Urteil des BVerfG vom 19.07.2016

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die diskriminierende Preisgestaltung durch ein kommunales Freizeitbad

Bundesverfassungsgericht
Sie sind hier:
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 470/08 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn L…,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Norbert Gross,
Lammstraße 11, 76133 Karlsruhe -
gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts München
vom 25. Februar 2008 - 3 U 1990/07 -,
b) das Urteil des Oberlandesgerichts München
vom 16. Januar 2008 - 3 U 1990/07 -,
c) das Urteil des Amtsgerichts Laufen
vom 6. Februar 2007 - 2 C 0116/06 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Huber,
Müller,
Maidowski
am 19. Juli 2016 einstimmig beschlossen:
Das Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 6. Februar 2007 - 2 C 0116/06 - und das Urteil des Oberlandesgerichts
München vom 16. Januar 2008 - 3 U 1990/07 - verletzen den Beschwerdeführer in seinen verfassungsmäßigen Rechten
aus Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache
wird an das Amtsgericht Laufen zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. Februar
2008 - 3 U 1990/07 - ist gegenstandslos.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
G r ü n d e :
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Benachteiligung ausländischer Besucher eines kommunalen Freizeitbads gegenüber
Einwohnern der das Bad in Privatrechtsform betreibenden Kommunen.
I.
2
1. Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich. Im September 2005 besuchte er
ein Freizeitbad in B…. Dieses wird von der Beklagten des Ausgangsverfahrens betrieben, einer Gesellschaft mit
beschränkter Haftung. Alleingesellschafter der Beklagten ist ein Fremdenverkehrsverband. Dieser Zweckverband ist eine
Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 2 der Satzung vom 6. Juli 2004, Oberbayerisches Amtsblatt Seite 101, zuletzt
geändert durch Satzung vom 24. September 2014, Oberbayerisches Amtsblatt Seite 170). Mitglieder des Zweckverbands
sind der Landkreis B… sowie fünf Gemeinden des Landkreises. Einwohnern dieser fünf Gemeinden gewährte die Beklagte
einen Nachlass auf den regulären Eintrittspreis von etwa einem Drittel. Da der Beschwerdeführer nicht Einwohner dieser
Gemeinden war, entrichtete er den regulären Eintrittspreis.
3
2. Der Beschwerdeführer sieht in dieser Preisgestaltung eine unzulässige Benachteiligung. Daher erhob er Klage zum
Amtsgericht Laufen, mit der er von der Beklagten die Rückzahlung des Differenzbetrags verlangte und außerdem die
Feststellung begehrte, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger den Eintritt künftig zu dem ermäßigten Entgelt zu
gewähren.
4
a) Das Amtsgericht wies die Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 6. Februar 2007 ab. Ein Anspruch aus § 812 BGB
scheide aus. Der Beschwerdeführer habe den Differenzbetrag nicht ohne rechtlichen Grund bezahlt. Der dieser Zahlung
zugrundeliegende Vertrag sei insbesondere nicht gemäß § 134 BGB nichtig.
5
Als gesetzliches Verbot im Sinne dieser Bestimmung komme zwar Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) in Betracht, der auch die
passive Dienstleistungsfreiheit schütze. Jedoch sei vorliegend nicht von der notwendigen Horizontalwirkung auszugehen.
Denn unabhängig von der privaten Rechtsform der Beklagten seien deren Leistungen nicht dem Bereich der
Daseinsvorsorge zuzurechnen, dem etwa die Versorgung mit Wasser oder Elektrizität sowie die Abfallentsorgung
zugehörten. Vielmehr handele es sich um eine rein wirtschaftliche Tätigkeit. In diesem Bereich der Fiskaltätigkeit mangele
es an der notwendigen Horizontalwirkung. Die Beklagte sei auch weder qualitativ noch quantitativ mit in erheblicher Weise
am Wirtschaftsleben teilnehmenden Verbänden oder Berufsorganisationen vergleichbar.
6
Nichts anderes ergebe sich aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV (Art. 18 AEUV). Auch diese Bestimmung richte
sich nicht an private Rechtsteilnehmer, zumal die Beklagte keinerlei tatbestandlich vorausgesetzte kollektive
Regelungsmacht ausübe.
7
Die Grundrechte des Grundgesetzes schließlich seien keine Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB. Sie wirkten nur
mittelbar über materiell-rechtliche Generalklauseln in das Privatrecht ein. Ein Verstoß gegen dergleichen Generalklauseln
sei aber nicht ersichtlich. Der Beklagten könne etwa ein Missbrauch einer Monopolstellung oder sittenwidrige Ausbeutung
nicht vorgeworfen werden. Auch bestehe für die Beklagte kein Kontrahierungszwang zu gleichen Preisen, da sie nicht im
Bereich der Daseinsvorsorge tätig sei.
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b) Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wies das nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b GVG in der damals geltenden
Fassung zuständige Oberlandesgericht München mit dem angegriffenen Urteil vom 16. Januar 2008 zurück.
9
aa) Der Vertrag sei nicht gemäß § 134 BGB nichtig. Diese Bestimmung ordne die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur für
diejenigen Fälle an, in denen sich aus dem verletzten Verbotsgesetz nicht etwas anderes ergebe. In der Regel könne
Nichtigkeit nur angenommen werden, wenn sich das Verbot gegen beide Vertragsteile richte. Sei das Rechtsgeschäft
dagegen nur für einen Vertragsteil verboten, sei es in der Regel gültig. Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) ordne für den Fall einer
Verletzung keine Rechtsfolge an. Das in dieser Bestimmung enthaltene Diskriminierungsverbot richte sich nur gegen den
Diskriminierenden, nicht gegen den Diskriminierten. Da das Verbot demnach nicht beide Vertragsteile treffe, sei der Vertrag
wirksam. Es könne deshalb dahinstehen, ob die Beklagte Adressatin des in Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) enthaltenen
Diskriminierungsverbots sei und ob eine Diskriminierung im Sinne dieser Vorschrift überhaupt vorliege. Aus den
Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Sachen Dogenpalast (Urteil vom 16. Januar 2003, C-
388/01, EU:C:2003:30) und Angonese (Urteil vom 6. Juni 2000, C-281/98, EU:C:2000:296) ergebe sich nichts anderes. Dort
habe der Gerichtshof lediglich Verstöße der beklagten Mitgliedstaaten gegen deren europarechtliche Verpflichtungen
festgestellt. Er habe sich jedoch nicht zur Frage der Wirksamkeit der diesen Verfahren zugrundeliegenden privatrechtlichen
Verträge geäußert.
10
bb) Ein Zahlungsanspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB. Schutzgesetze im Sinne dieser Bestimmung seien
nur Vorschriften, die erkennbar die Schaffung eines Schadenersatzanspruchs erstrebten. Dies sei bei Art. 49 EGV (Art. 56
AEUV) nicht der Fall, der, wie dargelegt, eine Sanktion für Verstöße nicht anordne. Eine andere Einschätzung sei auch mit
Blick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht geboten. Der Gerichtshof habe die
Möglichkeit eines Schadenersatzanspruchs nur im Verhältnis zu Einrichtungen anerkannt, die unter staatlicher Aufsicht
eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse erbrächten und dazu mit besonderen Rechten ausgestattet seien. Die Beklagte
erfülle nicht die Merkmale des im vom Gerichtshof entschiedenen Fall beklagten staatlichen Versicherungsunternehmens,
wo es zudem, anders als hier, um die Frage der direkten Wirkung nicht rechtzeitig umgesetzter Richtlinien gegangen sei.
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cc) Auch der Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte dem Beschwerdeführer künftig den Eintritt zum selben Preis wie den
privilegierten Gemeindeangehörigen gewähren müsse, sei unbegründet. Dieser Antrag sei dahingehend auszulegen, dass
der Beschwerdeführer die Feststellung begehre, dass es der Beklagten untersagt sei, die Eintrittspreise nach den bisherigen
Gesichtspunkten zu gestalten. Ein solcher Anspruch bestehe nicht. Er ergebe sich weder aus Europarecht noch aus
nationalem Recht. Es gehe nicht um eine Frage der Auslegung des EG-Vertrags, sondern um dessen Anwendung auf den
konkreten Einzelfall, was allein Aufgabe der nationalen Gerichte sei. Ein Verstoß gegen die Generalklauseln des
Privatrechts im Hinblick auf die Grundrechte sei weder dargetan noch ersichtlich. Mit Blick auf Art. 3 GG habe die Beklagte
sachbezogene Gründe für die Differenzierung bei den Eintrittspreisen dargelegt.
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dd) Daraus ergebe sich schließlich auch, dass eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht veranlasst
sei.
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c) Die gegen dieses Urteil erhobene Gehörsrüge wies das Oberlandesgericht durch den angegriffenen Beschluss vom 25.
Februar 2008 zurück. Der Senat habe den Vortrag des Beschwerdeführers umfassend zur Kenntnis genommen, er sei
lediglich dessen Rechtsauffassung nicht gefolgt. Daraus ergebe sich keine Gehörsverletzung.
II.
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1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG und aus Art. 101 Abs. 1 GG.
15
a) Das Berufungsurteil habe Art. 3 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass es den Vorrang des Gemeinschaftsrechts und die
Verpflichtungen des Oberlandesgerichts aus Art. 10 EGV (Art. 4 Abs. 3 EUV) willkürlich missachte.
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Mit Blick auf die Sanktionierung des gerügten Verstoßes gegen Art. 49 EGV sei es gemäß Art. 10 EGV Aufgabe des
nationalen Richters, den Rechtsschutz zu gewähren, der sich für die Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des
Gemeinschaftsrechts ergebe. Das nationale Gericht müsse immer dann, wenn eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts
keine eigene Sanktionsregelung enthalte, alle geeigneten Maßnahmen treffen, um die volle Wirksamkeit des
Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Die nationalen Gerichte hätten darauf zu achten, dass Verstöße gegen das
Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet würden wie nach Art und
Schwere vergleichbare Verstöße gegen nationales Recht. Dabei müsse die Sanktion wirksam, verhältnismäßig und
abschreckend sein. Es sei anerkannt, dass Verstöße gegen ein gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsverbot - soweit
dieses direkte Wirkung habe - zur Unwirksamkeit eines Vertrages gemäß § 134 BGB führten, sowie, dass daraus Ansprüche
auf Schadenersatz, Beseitigung und Unterlassung resultieren könnten.
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b) Das Oberlandesgericht verstoße ferner dadurch gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 101 Abs. 1 GG, dass es als
letztinstanzliches Gericht (vgl. § 26 Nr. 8 EGZPO) unterlassen habe, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union
nach Art. 234 EGV (Art. 267 AEUV) vorzulegen.
18
Da das Oberlandesgericht der Auffassung sei, dass der Gerichtshof noch nicht entschieden habe, ob ein Verstoß gegen
Art. 49 EGV privatrechtlich zu sanktionieren sei, habe es diese Frage vorlegen müssen. Gleiches gelte für die Frage, ob eine
privatrechtlich organisierte Einrichtung, deren Alleingesellschafter ein öffentlich-rechtlicher Verband sei, in dessen
Aufsichtsrat nur Landräte und Bürgermeister sitzen, im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs unter staatlicher
Aufsicht stehe. Nach dieser Rechtsprechung gälten die Grundfreiheiten gegenüber allen Organisationen oder
Einrichtungen, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen oder mit besonderen Befugnissen ausgestattet sind.
19
c) Schließlich verstoße das Oberlandesgericht gegen Art. 101 Abs. 1 GG auch dadurch, dass es die Revision nicht
zugelassen habe. Die Sache habe evident rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
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2. Dem Bundesverfassungsgericht lagen die Akten des Ausgangsverfahrens vor. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens, das
Niedersächsische Justizministerium, der 10. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts und die Vorsitzenden des V., des
VI. und des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs haben zum Verfahren Stellung genommen.
III.
21
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Das Bundesverfassungsgericht hat
die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Annahme der
Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 und
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist
offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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1. Die Urteile des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus
Art. 3 Abs. 1 GG.
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a) Die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts kann grundsätzlich nur daraufhin geprüft werden,
ob sie willkürlich ist oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts
beruht oder mit anderen verfassungsrechtlichen Vorschriften unvereinbar ist (vgl. BVerfGE 1, 418 <420>; 18, 441 <450>;
94, 315 <328>; 111, 307 <328>; 128, 193 <209>; stRspr). Mit Blick auf das in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegte
Willkürverbot prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die Anwendung der einschlägigen einfachrechtlichen Bestimmungen
und das dazu eingeschlagene Verfahren durch das Fachgericht vertretbar sind oder ob sich der Schluss aufdrängt, dass
seine Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>; 108, 129
<137, 142 f.>; 109, 13 <33>; 109, 38 <59>; BVerfGK 2, 82 <85>; 2, 165 <173>; 6, 334 <342>; BVerfG, Beschluss der
3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. November 2015 - 2 BvR 2088/15 -, juris, Rn. 22). Fehlerhafte Rechtsanwendung
allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Schlechterdings unhaltbar ist eine fachgerichtliche Entscheidung
vielmehr erst dann, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise
missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 89, 1 <13 f.>; 96, 189
<203>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. November 2015 - 2 BvR 2088/15 -, juris, Rn. 22).
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b) Die Annahme der Fachgerichte, die Grundrechte des Beschwerdeführers seien vorliegend nicht anwendbar oder
jedenfalls nicht verletzt, lässt sich unter keinem Blickwinkel nachvollziehen. Die Beklagte ist gegenüber dem
Beschwerdeführer unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Verstößt die Beklagte durch den Vertragsschluss gegen
Grundrechte, ist der Vertrag daher - gegebenenfalls teilweise - nichtig. Nach den bisherigen Feststellungen der
Fachgerichte verletzt die differenzierende Preisgestaltung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
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aa) In privatrechtlichen Organisationsformen geführte Unternehmen, die vollständig im Eigentum des Staates stehen
(öffentliche Unternehmen), sind unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Für eine bloß mittelbare Berücksichtigung der
Grundrechte im Verhältnis öffentlicher Unternehmen zu Grundrechtsberechtigten im Privatrechtsverkehr ist daher kein
Raum.
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(1) Art. 1 Abs. 3 GG ordnet die umfassende Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt an. Die Grundrechte gelten nicht
nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher Aufgabenwahrnehmung, sondern binden die
staatliche Gewalt umfassend und insgesamt (BVerfGE 128, 226 <244>). Der Staat und andere Träger öffentlicher Gewalt
können im Rahmen ihrer Zuständigkeiten zwar auch am Privatrechtsverkehr teilnehmen. Sie handeln dabei jedoch stets in
Wahrnehmung ihres dem Gemeinwohl verpflichteten Auftrags (vgl. BVerfGE 128, 226 <244 f.>). Ihre unmittelbare Bindung
an die Grundrechte hängt daher weder von der Organisationsform ab, in der sie dem Bürger gegenübertreten, noch von der
Handlungsform.
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(a) Die Wahl der Organisationsform hat keine Auswirkungen auf die Grundrechtsbindung des Staates oder anderer Träger
öffentlicher Gewalt. Das gilt nicht nur dann, wenn sie ihre Aufgaben unmittelbar selbst oder mittelbar durch juristische
Personen des öffentlichen Rechts erfüllen, sondern auch dann, wenn sie auf privatrechtliche Organisationsformen
zurückgreifen. Das gilt auch für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen des Privatrechts, solange sie diese beherrschen (vgl.
BVerfGE 128, 226 <246 f.>). In diesen Fällen trifft die Grundrechtsbindung nicht nur die dahinterstehende Körperschaft
des öffentlichen Rechts, sondern auch unmittelbar die juristische Person des Privatrechts selbst (vgl. BVerfGE 128, 226
<245>).
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Vor diesem Hintergrund können sich der Staat und andere Träger öffentlicher Gewalt grundsätzlich selbst nicht auf die
Grundrechte berufen (vgl. BVerfGE 21, 362 <370>; 61, 82 <100 ff.>; 68, 193 <205 ff.>; 75, 192 <200>). Auch juristische
Personen des Privatrechts, die im Alleineigentum des Staates stehen oder von diesem beherrscht werden, sind
grundsätzlich nicht grundrechtsberechtigt (vgl. BVerfGE 56, 54 <79 f.>; 128, 226 <245 ff.>; BVerfG, Beschluss der
3. Kammer des Ersten Senats vom 16. Mai 1989 - 1 BvR 705/88 -, juris, Rn. 2 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats
vom 18. Mai 2009 - 1 BvR 1731/05 -, juris, Rn. 16 f.).
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(b) Die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt gilt auch unabhängig von den gewählten Handlungsformen und den
Zwecken, zu denen sie tätig wird. Sobald der Staat oder andere Träger öffentlicher Gewalt eine Aufgabe an sich ziehen, sind
sie bei deren Wahrnehmung an die Grundrechte gebunden. Dies gilt auch, wenn sie insoweit auf das Zivilrecht
zurückgreifen. Eine Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht mit der Folge, dass der Staat unter Freistellung
von Art. 1 Abs. 3 GG als Privatrechtssubjekt zu begreifen wäre, ist ihm verstellt (BVerfGE 128, 226 <245>).
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Unerheblich ist auch, ob die für den Staat oder andere Träger öffentlicher Gewalt handelnde Einheit „spezifische“
Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, ob sie erwerbswirtschaftlich oder zur reinen Bedarfsdeckung tätig wird („fiskalisches“
Handeln) und welchen sonstigen Zweck sie verfolgt. Der Vorstellung, die Grundrechtsbindung sei von der Natur des
verfolgten Zwecks abhängig (vgl. Dürig/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, 73. Ergänzungslieferung 2014, Art. 3 Abs. 1 GG
Rn. 475 ff.), liegt eine Dichotomie zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht zugrunde, die mit der
verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für eine umfassende Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 3
GG) nicht vereinbar ist. Diese Bindung steht nicht unter einem Nützlichkeits- oder Funktionsvorbehalt (BVerfGE 128, 226
<245>). Sie macht die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand nicht unmöglich, verwehrt ihr jedoch, sich auf die
allein dem Einzelnen zustehende Berechtigung zu gewillkürter Freiheit zu berufen (vgl. BVerfGE 128, 226 <247 ff.>).
31
(2) Für die in der Zivilrechtsprechung, vereinzelt auch in der Verwaltungsrechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom
10. Oktober 2012 - 7 C 8/10 -, juris, Rn. 31 ff.) früher verbreitete Auffassung, wonach die in privatrechtlichen
Handlungsformen jenseits des sogenannten Verwaltungsprivatrechts „fiskalisch“ tätig werdende öffentliche Hand
grundsätzlich keiner Grundrechtsbindung unterliege (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2003 - XI ZR 397/02 -, juris, Rn. 12;
vgl. auch BGHZ 36, 91 <93 f.>; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2003 - V ZR 424/02 -, juris, Rn. 18 ff.; Urteil vom 14. Dezember
1976 - VI ZR 251/73 -, juris, Rn. 33 f.), ist daher kein Raum (vgl. nun BGH, Urteil vom 26. Juni 2015 - V ZR 227/14 -, juris,
Rn. 9).
32
Im Übrigen waren öffentliche Unternehmen auch nach dieser Auffassung zumindest an das in Art. 3 Abs. 1 GG
niedergelegte Willkürverbot gebunden, sodass Ungleichbehandlungen auch durch sachgerechte Gründe gerechtfertigt sein
mussten (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2003 - XI ZR 397/02 -, juris, Rn. 9, 12 f.).
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(3) Verletzt die in privatrechtlichen Formen agierende öffentliche Hand Grundrechte eines am Rechtsgeschäft beteiligten
Grundrechtsträgers, ist das Rechtsgeschäft grundsätzlich nichtig (vgl. BGHZ 65, 284 <287>; 154, 146 <149>; BGH, Urteil
vom 2. Dezember 2003 - XI ZR 397/02 -, juris, Rn. 9; siehe auch BGH, Urteil vom 18. September 2009 - V ZR 2/09 -, juris,
Rn. 8 f.; BGH, Urteil vom 6. November 2009 - V ZR 63/09 -, juris, Rn. 15; Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB,
7. Aufl. 2015, § 134 Rn. 33; Sack/Seibl, in: Staudinger, BGB, Buch 1, Neubearbeitung 2011, § 134 Rn. 37; Arnold, in: Erman,
BGB, 14. Aufl. 2014, § 134 Rn. 10; Looschelders, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2. Aufl. 2011, § 134 Rn. 33).
34
bb) Vor diesem Hintergrund besteht an der unmittelbaren und uneingeschränkten Bindung der Beklagten des
Ausgangsverfahrens an die Grundrechte kein Zweifel. Sie ist ein öffentliches Unternehmen, dessen einziger Gesellschafter
eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, die sich ihrerseits auf einen Landkreis und fünf Gemeinden stützt.
35
Die Annahme des Amtsgerichts, die Grundrechte hätten für den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruch
allenfalls mittelbare Bedeutung, verkennt daher Bedeutung und Tragweite von Art. 1 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar
thematisiert das Amtsgericht eine etwaige Ausstrahlungswirkung der Grundrechte über die Generalklauseln des Zivilrechts;
es verkennt damit jedoch bereits vom Ansatz her die unmittelbare Grundrechtsbindung der Beklagten. Soweit es darüber
hinaus davon ausgeht, dass die Beklagte nicht im Bereich der „Daseinsvorsorge“ tätig werde und deshalb keinem
Kontrahierungszwang zu gleichen Preisen unterliege, verkennt es, dass die Grundrechtsbindung nicht davon abhängt, wie
die staatliche Betätigung verwaltungsrechtlich einzuordnen ist oder welchen Zwecken sie dient.
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Das Oberlandesgericht hingegen zieht die Möglichkeit der unmittelbaren Grundrechtsbindung mit Blick auf den vom
Beschwerdeführer geltend gemachten Zahlungsanspruch überhaupt nicht in Betracht. Das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG
erwähnt es ausschließlich mit Blick auf den Feststellungsanspruch. Das ist schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar.
37
cc) Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Auffassung der Fachgerichte im Ergebnis hinzunehmen sein könnte, weil die in
Rede stehende Ungleichbehandlung gerechtfertigt wäre. Rechtfertigende Sachgründe, die das Oberlandesgericht
behauptet, aber nicht offenlegt, sind nicht ersichtlich.
38
(1) Zwar ist es Gemeinden nicht von vornherein verwehrt, ihre Einwohner bevorzugt zu behandeln. Die darin liegende
Ungleichbehandlung muss sich jedoch am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG messen lassen und daher durch Sachgründe
gerechtfertigt sein.
39
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass der Wohnsitz allein kein eine Bevorzugung
legitimierender Grund ist (vgl. BVerfGE 33, 303 <355>; 65, 325 <355>; 134, 1 <21 Rn. 60>). Die bloße Nichtzugehörigkeit
zu einer Gemeinde berechtigt diese daher nicht, Auswärtige zu benachteiligen. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, eine
Ungleichbehandlung an Sachgründe zu knüpfen, die mit dem Wohnort untrennbar zusammenhängen. Ein solches legitimes
Ziel kann etwa die Versorgung mit wohnortnahen Bildungsangeboten (vgl. BVerfGE 33, 303 <355 f.>), die Verursachung
eines höheren Aufwands durch Auswärtige (vgl. BVerfGE 65, 325 <355 f.>; 134, 1 <22 f. Rn. 64>), die Konzentration von
Haushaltsmitteln auf die Aufgabenerfüllung gegenüber den Gemeindeeinwohnern (vgl. BVerfGE 112, 74 <87 f.>) oder ein
Lenkungszweck sein, der vor der Verfassung Bestand hat (vgl. BVerfGE 134, 1 <23 Rn. 65>). Im kommunalen Bereich
bedürfen nichtsteuerliche Abgaben zur Wahrung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit, der aus der
abgabenrechtlichen Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes folgt und die durch die kommunale
Selbstverwaltungsgarantie gewährleistete Finanzhoheit der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) begrenzt, einer über den
Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung (vgl. BVerfGE 137, 1 <20 Rn. 49>
m.w.N.). Als solche sind neben der Kostendeckung auch Zwecke des Vorteilsausgleichs, der Verhaltenslenkung sowie soziale
Zwecke anerkannt (BVerfGE 133, 1 <20 Rn. 49> m.w.N.).
40
Verfolgt eine Gemeinde durch die Privilegierung Einheimischer das Ziel, knappe Ressourcen auf den eigenen
Aufgabenbereich (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) zu beschränken, Gemeindeangehörigen einen Ausgleich für besondere
Belastungen zu gewähren oder Auswärtige für einen erhöhten Aufwand in Anspruch zu nehmen, oder sollen die kulturellen
und sozialen Belange der örtlichen Gemeinschaft dadurch gefördert und der kommunale Zusammenhalt dadurch gestärkt
werden, dass Einheimischen besondere Vorteile gewährt werden, kann dies mit Art. 3 Abs. 1 GG daher vereinbar sein.
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(2) Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte vorliegend solche legitimen Ziele, die eine Bevorzugung Einheimischer
rechtfertigen könnten, tatsächlich verfolgt.
42
Das Vermarktungskonzept der Beklagten ist darauf angelegt, auswärtige Besucher anzuziehen. Satzungsmäßige Aufgabe
des Alleingesellschafters der Beklagten ist die Förderung des Fremdenverkehrs (§ 3 Abs. 1 der Satzung), wozu insbesondere
die Unterhaltung entsprechender Einrichtungen gehört (§ 3 Abs. 2 Buchstabe b der Satzung). Zu diesem Zweck wurde die
Beklagte gegründet. Diese hat im vorliegenden Verfahren vorgetragen, sie sei mittels eines umfassenden
Dienstleistungsangebots auf Gewinnerzielung und die Förderung des Tourismus ausgerichtet. Mit den erzielten Gewinnen
bestreite sie den Pachtzins, die der Zweckverband an den Eigentümer des Grundstücks, auf dem sich das Bad befindet,
zahle.
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Mit diesem Modell bezweckt die Beklagte gerade nicht, das kulturelle und soziale Wohl der Einwohner zu fördern, die
örtliche Gemeinschaft zu stärken, den Nutzerkreis zu beschränken oder durch Verhaltenssteuerung die Auslastung des
Bades zu gewährleisten. Das Bad ist im Gegenteil auf Überregionalität angelegt und soll, wie die Beklagte im vorliegenden
Verfahren dargelegt hat, Auswärtige ansprechen und gerade nicht kommunale Aufgaben im engeren Sinne erfüllen. Es ist
auch nicht erkennbar, dass die Einwohner der die Beklagte tragenden Gebietskörperschaften einen Ausgleich für finanzielle
oder andere Belastungen erhalten sollen, zumal der größte Teil der Einwohner des Landkreises - Einwohner der
kreisangehörigen Gemeinden, die nicht selbst Mitglieder des Zweckverbands sind - nicht zum privilegierten Nutzerkreis
gehört. Daher ist weder ersichtlich, dass die Privilegierung einem solchen Ausgleich dient, noch wurde festgestellt, dass das
Bad mit Haushaltsmitteln errichtet oder betrieben wurde. Vorbehaltlich weiterer Feststellungen, die die Fachgerichte zu
treffen haben werden, liegen die Preisdifferenzierung rechtfertigende Gründe nicht vor.
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c) Das Urteil des Oberlandesgerichts verletzt Art. 3 Abs. 1 GG in dessen Ausprägung als Willkürverbot ferner dadurch, dass
es Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) mit Blick auf das darin enthaltene Diskriminierungsverbot nicht als Verbotsgesetz im Sinne
des § 134 BGB ansieht. Diese Annahme lässt sich unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt begründen.
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Zwar entspricht der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, Verstöße gegen Verbotsnormen, die sich nur an einen von
mehreren Vertragsteilen richten, führten in der Regel nicht zur Nichtigkeit des Geschäfts, der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2009 - KZR 34/06 -, juris, Rn. 12; Urteil vom 30. April 1992 - III ZR
151/91 -, juris, Rn. 15). Nicht mehr nachvollziehbar ist indes die darauf aufbauende Erwägung des Oberlandesgerichts, ein
Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot könne nicht zur Nichtigkeit des Geschäfts führen, weil sich dieses Verbot nur an
den Diskriminierenden richte, nicht aber an den Diskriminierten. Diese Handhabung verkehrt nicht nur Sinn und Zweck des
§ 134 BGB in ihr Gegenteil, sondern ist auch mit Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) nicht zu vereinbaren, da sie den mit diesen
Bestimmungen bezweckten Schutz des Betroffenen dadurch konterkariert, dass sie die Ungleichbehandlung und damit die
den freien Dienstleistungsverkehr beschränkende Wirkung des Verstoßes gegen das Verbotsgesetz perpetuiert.
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Gälte die dargestellte Regel auch dann, wenn das Verbot, das sich nur an die eine Vertragspartei richtet, gerade dem
Schutz der anderen Vertragspartei dient, führte die Annahme der Wirksamkeit des Geschäfts dazu, dass der Schutzzweck
der Verbotsnorm in sein Gegenteil verkehrt würde, wenn nur die - gegebenenfalls teilweise - Nichtigkeit des Geschäfts den
bezweckten Schutz verwirklichen kann. Zur Vermeidung dieser Konsequenz entspricht es ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, dass auch Verstöße gegen nur einseitige Verbote als Ausnahme von der eingangs dargestellten Regel
dann zur Nichtigkeit des Geschäfts führen, wenn es mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes unvereinbar wäre, die
durch das Rechtsgeschäft getroffene rechtliche Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen (BGHZ 37, 258 <262>; 46,
24 <26>; 53, 152 <157>; 65, 368 <370>; 71, 358 <360 f.>; 78, 263 <265>; 115, 123 <125>; 118, 142 <145>; 132, 229
<231 f.>; 146, 250 <257 f.>; 159, 334 <341 f.>; BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - III ZR 107/10 -, juris, Rn. 12; siehe auch
BGH, Urteil vom 25. Juli 2002 - III ZR 113/02 -, juris, Rn. 7). Auch in der Literatur entspricht es einhelliger Auffassung, dass
der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz dann zur Nichtigkeit des Geschäfts führt, wenn diese Rechtsfolge ein Gebot der
Auslegung der Verbotsnorm ist (siehe Armbrüster, a.a.O., § 134 Rn. 49; Arnold, a.a.O., § 134 Rn. 13; Ellenberger, in: Palandt,
BGB, 75. Aufl. 2016, § 134 Rn. 6; Hefermehl, in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 1999, § 134 Rn. 14; Looschelders, a.a.O., § 134
Rn. 56 f.; Sack/Seibl, a.a.O., § 134 Rn. 57 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind daher auch
Vorschriften des unionalen Primärrechts, die sich nur an eine Partei des Rechtsgeschäfts richten, zu dessen Nichtigkeit
führende Verbotsgesetze, wenn deren Zweck nicht anders erreicht werden kann (zu Art. 88 Abs. 3 EGV
AEUV> vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2003 - V ZR 314/02 -, juris, Rn. 12).
47
Dass das Oberlandesgericht eine Anwendbarkeit von Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) insoweit verneint, ist vor diesem
Hintergrund schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar.
48
Die nach den dargestellten Grundsätzen erforderliche Auslegung dieser Bestimmung ergibt, im Gegenteil, dass die
Wirksamkeit des zwischen dem Beschwerdeführer und der Beklagten geschlossenen Vertrags insoweit mit der Garantie aus
Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) unvereinbar ist, als der Beschwerdeführer im Vergleich zu Einheimischen, die in den Genuss des
Preisnachlasses kommen, schlechter behandelt wird. Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) dient der Erleichterung der
grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung. Erbringer und Empfänger von Dienstleistungen sollen nicht dadurch von
der Leistung der Dienste und ihrer Entgegennahme abgehalten werden, dass für sie aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit
ungünstigere Konditionen gelten als bei rein nationalen Sachverhalten. Die Bestimmung gewährt insoweit ein unmittelbar
anwendbares subjektives Recht. Bliebe die Wirksamkeit des Geschäfts im in Rede stehenden Umfang vom Verstoß gegen das
Diskriminierungsverbot unberührt, dauerte die Wirkung der Diskriminierung fort, sodass das Verbot insoweit wirkungslos
wäre.
49
Die Annahme des Oberlandesgerichts, das Unionsrecht sehe im vorliegenden Zusammenhang keine Sanktion vor, ist auch
deshalb nicht nachvollziehbar, weil es ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union entspricht, dass
der Gleichheitssatz, solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind, nur
dadurch gewahrt werden kann, dass die Vergünstigungen, die die Mitglieder der begünstigten Gruppe erhalten, auf die
Mitglieder der benachteiligten Gruppe erstreckt werden (EuGH, Urteil vom 4. Dezember 1986, Federatie Nederlandse
Vakbeweging, 71/85, Slg. 1986, S. 3870 <3876>; Urteil vom 21. Juni 2007, Jonkman, C-231/06 bis 233/06, Slg. 2007, S. I-
5172 , m.w.N.).
50
d) Ein eigenständiger Verstoß gegen das Willkürverbot liegt schließlich in der Annahme des Oberlandesgerichts, es sei
„keine Frage der Auslegung des EG-Vertrages, sondern …. die Frage der Anwendung auf den vorliegenden konkreten
Einzelfall, die allein Aufgabe des innerstaatlichen Gerichts ist“, ob der Beschwerdeführer einen unionsrechtlichen Anspruch
auf eine diskriminierungsfreie Preisgestaltung durch die Beklagte habe. Diese Erwägung ist nicht nur in sich
widersprüchlich, sie ist auch nicht geeignet, den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruch abzuweisen.
51
2. Schließlich verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer auch in seinem Recht aus Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG.
52
a) Der Gerichtshof der Europäischen Union ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 73,
339 <366>; 135, 155 <230 Rn. 177>; stRspr). Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV sind die nationalen
Gerichte daher von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen. Kommt ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur
Anrufung des Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens daher nicht nach, kann dem
Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsrechtsstreits der gesetzliche Richter entzogen sein (vgl. BVerfGE 73, 339 <369>; 135,
155 <230 f. Rn. 177>; stRspr).
53
aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. C-
283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, S. 3415 <3430 f.>) muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht
nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das
Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche
Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des
Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. auch BVerfGE 82, 159
<193>; 135, 155 <231 Rn. 178>; stRspr).
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bb) Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG setzt aber voraus, dass die Auslegung und Anwendung der
Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken
nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 126, 286 <315 f.>; 135, 155 <232
Rn. 180>; stRspr).
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Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird unter anderem in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in
denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden -
Entscheidungserheblichkeit einer unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel
hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt und das Unionsrecht somit eigenständig fortbildet (grundsätzliche
Verkennung der Vorlagepflicht; vgl. BVerfGE 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <316 f.>; 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <106 f.>;
135, 155 <232 Rn. 181>).
56
Dies gilt erst recht, wenn sich das Gericht hinsichtlich des (materiellen) Unionsrechts nicht hinreichend kundig macht. Es
verkennt dann regelmäßig die Bedingungen für die Vorlagepflicht (vgl. BVerfGK 8, 401 <405>; 11, 189 <199>; 13, 303
<308>; 17, 108 <111>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Dezember 2014 - 2 BvR 1549/07 -,
juris, Rn. 21). Gleiches gilt, wenn es offenkundig einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht auswertet. Um eine
Kontrolle am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu ermöglichen, hat es die Gründe für seine Entscheidung über die
Vorlagepflicht anzugeben (BVerfG, Beschluss vom 10. Dezember 2014, a.a.O., Rn. 21).
57
b) Danach hat das Oberlandesgericht vorliegend seine Vorlagepflicht offensichtlich unhaltbar gehandhabt, weil es sich
hinsichtlich des materiellen Unionsrechts nicht hinreichend kundig gemacht hat.
58
Dies gilt zunächst für den Umgang des Oberlandesgerichts mit der Frage, ob die Beklagte als öffentliches Unternehmen
unmittelbar an die Grundfreiheiten gebunden ist. Angesichts der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
zur Bindungswirkung des Diskriminierungsverbots und der Grundfreiheiten für vom Staat beherrschte Unternehmen (vgl.
EuGH, Urteil vom 30. April 1974, Sacchi, 155/73, Slg. 1974, S. 411 <430>; Urteil vom 6. Juli 1982, Transparenzrichtlinie,
188/80 bis 190/80, Slg. 1982, S. 2545 <2575, 2579>; Urteil vom 18. Juni 1991, ERT, C-260/89, Slg. 1991, S. I-2951
I-2959 f.>; Angonese, a.a.O., Rn. 30 ff.) und mit Blick auf Art. 106 AEUV (Art. 86 EGV; vgl. Wernicke, in:
Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 8 ) liegt die Annahme
einer unmittelbaren Bindung der Beklagten an die in Rede stehenden Vorgaben des Unionsrechts nahe.
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Dies gilt ferner für die Frage, ob die Preisgestaltung der Beklagten gegen Art. 56 AEUV (Art. 49 EGV) verstoße. Zu
Entgeltsystemen für die Nutzung kultureller Einrichtungen, die Gemeindeeinwohner bevorzugen, hat der Gerichtshof der
Europäischen Union festgestellt, dass wirtschaftliche Ziele die darin liegende Beschränkung der Grundfreiheiten nicht
rechtfertigen könnten und dass auch steuerrechtliche Gründe nur dann anzuerkennen seien, wenn ein spezifischer
Zusammenhang zwischen der Besteuerung und den Tarifvorteilen bestehe (EuGH, Dogenpalast, a.a.O., Rn. 22 ff.).
IV.
60
Die Urteile des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts sind aufzuheben. Die Sache ist an das Amtsgericht Laufen zur
erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
61
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Huber
Müller
Maidowski