Urteil des BVerfG vom 24.02.2009

BVerfG: anspruch auf rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, anhörung, flughafen, zusammensetzung, papier, gewährleistung, ausnahme, hessen, meinung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 189/09 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. der Frau W…,
2. des Herrn H…,
3. des H…,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Wurster Wirsing Schotten,
Kaiser-Joseph-Straße 247, 79098 Freiburg -
gegen
a)
den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Dezember 2008 -
11 C 338/08.T -,
- hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 2) -
b) den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Dezember 2008 - 11 B
358/08.T -,
- hinsichtlich der Beschwerdeführerin zu 1) -
c) den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Dezember 2008 - 11 C
490/08.T -,
- hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 3) -
d) den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Januar 2009 - 11 B
358/08.T -
- hinsichtlich der Beschwerdeführerin zu 1) -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Bryde,
Schluckebier
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 24. Februar 2009 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind Befangenheitsbeschlüsse, die in verwaltungsgerichtlichen Eil- und
Klageverfahren ergangen sind, sowie der in dem genannten Eilverfahren ergangene Beschluss nach § 80 Abs. 5
VwGO.
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1. Durch Beschluss vom 18. Dezember 2007 stellte das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und
Landesentwicklung den Ausbauplan für den Flughafen Frankfurt am Main fest. Danach ist vorgesehen, den Flughafen
durch den Bau einer weiteren Landebahn zu erweitern. Sie soll nordwestlich des jetzigen Flughafengeländes errichtet
werden, wofür ein Teil des Kelsterbacher Waldes in Anspruch genommen wird. Gegen diesen Beschluss erhoben die
Beschwerdeführer - (Mit-)Eigentümer von im Umland des Flughafens gelegenen Wohngrundstücken - am 8. und
25. Februar 2008 Klage. Die Beschwerdeführerin zu 1) begehrte zudem am 8. Februar 2008 die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
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Im Rahmen dieser Verfahren lehnten die Beschwerdeführer die Richter des zuständigen 11. Senats des
Verwaltungsgerichtshofs wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Befangenheitsanträge wurden mit Beschlüssen
vom 22. Dezember 2008 abgelehnt. Die hiergegen von den Beschwerdeführern jeweils erhobene Anhörungsrüge blieb
ohne Erfolg.
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Mit Beschluss vom 15. Januar 2009 wurde auch der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt.
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2. Am 22. Januar 2009 haben die Beschwerdeführerin zu 1) gegen den im Eilverfahren ergangenen Beschluss vom
22. Dezember 2008 und die Beschwerdeführer zu 2) und 3) gegen den im jeweils sie betreffenden
Hauptsacheverfahren ergangenen Beschluss vom 22. Dezember 2008 Verfassungsbeschwerde erhoben. Die
Beschwerdeführerin zu 1) hat am 16. Februar 2009 auch gegen den Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO vom 15.
Januar 2009 Verfassungsbeschwerde erhoben. Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung des Anspruchs auf
Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 und des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG.
II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 93a
Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Der Verfassungsbeschwerde kommt keine
grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen
Vorgaben sind geklärt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1
BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg in der Sache.
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1. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht feststellbar.
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a) Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem
Rechtsschutzgedanken für das gerichtliche Verfahren. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein,
sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen können, um Einfluss auf das
Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 86, 133 <144>).
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Damit gibt Art. 103 Abs. 1 GG den Beteiligten ein Recht zur Äußerung über Tatsachen, Beweisergebnisse und die
Rechtslage. In der Regel ist hierfür nur eine vorherige Anhörung sinnvoll. Eine Ausnahme gilt nur, wenn eine vorherige
Anhörung den Zweck der Maßnahme vereitelte oder wenn die Entscheidung nach vorheriger Anhörung zu spät käme
(vgl. BVerfGE 65, 227 <233 f.>; 83, 24 <35 f.>) . Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht darüber
hinaus, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1
GG ist erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn
grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene
Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit
jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen sie, damit das
Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, im Einzelfall besondere
Umstände deutlich machen, die ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht
zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht in seinen
Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für
das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern
er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE
86, 133 <145 f.>; stRspr). Die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt sich dabei nicht darauf, sich zu
dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern, sondern verbürgt dem Verfahrensbeteiligten auch
das Recht, sich zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 86, 133 <144>).
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b) Bei Anwendung dieser Vorgaben ist vorliegend keine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG zu erkennen.
11
Dies gilt insbesondere auch insoweit, als die hier angegriffenen Beschlüsse vom 22. Dezember 2008 erlassen
wurden, ohne dass den Beschwerdeführern zuvor die Möglichkeit gegeben worden war, zum Vorbringen der
Bevollmächtigten des Landes Hessen und der Flughafengesellschaft sowie zu den eidesstattlichen Versicherungen
der Mitarbeiter der Flughafengesellschaft Stellung zu nehmen. Zwar mag - wie der Verwaltungsgerichtshof meint - die
vorherige Übermittlung der Stellungnahme des Gegners zu einem Ablehnungsersuchen nicht immer zwingend
erforderlich sein, wenn es nur um die rechtliche Bewertung des Ablehnungsersuchens geht. Etwas anderes wird
jedoch zu gelten haben, wenn ein Beteiligter zu dem der Ablehnung zugrundegelegten Sachverhalt Tatsachen vorträgt
und Beweismittel vorlegt. Hier hätte der Verwaltungsgerichtshof vor seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch
den Beschwerdeführerinnen wohl noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Letztlich kann dies
jedoch dahinstehen.
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Denn dieser Gehörsverstoß ist jedenfalls im Anhörungsrügeverfahren dadurch geheilt worden, dass sich die
Beschwerdeführer in ihrer Anhörungsrüge zu dem genannten Vorbringen geäußert haben und der
Verwaltungsgerichtshof in den Beschlüssen über die Anhörungsrügen vom 15. und 20. Januar 2009 festgestellt hat,
dass es einem etwaigen Gehörsverstoß jedenfalls an der Entscheidungserheblichkeit fehle. Die Beschwerdeführer
hätten in ihrer Anhörungsrüge keine Anhaltspunkte oder Gründe vorgetragen, die entgegen den Erwägungen im
Beschluss vom 22. Dezember 2008 zur Annahme einer „Absprache“ zwischen der Flughafengesellschaft und dem
Vorsitzenden Richter Dr. Z. führten. Es handele sich vielmehr um eine Vertiefung des bisherigen Vorbringens.
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Nach Art. 103 Abs. 1 GG beruht eine Entscheidung nur dann auf einem Gehörsverstoß, wenn nicht ausgeschlossen
werden kann, dass die Anhörung zu einer für die Beteiligten günstigeren Lösung geführt hätte (vgl. BVerfGE 62, 392
<396>; 89, 381 <392 f.>). Angesichts der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs in den
Anhörungsrügebeschlüssen kann es als ausgeschlossen angesehen werden, dass bei einer vorherigen Anhörung der
Beschwerdeführer anders über die Befangenheitsgesuche entschieden worden wäre. Der Gehörsverstoß kann damit
als im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens geheilt angesehen werden.
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Zwar wurde die Frage, ob eine Heilung eines Gehörsverstoßes durch ergänzende Erwägungen in einer die
Anhörungsrüge
als
unbegründet
zurückweisenden
Entscheidung
überhaupt
statthaft
ist,
vom
Bundesverfassungsgericht in manchen Entscheidungen offen gelassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des
Ersten Senats vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, juris Rn. 26; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats
vom 26. November 2008 - 1 BvR 670/08 -, juris). Teilweise wurde dagegen auch schon eine solche Heilung im
Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens für möglich gehalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten
Senats vom 12. November 2008 - 1 BvR 2788/08 -, juris Rn. 8).
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Dem ist in Fällen wie dem vorliegenden zu folgen. Denn der Rechtsbehelf der Anhörungsrüge bezweckt die Heilung
von Verletzungen des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 ff., 416>; BVerfG, Beschluss der
3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, juris Rn. 10). Eine Heilung von Gehörsverstößen
in der gleichen oder einer weiteren Instanz hat die Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor der
Einführung der Anhörungsrüge schon als grundsätzlich möglich angesehen, wenn das betreffende Gericht in der Lage
ist, das Vorbringen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 5, 22 <24>; 62, 392 <397>; 73, 322 <326 f.>; 107, 395
<411 f.>). Diese Voraussetzung ist im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens jedenfalls dann als erfüllt anzusehen,
wenn das Gericht einem Gehörsverstoß durch bloße Rechtsausführungen im Anhörungsrügebeschluss zum
Vorbringen des Betroffenen in der Anhörungsrüge abhelfen kann. Hier wäre es reine Förmelei, von Verfassungs wegen
die Fortführung des Verfahrens nach § 152a Abs. 5 Satz 1 VwGO zu verlangen, obwohl sich das Gericht schon unter
Berücksichtigung des übergangenen Vortrags eine abschließende Meinung gebildet hat und klar ist, dass eine für den
Beteiligten günstigere Lösung ausgeschlossen ist, also die Entscheidung nicht auf der Gehörsverletzung beruht.
Etwas anderes gilt freilich in Fällen, in denen das Gericht den Gehörsverstoß durch bloß ergänzende Erwägungen
zum Vorbringen in der Anhörungsrüge nicht zu heilen vermag, wie etwa bei der Übergehung eines erheblichen
Beweisantrags (vgl. BVerfGE 50, 32 <35>; 60, 247 <249>).
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Der hier für zulässig befundenen Heilungsmöglichkeit steht eine Änderung der Zusammensetzung des betroffenen
Spruchkörpers durch eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung des Geschäftsverteilungsplanes oder eine
Veränderung der Zusammensetzung aufgrund der Mitwirkungsgrundsätze des § 21g GVG nicht entgegen. Dies ergibt
sich zumindest aus der Rechtsprechung und Literatur zu § 321a ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 - III ZR
443/04 -, NJW-RR 2006, S. 63; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 321a Rn. 15a). Diese
einfachrechtlichen Vorgaben sind sachlich vertretbar, weil sonst bei einem Richterwechsel - etwa verursacht durch
den Eintritt eines Spruchkörpermitglieds in den Ruhestand - über eine Anhörungsrüge gar nicht mehr entschieden
werden könnte. Dass über die Heilung eines Gehörsverstoßes nicht zwingend dieselben Richter entscheiden müssen,
die bei der Ausgangsentscheidung mitgewirkt haben, hat im Ergebnis auch das Bundesverfassungsgericht schon
bestätigt, weil es eine Heilung in derselben oder in einer anderen Instanz für möglich gehalten hat (vgl. BVerfGE 5, 22
<24>; 62, 392 <397>; 73, 322 <326 f.>; 107, 395 <411 f.>).
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Etwas anderes wird auch nicht von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gefordert. Die Garantie des gesetzlichen Richters
verpflichtet den Gesetzgeber und die Gerichte bei der Aufstellung von Geschäftsverteilungsplänen, eine klare und
abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter
bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist. Dadurch soll jede sachwidrige Einflussnahme auf die
rechtsprechende Tätigkeit von innen und von außen verhindert werden (vgl. BVerfGE 95, 322 <327 f.>). Eine durch
einen Geschäftsverteilungsplan herbeigeführte abstrakt-generelle Änderung der Besetzung des Spruchkörpers hebt
diese Bindungen nicht auf.
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2. Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, die aus der Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör bei der
Entscheidung über die Befangenheitsanträge abgeleitet wird, ist damit auch nicht feststellbar.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
20
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Bryde
Schluckebier