Urteil des BVerfG vom 14.09.2011

akteneinsicht, verfassungsbeschwerde, wichtiger grund, einsichtnahme

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Moritz Schmitz,
in Sozietät Rechtsanwälte Dorka, Wings, Schmitz,
Hochstraße 54, 45964 Gladbeck -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 449/11 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn W...
gegen 1. a) den Beschluss des Amtsgerichts Gladbeck vom 8. Februar 2011 - 8
Ls-51 Js 2365/10-5/11 -,
b) die Verfügung des Amtsgerichts Gladbeck vom 25. Januar 2011 - 8
Ls-51 Js 2365/10-5/11 -,
2. a) den Beschluss des Amtsgerichts Gladbeck vom 7. Februar 2011 - 8
Ds-50 Js 1488/10-6/11 -,
b) die Verfügung des Amtsgerichts Gladbeck vom 25. Januar 2011 - 8
Ds-50 Js 1488/10-6/11 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Voßkuhle
und die Richter Gerhardt
und Landau
am 14. September 2011 einstimmig beschlossen:
Die Verfügungen des Amtsgerichts Gladbeck vom 25. Januar 2011 - 8 Ds-50 Js
1488/10-6/11 - und vom 25. Januar 2011 - 8 Ls-51 Js 2365/10-5/11 - verletzen
den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des
Grundgesetzes.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
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Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen
Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten:
achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Art und Weise, wie einem
Strafverteidiger Einsicht in die Verfahrensakten gewährt wird.
A.
I.
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Gladbeck. Er beantragte
in zwei beim Amtsgericht Gladbeck anhängigen Strafverfahren Akteneinsicht. Im
Verfahren 8 Ds-50 Js 1488/10-6/11 lag dem damaligen Angeschuldigten zur Last, als
Heranwachsender einen Verkehrsunfall verursacht und sich unerlaubt vom Unfallort
entfernt zu haben. Im Verfahren 8 Ls-51 Js 2365/10-5/11 lag einem weiteren
Angeschuldigten zur Last, als Heranwachsender eine andere Person angegriffen und
verletzt zu haben. Mit gesonderten Schreiben zeigte der Beschwerdeführer
gegenüber dem Amtsgericht Gladbeck jeweils die Verteidigung der Angeschuldigten
an und bat um Akteneinsicht. Auf Verfügungen des Vorsitzenden vom 25. Januar
2011 teilte das Amtsgericht Gladbeck dem Beschwerdeführer jeweils durch
Schreiben mit:
„Da eine Vollmacht nicht vorliegt, mag Akteneinsicht auf der
Geschäftsstelle genommen werden.“
Der Beschwerdeführer erhob dagegen jeweils Beschwerde. Die Mitteilungen
würden als Ablehnung des Antrags auf Aktenübersendung in die Büroräume
ausgelegt. Es entspreche allgemeiner und langjähriger Übung, die Originalakten in
die Büroräume des Verteidigers zu übersenden. Vollmachten lägen vor; die
Angeschuldigten hätten ihn mit der Verteidigung beauftragt. Es bedürfe keiner
Anfertigung von Vollmachtsurkunden, diese müssten nicht vorgelegt und nicht
nachgewiesen werden. Bei Vorlage einer Vollmachtsurkunde könne an den
Verteidiger zugestellt werden. Dies sei für die Gerichte sicherlich bequemer. Es
könne aber gute Gründe geben, keine Vollmachtsurkunde vorzulegen. Die
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Begründung des Amtsgerichts Gladbeck sei auch widersprüchlich, da bei Zweifeln an
einem Verteidigungsverhältnis überhaupt keine Akteneinsicht zu gewähren sei.
Mit Beschlüssen vom 7. und 8. Februar 2011 half das Amtsgericht Gladbeck den
Beschwerden nicht ab. Die Beschwerden seien nach § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO
unzulässig, da Akteneinsicht nicht vollständig versagt worden sei. Die Beschwerden
seien aber auch unbegründet. Es bestehe kein Anspruch auf Aktenübersendung in
das Büro des Verteidigers. Gute Gründe für das Absehen von der Vorlage einer
Vollmacht könnten in den vorliegenden Fällen nicht nachvollzogen werden. Gerade
in Jugendstrafverfahren könne die Frage, wer einen Verteidiger beauftragt habe, von
Bedeutung sein. Schließlich sei die Vorlage einer Vollmachtsurkunde allgemein
üblich. Im Bezirk des Amtsgerichts Gladbeck lege ausschließlich das Büro des
Beschwerdeführers regelmäßig keine Vollmachtsurkunde vor. Letztlich bestünden
Bedenken
dagegen,
dass
der Beschwerdeführer tatsächlich von den
Angeschuldigten mandatiert worden sei. Der Beschwerdeführer sei „bereits einmal
dadurch aufgefallen, dass er der Wahrheit zuwider behauptet hat, bevollmächtigt
worden zu sein (vgl. AG Gladbeck, 8 Ds 218/03). In dem Verfahren war er von der
Freundin des Angeklagten ohne, beziehungsweise sogar gegen dessen Willen
'mandatiert' worden."
Zu diesen Nichtabhilfeentscheidungen nahm der Beschwerdeführer Stellung. Es
liege kein wichtiger Grund vor, von der Aktenübersendung in das Büro des
Beschwerdeführers abzusehen. Bei Zweifeln an der Verteidigerstellung dürfe gar
keine Akteneinsicht gewährt werden. Das Amtsgericht Gladbeck habe sich an seine
ständige Übung zu halten. Die willkürliche und möglicherweise auf anderen Gründen
beruhende Nichtübersendung erschwere seine Arbeit und greife in seine Rechte
direkt ein. In den vorliegenden Fällen stelle sich die Frage der Beauftragung nicht, da
die
Angeschuldigten volljährig seien. Ein Verteidiger müsse keine
Vollmachtsurkunde
nachweisen
und
die
Gründe
dafür
wegen
des
Vertrauensverhältnisses zum Mandanten nicht darlegen. Es sei unzutreffend, dass er
in einem früheren Verfahren wahrheitswidrig seine Bevollmächtigung behauptet
habe. Mit Blick auf § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO würden die Beschwerden jedoch
zurückgenommen, da sie unzulässig seien.
II.
Im Verfahren 8 Ds-50 Js 1488/10-6/11 zeigte ein in Berlin ansässiger Rechtsanwalt
schriftlich die Vertretung einer Versicherung an und bat um Akteneinsicht. Dem
Schreiben lag ein nicht unterschriebener Auftrag der Versicherung bei. Diesem
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Rechtsanwalt wurden die Akten übersandt.
Im Verfahren 8 Ls-51 Js 2365/10-5/11 lehnte der Beschwerdeführer für den
Angeschuldigten den Vorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Zur
Begründung nahm er Bezug auf die Behandlung seines Antrags auf Akteneinsicht. In
seiner dienstlichen Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch führte der Vorsitzende
aus, dass Verteidiger in der Vergangenheit nahezu stets um Vorlage einer Vollmacht
gebeten worden seien. Eine solche sei dann auch immer vorgelegt worden. Nur das
Büro des Beschwerdeführers habe auf derartige Anfragen nicht reagiert. Etwa seit
Anfang 2011 verweise er in solchen Fällen immer auf eine Einsichtnahme auf der
Geschäftsstelle. Es habe nie behauptet werden sollen, dass keine Vollmacht vorliege.
Es werde daran festgehalten, dass ein Verteidiger keinen Anspruch auf Übersendung
oder Mitgabe der Verfahrensakten habe. Der vereinzelt vertretenen Auffassung, dass
die Verweisung auf Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle nur bei Vorliegen eines
wichtigen Grundes zulässig sei, werde nicht gefolgt. Es liege keine Willkür vor, da er
Verteidiger bei Fehlen einer Vollmachtsurkunde immer auf Einsichtnahme auf der
Geschäftsstelle verweise.
III.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens 8 Ds-50 Js 1488/11-6/11 teilte der
Beschwerdeführer dem Amtsgericht Gladbeck mit, dass der Streit um die
Vollmachtsurkunde nicht auf dem Rücken seines Mandanten ausgetragen werden
solle. Daher übersende er eine Auftragsbestätigung seines Mandanten und gehe
davon aus, dass die Akte nunmehr kurzfristig an ihn übersandt werden könne.
Anschließend wurden die Akten dem Beschwerdeführer über sein Gerichtsfach zur
Einsicht überlassen. Im weiteren Verlauf des Verfahrens 8 Ls 51-Js 2365/10-5/11
wurde der Beschwerdeführer zum Pflichtverteidiger bestellt.
IV.
§ 147 Abs. 1, Abs. 4 und Abs. 5 StPO hat (seit dem 1. Januar 2010 in der Fassung
des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009, BGBl I
S. 2274) folgenden Wortlaut:
(1) Der Verteidiger ist befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen
oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären,
einzusehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen.
(2) ...
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(3) ...
(4) Auf Antrag sollen dem Verteidiger, soweit nicht wichtige Gründe
entgegenstehen, die Akten mit Ausnahme der Beweisstücke zur
Einsichtnahme in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnung
mitgegeben werden. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
(5) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im
vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss des
Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im Übrigen der Vorsitzende des
mit der Sache befassten Gerichts. Versagt die Staatsanwaltschaft
die Akteneinsicht, nachdem sie den Abschluss der Ermittlungen in
den Akten vermerkt hat, versagt sie die Einsicht nach Absatz 3 oder
befindet sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß, so kann
gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht
beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und
473a gelten entsprechend. Diese Entscheidungen werden nicht mit
G r ü n d e n versehen, soweit durch deren Offenlegung der
Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.
(6) ...
(7) ...
B.
I.
Der Beschwerdeführer greift mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verfügungen
des
Amtsgerichts Gladbeck
vom
25.
Januar
2011
sowie
die
Nichtabhilfeentscheidungen vom 7. und 8. Februar 2011 an. Er rügt die Verletzung
von Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 GG. Das Amtsgericht Gladbeck gewähre grundsätzlich
allen im Bezirk niedergelassenen und auswärtigen Verteidigern Akteneinsicht durch
Übersendung. Durch die angefochtenen Entscheidungen werde er selbst in seinem
Gleichheitsgrundrecht verletzt und in seiner Berufsfreiheit eingeschränkt. Das vom
Amtsgericht
Gladbeck herangezogene
Differenzierungskriterium
der
Vollmachtsvorlage sei willkürlich. Seine Berufstätigkeit werde erheblich erschwert.
Die Annahmevoraussetzungen lägen vor. Eine solche Fallkonstellation dürfte
häufiger vorkommen. Jedenfalls hinsichtlich des Beschwerdeführers bestehe die
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Gefahr, dass das Amtsgericht Gladbeck auch zukünftig die Berufsausübung
erschweren werde.
II.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Präsident des Bundesgerichtshofs und
der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Stellung genommen. Das
Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Äußerung
abgesehen. Die Akten der Ausgangsverfahren lagen vor.
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der angegriffenen Verfügungen des
Amtsgerichts Gladbeck vom 25. Januar 2011 zulässig und offensichtlich begründet im
S i n n e von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG (I.). Im Übrigen wird die
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (II.).
I.
Hinsichtlich der angegriffenen Verfügungen des Amtsgerichts Gladbeck vom 25.
Januar
2011
ist
die Verfassungsbeschwerde
zulässig
(1.).
Die
Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG liegen vor (2.).
Die angegriffenen Verfügungen des Amtsgerichts Gladbeck verletzen den
Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG (3.).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig.
a) Der Beschwerdeführer war nicht wegen des Grundsatzes der Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde gehalten, die angegriffenen Entscheidungen (mittelbar)
im Wege der Revision zu beanstanden. Mit diesem Rechtsbehelf könnte nur geltend
gemacht werden, dass die Mandanten des Beschwerdeführers in ihren Rechten
verletzt sind.
b) Für die Verfassungsbeschwerde besteht noch ein Rechtsschutzbedürfnis. Das mit
der
Verfassungsbeschwerde verfolgte Begehren hat sich zwar erledigt. Im
Ausgangsverfahren 8 Ds-50 Js 1488/10-6/11 hat der Beschwerdeführer
zwischenzeitlich Akteneinsicht erhalten. Im Ausgangsverfahren 8 Ls-51 Js 2365/10-
5/11 stellt sich die Frage der Bevollmächtigung nicht mehr, da der Beschwerdeführer
zwischenzeitlich zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist. Im Falle der Erledigung
des
mit
der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens besteht das
Rechtsschutzbedürfnis jedoch fort, wenn eine Wiederholung der angegriffenen
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Maßnahme zu besorgen ist ( BVerfGE 33, 247 <257>; 52, 42 <51 f.>; 81, 138 <140>;
91, 125 <133>; 103, 44 <58 f.>; 119, 309 <317 f.>). Dies ist hier der Fall, da das
Amtsgericht Gladbeck wiederholt in der zu beanstandenden Weise entschieden und
seine Rechtsauffassung zudem durch die Nichtabhilfeentscheidungen und im
Rahmen der dienstlichen Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch bekräftigt hat.
2. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr
statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des
Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das
Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde
maßgeblichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die
geltend gemachte Verletzung von Grundrechten hat besonderes Gewicht, da sie auf
eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet. Es ist zu erwarten,
dass
das
Amtsgericht
Gladbeck
ohne
eine Entscheidung
des
Bundesverfassungsgerichts in vergleichbaren Fällen an seiner Rechtsauffassung
festhalten würde (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>; 96, 245 <248>; BVerfG, Beschluss der
1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Dezember 1999 - 1 BvR 1287/99 -, NJW 2000,
S. 944 <945>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22.
September 2000 - 1 BvR 1059/00 -, NJW 2001, S. 744 <745>).
3. Die angegriffenen Verfügungen des Amtsgerichts Gladbeck vom 25. Januar 2011
verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die
Gewährung von Akteneinsicht nur auf der Geschäftsstelle des Gerichts ist objektiv
willkürlich (a). Es bedarf keiner Entscheidung, ob auch ein Verstoß gegen Art. 12 GG
vorliegt (b).
a) Die Gewährung von Akteneinsicht nur auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts
Gladbeck verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot.
aa) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind
Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und daher der Nachprüfung durch das
Bundesverfassungsgericht
entzogen.
Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen
gegenüber
Entscheidungen der Fachgerichte unter dem Gesichtspunkt der
Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als
Willkürverbot kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Willkürlich ist ein
Richterspruch nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar
ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen
beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des
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Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine
Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine
offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in
krasser Weise missgedeutet wird (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; 87, 273 <278 f.>; 96,
1 8 9 <203>; 112, 185 <215 f.> ; speziell zur teilweisen Verweigerung von
Akteneinsicht BVerfGE 62, 338 <342 ff.>).
bb) Die angegriffenen Verfügungen des Amtsgericht Gladbeck vom 25. Januar 2011,
durch die Akteneinsicht nur auf der Geschäftstelle gewährt wurde, sind unter keinem
denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar.
(a) Gemäß § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO sollen dem Verteidiger auf Antrag, soweit nicht
wichtige Gründe entgegenstehen, die Akten mit Ausnahme der Beweisstücke zur
Einsichtnahme in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnung mitgegeben werden.
Es wird unterschiedlich beurteilt, ob und unter welchen Voraussetzungen ein
Verteidiger Anspruch auf Überlassung der Akten hat und ob das Gericht in diesem
Fall verpflichtet ist, sie ihm zu übersenden oder über ein Gerichtsfach zuzuleiten. Die
Fachgerichte gehen davon aus, dass kein Anspruch auf Akteneinsicht in der Kanzlei
und kein Anspruch auf Überlassung oder Übersendung der Akten besteht (vgl. BGH,
Beschluss vom 24. August 1999 - 1 StR 672/98 -, NStZ 2000, S. 46; BGH, Beschluss
vom 12. September 2007 - 1 StR 337/07 -, juris; KG, Beschluss vom 19. Dezember
2001 - 1 AR 1546/01 u.a. -, VRS 102, S. 205; ebenso Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl.
2011, § 147 Rn. 28 m.w.N.). In der Literatur wird dagegen angenommen, dass ein
(auswärtiger) Verteidiger - sofern keine wichtigen Gründe entgegenstehen - einen
Rechtsanspruch auf Überlassung und Übersendung hat (vgl. Lüderssen/Jahn, in:
Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 147 Rn. 141 <2007>; Wohlers, in: Systematischer
Kommentar zur StPO, § 147 Rn. 70 f. ; Rieß, Festgabe für Karl Peters
<1984>, S. 113 <127>; vgl. zur Erhebung einer Auslagenpauschale bei Versendung
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. März 1996 - 2 BvR
386/96 -, NJW 1996, S. 2222 <2222 f.>).
Nach allgemeiner Ansicht ist die Beauftragung eines Wahlverteidigers formlos
möglich. Für den Nachweis der Beauftragung soll regelmäßig die Anzeige des
Verteidigers genügen. Die Vorlage einer Vollmachtsurkunde soll verlangt werden
können, wenn Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen (vgl. Wohlers, in:
Systematischer Kommentar zur StPO, § 137 Rn. 8 ; Meyer-Goßner,
StPO, 54. Aufl. 2011, Vor § 137 Rn. 9).
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(b) Es bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Klärung, ob und
gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Verteidiger einen Anspruch auf
Überlassung oder Übersendung der Akten hat sowie unter welchen Voraussetzungen
von ihm die Vorlage einer Vollmachtsurkunde oder der sonstige Nachweis seiner
Bevollmächtigung verlangt werden kann. Jedenfalls hat ein Verteidiger Anspruch
darauf, dass über seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht und über deren
Durchführung willkürfrei entschieden wird.
Die angegriffenen Verfügungen des Amtsgerichts Gladbeck vom 25. Januar 2011
sind bereits in sich widersprüchlich. Bei berechtigten und nicht widerlegten Zweifeln
an der Bevollmächtigung des Beschwerdeführers hätte diesem die Akteneinsicht
vollständig versagt werden müssen. Beschränkungen hinsichtlich der Art und Weise
der Akteneinsicht sind nicht geeignet, Zweifel an der Bevollmächtigung auszuräumen
oder den Mangel einer fehlenden Bevollmächtigung zu beheben. Die
Nichtabhilfeentscheidungen und
die
dienstliche
Stellungnahme
zum
Ablehnungsgesuch verdeutlichen zusätzlich, dass die Beschränkung auf
Einsichtnahme in der Geschäftsstelle allein der Sanktionierung der Nichtvorlage von
Vollmachten diente. Das Amtsgericht Gladbeck hat sich somit in nicht mehr
vertretbarer Weise von einer Anwendung der maßgeblichen Vorschrift des § 147
Abs. 4 Satz 1 StPO gelöst und von sachfremden Erwägungen leiten lassen.
Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich sind zudem die Erwägungen, mit
denen das Amtsgericht Gladbeck in den Nichtabhilfeentscheidungen seine Zweifel
an der Bevollmächtigung des Beschwerdeführers begründet hat. Dessen Mandanten
waren volljährig und konnten daher ohne Mitwirkung weiterer Personen sowohl einen
Verteidiger beauftragen als auch sonst ihre Verfahrensrechte wahrnehmen. Eine
generelle Unzuverlässigkeit des Beschwerdeführers ist ebenfalls nicht tragfähig
belegt.
b) Es bedarf keiner Entscheidung, ob auch ein Verstoß gegen Art. 12 GG vorliegt
(vgl. BVerfGE 62, 338 <347> ).
II.
Hinsichtlich der angegriffenen Nichtabhilfeentscheidungen vom 7. und 8. Februar
2011 liegen die Annahmevoraussetzungen nicht vor. Von einer Begründung wird
insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
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D.
Neben der Feststellung einer Verletzung des Grundgesetzes ist die Aufhebung der
angegriffenen Verfügungen nicht erforderlich, da von diesen keine nachteiligen
Wirkungen mehr ausgehen können (vgl. BVerfGE 32, 87 <98>; 36, 264 <275>; 50,
234 <243>; 53, 152 <163>).
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen
Auslagen zu erstatten (§ 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG). Zwar wird die
Verfassungsbeschwerde teilweise nicht zur Entscheidung angenommen. Insoweit ist
der Angriffsgegenstand für das Begehren des Beschwerdeführers jedoch von
untergeordneter Bedeutung, sein wesentliches Verfahrensziel hat er erreicht (vgl.
BVerfGE 32, 1 <39>; 79, 372 <378>; 86, 90 <122>; 88, 366 <381>; 104, 220 <238>;
114, 1 <72>).
Die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf
§ 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.
Voßkuhle
Gerhardt
Landau