Urteil des BVerfG vom 08.03.2017

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten in Deutschland

Bundesverfassungsgericht
Sie sind hier:
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 483/17 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S…,
gegen
das Unterlassen der Bundesregierung, die Rede des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim am 18. Februar 2017 in
Oberhausen wegen Propaganda für eine nach unserer Verfassung demokratiefeindliche Staatsform zu verbieten
und gegen weitere Auftritte türkischer Regierungsmitglieder in diesem Zusammenhang einzuschreiten
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 8. März 2017 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
G r ü n d e :
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Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, dass die Bundesregierung es dem türkischen Ministerpräsidenten Yildirim
ermöglicht habe, am 18. Februar 2017 in Oberhausen für eine nach seiner Auffassung demokratiefeindliche
Verfassungsänderung in der Republik Türkei zu werben, sowie gegen weitere im Zusammenhang mit dieser beabsichtigten
Verfassungsreform stehende öffentliche Auftritte von Regierungsmitgliedern der Republik Türkei in Deutschland.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert dargelegt hat, dass
er durch die nicht näher bezeichneten Maßnahmen beziehungsweise Unterlassungen der Bundesregierung selbst betroffen
ist.
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a) Zwar haben Staatsoberhäupter und Mitglieder ausländischer Regierungen weder von Verfassungs wegen noch nach einer
allgemeinen Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG einen Anspruch auf Einreise in das Bundesgebiet und die
Ausübung amtlicher Funktionen in Deutschland. Hierzu bedarf es der - ausdrücklichen oder konkludenten - Zustimmung der
Bundesregierung, in deren Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten eine solche Entscheidung gemäß Art. 32 Abs. 1
GG fällt (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>; 131, 152 <195>; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 29. Juli 2016 - 15 B 876/16 -, juris, Rn. 15 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 14. Aufl. 2016, Art. 32 Rn. 11).
Soweit ausländische Staatsoberhäupter oder Mitglieder ausländischer Regierungen in amtlicher Eigenschaft und unter
Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität in Deutschland auftreten, können sie sich nicht auf Grundrechte berufen. Denn bei
einer Versagung der Zustimmung würde es sich nicht um eine Entscheidung eines deutschen Hoheitsträgers gegenüber
einem ausländischen Bürger handeln, sondern um eine Entscheidung im Bereich der Außenpolitik, bei der sich die
deutsche und die türkische Regierung auf der Grundlage des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1
der Charta der Vereinten Nationen) begegnen.
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b) Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht substantiiert dargelegt, dass er durch die angegriffenen Maßnahmen
beziehungsweise Unterlassungen der Bundesregierung selbst nachteilig betroffen ist. Dies aber wäre Voraussetzung für eine
Verletzung des Beschwerdeführers in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit vor gesetzlosem und
gesetzwidrigem Zwang (vgl. insoweit BVerwGE 28, 268 <271>; 54, 211 <221 >; BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 1979 - 7 B
139/79 -, juris, Rn. 8; Schulze-Fielitz, in: Dreier , GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 Rn. 70; Schmidt-Aßmann, in:
Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 122 ) - hier in Verbindung mit Art. 25 GG.
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2. Soweit sich der Beschwerdeführer zur Begründung der Verfassungsbeschwerde darüber hinaus auf seine Rechte als
deutscher Staatsbürger beruft, hat er die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ebenfalls nicht
dargetan.
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Zwar schützt Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davor, dass der Anspruch des Bürgers auf demokratische
Selbstbestimmung, das heißt seine Mitwirkung an der durch Wahl bewirkten Legitimation von Staatsgewalt und seine
Möglichkeit zur Einflussnahme auf deren Ausübung, entleert wird (vgl. BVerfGE 89, 155 <172>; 123, 267 <330>; 134, 366
<396 Rn. 51>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Juni 2016 - 2 BvR 2728/13 u.a. -, juris, Rn. 130). Eine solche
Fallkonstellation liegt hier aber nicht vor. Darüber hinaus gewährt Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG keinen Anspruch auf eine
allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle in Bezug auf Maßnahmen der Regierung oder des Parlaments. Er dient nicht der
inhaltlichen Kontrolle demokratischer Prozesse, sondern ist auf deren Ermöglichung gerichtet (vgl. BVerfGE 129, 124
<168>; 134, 366 <396 f. Rn. 52>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Juni 2016, a.a.O., Rn. 126).
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3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Huber
Kessal-Wulf
König