßlich der Hinterlegung der
Ratifikationsurkunde.
63
b) Der Beschwerdeführer rügt mit der Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 19
Abs. 4, 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG. Die Auffassung, Entscheidungen seien hier nicht justitiabel, könne vor Art. 19 Abs. 4 GG
keinen Bestand haben. Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sei ein Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber herzuleiten, ob dem Wunsch eines Verurteilten, in seinen Heimatstaat zum
Zweck der Strafvollstreckung überstellt zu werden, Folge gegeben werde. Die Vollstreckung in seinem Heimatland stelle sich
für den Beschwerdeführer als der geringere Eingriff in dessen Freiheitsgrundrecht dar.
64
2. a) Auch der Beschwerdeführer zu 2. beantragte, seine Freiheitsstrafe in der Türkei, seinem Heimatland, verbüßen zu
dürfen. Er war wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt worden. Zur Begründung
trug er insbesondere vor, daß er kein Deutsch spreche und seinen Lebensmittelpunkt in der Türkei habe. Seine
Wiedereingliederung komme nur dort in Betracht. Auch leide er unter erheblichen Magenbeschwerden. Die ärztliche
Versorgung stoße wegen der Sprachprobleme in Deutschland auf Schwierigkeiten.
65
Die Staatsanwaltschaft beschied den Beschwerdeführer dahin, daß sein Wunsch vom Justizministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen in Anbetracht der Schwere seiner Schuld und unter Abwägung der Interessen der Rechtspflege
abgelehnt worden sei. In seiner abschlägigen Beschwerdeentscheidung führte der Generalstaatsanwalt weiter aus, dem
Beschwerdeführer stehe kein subjektives Recht zu. Er könne weder ein Ersuchen um Vollstreckungshilfe an die Türkei
verlangen noch die Anregung eines solchen Ersuchens. Die Staatsanwaltschaft habe in Ausübung ihres pflichtgemäßen
Ermessens entschieden. Sie habe sowohl die mit dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen
verfolgten Zwecke als auch die dem Beschwerdeführer durch die Vollstreckung der Strafe in Deutschland erwachsenden
Nachteile berücksichtigt. Andererseits sei aber auch den Interessen der Rechtspflege auf der Grundlage aller dem
deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke Rechnung zu tragen. In Anbetracht der erheblichen Schuld des
Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung insbesondere generalpräventiver Strafzwecke sowie in Ansehung der
Vollstreckungspraxis in der Türkei sei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft durchaus sachgemäß gewesen. Nach
vorliegenden Erkenntnissen stehe nämlich zu erwarten, daß der Verurteilte im Falle einer Vollstreckung der
Restfreiheitsstrafe in der Türkei bereits nach Verbüßung von 42 % der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung entlassen
werde. Diese Vollstreckungspraxis widerspreche den mit der Strafvollstreckung nach deutschem Strafrecht verfolgten
Zwecken und führe darüber hinaus zu einer erheblichen Benachteiligung vor allem deutscher Strafgefangener.
66
Das Oberlandesgericht verwarf den gemäß §§ 23 ff. EGGVG gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig.
Zwar handele es sich bei der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde um eine Maßnahme im Sinne des § 23 EGGVG. Diese
verletze den Beschwerdeführer jedoch nicht in seinen Rechten (§ 24 Abs. 1 EGGVG), da sich aus dem
Überstellungsübereinkommen für ihn kein subjektives Recht ergebe. Selbst wenn man das Begehren des Beschwerdeführers
für zulässig hielte, könne es in der Sache keinen Erfolg haben. Bei der Entschließung über die Weiterleitung eines
Überstellungsgesuchs sei es der Vollstreckungsbehörde nicht verwehrt, die dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden
Strafzwecke in Rechnung zu stellen und gegenüber den Belangen des Betroffenen abzuwägen. Dabei könne die
Vollstreckungsbehörde insbesondere den Strafzweck der Generalprävention berücksichtigen. Es sei zu erwarten, daß der
Beschwerdeführer in der Türkei bereits nach Verbüßung von 42 % der verhängten Freiheitsstrafe entlassen werde, während
er in Deutschland erst nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe wieder in Freiheit kommen könne. Diesen
Erwägungen den Vorrang gegenüber den persönlichen Belangen des Beschwerdeführers einzuräumen, sei nicht
ermessensfehlerhaft.
67
b) Der Beschwerdeführer rügt - im wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung seines früheren Sachvortrags - die
Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 19 Abs. 4, 20 GG. Ihm stehe ein Recht auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Überstellungsantrag zu, dessen Beachtung gemäß Art. 19 Abs. 4 GG
gerichtlich überprüfbar sein müsse.
68
3. a) Auch der Beschwerdeführer zu 3., der wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren
verurteilt ist, beantragte die Überstellung in die Türkei. Nur dort, in seinem Heimatland, habe er soziale Bindungen,
während er im deutschen Vollzug isoliert sei, zumal er kein Deutsch spreche. In der Türkei lebe seine Familie (Ehefrau und
drei Kinder). Aufgrund der gegen ihn bestehenden Ausweisungsverfügung würden ihm Behandlungsmaßnahmen wie
Vollzugslockerungen und Ausbildung verweigert.
69
Die Staatsanwaltschaft lehnte den Antrag ab, da die weitere Vollstreckung in Deutschland angesichts der Schwere des
begangenen Verbrechens im öffentlichen Interesse liege. Die gegen die Ablehnung eingereichte Beschwerde zur
Generalstaatsanwaltschaft blieb "aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheids" erfolglos.
70
Das Oberlandesgericht verwarf den unter Bezugnahme auf §§ 23 ff. EGGVG gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung
als unzulässig. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft darüber, ob die Stellung eines Vollstreckungsersuchens bei der
Bundesregierung angeregt werden solle, sei kein Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 Abs. 1 EGGVG, sondern ein
behördeninterner Vorgang ohne unmittelbare Rechtswirkung nach außen.
71
b) Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1, 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG. Die
Entscheidung der Staatsanwaltschaft habe eine unmittelbare Auswirkung auf seine Rechtsstellung und müsse daher
gerichtlich überprüfbar sein. Seine Familie habe nicht die Möglichkeit, ihn in der Bundesrepublik Deutschland zu besuchen,
so daß die Ablehnung einer Überstellung für ihn bedeute, seine Familie bis zu 13 Jahren nicht mehr sehen zu können. Eine
Resozialisierung werde in der deutschen Vollzugsanstalt auch nicht ansatzweise versucht.
III.
72
Das Bundesministerium der Justiz, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesgerichtshof, der Generalbundesanwalt sowie
die Justizminister der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
73
1. Namens der Bundesregierung vertritt das Bundesministerium der Justiz den Standpunkt, daß in den Fällen, in denen
beim Vollstreckungshilfeverkehr mit dem Ausland ein Bundesministerium Bewilligungsbehörde sei, die abschließende
vollstreckungsrechtliche Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ein Ersuchen um Vollstreckungshilfe im konkreten Fall nicht
anzuregen, der gerichtlichen Überprüfung unterliegen müsse.
74
Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung habe der Gefangene aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG einen
Anspruch auf Resozialisierung. Im Bereich des Strafvollzugsrechts habe das Bundesverfassungsgericht dies dahingehend
konkretisiert, daß der Gefangene von Verfassungs wegen einen Anspruch auf gerichtliche Überprüfung des von der
Strafvollzugsbehörde bei der Vollzugsplanung ausgeübten Ermessens habe und dementsprechend der Rechtsweg etwa zur
Überprüfung von Entscheidungen über eine Verlegung von Gefangenen gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG gegeben sei. Nach
Auffassung der Bundesregierung seien diese Grundsätze auch bei der Überstellung anwendbar.
75
Die maßgebliche Regelung für das Vollstreckungshilfeverfahren und die Rechtsstellung des betroffenen Gefangenen finde
sich in § 71 Abs. 1 IRG, nach dem ein Vollstreckungshilfeersuchen gestellt werden könne, wenn die Vollstreckung im
ersuchten Staat im Interesse des Verurteilten oder im öffentlichen Interesse liege. Danach habe die Staatsanwaltschaft als
Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob sie gegenüber der Bewilligungsbehörde
ein Vollstreckungshilfeersuchen anrege. Die ermessensfehlerfreie Entscheidung setze eine Abwägung der öffentlichen
Interessen und der Interessen des Verurteilten an der Vollstreckung im ausländischen Staate voraus. Dabei seien das mit
der Vollstreckungshilfe angestrebte Ziel der Resozialisierung (familiäre Bindungen, Sprache, Kultur des betroffenen
Verurteilten etc.) sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.
76
Daran ändere auch das Überstellungsübereinkommen nichts, das den von § 71 Abs. 1 IRG gesetzten Rahmen ausfülle. Das
Übereinkommen schwäche nicht die rechtliche Position des Verurteilten, sondern stärke sie. So verlange es - im Unterschied
zu § 71 IRG - als Voraussetzung der Überstellung eine Zustimmung des Verurteilten. Sowohl der Vorschrift des § 71 Abs. 1
IRG als auch den Bestimmungen des Art. 1 i.V.m. Art. 3 und 4 des Übereinkommens lägen nicht allein die objektiven
Interessen der Rechtspflege zugrunde, sondern jedenfalls auch die Individualinteressen des betroffenen Verurteilten.
77
Einige Oberlandesgerichte hätten sich den Weg zu dieser Auslegung verstellt, weil sie die rechtlich strikt zu trennende
Ebene der innerstaatlichen, vollstreckungsrechtlichen Prüfung eines Überstellungswunsches mit der Ebene der Bewilligung
und Vornahme eines zwischenstaatlichen Vollstreckungshilfeersuchens in eins gesetzt hätten. So habe im Falle des
Beschwerdeführers zu 1. das Oberlandesgericht unzutreffend auf den ablehnenden Bescheid des Justizministeriums des
Landes Nordrhein-Westfalen abgestellt. Zuständige Strafvollstreckungsbehörde sei die Staatsanwaltschaft. Das
Landesjustizministerium sei insoweit lediglich justizverwaltungsintern als Aufsichtsbehörde tätig geworden.
Bewilligungsbehörde im Sinne des § 74 Abs. 1 Satz 1 IRG sei demgegenüber das Bundesministerium der Justiz im
Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, da für den Vollstreckungshilfeverkehr mit der Türkei eine Übertragung der
Befugnisse auf die Landesregierungen gemäß § 74 Abs. 2 IRG nicht stattgefunden habe. Auf dieser Ebene handele es sich
um außenpolitische Entscheidungen im Rahmen der Pflege der Beziehungen zu einem anderen Staat im Sinne des Art. 32
GG, in die mannigfache innen- und außenpolitische Wertungen einflößen und die deshalb - im Unterschied zu
vollstreckungsrechtlichen innerstaatlichen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft - nicht justitiabel seien.
78
Nur für diese Entscheidungsebene könne die völkerrechtliche Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 2 des
Überstellungsübereinkommens herangezogen werden, die klarstelle, daß ein förmliches Ersuchen um Überstellung lediglich
vom Urteilsstaat, nicht jedoch von dem Verurteilten gestellt werden könne. Diesem solle nämlich nicht die Rechtsstellung
eines völkerrechtlich Berechtigten erwachsen. Zu der innerstaatlichen Ebene hingegen verhielten sich das völkerrechtliche
Abkommen und die dazu abgegebene völkerrechtliche Erklärung nicht; insoweit gelte das innerstaatliche Recht des
jeweiligen Vertragsstaates.
79
Bei der staatsanwaltlichen Entscheidung handele es sich auch nicht um ein Verwaltungsinternum ohne Außenwirkung und
ohne Regelungsgehalt. Im Lichte der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern obliege die Entscheidung, ob aus
vollstreckungsrechtlicher Sicht eine strafrechtliche Zusammenarbeit mit dem Ausland im Wege der Vollstreckungshilfe
erfolgen solle, ausschließlich und abschließend den Vollstreckungsbehörden der Länder. Lehne die Staatsanwaltschaft die
Anregung eines Ersuchens um Vollstreckungshilfe aus vollstreckungsrechtlichen Gründen ab, sei das Bundesministerium
der Justiz als Bewilligungsbehörde zu einer Entscheidung nicht mehr befugt. Das Verfahren sei dann vielmehr, auch mit
Bindungswirkung gegenüber dem Verurteilten, beendet. Die Anregung eines Vollstreckungshilfeersuchens sei nicht mit
einem Akt des Wohlwollens oder der Gnade vergleichbar, sondern entspreche dem rechtlichen Charakter anderer
vollstreckungsrechtlicher Entscheidungen, z. B. gemäß § 456a StPO (Absehen von Vollstreckung bei Auslieferung und
Ausweisung), gegen die Rechtsschutz gewährleistet sei.
80
2. Der Generalbundesanwalt ist der Ansicht, die Anwendung des Prozeßrechts durch die Gerichte, insbesondere ihre
Auslegung von Art. 2 Abs. 2, 4 Abs. 2 ÜberstÜbk und § 71 Abs. 1 IRG, wonach ein Anspruch des Verurteilten auf Stellung
oder Anregung eines Vollstreckungshilfeersuchens oder auch nur auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber nicht
bestehe, sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Da die Rechtssphäre des Verurteilten durch das Nichtstellen eines
Vollstreckungs-hilfeersuchens nicht verletzt werde, komme eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht in Betracht.
81
3. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 483/95 für zumindest
unbegründet. Dem Beschwerdeführer stehe kein der gerichtlichen Überprüfung unterliegender Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung zu.
B.
82
Den Verfassungsbeschwerden zu 1. und 3. kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, die ihre Annahme
rechtfertigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Nur hier wird entscheidungserheblich die Frage aufgeworfen, ob die
ablehnende Entscheidung der Vollstreckungsbehörde im Verfahren der Vollstreckungshilfe nach § 71 IRG in Verbindung mit
dem Überstellungsübereinkommen justitiabel ist. Hingegen erfüllt die Verfassungsbeschwerde zu 2. nicht die
Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen werden kann. Im
Ausgangsverfahren hat das Oberlandesgericht bereits hilfsweise Erwägungen zur Sache angestellt; es ist zu dem Ergebnis
gekommen, daß das Begehren des Beschwerdeführers keinen Erfolg haben könne. Damit ist der Rechtsschutzverbürgung
des Art. 19 Abs. 4 GG genügt. Eine Annahme zur Durchsetzung anderer in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannter Rechte (§ 93a
Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) kommt nicht in Betracht.
C.
83
Die Verfassungsbeschwerden zu 1. und 3. sind zulässig, soweit sie sich gegen die gerichtlichen Entscheidungen wenden.
Diesen liegt die Auffassung zugrunde, daß der Verurteilte nicht nach Art. 19 Abs. 4 GG gerichtliche Nachprüfung verlangen
könne, ob die Staatsanwaltschaft ihr Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt habe. Dabei ist es ohne Belang, daß die Gerichte
im Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerde zu 1. als Strafvollstreckungsgerichte entschieden haben, während im
anderen Ausgangsverfahren das Oberlandesgericht mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff.
EGGVG befaßt war. Im Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerde zu 1. hatte die Strafvollstreckungskammer - freilich
ohne besondere Darlegungen - ihre funktionelle Zuständigkeit bejaht; das Oberlandesgericht hat dies nicht beanstandet.
Auch damit ist der Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft.
D.
84
Die Beschlüsse, mit denen die Gerichte die Anträge der Beschwerdeführer zu 1. und 3. auf Überprüfung der
staatsanwaltschaftlichen Bescheide als unzulässig angesehen haben, sind mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar.
I.
85
1. a) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, steht ihm gemäß Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsweg
offen. Die Rechtsweggarantie setzt voraus, daß dem Betroffenen eine Rechtsposition zusteht, die Verletzung bloßer
Interessen genügt nicht (BVerfGE 31, 33 <39 ff.>; 83, 182 <194>). Die Rechtsposition kann sich aus einem anderen
Grundrecht oder einer grundrechtsgleichen Gewährleistung ergeben, aber auch durch Gesetz begründet sein, wobei der
Gesetzgeber bestimmt, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zusteht und welchen Inhalt es hat (vgl.
BVerfGE 78, 214 <226>; 83, 182 <195>).
86
b) Diese Grundsätze gelten auch, wenn ein Gesetz die Vornahme oder das Unterlassen einer Maßnahme in das Ermessen
der zuständigen Behörde stellt. Gibt das Entscheidungsprogramm des Gesetzes der Behörde auf, bei der
Ermessensausübung auch rechtlich geschützte Interessen des Betroffenen zu berücksichtigen, so greift die
Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Schützt die Norm demgegenüber keine rechtlichen Interessen des Betroffenen,
ist die Ermessensentscheidung für ihn nicht justitiabel; im Grenzbereich verdient die grundrechtsfreundliche Interpretation
den Vorzug (vgl. BVerfGE 15, 275 <281 f.>; 27, 297 <305 ff.>; 51, 176 <185 f.>).
87
2. Die Rechtsstellung eines zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten ist wesentlich durch seinen gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1
Abs. 1 GG gewährleisteten Anspruch auf Resozialisierung bestimmt; das Resozialisierungsziel entspricht dem
Selbstverständnis einer der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip verpflichteten Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 35, 202
<235 f.>; 36, 174 <188>; 45, 187 <239>). Daraus erwächst bei Ermessensentscheidungen im Bereich des Strafvollzugs
dem Verurteilten ein Anspruch darauf, daß die Behörden ihr Ermessen pflichtgemäß ausüben (vgl. schon BVerfGE 89, 315
<322 ff.>; des weiteren BVerfG - Kammer - Beschlüsse vom 16. Februar 1993, NJW 1993, S. 3188 <3189>, vom 29. Oktober
1993, NStZ 1994, S. 100, vom 10. Februar 1994, StV 1994, S. 432 <433>). Dieser Anspruch umfaßt auch die gegenüber
dem Strafvollzug eigenständige strafvollstreckungsrechtliche Frage, ob der Verurteilte zur Verbüßung seiner Strafe in seine
Heimat überstellt wird.
88
3. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und das Überstellungsübereinkommen veranlassen ein
Verfahren, in dem die Grundrechtsposition des Verurteilten neben dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung zu
berücksichtigen ist.
89
a) Die materielle Regelung der Überstellung eines Verurteilten in sein Heimatland zum Zweck des Vollzugs der gegen ihn
verhängten Strafe findet sich zunächst in § 71 IRG. Nach dieser Vorschrift kann mit dem Vollstreckungshilfeersuchen
sowohl das Interesse des Verurteilten wie auch das öffentliche Interesse aufgegriffen werden (§ 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG).
Das Überstellungsübereinkommen ändert an dieser Rechtslage nichts. Es nimmt auf das Interesse des Verurteilten an
seiner sozialen Wiedereingliederung Bezug und regelt dazu Einzelheiten des Verfahrens. Die Präambel des
Übereinkommens bringt den Wunsch zum Ausdruck, die internationale Zusammenarbeit in strafrechtlichen
Angelegenheiten weiterzuentwickeln, um den Interessen der Rechtspflege zu dienen und die soziale Wiedereingliederung
verurteilter Personen zu fördern (vgl. auch die Denkschrift der Bundesregierung zum ÜberstÜbk, BTDrucks 12/194, S. 17).
Die Überstellung nach dem Übereinkommen ist nur mit der Zustimmung des Betroffenen zulässig (Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d
ÜberstÜbk). Verurteilte werden vom wesentlichen Inhalt des Übereinkommens unterrichtet (Art. 4 Abs. 1 ÜberstÜbk).
90
Äußern sie den Wunsch, nach dem Übereinkommen überstellt zu werden, so teilt der Urteilsstaat dies dem
Vollstreckungsstaat so bald wie möglich nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils mit (Art. 4 Abs. 2 ÜberstÜbk). Die
verurteilte Person wird sodann schriftlich über das Veranlaßte sowie über jede Entscheidung, die einer der beiden Staaten
aufgrund eines Ersuchens um Überstellung getroffen hat, unterrichtet (Art. 4 Abs. 5 ÜberstÜbk). Die Bundesrepublik
Deutschland geht, wie die bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde abgegebenen Protokollerklärungen vom 19. Dezember
1991 (BGBl 1992 II S. 98 ff.) klarstellen, in Übereinstimmung mit der Präambel des Übereinkommens davon aus, daß dessen
Anwendung nicht nur die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen fördern, sondern auch den Interessen der
Rechtspflege dienen soll.
91
b) Das Verfahren bei Vollzug des Überstellungsübereinkommens ist im Gesetz über die internationale Rechtshilfe nur
punktuell geregelt. Dieses Gesetz legt insbesondere die Rolle der Vollstreckungsbehörde im Überstellungsverfahren nicht
ausdrücklich fest, sondern sieht nur vor, daß ein Überstellungsersuchen an den Vollstreckungsstaat von der
Bewilligungsbehörde gestellt wird. Bewilligungsbehörde ist, sofern die Ausübung dieser Befugnis nicht kraft Delegation den
Landesregierungen zusteht, das Bundesministerium der Justiz, welches im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und
gegebenenfalls weiteren Ministerien, wenn deren Geschäftsbereich betroffen ist, entscheidet (§ 74 IRG).
92
Die Bewilligungspraxis des Bundesministeriums der Justiz geht beim Vollzug des Überstellungsübereinkommens von der
Teilung des Verfahrens in zwei Stufen aus: Das Bundesministerium der Justiz wird als Bewilligungsbehörde nur tätig, wenn
zuvor die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde die vollstreckungsrechtlichen Belange geprüft und eine
Überstellung angeregt hat. Spricht die Staatsanwaltschaft sich aus vollstreckungsrechtlichen Erwägungen gegen die
Überstellung aus, lehnt das Bundesministerium der Justiz es ab, sich mit der Sache überhaupt zu befassen. Es stützt sich
dabei auf die durch Art. 30 GG vorgegebene Aufgabenteilung. Danach ist die Pflege der auswärtigen Beziehungen Sache
des Bundes (Art. 32 Abs. 1 GG). Das Amt der mit der Strafvollstreckung betrauten Staatsanwaltschaft (§ 451 Abs. 1 StPO)
nimmt bei Urteilen, die in Ausübung von Gerichtsbarkeit eines Landes ergangen sind, eine Landesbehörde wahr (§§ 141,
142 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GVG). Dementsprechend beschränkt sich das Bundesministerium der Justiz als Bewilligungsbehörde
auf die Würdigung außen- und allgemeinpolitischer Aspekte, die dem Vollstreckungshilfeverkehr als einer Form der Pflege
der Beziehungen zu auswärtigen Staaten (Art. 32 Abs. 1 GG) innewohnen.
93
4. Hieraus folgt auf der Grundlage der dargestellten zweistufigen Überstellungspraxis, daß die Grundrechtsposition des
Verurteilten bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde Berücksichtigung finden muß.
94
a) aa) Äußert der Verurteilte gemäß dem Überstellungsübereinkommen den Wunsch, zur Vollstreckung der gegen ihn
verhängten Strafe in sein Heimatland überstellt zu werden, so ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Interessen des
Verurteilten an seiner sozialen Wiedereingliederung und die Belange der Rechtspflege - auch im Blick auf die
Vollstreckungspraxis des Aufnahmestaates - vollstreckungsrechtlich zu würdigen. Dieses Entscheidungsprogramm gibt der
Vollstreckungsbehörde auf, bei der Ermessensausübung auch den Resozialisierungsanspruch des Verurteilten zu
berücksichtigen. Insoweit hat er ein Recht auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens der Vollstreckungsbehörde (so auch
Lagodny NStZ 1993, 607 f.; Schomburg in: Uhlig/Schomburg/ Lagodny, IRG Kommentar, 2. Aufl. 1992, § 71 Rn. 3; Wilkitzki
in: Vogler/Walter/Wilkitzki, IRG Kommentar, 2. Aufl., 29. Lfg. 1991, § 71 Rn. 3, in: Grützner/Pötz, Internationaler
Rechtshilfeverkehr in Strafsachen). Anderes gilt in dem zweistufigen Verfahren für die Entscheidung der
Bewilligungsbehörde. Der dargestellten Rollenverteilung entsprechend orientiert sie sich allein an allgemein-, insbesondere
außenpolitischen Belangen; ihr Entscheidungsprogramm ist nicht auf das rechtliche Interesse des Verurteilten
ausgerichtet. Ihm steht insoweit ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung nicht zu.
95
bb) Mit diesem Ergebnis stehen die völkerrechtlichen Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland nicht in Widerspruch,
wonach Rechte und Pflichten aus dem Übereinkommen ausschließlich zwischen den Vertragsparteien erwüchsen, während
für verurteilte Personen keine Ansprüche oder subjektiven Rechte begründet würden. Wie das Bundesministerium der Justiz
ausgeführt hat, betrifft diese Erklärung die völkerrechtlichen Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten; sie soll
ausschließen, daß dem einzelnen Verurteilten die Rechtsstellung eines völkerrechtlich Berechtigten erwächst. Zu der Frage,
ob nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Prüfung des Überstellungswunsches
besteht, verhält sich die Erklärung nicht.
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b) Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, ob bei der Bewilligungsbehörde ein Überstellungsersuchen angeregt
werden soll, stellt sich als Rechtsakt mit unmittelbarer Außenwirkung für den betroffenen Verurteilten dar; sie ist nicht
bloßes Verwaltungsinternum. Die Bewilligungsbehörde wird nur tätig, wenn eine entsprechende Anregung der
Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde vorliegt. Ihr abschlägiger Bescheid hat abschließende Wirkung sowohl
gegenüber der Bewilligungsbehörde als auch gegenüber dem Verurteilten.
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c) Die von der Vollstreckungsbehörde zu treffende Entscheidung wirkt sich mithin unmittelbar auf das grundrechtlich
geschützte Resozialisierungsinteresse des Verurteilten (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; vgl. dazu BVerfGE 45, 187
<238 f.>; 89, 315 <322>) aus. Deswegen verbürgt Art. 19 Abs. 4 GG den gerichtlichen Rechtsschutz zur Überprüfung, ob
die Vollstreckungsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Welcher Rechtsweg hierfür in Betracht kommt, haben die
Fachgerichte in Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Prozeßrechts festzustellen.
II.
98
1. An diesem Maßstab gemessen, können die gerichtlichen Beschlüsse in den Verfahren der Verfassungsbeschwerden zu 1.
und 3. keinen Bestand haben. Die Gerichte haben den Beschwerdeführern Rechtsschutz gegen die Entschließungen der
Strafvollstreckungsbehörden vorenthalten, weil sie der Meinung waren, das von den Staatsanwaltschaften geübte Ermessen
sei hier nicht - auch nicht auf die Einhaltung der Fehlerfreiheit hin - überprüfbar. Der Rechtsschutzgarantie des Art. 19
Abs. 4 GG sind sie damit nicht gerecht geworden.
99
2. Gemäß § 95 Abs. 1 BVerfGG ist die Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführer zu 1. und 3. aus Art. 19 Abs. 4 GG
durch die angegriffenen Beschlüsse festzustellen; sie sind aufzuheben. Die Sache des Beschwerdeführers zu 1. ist an das
Landgericht Bonn, die des Beschwerdeführers zu 3. an das Oberlandesgericht Koblenz zurückzuverweisen. Die Gerichte
werden auch ihre funktionelle Zuständigkeit zu überprüfen haben.
E.
100
Da die Beschwerdeführer zu 1. und 3. mit ihren Verfassungsbeschwerden im wesentlichen durchdringen, ist der Aus-spruch
der vollen Erstattung ihrer Kosten angemessen (§ 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG).
Limbach
Graßhof
Kruis
Kirchhof
Winter
Sommer
Jentsch
Hassemer