Urteil des BVerfG vom 15.02.2017

Erfolglose Verfassungsbeschwerde mangels Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör

Bundesverfassungsgericht
Sie sind hier:
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 395/16 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau V…,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Nielsen,
Thomas-Wimmer-Ring 15, 8000 München -
gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11. Februar 2016 - V ZA 28/15 -,
b) das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 15. Juli 2015 - 27 U 4775/11 -,
c) das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 28. Oktober 2011 - 023 O 1144/10 -
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 15. Februar 2017 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
G r ü n d e :
I.
1
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie zwar zulässig (1.), aber
unbegründet (2.) ist.
2
1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht deswegen unzulässig, weil die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des
Bundesgerichtshofs keine Gehörsrüge erhoben hat. Auch ohne Erhebung einer Gehörsrüge ist der Rechtsweg vorliegend
erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die
Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht
geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung
des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 133, 143 <156 Rn. 33>).
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2. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG liegt jedoch nicht vor.
4
a) Art. 103 Abs. 1 GG verlangt, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde
gelegt werden, zu denen Stellung zu nehmen den Beteiligten Gelegenheit gegeben war (vgl. BVerfGE 6, 12 <14>; 7, 239
<240>, 275 <278>, 340 <341>; 8, 184 <185>; 9, 261 <267>, 303 <304 f.>; 10, 177 <182>, 274 <281>; 13, 132 <144
f.>; 15, 214 <218>; 16, 283 <285>; 17, 86 <95>, 139 <143>, 194 <196>; 18, 147 <150>, 399 <404>; 19, 142 <144>,
198 <200 f.>; 20, 280 <282>; 24, 56 <61>; 25, 40 <43>; 26, 37 <40>; 29, 340 <344>, 345 <347>; 32, 195 <197>; 57,
250 <274>; 64, 135 <143 f.>; 89, 381 <392>, stRspr). Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet ferner, dass das
entscheidende Gericht durch die mit dem Verfahren befassten Richter die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur
Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss (vgl. BVerfGE 18, 380 <383>; 21, 102 <103 f.>; 22, 267 <273>; 24, 203
<213>; 25, 137 <140>; 27, 248 <251>; 28, 378 <384>; 29, 166 <173>; 34, 344 <347>; 36, 92 <97>, 298 <301>; 42,
364 <367 f.>; 46, 315 <319>; 47, 182 <187>; 49, 212 <215>; 50, 32 <35>; 51, 188 <191>; 53, 205 <206>, 219 <222>;
54, 43 <45>, 86 <91>, 94 <97>, 117 <123>; 59, 330 <333>; 60, 1 <5>, 247 <249>; 62, 249 <254>, 347 <352>; 65,
293 <295 f.>, 305 <307>; 66, 260 <263>; 67, 39 <41>; 69, 145 <148>, 233 <246>, 248 <253>; 70, 288 <293>; 75,
369 <381>; 79, 51 <61>; 83, 24 <35>; 86, 133 <145>, stRspr).
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen
Tatsachenfeststellung in Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der
von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist (vgl. BVerfGE 22, 267 <273 f.>; 28, 378 <384>). Auch die bloße
Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder
rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen
Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfGE 11, 343 <349>; 18, 85 <92>; 22, 267 <273>, 25, 137 <140>; 28, 378
<384>).
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Art. 103 Abs. 1 GG gewährt außerdem keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus
Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfGE 21, 191 <194>;
22, 267 <273>; 27, 248 <251>; 28, 378 <384>; 30, 173 <187>; 36, 92 <97>; 40, 101 <105>; 46, 315 <319>; 50, 32
<35>; 51, 188 <191>; 54, 117 <123>; 60, 1 <5>; 62, 249 <253 f.>; 63, 80 <85>; 66, 260 <263>; 69, 145 <148>, 248
<253>; 70, 288 <294>; 79, 51 <62>; 82, 209 <235>; 83, 182 <200>; 84, 34 <58>; 85, 386 <404>, stRspr). Zwar kann es
in besonderen Fällen geboten sein, den Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der
Entscheidung zugrunde legen will; allerdings ist dabei zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich nicht zu einem Hinweis
auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 66, 116 <147>; 74, 1 <5>; 86, 133 <145>). Erst recht ergibt sich
aus Art. 103 Abs. 1 GG keine Pflicht der Gerichte, der von einer Partei vertretenen Rechtsansicht zu folgen (vgl. BVerfGE 64,
1 <12>; 80, 269 <286>; 87, 1 <33>). Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst dann anzunehmen,
wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt
vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfGE 84, 188 <190>; 86, 133 <144 f.>; 96, 189
<204>; 108, 341 <345 f.>). Dies kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen (vgl.
BVerfGE 98, 218 <263>).
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b) In Ansehung dieser Maßstäbe ist eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nicht erkennbar.
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aa) Allein der Umstand, dass der Sohn der Beschwerdeführerin in einem weiteren Verfahren vor dem Landgericht zur
Begründung der von ihm erhobenen Abänderungsklage nach § 323 ZPO eine Verschlechterung seiner
Vermögensverhältnisse behauptet hat, macht die behaupteten Umstände nicht zu einer Tatsache, die das
Oberlandesgericht zugunsten der Beschwerdeführerin hätte berücksichtigen müssen. Es war aus verfassungsrechtlichen
Gründen nicht daran gehindert, aufgrund des Vortrags der Verfahrensbeteiligten davon auszugehen, dass sich die
Vermögensverhältnisse des Sohnes der Beschwerdeführerin nicht wesentlich verschlechtert hätten. Dies gilt umso mehr, als
das vom Sohn der Beschwerdeführerin initiierte Verfahren vor dem Landgericht ausgesetzt ist und der Vortrag der
Verfahrensbeteiligten in diesem Verfahren noch keine abschließende rechtliche Würdigung in einem Urteil erfahren hat.
Selbst wenn sich in diesem Verfahren abzeichnen sollte, dass sich - etwa aufgrund von durch Zeitablauf geänderten
Umständen - die Vermögensverhältnisse des Sohnes der Beschwerdeführerin wesentlich verschlechtert hätten und
demzufolge ein Abänderungsgrund vorläge, bliebe der Beschwerdeführerin grundsätzlich die Möglichkeit einer
Eventualwiderklage (§ 33 ZPO) mit dem Ziel der Rückübertragung des Hofes. Ein Verbleib des Hofes beim Sohn der
Beschwerdeführerin bei gleichzeitiger Reduzierung ihrer monatlichen Unterhaltszahlung auf Null war insoweit nicht zu
besorgen.
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bb) Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, das Oberlandesgericht habe hinsichtlich der Vermögensverhältnisse ihres
Sohnes unrichtige Schlüsse gezogen, sind damit ebenfalls keine Tatsachen angesprochen, deren fehlende Berücksichtigung
oder Würdigung eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG zu begründen geeignet wäre.
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cc) Darüber hinaus trifft das Vorbringen der Beschwerdeführerin, das Oberlandesgericht habe im Laufe des Verfahrens
seine Rechtsauffassung hinsichtlich des Vorliegens einer gemischten Schenkung in einem wesentlichen Punkt geändert,
ohne sie hierauf hinzuweisen, so nicht zu. Aus Nr. 7 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2012
geht vielmehr hervor, dass das Oberlandesgericht darauf hingewiesen hat, dass für die Annahme einer Schenkung neben
der objektiven Unentgeltlichkeit einer Zuwendung auch ein entsprechender Parteiwille erforderlich sei; sodann führt es aus:
„Im konkreten Vertrag findet sich als Anhaltspunkt für einen Schenkungswillen bezüglich eines Teils der Zuwendung
lediglich Ziffer 12.“ Die Verwendung des Wortes „lediglich“ deutet klar darauf hin, dass aus Sicht des Oberlandesgerichts
die Argumente gegen die Annahme einer gemischten Schenkung deutlich überwogen. Aus dem in der mündlichen
Verhandlung vom 15. Juli 2015 gegebenen Hinweis, dass die Rechtsauffassung des Senats auch infolge veränderter
Besetzung fortbestehe, konnte die Beschwerdeführerin daher vernünftigerweise nicht den Schluss ziehen, dass das
Oberlandesgericht ihrer Argumentation folge. Auch wenn das Oberlandesgericht in seinem Urteil seine Auffassung zur
Auslegung von § 2 Nr. 12 des Vertrages geändert und die Bestimmung als Beleg für das Nichtvorhandensein eines
Schenkungswillens interpretiert hat, betraf dies doch lediglich die Auslegung einer einzelnen Vertragsbestimmung, was
nicht zu einer insgesamt veränderten rechtlichen Bewertung geführt, sondern die Verneinung eines Schenkungswillens
bestätigt hat. Hiermit musste die Beschwerdeführerin rechnen.
11
c) Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass das Urteil des Oberlandesgerichts rechtsstaatswidrig, willkürlich oder in sonstiger
Weise grundrechtsverletzend wäre.
II.
12
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
13
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Huber
Kessal-Wulf
König