Urteil des BVerfG vom 13.01.2015

Unzulässigkeit einer objektiven Beanstandungsklage im Organstreit

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvE 1/13 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Anträge festzustellen:
1.
Die Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages erfolgt in
allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl, wie es das
Grundgesetz in Artikel 38 (1) vorschreibt. Das bedeutet ausschließlich
Personenwahl.
2.
Zu allen Fragen, die ein angemessener Teil der Bevölkerung anders,
individueller oder konkreter beantworten will, werden Volksabstimmungen
auf der jeweiligen Ebene (Ortsteil, Gemeinde, Kreis, Land, Bund, Europa)
gemäß
Artikel 20 (2) GG durchgeführt.
3.
Alle Personalunionen, die über die Grenze zwischen den getrennten
Staatsgewalten hinausgehen, werden beseitigt. Besonders
verfassungswidrig sind die Kombinationen:
- Abgeordnete = Kanzler, Minister, Staatssekretäre
- Beamte = Richter
- Kommunalmandatsträger = Richter.
4.
Die bereits 2003 unterzeichnete VN-Konvention gegen Korruption wird
unverzüglich ratifiziert.
5.
Das Strafrechtsübereinkommen über Korruption und das
Zivilrechtsübereinkommen über Korruption des Europarates werden
ratifiziert.
6.
Das Zusatzprotokoll des Strafrechtsübereinkommens über Korruption wird
ratifiziert.
7.
Lobbyisten werden in keiner Weise und Form an Gesetzesvorbereitungen
beteiligt und erscheinen nicht im Parlament.
8.
Die richterliche Exekutivunabhängigkeit auf Landes- und Bundesebene
wird nach den Kriterien der Europäischen Union und des Grundgesetzes
unverzüglich hergestellt.
9.
Staatsanwälte sind weisungsunabhängig.
10. Die Wahl der Bundesverfassungsrichter erfolgt durchs Plenum, wie es
das Grundgesetz in Artikel 94 (1) vorschreibt.
11. Bundesrichter gehören keiner Partei an, damit die Gewaltentrennung
gemäß Artikel 20 (2) GG erfüllt wird. Es gelten allein die drei
Auswahlkriterien des
Artikels 33 (2) GG.
12. Der Anwaltszwang ist gemäß Artikel 6 der Europäischen Konvention zum
Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten aufgehoben.
13. Im Hinblick auf die Wahlzulassung werden die Vorschläge der OSZE für
eine verbesserte Regelung umgesetzt.
14. Das Erheben von Mandatsbeiträgen (= Parteisteuern) unterbleibt.
15. Um die Chancengleichheit herzustellen, erfolgt die Parteienfinanzierung
grundsätzlich durch ein parteienunabhängiges Gremium und behandelt alle
bei einer Wahl zugelassenen Parteien unabhängig von ihrem
Wahlergebnis
im Verhältnis gleich.
16. Erzielte Einnahmen aus Veranstaltungen bzw. Vertrieb von Druckschriften
und Veröffentlichungen und sonstigen mit Einnahmen verbundenen
Tätigkeiten werden mit allen Einzelbeträgen und Namensnennung aller
Geschäfts- und Vertragspartner im Rechenschaftsbericht veröffentlicht.
17. Die staatliche Parteienfinanzierung wird regelmäßig in einem umfassenden
„Parteienfinanzierungsbericht“ transparent gestaltet, so dass auch die
Zuwendungen an die Beklagten und die Fraktionen in den
Landesparlamenten und die Pauschalzuschüsse an die parteiennahen
Stiftungen ersichtlich sind.
18. Die weit verbreitete Ämterpatronage durch die etablierten Parteien wird
eingestellt.
19. Deutschland schließt zu Europa und zur Welt auf, indem es das
Informationsfreiheitsgesetz des Bundes so reformiert, dass die Bürger
kostenlosen Zugang zu allen Akten öffentlicher Dienststellen haben.
Bearbeitungszeiten sind kurz.
20. Die Übertragung von Hoheitsrechten findet nur auf Einrichtungen statt, die
demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen
und dem Subsidiaritätsgrundsatz entsprechen. Auf andere Einrichtungen
bereits übertragene Hoheitsrechte werden auf den Bundestag
rückübertragen.
Antragsteller: 1) Ab jetzt…Demokratie durch Volksabstimmung,
Gneisenaustraße 52c, 53721 Siegburg,
vertreten durch ihren Bundesvorsitzenden,
Herrn Dr. Helmut Fleck,
2) Allianz Graue Panther Deutschland,
Rheinstraße 29-31, 57638 Neitersen,
vertreten durch ihren Bundesvorsitzenden,
Herrn Georg Schulte,
sowie ihren Bundesgeschäftsführer,
Herrn Manfred Albrecht,
3) Deutsche Konservative Partei,
Scharnweberstraße 100, 13405 Berlin,
vertreten durch ihre stellvertretende Bundesvorsitzende,
Frau Erika Lohe-Saul,
- Bevollmächtigter: Rechtsassessor Claus Plantiko,
Kannheideweg 66, 53123 Bonn -
Ostlandweg 5, 37075 Göttingen,
4) Deutsche Zukunft (DZ),
Postfach 40 50, 79611 Rheinfelden,
vertreten durch ihren 1. Vorsitzenden,
Herrn Joachim Widera,
5) Familien-Partei Deutschlands,
Blankenburger Straße 129/141, 13256 Berlin,
vertreten durch ihren stellvertretenden Bundesvorsitzenden,
Herrn Dipl.-Volksw. Heinrich Oldenburg,
Otto-Wels-Straße 9, 32429 Minden,
6) Freie Wähler Deutschland (FWD),
Dahlwitzer Straße 2, 12623 Berlin,
vertreten durch ihren Bundesvorsitzenden,
Herrn Hans-Jürgen Malirs und ihren stellvertretenden
Bundesvorsitzenden, Herrn Dr. Horst Schulz,
7) Partei für Franken,
Waldstraße 55, 91154 Roth,
vertreten durch ihren 1. Vorsitzenden,
Herrn Robert Gattenlöhner,
8) WIR-Partei,
Drosselpfad 23, 35428 Langgöns,
vertreten durch ihren 1. Vorsitzenden,
Herrn Peter Klis,
Antragsgegner: 1) Deutscher Bundestag,
vertreten durch den Präsidenten Prof. Dr. Norbert Lammert,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
2) Bundesrat,
vertreten durch den Präsidenten Volker Bouffier,
Leipziger Straße 3-4, 10117 Berlin,
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3) Bundesregierung,
vertreten durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,
Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin
und
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Landau,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
König,
Maidowski
am 13. Januar 2015 beschlossen:
Die Anträge werden als unzulässig verworfen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
G r ü n d e :
Das mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene
Organstreitverfahren betrifft insgesamt 20 Anträge von acht nicht im Bundestag
vertretenen Parteien.
I.
Die Antragsteller machen die Verletzung der verfassungsgemäßen Ordnung sowie
die Missachtung internationaler Normen durch die Antragsgegner geltend. Hierzu
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führen sie 20 unterschiedliche Punkte an, in denen ihrer Auffassung nach die
gegenwärtige Rechtslage und/oder -praxis mit Vorgaben des Grundgesetzes, der
Europäischen Union oder internationaler Organisationen nicht vereinbar ist.
Gegenständlich beziehen sich die Begehren der Antragsteller auf wahlrechtliche
(Anträge zu 1. und 13.), parteienrechtliche (Anträge zu 14. - 17.) und sonstige
staatsorganisationsrechtliche Fragen (Anträge zu 2., 3., 7. - 11.). Hinzu kommt die
Forderung nach der Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korruption sowie des
Straf- und Zivilrechtsübereinkommens des Europarates über Korruption (Anträge zu
4. - 6.). Außerdem begehren die Antragsteller die Abschaffung des Anwaltszwangs
(Antrag zu 12.), die Einstellung von Ämterpatronage (Antrag zu 18.), Kostenfreiheit
des Zugangs zu allen Akten öffentlicher Dienststellen (Antrag zu 19.) und die
Übertragung von Hoheitsrechten nur auf Einrichtungen, die demokratischen,
rechtsstaatlichen,
sozialen
und
föderativen
Grundsätzen
und
dem
Subsidiaritätsgrundsatz entsprechen (Antrag zu 20.).
II.
Die Anträge sind bereits deshalb unzulässig, weil sie den Anforderungen des § 64
Abs. 1 BVerfGG nicht genügen.
1. Ein Antrag im Organstreitverfahren ist gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG nur zulässig,
wenn der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört,
durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch
das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar
gefährdet ist. Bei dem Organstreit handelt es sich um eine kontradiktorische
Parteistreitigkeit (vgl. BVerfGE 126, 55 <67>). Er dient maßgeblich der gegenseitigen
Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem
Verfassungsrechtsverhältnis, hingegen nicht der Kontrolle der objektiven
Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns (vgl. BVerfGE 68, 1 <69 ff.>;
73, 1 <29 f.>; 80, 188 <212>; 104, 151 <193 f.>; 118, 244 <257>; 126, 55 <67 f.>;
stRspr).
Politische Parteien können demgemäß im Organstreit die Verletzung ihres durch Art.
21 Abs. 1 GG begründeten verfassungsrechtlichen Status durch eine Maßnahme oder
Unterlassung eines anderen Verfassungsorgans geltend machen (vgl. BVerfGE 82,
322 <335>; 84, 290 <298>; 85, 264 <284>). Die Möglichkeit einer objektiven
Beanstandungsklage eröffnet der Organstreit demgegenüber nicht (vgl. BVerfGE 126,
55 <68>).
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Für die Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens erforderlich, aber auch ausreichend
ist es, dass die von dem Antragsteller behauptete Verletzung oder unmittelbare
Gefährdung seiner verfassungsmäßigen Rechte unter Beachtung der vom
Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe nach dem vorgetragenen
Sachverhalt möglich erscheint (vgl. BVerfGE 24, 252 <258 f.>; 80, 188 <209>; 94, 351
<362 f.>; 99, 19 <28>; 102, 224 <231 f.>; stRspr).
2. Dem genügen die vorliegenden Anträge nicht. Die Antragsteller legen die
Möglichkeit einer Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung ihres durch Art. 21 Abs.
1 GG begründeten verfassungsrechtlichen Status nicht nachvollziehbar dar. Dies ist
auch nicht in sonstiger Weise ersichtlich.
Das gilt bereits hinsichtlich der Antragsgegenstände, die im Wahl- und Parteienrecht
wurzeln. Eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung des aus Art. 21 Abs. 1 GG
folgenden Anspruchs auf Chancengleichheit oder anderer aus dem Parteienstatus
der Antragsteller sich ergebender Rechte ist weder bezogen auf die Forderung nach
Abschaffung der Listenwahl (Antrag zu 1.) noch im Zusammenhang mit der Forderung
nach einer Neuregelung der Besetzung der Wahlprüfungsausschüsse (Antrag zu 13.)
erkennbar. Dass bei der Wahl des Deutschen Bundestages eine Verbindung von
Verhältnis- und Listenwahl verfassungsrechtlich zulässig ist, hat das
Bundesverfassungsgericht mehrfach ausdrücklich festgestellt (vgl. BVerfGE 95, 335
<349>; 121, 266 <296>). Auch hinsichtlich der beanstandeten Erhebung von
Mandatsträgerbeiträgen (Antrag zu 14.) und der Nichterfüllung der Begehren der
Antragsteller nach einer Parteienfinanzierung durch ein parteienunabhängiges
Gremium sowie nach einer Neuregelung der Verpflichtung zur Veröffentlichung von
Einnahmen und Zuweisungen (Anträge zu 15. - 17.) erschließt sich aus dem
Vorbringen, das die insoweit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
entwickelten Maßstäbe (vgl. BVerfGE 73, 1 <31 ff.>; 85, 264 <285 ff.>) nicht in
Rechnung stellt, eine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte der Antragsteller
durch die Antragsgegner nicht.
Erst recht gilt dies, soweit die Anträge sonstige staatsorganisationsrechtliche Fragen
betreffen. Dass das Fehlen von Volksabstimmungen (Antrag zu 2.) und
Inkompatibilitätsregelungen (Antrag zu 3.), die Beteiligung von Lobbyisten am
parlamentarischen Verfahren (Antrag zu 7.), die Ernennung von Richtern durch die
Exekutive,
die
Weisungsgebundenheit
von
Staatsanwälten
und
die
Parteimitgliedschaft von Bundesrichtern (Anträge zu 8., 9. und 11.) sowie das
Verfahren zur Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts (Antrag zu 10.) den
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verfassungsrechtlichen Status der Antragsteller verletzen oder unmittelbar berühren,
kann deren Vorbringen nicht entnommen werden. Auch soweit die Antragsteller die
Ratifikation von völkerrechtlichen Abkommen (Anträge zu 4. - 6.) einfordern und im
Übrigen allgemein- und verfassungspolitische Forderungen (Anträge zu 12., 18. - 20.)
erheben, ist die Betroffenheit der Antragsteller in ihren verfassungsgemäßen Rechten
nicht dargelegt.
Daneben fehlt es, soweit die Antragsteller im Wesentlichen gesetzgeberisches
Unterlassen rügen, an einer Auseinandersetzung mit der Frage, unter welchen
Voraussetzungen dies überhaupt zulässiger Gegenstand des Organstreitverfahrens
sein kann (vgl. dazu BVerfGE 92, 80 <87>; 103, 164 <168 f.>; 107, 286 <294>; 110,
403 <405>; 120, 82 <97>; 129, 356 <371>). Schließlich lassen die Antragsteller,
soweit sie eine Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung behaupten, die zu den
einzelnen
Antragsgegenständen
ergangene
Rechtsprechung
des
Bundesverfassungsgerichts durchgängig außer Betracht.
Das Vorbringen der Antragsteller genügt daher den Anforderungen an die
schlüssige Darlegung einer möglichen Verletzung ihrer durch Art. 21 Abs. 1 GG
begründeten verfassungsmäßigen Rechte nicht. Die Antragsteller verkennen den
kontradiktorischen Charakter des Organstreitverfahrens und begehren im Ergebnis
eine hiervon losgelöste objektive verfassungsrechtliche Kontrolle der einzelnen
Antragsgegenstände. Dafür ist im Organstreit kein Raum.
3. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob sämtliche Vertreter der
Antragsteller zu 1) bis 8) zur Erhebung der Anträge im Organstreitverfahren
vertretungsbefugt waren und ob die Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG hinsichtlich
sämtlicher Anträge gewahrt wurde.
Voßkuhle
Landau
Huber
Hermanns
Müller
Kessal-Wulf
König
Maidowski