Urteil des BVerfG vom 29.10.2013

unverletzlichkeit der wohnung, durchsuchung von wohnungen, verfassungsbeschwerde, hinreichender tatverdacht

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Jürgen Lubojanski,
in Sozietät Rechtsanwälte Dr. Bader & Partner,
An der Fleischbrücke 1-3, 90403 Nürnberg -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 389/13 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau K...,
gegen a) den Beschluss des Landgerichts Amberg vom 29. Januar 2013 - 12 Qs
108/2012 -,
b) den Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 18. September 2012 - 6
Gs 1362/12 -,
c) die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin am 23.
Oktober 2012 zwischen 8:40 Uhr und 9:40 Uhr
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Gerhardt,
die Richterin Hermanns
und den Richter Müller
am 29. Oktober 2013 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Landgerichts Amberg vom 29. Januar 2013 - 12 Qs 108/2012 -
und der Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 18. September 2012 - 6 Gs
1362/12 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 13
Absatz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Landgerichts Amberg vom 29. Januar 2013 - 12 Qs 108/2012 -
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wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht
Amberg zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu
erstatten.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine wegen des Verdachts des Erwerbs von
Betäubungsmitteln ergangene Durchsuchungsanordnung.
I.
1. Der gesondert Verfolgte Z. hatte in einer Beschuldigtenvernehmung angegeben,
den gesondert Verfolgten D. in der Zeit von Januar 2010 bis Februar 2011 mit seinem
Taxi regelmäßig in verschiedene Orte, unter anderem nach F., gefahren zu haben,
wobei D. jedes Mal 10 bis 20 Tütchen jeweils gefüllt mit 5 bis 6 g Crystal-Speed
(Metamfetamin) bei sich geführt und verkauft habe. Bei der daraufhin
vorgenommenen Durchsuchung der Wohnung des D. im April 2012 wurde auch
dessen Mobiltelefon sichergestellt und ausgewertet. Unter den Kontakteinträgen
befand sich die Mobiltelefonnummer der in F. wohnhaften Beschwerdeführerin. Ein
tatsächlicher Kontakt zwischen D. und der Beschwerdeführerin konnte nicht
nachgewiesen werden.
2. a) Mit angegriffenem Beschluss vom 18. September 2012 ordnete das
Amtsgericht Amberg gemäß § 102, § 105 Abs. 1 StPO die Durchsuchung der Person,
der Wohnung mit Nebenräumen und der Fahrzeuge der Beschwerdeführerin wegen
des Verdachts des Erwerbs von Betäubungsmitteln im Zeitraum vom 1. Januar 2010
bis zum 28. Februar 2011 an. Zweck sei insbesondere das Auffinden von
Betäubungsmitteln,
Betäubungsmittelutensilien, Aufzeichnungen
über
Betäubungsmittelgeschäfte und von Mobilfunktelefonen mit entsprechenden Daten.
b) Der Beschluss wurde am 23. Oktober 2012 vollstreckt. In der Wohnung der
Beschwerdeführerin wurden Betäubungsmittelutensilien sowie 5,4 g Haschisch, 3,4 g
Marihuana und 29,1 g Crystal-Speed aufgefunden und sichergestellt.
3. Die gegen den Durchsuchungsbeschluss gerichtete Beschwerde vom 31. Oktober
2012 verwarf das Landgericht Amberg mit angegriffenem Beschluss vom 29. Januar
2013 als unbegründet. Neben dem Wohnort der Beschwerdeführerin und dem
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Kontakteintrag im Mobiltelefon des gesondert Verfolgten D. stützte das Landgericht
Amberg den Tatverdacht insbesondere auf die einschlägigen Vorstrafen der
Beschwerdeführerin nach dem Betäubungsmittelgesetz. Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit sei unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei
Crystal-Speed um eine „harte Droge“ handele und in Anbetracht der Stärke des
Tatverdachts gewahrt. Es sei zu vermuten, dass eine Durchsuchung zum Auffinden
von Betäubungsmitteln oder Betäubungsmittelutensilien führen werde.
4. Das Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdeführerin wegen des Verdachts
des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln wurde von der Staatsanwaltschaft
Amberg bereits mit Verfügung vom 27. November 2012 eingestellt, da ein strafbares
Verhalten nicht zu beweisen war. Die Durchsuchung habe keine Beweismittel für in
Verbindung mit dem gesondert Verfolgten D. stehende Straftaten hervorgebracht.
II.
Die Beschwerdeführerin sieht sich durch die angegriffenen Beschlüsse in ihrem
Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzt.
1. Es habe bereits kein Anfangsverdacht des unerlaubten Erwerbs von
Betäubungsmitteln bestanden. Allein die Tatsachen, dass im Mobiltelefon des
gesondert Verfolgten D. ihre Telefonnummer eingetragen gewesen sei, sie in F.
gewohnt und der Z. angegeben habe, den D. unter anderem auch in das Stadtgebiet
F. gefahren zu haben, rechtfertigten keinen Verdacht dahingehend, dass die
Beschwerdeführerin Betäubungsmittel von D. erworben habe. Daran ändere auch der
Umstand nichts, dass die Beschwerdeführerin einschlägig vorbestraft sei. Die
Durchsuchung habe auf einer bloßen Vermutung basiert. Sie sei durch keinen der
gesondert verfolgten Beschuldigten belastet worden.
2. Die Durchsuchung sei darüber hinaus wegen des lange zurückliegenden
Tatzeitraums als unverhältnismäßig zu bewerten. Ein Zeitraum von „einem Jahr und
neun Monaten“ begründe ohne nähere Anhaltspunkte, aus denen sich aktuell eine
Strafbarkeit
ergebe,
eindeutig
einen
Verstoß
gegen
den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
III.
1. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hält die
Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Ein hinreichender Tatverdacht habe
vorgelegen. In der Gesamtschau hätten zahlreiche Indizien zum Zeitpunkt des
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Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses nahegelegt, dass die Beschwerdeführerin
eine Abnehmerin der von D. gehandelten Betäubungsmittel gewesen sei. Die
Durchsuchung sei mit Blick auf den Tatvorwurf auch nicht unverhältnismäßig
gewesen.
2.
Der
Generalbundesanwalt
beim Bundesgerichtshof
hält
die
Verfassungsbeschwerde
ebenfalls für unbegründet. Aufgrund der von den
Fachgerichten genannten Anhaltspunkte seien ausreichende Gründe für die
Annahme eines Tatverdachts gegeben. Auch die Annahme, 18 Monate nach der
angenommenen (spätesten) Tatzeit bestehe noch eine ausreichende Vermutung für
das Auffinden von Beweismitteln, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Da
d e r unerlaubte Betäubungsmittelhandel oder -erwerb zum großen Teil wiederholt
betrieben werde, blieben Durchsuchungen auch geraume Zeit nach der ersten
Kenntniserlangung von den Tatverdacht begründenden Tatsachen nicht offensichtlich
erfolglos.
3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 106 Js 8687/12 der
Staatsanwaltschaft Amberg vorgelegen.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr in
dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang statt. Das Bundesverfassungsgericht hat
die
für
die
Beurteilung
der
Verfassungsbeschwerde maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an den
Auffindeverdacht bei Durchsuchungen - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1
BVerfGG; vgl. BVerfGE 113, 29 <57>; 115, 166 <197>) und die Annahme der
Verfassungsbeschwerde
ist
zur
Durchsetzung
des Grundrechts
der
Beschwerdeführerin aus Art. 13 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1
Satz 1
BVerfGG).
1. Die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts Amberg vom 18. September
2012 und des Landgerichts Amberg vom 29. Januar 2013 verletzen die
Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.
a) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem
Einzelnen ein elementarer Lebensraum zur freien Entfaltung der Persönlichkeit
gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden
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(BVerfGE 27, 1 <6>; 51, 97 <107>). In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre
greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 96, 27 <40>; 103, 142
<150 f.>). Die daraus sich ergebenden Maßstäbe für die Durchsuchung von
Wohnungen sind geklärt.
aa) Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für
Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Dieser
Anfangsverdacht muss eine Tatsachengrundlage haben, aus der sich die Möglichkeit
der Tatbegehung durch den Beschuldigten ergibt. Vage Anhaltspunkte oder bloße
Vermutungen genügen nicht. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den
Anfangsverdacht begründen, eine genaue Tatkonkretisierung nicht ergeben (vgl.
BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 59, 95 <97>; 115, 166 <197 f.>; BVerfG, Beschluss der
3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris,
Rn. 19). Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist nur geboten, wenn die
Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die
prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) als
Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung
der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf
einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des jeweiligen
Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.>; BVerfG, Beschluss der
3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 - 2 BvR 2043/03 -, juris, Rn. 5). Ob
in jeder Hinsicht eine zutreffende Gewichtung vorgenommen wurde oder ob eine
andere Beurteilung näher gelegen hätte, unterfällt nicht seiner Entscheidung (vgl.
BVerfGE 95, 96 <141>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom
28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 22).
bb) Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des
Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit. Demgemäß muss die Durchsuchung zur Ermittlung und
Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn
andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Daneben muss die
Durchsuchung im Blick auf den verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend
sein (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>; 115, 166 <198>; BVerfGK 5, 56 <58, 59>).
Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere
der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>).
Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das
Strafverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen
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bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>). Im
Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe
Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des
Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 113, 29 <57>;
115, 166 <197>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28.
September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 20).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden der angegriffene
Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts und der ihn bestätigende Beschluss des
Landgerichts nicht gerecht.
aa) Zwar ist die Annahme eines Tatverdachts verfassungsrechtlich (noch) nicht zu
beanstanden.
Ein auf konkreten Tatsachen beruhender Anfangsverdacht als Voraussetzung für
strafprozessuale Maßnahmen liegt vor, wenn nach kriminalistischer Erfahrung die
Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat gegeben ist (vgl. BVerfGK 3, 55 <61>; Meyer-
Goßner, StPO, 56. Aufl. 2013, § 152 Rn. 4). Vorliegend war die einschlägig
vorbestrafte Beschwerdeführerin im Kontaktspeicher des Mobiltelefons des gesondert
Verfolgten D. eingetragen. Dieser hatte im angegebenen Tatzeitraum mehrere
Fahrten an den Wohnort der Beschwerdeführerin durchgeführt, wobei davon
auszugehen war, dass diese Fahrten dem Verkauf von Betäubungsmitteln dienten.
Gegen die hieraus abgeleitete Annahme eines Tatverdachts des unerlaubten
Erwerbs
von Betäubungsmitteln
durch
die
Beschwerdeführerin
ist
verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Dass sich allein auf der Grundlage der
genannten Anhaltspunkte die Vorwürfe nicht zwangsläufig nachweisen ließen,
sondern sich aus ihnen nur die Möglichkeit einer entsprechenden Tatbegehung
ergab, liegt in der Natur des Anfangsverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss der
3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn.
22).
bb) Die angegriffenen Entscheidungen tragen jedoch dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend Rechnung. Konkrete Anhaltspunkte, die die
Erwartung hätten rechtfertigen können, dass sich in der Wohnung der
Beschwerdeführerin 18 Monate nach Ende des im Durchsuchungsbeschluss
angegebenen Tatzeitraums noch aus den verfahrensgegenständlichen Taten
stammende Betäubungsmittel oder andere Beweisgegenstände finden ließen, sind
nicht ersichtlich. Zudem ist die Angemessenheit der Durchsuchung nicht tragfähig
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begründet; im Hinblick auf die Vagheit des Auffindeverdachts und die Schwere des
mit der Durchsuchung der privaten Wohnung verbundenen Eingriffs hätte es einer
eingehenden Begründung bedurft (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des
Zweiten Senats vom 28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 23).
(1) Dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden verfassungsrechtlichen
Gebot hinreichender Erfolgsaussicht einer Durchsuchung (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>;
BVerfGK 5, 56 <58, 59>) ist genügt, wenn aufgrund kriminalistischer Erfahrung eine
Vermutung dafür besteht, dass die gesuchten Beweismittel aufgefunden werden
können (vgl. Wohlers, in: Systematischer Kommentar zur StPO, Bd. II, 4. Aufl. 2010,
§ 102 Rn. 18 m.w.N.). Insoweit ist vorliegend zu beachten, dass dem
Durchsuchungsbeschluss vom 18. September 2012 der Verdacht des unerlaubten
Erwerbs von Betäubungsmitteln im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 28. Februar
2011 zugrunde lag. Die gebotene Erfolgsaussicht der angeordneten Durchsuchung
wäre daher nur gegeben, wenn nach kriminalistischer Erfahrung eine Vermutung
dafür bestand, dass auch 18 Monate nach dem spätest möglichen Tatzeitpunkt
Beweisgegenstände zum Nachweis des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln
durch die Beschwerdeführerin aufgefunden werden können.
Dies ist weder dargetan, noch in sonstiger Weise ersichtlich. Dabei ist davon
auszugehen, dass zum Konsum oder Weiterverkauf bestimmte Betäubungsmittel im
Regelfall nur eine geringe Verweildauer beim Ankäufer haben. Einer Durchsuchung,
die auf dem Verdacht beruht, dass der Beschuldigte vor erheblicher Zeit Drogen zum
Eigenkonsum erworben oder besessen haben soll, kann es daher an der
notwendigen Erfolgsaussicht fehlen (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 28. November
2008 - 9 Qs 76/08 -, juris, Rn. 32 ; LG Oldenburg, Beschluss vom
26. Mai 2008 - 2 Qs 103/08 -, juris, Rn. 8 ; LG Zweibrücken, Beschluss
vom 11. Juni 1990 - 1 Qs 105/90 -, NJW 1990, S. 2760 ; Wohlers,
a.a.O., Rn. 22; vgl. auch Meyer-Goßner, a.a.O., § 102 Rn. 15a; Schäfer, in:
Löwe/Rosenberg, Bd. 2, 25. Aufl. 2004, § 102 Rn. 12). Vorliegend war die
Beschwerdeführerin verdächtig, Mengen von jeweils 5 bis 6 g Crystal-Speed von dem
gesondert verfolgten D. erworben zu haben. Der Verbrauch solcher Mengen mag
zwar nicht unmittelbar erfolgen, allerdings konnte bei lebensnaher Betrachtung
ausgeschlossen werden, dass 18 Monate nach dem spätesten Erwerb noch Reste
dieser Betäubungsmittel bei der Beschwerdeführerin aufzufinden sind. Ebenso wenig
war davon auszugehen, dass schriftliche oder elektronische Aufzeichnungen über
mindestens 18 Monate zurückliegende Betäubungsmittelgeschäfte aufgefunden
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werden können.
(2) Die Annahme, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses
ein ausreichendes Maß an Erfolgsaussicht hinsichtlich des Auffindens von
Beweismitteln zum Nachweis der der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Taten
bestand, hätte daher zumindest eingehender Begründung bedurft. Obwohl das
Problem fehlender Erfolgsaussichten der Durchsuchung aufgrund des Zeitablaufs
vorliegend auf der Hand lag und von der Beschwerdeführerin im Rahmen der gegen
den Durchsuchungsbeschluss gerichteten Beschwerde ausdrücklich gerügt wurde,
verhalten
sich
die angegriffenen
Beschlüsse,
namentlich
die
Beschwerdeentscheidung des Landgerichts, hierzu nicht. Wenn sich aber aufgrund
besonderer Umstände des Einzelfalles die Notwendigkeit der Erörterung eines
offensichtlichen Problems aufdrängt, ist es verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar,
wenn eine Prüfung dieses Problems vollständig unterbleibt (vgl. BVerfG, Beschluss
der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. März 2009 - 2 BvR 1940/05 -, juris,
Rn. 29; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008
- 2 BvR 1800/07 - juris, Rn. 23). Daher genügen die angegriffenen Beschlüsse den
verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Eingriff in das Grundrecht der
Beschwerdeführerin aus Art. 13 Abs. 1 GG nicht.
(3) Dem steht nicht entgegen, dass im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität der
Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses noch in Betracht kommen kann, wenn seit
Bekanntwerden der den Anfangsverdacht begründeten Tatsachen ein längerer,
wenngleich noch überschaubarer Zeitraum wie etwa der von neun Monaten
vergangen ist (vgl. BVerfGK 4, 303 f.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der
unerlaubte Betäubungsmittelhandel oder -erwerb zum großen Teil wiederholt
betrieben wird. Daher ist die Entscheidung, dass Durchsuchungen auch geraume Zeit
nach der ersten Kenntniserlangung von den verdachtsbegründeten Tatsachen zur
Auffindung von Beweismitteln führen können, sachlich nachvollziehbar (vgl. BVerfGK
4,
303
<305>).
Vorliegend kann
diesem
Umstand
aber
keine
entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen werden. Gegenstand des
Ermittlungsverfahrens war der unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln im Zeitraum
vom 1. Januar 2010 bis 28. Februar 2011. Mögliche Wiederholungstaten in der
Folgezeit waren nicht Gegenstand des Ermittlungsverfahrens und können daher für
die Beurteilung des Auffindeverdachts keine Rolle spielen. Erforderlich war vielmehr
die Darlegung, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses
erwartet werden konnte, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Gegenständen
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führt, die zum Beweis eines unerlaubten Betäubungsmittelerwerbes während des
konkret bezeichneten Tatzeitraumes geeignet sind. Daran fehlt es.
2. Der Beschluss des Landgerichts Amberg ist daher aufzuheben und die Sache an
das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2
BVerfGG).
3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung
angenommen; insoweit wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer
Begründung abgesehen.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a
Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Gerhardt
Hermanns
Müller