Urteil des BVerfG vom 29.04.2010

ermächtigung, vertrag von amsterdam, erlass, europäische union

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Meisterernst, Düsing, Manstetten
und Kollgen, Geiststraße 2, 48151 Münster -
- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Klaus Rüther,
Seminarstraße 13/14, 49074 Osnabrück -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 871/04 -
- 2 BvR 414/08 -
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
1.
des Herrn M...
gegen a) das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. März 2004 -
2 Ss 237/03 -,
b) das Urteil des Landgerichts Kassel vom 13. Mai 2003 - 7630 Js
29352/02 - 9 Ns -,
c) das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 20. Januar 2003 - 7630 Js
29352/02 - 270 Cs -,
d) den Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 18. September 2002 -
7630 Js 29352/02 - 270 Cs -
- 2 BvR 871/04 -,
2.
des Herrn B...
gegen a) das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. Oktober
2007 - 2 Ss 127/07 -,
b) das Urteil des Landgerichts Kassel vom 22. Februar 2007 - 7610 Js
9304/04 - 9 Ns -,
1
2
c) das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 14. Juni 2006 - 270 Ls 7610 Js
9304/04 -
- 2 BvR 414/08 –
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Broß,
Di Fabio
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473 ) am 29. April 2010 einstimmig beschlossen:
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
A.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerden ist die Frage, ob die Verurteilungen der
Beschwerdeführer wegen Hinterziehung der auf der Grundlage von Art. 1 der
Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die
Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (ABlEG Nr. L 405 vom 31. Dezember
1992, S. 1; im Folgenden: Verordnung Nr. 3950/92) erhobenen zusätzlichen Abgabe
auf Milch nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO in Verbindung mit § 12 Abs. 1 des Gesetzes zur
Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen mit den verfassungsmäßigen
Rechten der Beschwerdeführer vereinbar sind.
I.
1. Ab 1964 führte die Europäische Gemeinschaft schrittweise eine gemeinsame
Marktorganisation für Milch ein, die Interventionsmaßnahmen zur Stützung des
Milchpreises und die Festlegung eines Richtpreises für Milch durch den Rat vorsah
(näher Thiele, Das Recht der Gemeinsamen Agrarpolitik der EG, 1997, S. 123 ff.). Um
Überschussproduktionen zu vermeiden, wurde bei den Erzeugern oder den Käufern
von Kuhmilch für fünf aufeinander folgende Milchwirtschaftsjahre eine zusätzliche
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Abgabe erhoben, die bei Überschreitung bestimmter Referenzmengen fällig werden
sollte. Für jeden Mitgliedstaat wurde eine Gesamtgarantiemenge festgesetzt. Durch
Verordnung (EWG) Nr. 3577/90 des Rates vom 4. Dezember 1990 über die für die
Landwirtschaft erforderlichen Übergangsmaßnahmen und Anpassungen aufgrund der
Herstellung der deutschen Einheit (ABlEG Nr. L 353 vom 17. Dezember 1990, S. 23)
erklärte der Gemeinschaftsgesetzgeber die Zusatzabgabenregelung für auf das
Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ab 1. April 1991
anwendbar.
Mit der Verordnung Nr. 3950/92 wurde das Milchquotensystem grundlegend neu
geregelt (vgl. Gehrke, Die Milchquotenregelung, 1996, S. 78). Art. 1 der Verordnung
Nr. 3950/92 traf die grundlegende Bestimmung über die Erhebung der Abgabe für
weitere sieben Milchwirtschaftsjahre ab 1. April 1993 und setzte deren Höhe auf
115 % des Milchrichtpreises fest. Zur Höhe der einzelbetrieblichen Referenzmengen
bestimmte Art. 4 Abs. 1, dass diese grundsätzlich der am 31. März 1993 zur
Verfügung stehenden Menge entsprechen sollte. Bestimmungen über die Höhe der
d e n Mitgliedstaaten zustehenden Gesamtgarantiemengen fanden sich in den
Milchwirtschaftsjahren 1996/1997 bis 1998/1999 in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr.
3950/92, wobei jeweils Teile der für Deutschland ausgewiesenen Gesamtmengen in
einer Fußnote für die neuen Länder vorgesehen waren. Hinsichtlich der Modalitäten
der Abgabenerhebung sah Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 vor, die bei Überschreitung der
Gesamtgarantiemengen fällige Abgabe auf alle Erzeuger zu verteilen, die zur
Mengenüberschreitung beigetragen hatten. Art. 2 Abs. 1 UAbs 2 eröffnete den
Mitgliedstaaten insofern die Möglichkeit, die Überschreitung von Referenzmengen
durch Verrechnung mit ungenutzten Referenzmengen anderer Erzeuger zu
kompensieren.
2. Die Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur Milchmarktordnung
erfolgte in Deutschland über das Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen
Marktorganisationen (heute: Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen
Marktorganisationen und der Direktzahlungen) vom 31. August 1972 (BGBl I S. 1617 ;
im Folgenden: Marktordnungsgesetz oder MOG). In den Fassungen der
Bekanntmachungen vom 27. August 1986 (BGBl I S. 1397 ) und vom 20. September
1995 ( BGBl I S. 1146 ) ermächtigte § 8 Abs. 1 Satz 1 das Bundesministerium
beziehungsweise den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten,
durch Rechtsverordnung […], soweit dies zur Durchführung von
Regelungen
im
Sinne
des
§
1
Abs.
2 hinsichtlich
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Marktordnungswaren erforderlich ist, Vorschriften zu erlassen über
das Verfahren bei der Aufteilung, Zuteilung und Änderung von
Garantiemengen, Referenzmengen, Quoten und sonstigen Mindest-
oder Höchstmengen im Rahmen von Marktordnungsmaßnahmen
(Mengenregelungen) sowie über die Voraussetzungen und die Höhe
solcher Mengenregelungen, soweit sie nach den Regelungen im
Sinne des § 1 Abs. 2 bestimmt, bestimmbar oder begrenzt sind.
§ 1 Abs. 2 MOG nannte als Regelungen unter anderem Rechtsakte des Rates oder
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften aufgrund des EG-Vertrages. § 12
Abs. 2 Satz 1 enthielt eine entsprechende Ermächtigung für den Erlass von
Vorschriften über das Verfahren bei Abgaben zu Marktordnungszwecken sowie über
die Voraussetzungen und die Höhe dieser Abgaben.
Auf der Grundlage im Wesentlichen dieser Ermächtigungen traf die Verordnung über
die Abgaben im Rahmen von Garantiemengen im Bereich der Marktorganisation für
Milch und Milcherzeugnisse in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. März 1994
(BGBl I S. 586 ), zuletzt geändert durch die 33. Verordnung zur Änderung der Milch-
Garantiemengen-Verordnung vom 25. März 1996 (BGBl I S. 535 : im Folgenden:
Milch-Garantienmengen-Verordnung oder MGV), nähere Bestimmungen über die
Durchführung der Verordnung Nr. 3950/92. § 7b Abs. 1 MGV ermöglichte es den
Käufern von Milchprodukten (d. h. den Molkereien), Anlieferungs-Referenzmengen,
die
im
jeweiligen Zwölfmonatszeitraum nicht genutzt worden waren
(Unterlieferungen), anderen Milcherzeugern, deren Lieferungen die ihnen zugeteilte
Anlieferungs-Referenzmenge
überschritten hatten (Überlieferer), nachträglich
zuzuteilen. Allerdings statuierte Satz 8 ein Saldierungsverbot zwischen alten und
neuen Ländern (vergleiche zum Saldierungsverfahren und zur Abgabenberechnung
im Einzelnen Düsing/Kauch, Die Zusatzabgabe im Milchsektor, 2001, S. 123 f., sowie
Gehrke, Die Milchquotenregelung, 1996, S. 66 ff.):
Nicht genutzte Anlieferungs-Referenzmengen, die sich auf Betriebe
oder Betriebsteile in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages
genannten Gebiet beziehen, dürfen nur anderen Milcherzeugern,
deren Betrieb ganz oder teilweise in diesem Gebiet liegt, zugeteilt
werden; dies gilt für Anlieferungs-Referenzmengen, die sich auf
Betriebe oder Betriebsteile außerhalb dieses Gebietes beziehen,
entsprechend.
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3. Die Strafbarkeit der Hinterziehung der zusätzlichen Abgabe auf Milch folgte aus
§ 12 Abs. 1 Satz 1 MOG in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. September
1995 (BGBl I S. 1146 ), wonach auf Abgaben zu Marktordnungszwecken, die nach
Regelungen im Sinne des § 1 Abs. 2 hinsichtlich Marktordnungswaren erhoben
wurden, die Vorschriften der Abgabenordnung - einschließlich des § 370 AO -
entsprechend anzuwenden waren. § 35 MOG enthielt ergänzende Vorschriften über
die Anwendung der „nach § 12 Abs. 1 Satz 1 anzuwendenden Straf- und
Bußgeldvorschriften der Abgabenordnung“.
II.
Der Beschwerdeführer zu 1) war Milcherzeuger in Hessen, der Beschwerdeführer zu
2) in Thüringen. Beide lieferten ihre Milch an die Kurhessische Molkereizentrale AG
in Bad Wildungen (KMZ). Die Beschwerdeführer wurden auf der Grundlage von § 370
Abs. 1 Nr. 1 AO in Verbindung mit § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG zu Freiheitsstrafen
verurteilt, weil sie sich - in unterschiedlicher Weise - daran beteiligten, in den alten
Ländern erzeugte Milch als Milch aus den neuen Ländern auszugeben, um von
ungenutzten Referenzmengen zu profitieren, die nach § 7b MGV zunächst
ausschließlich zugunsten von Erzeugern aus den neuen Ländern zu verwenden
waren.
1. a) Jeder Milcherzeuger erhielt von der KMZ einen seiner Erzeugernummer
zugeordneten individuellen Codeblock, der bei Abholung der Milch durch die
Tankfahrzeuge der KMZ an ein in den Fahrzeugen befindliches Ablesegerät gehalten
wurde. Dadurch wurde die abgeholte Milchmenge unter der jeweiligen
Erzeugernummer erfasst. Nachdem für das Milchwirtschaftsjahr 1998/1999
abzusehen gewesen war, dass der Beschwerdeführer zu 1) seine Referenzmenge
überschreiten, die in den neuen Ländern produzierende Agrargenossenschaft
Ballhausen ihre jedoch unterschreiten würde, überließ die Agrargenossenschaft dem
Beschwerdeführer einen ihr zugeordneten Codeblock, mit dessen Hilfe dieser seine
Milch teilweise erfassen ließ. Zum Schein schlossen der Beschwerdeführer und die
Agrargenossenschaft einen tatsächlich nicht durchgeführten „Kuhpachtvertrag“ ab.
D i e betreffenden Milchlieferungen vergütete die KMZ der Agrargenossenschaft,
welche die Beträge nach Abzug des sich aus dem Schein-Pachtvertrag ergebenden
„Pachtzinses“ an den Beschwerdeführer auskehrte. Dieses Vorgehen führte dazu,
dass gegen den Beschwerdeführer für das Milchwirtschaftsjahr 1998/1999 eine
Milchmengengarantieabgabe von lediglich 2.077,46 DM festgesetzt wurde; in Höhe
weiterer 30.837,13 DM, die richtigerweise festzusetzen gewesen wären, unterblieb
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die Festsetzung (zunächst).
b) Aufgrund dieses Sachverhalts verhängte das Amtsgericht Kassel gegen den
Beschwerdeführer mit Urteil vom 20. Januar 2003 wegen Steuerhinterziehung eine
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung
ausgesetzt wurde. Das Landgericht Kassel verwarf die Berufung des
Beschwerdeführers. Die Revision des Beschwerdeführers wurde durch Urteil des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. März 2004 (veröffentlicht in NStZ-RR
2004, S. 275) verworfen. Das Oberlandesgericht erachtete die in der
Revisionsbegründung vorgebrachten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des
Straftatbestandes nicht für durchgreifend.
2. a) Der Beschwerdeführer zu 2) war Geschäftsführer und Mitinhaber einer in
Thüringen ansässigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die die ihr zustehende
Referenzmenge ab September 1996 bei weitem nicht ausnutzte. Mit insgesamt 26
hessischen Milcherzeugern, denen eine Überschreitung ihrer Referenzmengen
drohte,
schloss
der Beschwerdeführer
zum
Schein
Pacht-
und
Dienstleistungsverträge entsprechend dem im Falle des Beschwerdeführers zu 1)
verwendeten ab. Der Beschwerdeführer überließ den jeweiligen hessischen
Landwirten Codeblöcke der GbR, kassierte für die von den hessischen Landwirten
unter den thüringischen Codes gelieferte Milch das Milchgeld von der KMZ und
überwies es nach (vereinbartem) Abzug von zehn Pfennig pro Kilogramm Milch an
die eigentlichen Erzeuger. Das Handeln des Beschwerdeführers führte dazu, dass in
d e n Milchwirtschaftsjahren 1996/1997 bis 1998/1999 Abgaben in Höhe von
insgesamt (umgerechnet) 283.200,74 Euro zu Unrecht (zunächst) nicht festgesetzt
wurden.
b) Das Amtsgericht Kassel verurteilte den Beschwerdeführer am 14. Juni 2006
wegen Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei
Monaten. Auf die Berufung des Beschwerdeführers ermäßigte das Landgericht
Kassel mit Urteil vom 22. Februar 2007 die Freiheitsstrafe auf ein Jahr und sechs
Monate und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Das Landgericht wertete
das Verhalten des Beschwerdeführers als gemeinschaftliche Steuerhinterziehung in
31 Fällen nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 8 Abs. 2, § 12 MOG.
Mit Urteil vom 23. Oktober 2007 verwarf das Oberlandesgericht Frankfurt am Main
die Revision des Beschwerdeführers, da das angefochtene Urteil Rechtsfehler zum
Nachteil des Beschwerdeführers nicht erkennen ließe.
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III.
Mit den fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerden rügen die
Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte
aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 103 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 GG. In diesem Rahmen
machen sie geltend, die für die Ermittlung der Höhe der Abgabe im Einzelnen
erforderlichen Vorschriften der Milch-Garantiemengen-Verordnung seien wegen
Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG und mangels einer
hinreichend bestimmten, den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG
genügenden Ermächtigungsgrundlage nichtig. Der Beschwerdeführer zu 2) erhebt
weitere Grundrechtsrügen (siehe unter 2.).
1. a) Eine Verletzung von Art. 104 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG leitet der
Beschwerdeführer zu 1) zunächst daraus her, dass § 12 Abs. 1 MOG in Verbindung
mit § 370 Abs. 1 AO die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Strafnorm
jedenfalls im Hinblick auf die durch die Verordnung Nr. 3950/92 geregelte Abgabe auf
Milch nicht erfülle. Blankettstrafnormen wie § 370 AO seien zwar grundsätzlich
zulässig; vorliegend seien die von Art. 103 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 GG gezogenen
Grenzen jedoch überschritten. § 12 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 MOG sei nicht
zu entnehmen, dass Milch zu den Marktordnungswaren gehöre, auf die eine Abgabe
erhoben werde. Bei Inkrafttreten des Marktordnungsgesetzes im Jahr 1972 habe es
eine solche Abgabe auch noch nicht gegeben. Die im BGBl 1986 I S. 1397 bekannt
gemachte Neufassung des § 12 Abs. 1 MOG verweise nun zwar hinsichtlich
sämtlicher Abgaben zu Marktordnungszwecken auf die Strafvorschriften der
Abgabenordnung. Dass überhaupt eine Abgabe auf Milch erhoben werde, sei im
Marktordnungsgesetz aber ebenso wenig geregelt wie die Höhe und die
Voraussetzungen der Abgabe. Der Gesetzgeber müsse die Regelungen des
Gemeinschaftsrechts, die eine Abgabe vorsehen, benennen, wenn deren
Hinterziehung unter Strafe gestellt werden solle; eine pauschale Verweisung auf alle
R echtsakte der Europäischen Gemeinschaft, die sich auf Abgaben zu
Marktordnungszwecken bezögen, genüge dem nicht. Die Bezugnahme sei völlig
unbestimmt und lasse nicht erkennen, welche Abgaben und welche
gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften gemeint seien. Sie könne auch deshalb dem
Bestimmtheitsgebot und gleichzeitig dem Demokratieprinzip nicht genügen, weil der
Gesetzgeber damit im Voraus auf unbekannte, völlig unvorhersehbare Regelungen
verweise.
b) Der Beschwerdeführer zu 1) ist der Auffassung, dass die Strafvorschrift in seinem
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Fall zudem in einer den Wortlaut überschreitenden Weise ausgelegt und angewendet
worden sei. Durch die Verwendung des ihm nicht zustehenden Codeblocks habe der
Beschwerdeführer entgegen der Auffassung der Gerichte nicht gegenüber einer
Behörde, sondern nur gegenüber der belieferten Molkerei falsche Angaben gemacht.
Diese allein sei auch zur Erhebung der Abgabe berechtigt gewesen.
c) Die pauschale Ermächtigung der Exekutive nach §§ 8, 12 MOG, nicht näher
bezeichnete, durch § 1 Abs. 2 Nr. 3 MOG dynamisch in Bezug genommene
Rechtsakte der Gemeinschaft durch Rechtsverordnung umzusetzen und zu
konkretisieren, entspreche schon grundsätzlich nicht dem Bestimmtheitsgebot des
Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Hier entledige sich der Gesetzgeber unter Verstoß gegen
d a s Demokratieprinzip und gegen den Parlamentsvorbehalt im Voraus seiner
Rechtsetzungsbefugnis. Die vorliegend einschlägige Verordnung Nr. 3950/92
enthalte in ihrer maßgeblichen Fassung keine hinreichende Bestimmung von Inhalt,
Zweck und Ausmaß der noch durch den nationalen Verordnunggeber zu treffenden,
intensive Grundrechtseingriffe ermöglichenden Regelungen.
d) Zu den Vorschriften, die die Milch-Garantiemengen-Verordnung als
Rechtsgrundlagen zitieren müsse, gehörten auch die gemeinschaftsrechtlichen
Grundlagen. Andernfalls könne der Adressat der Regelung nicht überprüfen, ob der
Verordnunggeber die Grenzen der Ermächtigung eingehalten habe.
2. Der Beschwerdeführer zu 2) rügt ebenfalls die mangelnde Bestimmtheit des
Straftatbestands und die vom Beschwerdeführer zu 1) bereits angesprochenen
Verstöße gegen Art. 80 GG. Zudem ist er der Auffassung, § 7b MGV verletze Art. 3
Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
a) Da gerade in den hier streitigen Jahren in den neuen Ländern nach den
Feststellungen des Gerichts nur Unterlieferungen vorgekommen seien, habe die
Regelung des § 7b Abs. 1 Satz 8 in Verbindung mit § 7b Abs. 2 Nr. 1 MGV dazu
geführt, dass in den neuen Ländern entweder gar keine oder nur eine sehr geringe
Abgabe anfiel. Dies stelle eine Schlechterstellung der Erzeuger aus den alten
Ländern dar, denen der geldwerte Vorteil einer Sanierung nicht gewährt werde und
sei nicht gerechtfertigt, da diese Form der Differenzierung auch mit den
gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen nicht zu vereinbaren gewesen sei.
b) Die Zusatzabgabe habe erdrosselnde Wirkung, weil sie höher sei als das Entgelt,
das der Beschwerdeführer als Erzeuger für die angelieferte Milch erhalten könne.
Hierdurch sowie durch das gemeinschaftsrechtlich nicht geforderte Saldierungsverbot
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werde das Recht des Beschwerdeführers am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt.
IV.
Zu den Verfassungsbeschwerden haben jeweils die Bundesregierung, der
Generalbundesanwalt sowie die Präsidentinnen und Präsidenten der Obersten
Gerichtshöfe des Bundes mit Ausnahme des Bundesarbeitsgerichts Stellung
genommen. Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerden für nicht
annehmefähig; in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt ist sie der
Auffassung,
die Verfassungsbeschwerden seien jedenfalls unbegründet. Die
Beschwerdeführer haben zu den Äußerungen ergänzend Stellung genommen.
B.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil
die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Den
Verfassungsbeschwerden kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung
nicht zu. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die hier
maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen nach den Anforderungen insbesondere
des Art. 103 Abs. 2 in Verbindung mit 104 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 48, 48; 75, 329 ;
Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Zweiten Senats vom 17. März 1978 - 2
BvR 1086/77 -, RIW/AWD 1979, S. 132 f.) sowie des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 (vgl.
BVerfGE 19, 17; 29, 198 ) und Satz 3 (vgl. BVerfGE 101, 1 ) GG hinreichend geklärt.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist auch nicht zur Durchsetzung der in
§ 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96,
245 <248 ff.> ); denn die Verfassungsbeschwerden haben keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg. Sie sind jedenfalls unbegründet. Zwar greifen die gegen die
Beschwerdeführer ergangenen, auf Freiheitsstrafe lautenden Verurteilungen in deren
Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ein. Die Eingriffe sind aber gerechtfertigt.
Die ihnen zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften sind - soweit sie der
Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen (dazu I.) - mit dem
Grundgesetz vereinbar. Die für die Verurteilung der Beschwerdeführer relevanten
Vorschriften
des
materiellen Abgabenrechts waren formell und materiell
verfassungsgemäß. Insbesondere beinhaltete § 7b MGV keinen Eingriff in Art. 12
Abs. 1 oder Art. 14 Abs. 1 GG und führte auch nicht zu einer verfassungsrechtlich
unzulässigen Ungleichbehandlung (II.). Die Vorschrift verfügte über eine hinreichend
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bestimmte Ermächtigungsgrundlage und war auch nicht unter Verstoß gegen das
Zitiergebot erlassen worden (III.). Schließlich war der Straftatbestand des § 12 Abs. 1
MOG in Verbindung mit § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO hinreichend bestimmt und verletzte
Art. 103 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG nicht (IV.). Auch seine
Auslegung und Anwendung im Einzelfall begegnet keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken.
I.
Die vom Beschwerdeführer zu 2) aufgeworfene Frage, ob die zusätzliche Abgabe
durch Milch wegen ihrer „erdrosselnden“ Höhe Art. 14 Abs. 1 GG oder andere
Grundrechte verletzte, ist einer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht
entzogen. Im Übrigen unterliegen die von den Beschwerdeführern vorgebrachten
Rügen der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle.
1. Das Bundesverfassungsgericht übt seine Grundrechtskontrolle über in
Deutschland angewandtes Unionsrecht grundsätzlich nicht mehr aus, solange und
soweit die Europäische Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber
der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz
jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu
achten ist ( BVerfGE 73, 339 <387>; 102, 147 <162 f.>; 123, 267 <399> ). Eine
innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie in deutsches Recht umsetzt, wird
insoweit nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes gemessen, als das
Unionsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern zwingende Vorgaben
macht (vgl. BVerfGE 118, 79 <95 ff.>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 2. März
2010 - 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08 - juris, Rn. 182). Entsprechend
kann auch eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die nicht zur Umsetzung, sondern zur
Ergänzung und Durchführung zwingenden Unionsrechts - wie vorliegend der
Verordnung Nr. 3950/92 - erlassen worden ist, insoweit nicht am Maßstab der
Grundrechte
des
Grundgesetzes
überprüft
werden,
als
sich
eine
Verfassungsbeschwerde
gegen
die
vom
Unionsgesetzgeber getroffenen
Festlegungen richtet.
2. a) Danach entzieht sich die Festlegung der Höhe der Zusatzabgabe auf 115%
des Milch-Richtpreises einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht; denn
sie ergab sich unmittelbar aus Art. 1 der Verordnung Nr. 3950/92, ohne dass insofern
dem nationalen Gesetz- oder Verordnunggeber Spielräume eröffnet worden wären.
b) Nicht unionsrechtlich determiniert waren dagegen die in § 7b MGV enthaltenen
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Saldierungsvorschriften, insbesondere das Saldierungsverbot des Abs. 1 Satz 8 oder
der besondere Saldierungsschritt nach Abs. 2 Nr. 1. Eine Verpflichtung des
deutschen Gesetzgebers zu einer Trennung der Saldierung zwischen alten und
neuen Ländern folgte insbesondere nicht daraus, dass die Verordnung Nr. 3950/92
für die Milchwirtschaftsjahre 1996/1997 bis 1998/1999 jeweils eine gesonderte
Gesamtgarantiemenge für die neuen Länder auswies (vgl. dazu Art. 1 der Verordnung
Nr. 614/97 der Kommission vom 8. April 1997 zur Anpassung der
Gesamtmengen in Artikel 3 der Verordnung Nr. 3950/92 des Rates über die
Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor, ABlEG Nr. L 94 vom 9. April 1997, S.
4; Art. 1 der Verordnung Nr. 903/98 der Kommission vom 28. April 1998 zur
Anpassung der Gesamtmengen in Artikel 3 der Verordnung Nr. 3950/92 des
Rates über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor, ABlEG Nr. L 127 vom
29. April 1998, S. 8; Art. 1 der Verordnung Nr. 751/1999 der Kommission vom 9.
April 1999 zur Anpassung der Gesamtmengen in Artikel 3 der Verordnung
Nr. 3950/92 des Rates über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor, ABlEG
Nr. L 96 vom 10. April 1999, S. 11). Die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes, wonach die zuständigen deutschen Behörden den für die neuen
Länder bestimmten Teil der Gesamtgarantiemenge „ausschließlich unter diesen
Erzeugern aufzuteilen“ hatten (vgl. nur EuGH, Urteil vom 8. Mai 2003 - C-268/01 -,
S l g . 2003, IO-4353, Rn. 35 ff.), bezieht sich ebenso wie die ihnen folgende
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFHE 213, 459 <465>; ebenso Beschluss
vom 31. Mai 2006 - VII B 37/05 -, juris, Rn. 18) ausschließlich auf die Zuteilung
individueller Referenzmengen, nicht hingegen auf die Frage der Saldierung im Falle
von deren Über- und Unterschreitung. Es gab im Text der Verordnung Nr. 3950/92
keinerlei Hinweis, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Einschränkung der
Saldierung vorschreiben wollte; Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 betonte vielmehr die
Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht. Tatsächlich wurde nach
§ 7b Abs. 2 Nr. 2 MGV (Bundessaldierung) letzten Endes eine Verrechnung von
Lieferungen aus den alten und neuen Ländern durchgeführt.
II.
Die in § 7b MGV enthaltenen Vorschriften über das Saldierungsverbot (Abs. 1 Satz
8) und den besonderen Saldierungsschritt (Abs. 2 Nr. 1) griffen weder in den
Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 noch in den des Art. 12 Abs. 1 GG ein (1.). Soweit
sie zu einer Ungleichbehandlung der westdeutschen Milcherzeuger führten, verstieß
dies nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG;
dazu 2.).
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35
1. Die angegriffenen Vorschriften stellten bereits keinen Eingriff in Rechtspositionen
dar, die von Art. 12 Abs. 1 oder Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sein könnten. Milch-
Referenzmengen,
die
westdeutschen Milcherzeugern aufgrund der Milch-
Garantiemengen-Verordnung 1984 ursprünglich zugeteilt worden waren, wurden
durch
das Saldierungsverbot nicht berührt; soweit die „eigene“, zugeteilte
Referenzmenge reichte, durften westdeutsche Milcherzeuger auch nach Einführung
des Saldierungsverbotes weiterhin abgabenfrei Milch liefern. Es kann also - weiter -
dahinstehen, ob diese Referenzmengen als öffentlich-rechtliche Positionen
grundrechtlichen Schutz genossen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten
Senats vom 22. November 2007 - 1 BvR 2628/04 -, juris, Rn. 21).
Die aufgrund der Saldierungsregeln bestehende Aussicht, auch über die eigene
Referenzmenge hinaus abgabenfrei Milch liefern zu können, stellte eine lediglich
faktische Begünstigung dar, da sie davon abhing, dass andere Milcherzeuger die
ihnen zustehenden Produktionsrechte nicht ausschöpften. Aber selbst wenn man
insofern Art. 12 Abs. 1 oder Art. 14 Abs. 1 GG für einschlägig halten wollte, ließe sich
aus § 7b Abs. 1 Satz 8 MGV ein Eingriff nicht herleiten. Die Norm verhinderte aus
Sicht westdeutscher Milcherzeuger nämlich lediglich eine Verbesserung von deren
Saldierungschancen, die wahrscheinlich eingetreten wäre, wenn man nach Beitritt
der neuen Länder die Käufersaldierung unbeschränkt zugelassen hätte. Die bereits
bestehenden Möglichkeiten zur Saldierung innerhalb der alten Länder wurden nicht
angetastet.
2. a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich
Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ( BVerfGE 112,
268 <279> ; stRspr). Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und
Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom
b l o ß e n Willkürverbot
bis
zu
einer
strengen
Bindung
an
Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 110, 274 <291>; 117, 1
<30>; 118, 79 <100> ; stRspr).
Vorliegend ist ein dem Gesetzgeber angemessenen Gestaltungsspielraum
lassender Maßstab anzulegen: Auf wirtschaftspolitischem Gebiet kommt dem
Gesetzgeber weitgehende Gestaltungsfreiheit zu ( BVerfGE 18, 315 <331>; 50, 290
<338>; 110, 274 <293> ). Gleiches gilt allgemein im Bereich gewährender
Staatstätigkeit (vgl. BVerfGE 51, 295 <301>; 78, 104 <121>; 112, 164 <175> ). Eine
entsprechende Prüfung ist auch gegenüber Maßnahmen geboten, die der
36
37
Bewältigung der Wiedervereinigung Deutschlands dienen ( BVerfGE 95, 143 <157 f.>
). Letzteres war hier der Fall. Wie die Bundesregierung im Einzelnen dargelegt hat,
sollte durch die besonderen Saldierungsregeln für die neuen Länder vor allem der
Strukturwandel der Milchwirtschaft gefördert werden. Die in den neuen Ländern neu
entstandenen oder umstrukturierten Milchwirtschaftsbetriebe sollten zunächst einmal
„gefahrlos" Milch überliefern können, ohne sofort der Erhebung der zusätzlichen
Abgabe mit den entsprechenden finanziellen Folgen unterworfen zu werden. Die hier
in Rede stehende Ungleichbehandlung hatte keinen Eingriffscharakter (oben 1.), so
dass unter freiheitsrechtlichen Gesichtspunkten eine strikte Kontrolle nicht angezeigt
ist. Auch eine an personelle Merkmale anknüpfende Ungleichbehandlung (vgl. dazu
BVerfGE 88, 87 <96 f.>; 95, 267 <316 f.>; 101, 54 <101>; 110, 274 <291>; 118, 79
<100> ) war nicht gegeben; maßgebend für die Frage des Eingreifens des
Saldierungsverbotes war vielmehr die Lage des Betriebs oder Betriebsteils, in dem
d i e Milch produziert worden war. Nach alledem könnte vorliegend ein
Verfassungsverstoß nur festgestellt werden, wenn eine Ungleichbehandlung
zwischen den Milcherzeugern in den alten und neuen Ländern vorläge und die
Unsachlichkeit der Differenzierung evident wäre (vgl. BVerfGE 99, 367 <389>; 118,
79 <102>).
b) Das ist jedoch nicht der Fall. Die von der Bundesregierung dargelegte und von
den Beschwerdeführern auch als solche nicht angegriffene Zielsetzung des § 7b
MGV, den Strukturwandel in den neuen Ländern in der bereits beschriebenen Weise
zu erleichtern, ist nachvollziehbar und keinesfalls evident unsachlich. Insbesondere
ergibt sich die Unzulässigkeit der Differenzierung entgegen der Ansicht der
Beschwerdeführer nicht daraus, dass diese mit dem Unionsrecht, insbesondere der
Verordnung Nr. 3950/92 nicht in Einklang gestanden hätte. Ein Widerspruch des § 7b
MGV zum Unionsrecht ist nicht zu erkennen (vgl. ergänzend BFHE 213, 459 <465>).
III.
1. § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG als vorliegend in Betracht
kommenden Ermächtigungsgrundlagen insbesondere des § 7b MGV genügten
jedenfalls in Verbindung mit den Bestimmungen der Verordnung Nr. 3950/92 noch
den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Ob der
Maßstab, den Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG für die hinreichende Bestimmtheit von Inhalt
und Ausmaß einer gesetzlichen Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen
aufstellt, für den Fall anwendbar ist, dass insoweit eine unionsrechtliche Bindung der
Bundesrepublik Deutschland gegeben ist, die den Gestaltungsspielraum des
38
39
deutschen Gesetzgebers ergreift, kann mithin - weiter - offen bleiben (vgl. BVerfGE
45, 142 <166> ; siehe ferner Klink, Pauschale Ermächtigungen zur Umsetzung von
Europäischem Umweltrecht mittels Rechtsverordnung, 2005, S. 130 ff. m.w.N.).
a) Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, dass der Gesetzgeber selbst die
Entscheidungen über Regelungen trifft; er selbst muss die Grenzen einer solchen
Regelung festsetzen und angeben, welchem Ziel sie dienen soll (vgl. BVerfGE 2, 307
<334>; 19, 354 <361 ff.>; 23, 62 <72> ). Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist verletzt, wenn
eine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen so unbestimmt ist, dass
nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz
von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der
Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (BVerfGE 19, 354 <361 ff.>;
23, 62 <72> ). Welche Anforderungen an das Ausmaß der erforderlichen Bestimmtheit
im Einzelfall zu stellen sind, hängt von der Intensität der Auswirkungen der Regelung
für die Betroffenen und von der Eigenart des geregelten Sachverhalts ab,
insbesondere auch davon, in welchem Umfang dieser einer genaueren begrifflichen
Umschreibung überhaupt zugänglich ist (vgl. BVerfGE 56, 1 <13>; 58, 257 <277 f.>).
Ein Bedürfnis, staatliche Regelungen rasch und allgemeinverbindlich und damit
gerade durch Rechtsverordnung zu erlassen, kann insbesondere auch aus der Pflicht
zur Umsetzung, Durchführung und Ergänzung inter- oder supranationaler Vorgaben
resultieren (vgl. dazu BVerfGE 19, 17 <28 ff.>).
Der Bestimmtheitsgrundsatz verbietet es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht,
Generalklauseln
und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. An die
tatbestandliche Fixierung dürfen dabei keine nach der konkreten Sachlage
unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerfGE 56, 1 <12 f.>). In der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass zur näheren
Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung auch
Rechtsakte außerhalb der eigentlichen Verordnungsermächtigung, insbesondere
auch Rechtsakte anderer Normgeber, herangezogen werden können (vgl. BVerfGE
19, 17 <31> ). Der Gesetzgeber kann in einer Ermächtigung zum Erlass von
Rechtsverordnungen grundsätzlich auch auf Normen und Begriffe des Rechts der
Europäischen Union verweisen. Unionsrecht und nationales Recht der
Mitgliedstaaten sind zwar zwei verschiedene Rechtsordnungen. Die beiden
Rechtsordnungen stehen jedoch nicht unverbunden nebeneinander, greifen vielmehr
auf mannigfache Weise ineinander. Diese vielfältige Verschränkung von Unionsrecht
und nationalem Recht verbietet es, Verweisungen auf Unionsrecht anders zu
40
41
42
beurteilen als Verweisungen auf nationales Recht (vgl. BVerfGE 29, 198 <210>).
Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers können sich aus den
allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen an den Einsatz von Verweisungen
ergeben.
Verweisungen
sind
als
vielfach
übliche und
notwendige
gesetzestechnische Methode anerkannt, sofern die Verweisungsnorm hinreichend
klar erkennen lässt, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen und wenn die in
B e z u g genommenen Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere
ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich sind (vgl. BVerfGE 47, 285 <311> ).
Auch dynamische Verweisungen sind nicht schlechthin ausgeschlossen, wenngleich
ein besonders strenger Prüfungsmaßstab im Einzelfall geboten sein kann. Bei
fehlender Identität der Gesetzgeber bedeutet eine dynamische Verweisung mehr als
eine bloße gesetzestechnische Vereinfachung; sie führt zur versteckten Verlagerung
von Gesetzgebungsbefugnissen und kann daher Bedenken unter bundesstaatlichen,
rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten ausgesetzt sein ( BVerfGE
47, 285 <312> ).
b) Nach diesen Maßstäben war die sich aus § 8 Abs. 1 und § 12 Abs. 2 MOG
ergebende Ermächtigung des Verordnunggebers zum Erlass der Milch-
Garantiemengen-Verordnung unter besonderer Berücksichtigung der Eigenart des
geregelten Sacherhalts und der Regelungsintensität nach Inhalt, Zweck und Ausmaß
in Verbindung mit den Vorschriften der Verordnung Nr. 3950/92 hinreichend bestimmt
(vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. September 1990
- 2 BvR 848/88 -, juris, Rn. 2 ff., und vom 6. September 1990 - 2 BvR 965/88 -, juris,
Rn. 2).
aa) Die Vorschriften des Marktordnungsgesetzes in der Bekanntmachung vom 24.
Juni 2005 selbst gaben den Gegenstand (Inhalt) möglicher Verordnungsregelungen
an, indem sie den Verordnunggeber zum Erlass von Vorschriften einerseits über das
Verfahren bei der Aufteilung, Zuteilung und Änderung von Garantiemengen,
Referenzmengen, Quoten und sonstigen Mindest- oder Höchstmengen im Rahmen
v o n Marktordnungsmaßnahmen
(Mengenregelungen)
sowie
über
die
Voraussetzungen und die Höhe solcher Mengenregelungen (§ 8 Abs. 1 Satz 1),
andererseits über das Verfahren bei Abgaben zu Marktordnungszwecken sowie über
d i e Voraussetzungen und die Höhe dieser Abgaben (§ 12 Abs. 1 Satz 1)
ermächtigten. Wegen des Zwecks und des Ausmaßes der Ermächtigung verwiesen
die Bestimmungen auf die (jeweils umzusetzenden) Regelungen im Sinne des § 1
Abs. 2 MOG, also namentlich auf die Rechtsakte des Rates oder der Kommission der
43
44
Europäischen Gemeinschaften zur Schaffung und Durchführung der gemeinsamen
Organisationen der Agrarmärkte (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 MOG). Sie beschränkten diese
Ermächtigung nur insofern, als sie ausschließlich Vorschriften erlaubten, die zur
Durchführung dieser EG-Regelungen „erforderlich“ waren und den Erlass von
Vorschriften über die Voraussetzungen und die Höhe von Mengenregelungen und
Abgaben zusätzlich unter die Voraussetzung stellten, dass diese nach den EG-
Regelungen bestimmt, bestimmbar oder begrenzt waren (vgl. BVerwGE 121, 382
<388> m.w.N.).
bb) Die Art und Weise, in der § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG für die
Bestimmung von Zweck und Ausmaß (und damit auch für die nähere Eingrenzung
des Inhalts) der dem nationalen Verordnunggeber erteilten Ermächtigung auf
gemeinschaftsrechtliche Regelungen verwiesen, ist verfassungsrechtlich noch
hinzunehmen. Dass es sich um eine abstrakt gefasste, zudem dynamische
Verweisung handelte, stand deren Zulässigkeit zunächst unter dem Gesichtspunkt
der Verweisungsklarheit (Transparenz) nicht entgegen. Dynamische Ermächtigungen
können ihrer Natur nach auf bestimmte Fundstellen nicht verweisen. Auch unter dem
Gesichtspunkt der Publizität sind keine Bedenken ersichtlich. Über § 1 Abs. 2 MOG
(siehe insbesondere Nr. 2) war sichergestellt, dass die Verweisung nur Rechtsakte
erfasste, die im Bundesgesetzblatt, im Bundesanzeiger oder im Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften (heute: Amtsblatt der Europäischen Union, vgl.
Art. 297 AEUV) veröffentlicht und daher den Normadressaten ohne weiteres
zugänglich waren.
Durchgreifende Bedenken bestehen schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt
des
Demokratieprinzips, das
einer
versteckten
Verlagerung
von
Gesetzgebungsbefugnissen Grenzen setzt. Unzulässig wäre danach insbesondere
eine pauschale Blankoermächtigung zur Umsetzung von Unionsrecht durch nationale
Rechtsverordnung (vgl. Bauer, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 80 Rn. 36). Von
einer solchen kann im Hinblick auf § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG
jedoch nicht die Rede sein. Vielmehr stand der (mögliche) Inhalt der von der
Verweisung erfassten Normen von vornherein im Wesentlichen fest. Es musste sich
um - formal unter § 1 Abs. 2 MOG fallende - Regelungen hinsichtlich
Marktordnungswaren im Sinne des § 2 MOG handeln. Deren möglicher Inhalt war
weiter dadurch begrenzt, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG
zunächst nur den Erlass von Verfahrensregelungen im Zusammenhang mit
Mengenregelungen und Abgaben zu Marktordnungszwecken gestatteten, mithin sich
45
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47
nur auf Normen bezogen, die auch Mengenregelungen oder Abgaben zu
Marktordnungszwecken beinhalteten. Die Entscheidung über die Voraussetzungen
und die Höhe der Mengenregelungen oder der Abgaben selbst übertrugen beide
Ermächtigungsnormen zudem nur für den Fall an den nationalen Verordnunggeber,
dass diese schon nach dem Gemeinschaftsrecht bestimmt, bestimmbar oder
jedenfalls der Höhe nach begrenzt waren. Damit hat der parlamentarische
Gesetzgeber dafür gesorgt, dass Rechtsverordnungen nur dann und nur insoweit
erlassen werden durften, als das Gemeinschaftsrecht bereits die wesentlichen
Entscheidungen selbst getroffen hatte.
cc) Zweck und Ausmaß der Ermächtigung zum Erlass der Milch-Garantiemengen-
Verordnung
konnten
der Verordnung Nr. 3950/92 in ihren in den
Milchwirtschaftsjahren 1996/1997 bis 1998/1999 geltenden Fassungen in
hinreichend bestimmter Weise entnommen werden. Soweit die Beschwerdeführer
auch auf spätere Fassungen eingegangen sind, sind diese vorliegend nicht von
Bedeutung.
Explizite Aussagen zum Zweck der zu treffenden Regelungen ergaben sich aus den
dem Regelungstext vorangestellten Erwägungsgründen der Verordnung Nr. 3950/92.
Auch der nationale Verordnunggeber hatte demnach beispielsweise das Ziel der
Verringerung des Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage bei Milch und
Milcherzeugnissen und der entsprechenden strukturellen Überschüsse zu
berücksichtigen und zur Herstellung eines besseren Marktgleichgewichts beizutragen
(Erwägungsgrund Nr. 1). Dem Erwägungsgrund Nr. 7 konnte er entnehmen, welche
Überlegungen der Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers zugrunde lagen,
den
Mitgliedstaaten
Entscheidungsspielräume hinsichtlich
des
Saldierungsverfahrens einzuräumen. Der elfte Erwägungsgrund erkannte an, dass
durch die Anwendung der Regelung zur Stabilisierung der Milcherzeugung die
Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Betriebe im Gebiet der ehemaligen
Deutschen Demokratischen Republik nicht beeinträchtigt werden durfte und erlaubte
damit dem nationalen Verordnunggeber, auch eben diesen Umstrukturierungszweck
zu verfolgen.
Das Ausmaß möglicher Regelungen in einer nationalen Rechtsverordnung ergab
sich grundsätzlich aus den Bestimmungen der Verordnung Nr. 3950/92, die einen
Entscheidungsspielraum für die Mitgliedstaaten enthielten. So überließ die
Verordnung es den Mitgliedstaaten, bei der Festsetzung der Abgabe für die
Überschreitung der zugeteilten Referenzmengen ungenutzte Referenzmengen
48
49
anderer Erzeuger zu berücksichtigen; ebenso war es an den Mitgliedstaaten, zu
entscheiden, auf welcher Ebene eine eventuelle Neuzuteilung (Saldierung)
stattfinden sollte (Art. 2 Abs. 1 UAbs 2). Art. 5 eröffnete die Möglichkeit, die Summe
der zugeteilten Referenzmengen linear zugunsten einer einzelstaatlichen Reserve zu
verringern, die dann nach objektiven Kriterien wiederum in Form zusätzlicher oder
spezifischer Referenzmengen auf die Erzeuger zu verteilen war. Art. 7 sah
Regelungsspielräume bei der Festlegung der Kriterien für den Übergang von
Referenzmengen bei Verkauf, Verpachtung oder Vererbung vor; Art. 8 schließlich
erlaubte verschiedene Maßnahmen zu den insofern ausdrücklich spezifizierten
Zwecken der Umstrukturierung der Milcherzeugung und der Verbesserung der
Umweltbedingungen. Innerhalb dieser Regelungsspielräume waren die
Mitgliedstaaten keinesfalls „völlig frei“, wie der Beschwerdeführer zu 1) annimmt;
vielmehr hatten sie sich an den oben beschriebenen Zwecken zu orientieren, die
teilweise (Art. 8) auch noch näher spezifiziert waren. Art. 5 erforderte für die
Festlegung der Zuteilungskriterien hinsichtlich der einzelstaatlichen Reserve zudem
das Einvernehmen der Kommission.
Außerdem standen diesen Spielräumen weitgehende Festlegungen der Verordnung
Nr. 3950/92 gegenüber, von denen die Mitgliedstaaten nicht abweichen konnten. So
regelte Art. 1 der Verordnung die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erhebung der
Milchabgabe und deren Höhe. Art. 2 bestimmte die Abgabeschuldner (Erzeuger) und
die Abgabepflichtigen (bei Milchlieferungen: die Abnehmer). Art. 3 regelte die den
Mitgliedstaaten zustehenden Gesamtgarantiemengen, Art. 4 enthielt präzise
Vorschriften zur Ermittlung der einzelbetrieblichen Referenzmengen. Art. 1 und 2 der
Verordnung Nr. 536/93 enthielten detaillierte Bestimmungen zur Berechnung der
Abgabe.
dd) Insgesamt ergab sich so aus § 8 Abs. 1 Satz 1 sowie § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG
jeweils in Verbindung mit der Verordnung Nr. 3950/92 ein noch hinreichend präzises
Programm für den nationalen Verordnunggeber, nach dem auch voraussehbar war,
was dem Bürger gegenüber zulässig sein sollte. Insbesondere ergab sich ein Mangel
an Bestimmtheit auch nicht daraus, dass es dem Verordnunggeber aufgrund der
Verordnung Nr. 3950/92 - wie bereits dargelegt - freistand, das Saldierungsverbot des
§ 7b Abs. 1 Satz 8 und einen besonderen, den neuen Ländern vorbehaltenen
Saldierungsschritt nach § 7b Abs. 2 Nr. 1 MGV zu statuieren. Insofern handelte es
sich um eine Frage, in der die Regelungsintensität gering war, nachdem Eingriffe in
Freiheitsgrundrechte mit dem Saldierungsverfahren nicht verbunden waren und auch
50
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unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Einführung eines
die neuen Länder bevorzugenden Saldierungsverfahrens nicht zu beanstanden war.
2. Die Gültigkeit der Milch-Garantiemengen-Verordnung lässt sich auch nicht mit
dem Argument in Frage stellen, dass der Verordnunggeber nach Art. 80 Abs. 1 Satz 3
GG neben den nationalen Ermächtigungsgrundlagen wie § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12
Abs. 2 Satz 1 MOG auch die von diesen Vorschriften in Bezug genommenen Normen
der Verordnung Nr. 3950/92 hätte anführen müssen.
a) Das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG soll nicht nur die gesetzliche
Ermächtigungsgrundlage kenntlich und damit auffindbar machen. Es soll auch die
Feststellung ermöglichen, ob der Verordnunggeber beim Erlass der Regelungen von
einer gesetzlichen Ermächtigung überhaupt Gebrauch machen wollte. Die Exekutive
muss durch Angabe ihrer Ermächtigungsgrundlage sich selbst des ihr aufgegebenen
Normsetzungsprogramms vergewissern und hat sich auf dieses zu beschränken. Es
kommt daher nicht nur darauf an, ob sie sich überhaupt im Rahmen der delegierten
Rechtssetzungsgewalt bewegt, vielmehr muss sich die in Anspruch genommene
Rechtssetzungsbefugnis gerade aus den von ihr selbst angeführten Vorschriften
ergeben. Außerdem dient Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG der Offenlegung des
Ermächtigungsrahmens gegenüber dem Adressaten der Verordnung. Das soll ihm
die Kontrolle ermöglichen, ob die Verordnung mit dem ermächtigenden Gesetz
übereinstimmt. Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG statuiert insoweit ein rechtsstaatliches
Formerfordernis, das die Prüfung erleichtern soll, ob sich der Verordnunggeber beim
Erlass der Verordnung im Rahmen der ihm erteilten Ermächtigung gehalten hat
(BVerfGE 101, 1 <42> ).
b) Hieraus folgt entgegen der auch im Schrifttum und in der Rechtsprechung (vgl.
Erbel, DÖV 1989, S. 338 <341 f.>; Kauch/Düsing, AgrarR 2003, S. 69; Nierhaus, in:
Bonner Kommentar, Bd. 11, Art. 80 Rn. 327 (November 1998); Schwarz, DÖV 2002,
S. 852 <853>; VG Darmstadt, Urteil vom 8. April 2004 - 3 E 1764/01 -, juris, Rn. 16)
teilweise
vertretenen Auffassung der Beschwerdeführer nicht, dass der
Verordnunggeber dann, wenn er sich auf eine nationale Verordnungsermächtigung
stützt, die ihrerseits (teilweise) auf unionsrechtliche Vorschriften verweist, neben der
nationalen Verordnungsermächtigung grundsätzlich auch diese unionsrechtlichen
Vorschriften zitieren müsste (vgl. BVerwGE 118, 70 <72 ff.>; 121, 382 <386>;
BFHE 203, 243 <249>; BayVGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - 9 BV 02.3024 -, juris, Rn.
20). Gegen einen solchen Schluss spricht schon der Zweck des Zitiergebots. Der
Verordnunggeber weist seine Rechtssetzungsbefugnis bei der Ergänzung und
53
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Durchführung von zwingendem Unionsrecht durch nationale Vorschriften vollständig
nach und ermöglicht auch die Kontrolle, ob die Grenzen seiner Rechtssetzungsmacht
gewahrt sind, wenn er alle - eigenständigen - Ermächtigungsgrundlagen, auf die er
die Verordnung stützt, nennt (vgl. BVerfGE 101, 1 <44> ). Der Zweck des Zitiergebots
ist deshalb grundsätzlich als erfüllt anzusehen, wenn der Verordnunggeber sich auf
die Nennung der nationalen Verordnungsermächtigung beschränkt, da diese - und
nicht die in Bezug genommenen unionsrechtlichen Vorschriften - regelt, dass der den
Mitgliedstaaten
verbliebene
Gestaltungsspielraum bei der Ergänzung und
Durchführung von zwingendem Unionsrecht durch den Verordnunggeber ausgefüllt
werden darf. Nur wenn unionsrechtliche Vorschriften, auf die eine nationale
Verordnungsermächtigung verwiese, eine oder mehrere zusätzliche eigenständige
Ermächtigungsgrundlagen enthielten, wäre der Verordnunggeber nach Art. 80 Abs. 1
Satz 3 GG verpflichtet, auch die entsprechenden unionsrechtlichen Vorschriften zu
nennen. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Dass das förmliche
Parlamentsgesetz zur Wahrung der Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG sich
in gewissen Grenzen des Mittels der Verweisung bedienen darf, zwingt nicht zu einer
entsprechend erweiternden Auslegung des Zitiergebots. Diese fände auch keine
Grundlage in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl.
BVerfGE 29, 198; 45, 142 ; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats
vom 5. September 1990 - 2 BvR 848/88 -, juris, und vom 6. September 1990 - 2 BvR
965/88 -, juris).
IV.
Der Straftatbestand des § 370 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 12 Abs. 1 MOG genügt
den Anforderungen des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 Abs.
2, Art. 104 Abs. 1 GG in noch hinreichender Weise. Dies gilt insbesondere auch,
soweit daraus die Strafbarkeit der Hinterziehung der zusätzlichen Abgabe auf Milch
nach der Verordnung Nr. 3950/92 in den Milchwirtschaftsjahren 1996/1997 bis
1998/1999 folgte.
1. a) Art. 103 Abs. 2 GG enthält die Verpflichtung des Gesetzgebers, die
Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und
Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch
Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Es
geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann
soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.
Art. 103 Abs. 2 GG hat insofern freiheitsgewährleistende Funktion. Andererseits soll
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56
sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst abstrakt-generell über die
Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen
Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt
verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen (vgl.
BVerfGE 75, 329 <340 f.> ; stRspr).
Allerdings darf das Gebot der Gesetzesbestimmtheit nicht übersteigert werden; die
Gesetze würden sonst zu starr und kasuistisch und könnten der Vielgestaltigkeit des
Lebens, dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalles nicht
mehr gerecht werden. Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige
Begriffe im Strafrecht sind deshalb nicht von vornherein und immer
verfassungsrechtlich zu beanstanden (vgl. BVerfGE 48, 48 <56 f.>; 75, 329 <341 f.> ).
Auch die Tatsache, dass zur Auslegung eines Strafgesetzes auf andere Gesetze
zurückgegriffen werden muss, steht der Bestimmtheit des Strafgesetzes grundsätzlich
nicht notwendig entgegen (vgl. BVerfGE 78, 205 <213> ). Die Beurteilung der Frage,
ob der Tatbestand einer Strafnorm „gesetzlich bestimmt" im Sinne des Art. 103 Abs. 2
GG ist, kann auch davon abhängen, an welchen Kreis von Adressaten sich die
Vorschrift wendet. Richtet sie sich ausschließlich an Personen, bei denen aufgrund
ihrer Ausbildung oder praktischen Erfahrung bestimmte Fachkenntnisse regelmäßig
vorauszusetzen sind und regelt sie Tatbestände, auf die sich solche Kenntnisse zu
beziehen pflegen, so begegnet die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe unter
dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 2 GG dann keinen Bedenken, wenn allgemein
davon ausgegangen werden kann, dass der Adressat aufgrund seines Fachwissens
imstande ist, den Regelungsinhalt solcher Begriffe zu verstehen und ihnen konkrete
Verhaltensanweisungen zu entnehmen (vgl. BVerfGE 48, 48 <57> ; stRspr).
b) Dem Gesetzgeber ist es von Verfassungs wegen nicht untersagt, durch ein
Blankettstrafgesetz die Beschreibung des Straftatbestandes zu ersetzen durch die
Verweisung auf eine Ergänzung im gleichen Gesetz oder in anderen, auch künftigen
Normen, die nicht notwendig von derselben rechtsetzenden Instanz erlassen werden
(vgl. BVerfGE 14, 245 <252> ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats
vom 19. Dezember 1991 - 2 BvR 836/85 -, NVwZ-RR 1992, S. 521). Die
Voraussetzungen der Strafbarkeit müssen dann entweder im Blankettstrafgesetz
selbst oder in dem in Bezug genommenen Gesetz hinreichend deutlich umschrieben
sein (vgl. BVerfGE 37, 201 <209>; 75, 329 <342, 344 ff.>; BVerfG, Beschluss der
2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Oktober 1990 - 2 BvR 385/87 -, NJW 1992,
S. 35; ferner BGHSt 37, 266 <272>). Zudem muss das Blankettgesetz hinreichend
57
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59
klar erkennen lassen, worauf sich die Verweisung bezieht (BVerfGE 48, 48 <55>; 51,
60 <74> ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Dezember
1991 - 2 BvR 836/85 -, NVwZ-RR 1992, S. 521).
Verweist der parlamentarische Gesetzgeber auf Rechtsverordnungen, muss er
Sorge tragen, dass die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für
den Bürger schon aus dem Parlamentsgesetz voraussehbar sind und nicht erst aus
der Verordnung, auf die verwiesen wird (vgl. BVerfGE 14, 174 <185 f.> m.w.N.; vgl.
auch BVerfGE 32, 346 <362> ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten
Senats vom 21. August 2001 - 2 BvR 1941/00 -, juris, Rn. 4). Droht das
Blankettstrafgesetz Freiheitsstrafe an, verlangt Art. 104 Abs. 1 GG darüber hinaus,
dass Art und Maß der Strafe im förmlichen Gesetz festgelegt werden und dem
Verordnunggeber auch auf tatbestandlicher Seite nur eine gewisse Spezifizierung
des Straftatbestandes überlassen wird, was vor allem gerechtfertigt sein kann, wenn
wechselnde und mannigfaltige Einzelregelungen erforderlich werden können (vgl.
BVerfGE 14, 174 <186 f.>; 14, 245 <251>; 22, 21 <25>; 23, 265 <269>; 75, 329
<342>). Diese Anforderungen lassen sich sinngemäß auf den Fall übertragen, dass
förmliche Blankettstrafgesetze auf Vorschriften des Unionsrechts verweisen (vgl. dazu
BVerfG, Beschluss vom 17. März 1978 - 2 BvR 1086/77 -, RIW/AWD 1979, S. 132 f.).
Der
Gesetzgeber muss also hier wie im Falle der Verweisung auf
Rechtsverordnungen selbst sicherstellen, dass nur materiell wertwidrige
Verhaltensweisen als strafbar erfasst werden (vgl. Dannecker, in: Leipziger
Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 1, 12. Aufl. 2006, § 1 Rn. 127); die
Gewichtverteilung zwischen Blankettstrafgesetz und konkretisierendem Rechtsakt
muss die vorrangige Bestimmungsgewalt des förmlichen Gesetzes wiedergeben (vgl.
Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 201 ).
2. Einer Prüfung nach diesen Maßstäben hält der Straftatbestand des § 12 Abs. 1
MOG (dazu a)) in Verbindung mit § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (dazu b)) stand.
a) Der den Anwendungsbereich des § 370 Abs. 1 AO (entsprechend) eröffnende
Begriff der „Abgabe“ in § 12 Abs. 1 MOG war noch hinreichend bestimmt. Dass es
sich bei der zusätzlichen Abgabe auf Milch um eine Abgabe zu
Marktordnungszwecken handelte, die nach Regelungen im Sinne des § 1 Abs. 2
MOG hinsichtlich Marktordnungswaren erhoben wurde, war für die Normadressaten
erkennbar (aa)) und entsprach offensichtlich auch dem Regelungswillen des
historischen Gesetzgebers (bb)).
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aa) Regelungen im Sinne des § 1 Abs. 2 MOG waren nach dessen Nummern 1, 3
unter anderem die Bestimmungen des EG-Vertrages sowie Rechtsakte des Rates
aufgrund dieses Vertrages. Die Verordnung Nr. 3950/92, welche in Art. 1 die
zusätzliche Abgabe auf Milch statuierte, beruhte formal auf Art. 249 Abs. 2 und
inhaltlich entsprechend ihrer Eingangsformel auf Art. 43 des EG-Vertrages. Somit
stellte sie eine Regelung im Sinne des § 1 Abs. 2 MOG dar. Der Ausdruck
„Bestimmungen des EG-Vertrages sowie Rechtsakte aufgrund dieses Vertrages“
stellte
dabei
auch
einen
juristischen
Laien
nicht
vor unzumutbare
Verständnisschwierigkeiten. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers zu 1) war
der Wortlaut des § 1 Abs. 2 MOG auch nicht in irreführender Weise geeignet, den
unzutreffenden Eindruck zu erwecken, § 12 Abs. 1 MOG wolle auch die
„Hinterziehung“ solcher Abgaben unter Strafe stellen, hinsichtlich derer mangels
unmittelbar anwendbarer Abgabenregelung überhaupt keine Abgabenpflicht bestand.
Marktordnungswaren waren nach § 2 MOG unter anderem die Erzeugnisse, die den
gemei nsamen Marktorganisationen unterlagen, wobei das Gesetz unter
gemeinsamen Marktorganisationen Regelungen zur Schaffung und Durchführung der
gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte für die in Anhang II des EG-Vertrages
aufgeführten Erzeugnisse verstand (§ 1 Abs. 1). In Anhang II des EG-Vertrages fand
sich noch in der bis zum 30. April 1999 geltenden Fassung des Vertrages von
Maastricht unter anderem die Position „Kapitel 4 - Milch und Milcherzeugnisse …“.
Erst mit Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam am 1. Mai 1999 wurde die
bisherige Anlage II zur Anlage I (vgl. Gesetz vom 8. April 1998 zum Vertrag von
Amsterdam vom 2. Oktober 1997, BGBl II S. 386 <412> ; die Bezugnahme in § 1 Abs.
1 MOG wurde durch Art. 4 Nr. 2 Buchstabe b des Gesetzes zur Umsetzung der
Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik vom 21. Juli 2004 < BGBl I S. 1763 > mit
Wirkung zum 1. August 2004 angepasst). Somit war jedenfalls während des
Tatzeitraums (Milchwirtschaftsjahre 1996/1997 bis 1998/1999) ohne weiteres für die
Adressaten erkennbar, dass es sich bei Milch um eine Marktordnungsware handelte.
Aus Regelungszusammenhang und Inhalt der Verordnung Nr. 3950/92 ergab sich
schließlich, dass die zusätzliche Abgabe nach Art. 1 zum Zweck der Marktordnung
erhoben wurde. Auch ohne nähere Kenntnis der Verordnung Nr. 3950/92 und ihrer
Erwägungsgründe
war
schon bei oberflächlicher Befassung mit dem
Milchquotensystem erkennbar, dass die Abgabe schon ihrer Höhe nach
Milcherzeuger davon abhalten sollte, die ihnen zugewiesenen Referenzmengen zu
überschreiten. Eben diese für die Milcherzeuger ungünstige Ausgestaltung war es,
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die die Beschwerdeführer zu ihrem strafbaren Handeln bewegte. Nicht zu
überzeugen vermag die Ansicht des Beschwerdeführers zu 1), das Merkmal „zu
Marktordnungszwecken“
sei
unbestimmt,
weil nicht klar sei, ob der
Marktordnungszweck das einzige Ziel der Regelung sein müsse. Dem Wortlaut nach
ist ein Marktordnungszweck erforderlich, die Verfolgung von Nebenzwecken schadet
nicht. Zudem ist im konkreten Fall der zusätzlichen Abgabe auf Milch ein zum
Marktordnungszweck hinzutretender Nebenzweck nicht zu erkennen. Insbesondere
verfolgte die zusätzliche Abgabe auf Milch keinen Strafzweck; der vom
Beschwerdeführer zu 1) angestrengte Vergleich einer Hinterziehung der zusätzlichen
Abgabe auf Milch mit der Nichtzahlung einer Geldstrafe liegt neben der Sache.
bb) Es ist nach alledem auch nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Erstreckung des
§ 12 Abs. 1 MOG auf die zusätzliche Abgabe auf Milch vom Willen des
parlamentarischen Gesetzgebers umfasst war. Der Gesetzgeber konnte aufgrund des
Verweises auf den Anhang II des EG-Vertrages ebenso wie die Adressaten der
Regelung voraussehen, welche Waren im Einzelnen Gegenstand einer von § 12 Abs.
1 MOG, § 370 Abs. 1 AO erfassten Abgabenerhebung werden konnten. Im Übrigen
war jedenfalls im Jahr 1986, als § 12 MOG eine seiner zum Tatzeitpunkt geltenden
Fassung
im
Wesentlichen
bereits
entsprechende
Form erhielt,
die
Milchabgabenregelung bereits eingeführt und wurde in der amtlichen Begründung
auch genannt (vgl. BTDrucks 10/5236 S. 6, 13 zu § 8 MOG
Neufassung BGBl 1986 I S. 1397> ). Dass der Gesetzgeber mit dem allgemeinen
Verweis auf die Abgabenordnung gerade auch die kriminalpolitische Entscheidung
treffen wollte, den Anwendungsbereich des Steuerhinterziehungstatbestands zu
erweitern, ergibt sich ergänzend aus § 35 MOG.
b) Eine sowohl unter dem Gesichtspunkt der Erkennbarkeit für die Adressaten (aa))
wie hinsichtlich der Wahrung der parlamentarischen Verantwortung (bb)) hinreichend
bestimmte Umschreibung des tatbestandlichen Unrechts ließ sich § 370 Abs. 1 Nr. 1
AO auch dann entnehmen, wenn die Tatbestandsmerkmale der steuerlich
erheblichen Tatsachen und der Steuerverkürzung mit der bisherigen Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs (vgl. BVerfGE 37, 201
<208 f.> ; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. März 1989
- 2 BvR 162/89 u.a. -, juris, Rn. 2, und der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23.
Juni 1994 - 2 BvR 1084/94 -, juris, Rn. 3; BGHSt 20, 177 <180>; 34, 272 <282>) als
Blankettmerkmale aufgefasst wurden, die auf das materielle Abgabenrecht - hier also
die Vorschriften der Verordnung Nr. 3950/92 und der Milch-Garantiemengen-
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Verordnung - verwiesen und durch dieses ausgefüllt wurden. Es kann daher offen
bleiben, ob die Tatbestandsmerkmale des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sich auch als
normative Merkmale verstehen lassen, die bereits für sich genommen eine
vollständige, hinreichend bestimmte Umschreibung des tatbestandlichen Unrechts
enthalten, wie dies im Schrifttum zunehmend vertreten wird (vgl. Hellmann, in:
Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 370 AO Rn.
47 ; Dannecker, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd.
1, 12. Aufl. 2006, § 1 Rn. 149; Gribbohm/Utech, NStZ 1990, S. 209 <210>).
aa) Insbesondere das Tatbestandsmerkmal der Steuerverkürzung wird insofern
durch die materiellen Abgabengesetze ausgefüllt, als die Frage, ob und in welchem
Umfang eine Steuerverkürzung eingetreten ist, sich aus dem Vergleich zwischen der
Steuer, die aufgrund unwahrer Angaben festgesetzt wurde und der Steuer, die zu
erheben
gewesen wäre, wenn anstelle der unrichtigen die der Wahrheit
entsprechenden Angaben zugrunde gelegt worden wären, beantwortet (vgl. Gast-
deHaan, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 370 Rn. 5, 52 sowie BGH, Urteil
vom 30. Juli 1985 - 1 StR 284/85 -, juris, Rn. 19).
Die insoweit erforderliche Publizität war durch Veröffentlichung der einschlägigen
gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften im Amtsblatt der EG gewahrt (vgl. BVerfG,
Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Dezember 1991 - 2 BvR
836/85 -, NVwZ-RR 1992, S. 521 <522>, sowie Satzger, Die Europäisierung des
Strafrechts, 2001, S. 264 ff.). Entgegen kritischer Stimmen in der Literatur (vgl. etwa
Satzger, a.a.O., S. 267 sowie derselbe, Internationales und Europäisches Strafrecht,
2. Aufl. 2008, S. 122 f.) lässt sich ein genereller Einwand gegen Verweisungen von
Blankettvorschriften auf Unionsrecht jedenfalls vorliegend auch nicht daraus
herleiten, dass bei der Auslegung des europäischen Rechts gegebenenfalls die
Fassungen der verschiedenen Amtssprachen zu berücksichtigen sind. Im hier
interessierenden Fall der Verordnung Nr. 3950/92 sind Anhaltspunkte für konkrete,
mehrsprachigkeitsbedingte Unklarheiten weder vorgetragen worden noch sonst
ersichtlich.
Für die in Betracht kommenden Adressaten der Norm - nämlich Landwirte und
andere beruflich mit der Milcherzeugung und der entsprechenden Abgabenerhebung
i n Berührung kommenden Personen - waren die Strafbarkeitsvoraussetzungen in
hinreichender Weise erkennbar. Wer das Quotensystem nach Marktordnungsgesetz,
Verordnung Nr. 3950/92 und Milch-Garantiemengen-Verordnung nicht wenigstens
der Sache nach kannte, stand von vornherein nicht in Gefahr, sich wegen unlauterer
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Beteiligung daran strafbar zu machen. Das Verhalten der Beschwerdeführer wies
deutliche Merkmale betrügerischer Handlungen auf.
bb) Die Verweisung auf das materielle Abgabenrecht führte vorliegend auch nicht zu
einem Verlust der parlamentarischen Verantwortung für die Entscheidung über die
Grenzen
der
Strafbarkeit;
die
insoweit
in
der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts anerkannten Beschränkungen hatte der Gesetzgeber
eingehalten.
Auf der Rechtsfolgenseite waren Art und Maß der Strafe entsprechend den aus
Art. 103 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen für Gesetze mit
Androhung von Freiheitsstrafe abschließend im formellen Gesetz festgelegt; hier
bestanden keinerlei Entscheidungsspielräume für Gemeinschaftsgesetzgeber oder
nationalen Verordnunggeber. Aber auch auf der Tatbestandsseite gingen die dem
Gemeinschaftsgesetzgeber und dem nationalen Verordnunggeber verbleibenden
Einflussmöglichkeiten über eine verfassungsrechtlich zulässige Spezifizierung
jedenfalls nicht hinaus.
Das von § 370 Abs. 1 AO geschützte Rechtsgut ist das öffentliche Interesse am
rechtzeitigen und vollständigen Aufkommen der von der Norm erfassten Steuern (vgl.
Gast-deHaan, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 370 Rn. 2 m.w.N.). Über
§ 12 Abs. 1 MOG wurde das öffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen
Aufkommen
der
gemeinschaftsrechtlich
geregelten Abgaben
auf
Marktordnungswaren
zu
Marktordnungszwecken einbezogen, wobei dieser
allgemeine parlamentarische Wille - wie bereits dargelegt - den konkreten Fall der
zusätzlichen Abgabe auf Milch erfasste. Anhaltspunkte, dass es insofern für den
parlamentarischen Gesetzgeber eine Rolle spielte, ob das im konkreten Fall
hinterzogene
Abgabenaufkommen
im Ergebnis auch tatsächlich dem
Gemeinschaftshaushalt zugeflossen wäre, bestehen nicht; die in der Entgegnung des
Beschwerdeführers zu 1) auf die eingegangenen Stellungnahmen angestellten
Überlegungen in dieser Hinsicht gehen daher ins Leere.
§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erschöpft sich auch nicht in einer bloßen Weiterverweisung
auf das Abgabenrecht, sondern lässt somit einen bestimmten Unrechtstyp deutlich
erkennen, indem er die tatbestandliche Handlung („wer den Finanzbehörden oder
anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder
unvollständige Angaben macht“) wie den Taterfolg („und dadurch Steuern verkürzt
oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“) in einer
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allgemeinverständlichen, einer Parallelwertung in der Laiensphäre (vgl.
Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung,
§ 370 AO Rn. 47 m.w.N.) zugänglichen Weise ausführt.
Dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 AO - hier in Verbindung mit § 12 Abs. 1 MOG - ließ
sich eine normative Wertbestimmung durch den parlamentarischen Gesetzgeber (vgl.
Dannecker, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 1, 12. Aufl. 2006, § 1
R n . 127) mithin ebenso entnehmen wie eine Umschreibung des strafrechtlich
relevanten Verhaltens (vgl. Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht,
1969, S. 258 ff.). Danach war sichergestellt, dass nur materiell wertwidrige
Verhaltensweisen von der Norm erfasst wurden und die Gewichtverteilung zwischen
Blankettstrafgesetz
und konkretisierendem Rechtsakt gab die vorrangige
Bestimmungsgewalt des förmlichen Gesetzes wieder.
V.
Der somit verfassungsmäßige Straftatbestand ist von den im Falle der
Beschwerdeführer entscheidenden Strafgerichten in verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandender, insbesondere nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoßender Weise,
angewendet worden.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Broß
Di Fabio
Landau