Urteil des BVerfG vom 04.12.2003
BVerfG: verfassungsbeschwerde, bestimmtheit, rüge, vorhersehbarkeit, sanktion, strafrecht, verfall, realisierung, vereitelung, arrest
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1107/03 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn F...
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Michael Reichling, Berliner
Straße 100, 42275 Wuppertal -
gegen
a)
den Beschluss des Landgerichts Wuppertal vom 12. Juni 2003 - 22 Qs 18/03 -,
b)
die Beschlüsse des Amtsgerichts Wuppertal vom 21. Mai 2003 - 8 (A) Gs 408 und
409/03 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 4. Dezember 2003 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des strafrechtlichen Analogieverbots. Sie wird nicht zur Entscheidung
angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Sie
hat keine Aussicht auf Erfolg.
2
1. Als spezielles Willkürverbot für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG den Gesetzgeber, die
Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der
Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Die hiernach gebotene Bestimmtheit
des Straftatbestandes schließt aber die Verwendung von Begriffen nicht aus, die der Deutung durch den Richter
bedürfen. Es liegt deshalb in der Natur der Sache, dass in Grenzfällen erst durch Auslegung festgestellt werden
muss, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Straftatbestand fällt. Jedenfalls im Regelfall muss der
Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. Auch in
Grenzfällen ist auf diese Weise das Risiko einer Bestrafung erkennbar. Für die Rechtsprechung folgt aus dem
Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger Strafbegründung. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes
markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (vgl. BVerfGE 64, 389 <393 f.>; 71, 108 <114 ff.>;
92, 1 <12>). Da Art. 103 Abs. 2 GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten garantieren will,
ist die Grenze aus dessen Sicht zu bestimmen (BVerfGE 92, 1 <12>).
3
Danach ist es den Strafgerichten nicht erlaubt, eine Strafbestimmung über ihren eindeutigen, einer Auslegung nicht
zugänglichen Wortlaut hinaus allein im Blick auf den Normzweck anzuwenden; dies verstieße gegen das in Art. 103
Abs. 2 GG festgeschriebene Analogieverbot im Strafrecht (vgl. BVerfGE 26, 41 <42>; 47, 109 <121, 124>). Nicht
verwehrt ist den Strafgerichten hingegen eine weite Auslegung des Wortlauts einer Strafbestimmung. Gerade wenn
der Normzweck eindeutig und offensichtlich ist, kann eine daran orientierte weite Auslegung des Wortsinns geboten
sein. Denn unter dieser Voraussetzung kann der Normadressat das strafrechtlich Verbotene seines Handelns
vorhersehen, was zu gewährleisten Sinn des Art. 103 Abs. 2 GG ist (vgl. BVerfGE 28, 175 <183>; 48, 48 <56>; 57,
250 <262>; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1982 - 2 BvR 1339/81 -,
NStZ 1982, S. 285). Im Übrigen ist es auch bei der Rüge des Analogieverbots des Art. 103 Abs. 2 GG nicht Aufgabe
des Bundesverfassungsgerichts, seine Auffassung von der zutreffenden oder überzeugenden Auslegung des
einfachen Rechts an die Stelle derjenigen der Strafgerichte zu setzen (Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats
des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Dezember 2000 - 2 BvR 1290/99 -, EuGRZ 2001, S. 76 <78>).
4
2. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs begegnen die angegriffenen Entscheidungen keinen durchgreifenden
verfassungsrechtlichen Bedenken. § 258 Abs. 1 StGB nennt als strafrechtliche Sanktion, der die
Vereitelungshandlung dient, durch die Verweisung auf § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB auch den Verfall. Der dingliche Arrest
nach § 111d StPO dient u. a. der Sicherung dieser staatlichen Verfallsansprüche. Es überschreitet deshalb nicht die
Wortlautgrenze des § 258 Abs. 1 StGB, in der Vereitelung von strafprozessualen Maßnahmen nach § 111d StPO, die
der Realisierung der späteren Verfallsanordnung dienen sollen, zugleich auch eine Vereitelungshandlung der
Durchsetzung des Verfallsanspruchs selbst zu sehen. Diese Auslegung ist aus den in dem angegriffenen Beschluss
genannten Gründen auch vertretbar. Eine weiter gehende Prüfung ist dem Bundesverfassungsgericht nach den oben
dargelegten Kriterien verwehrt.
5
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
6
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Osterloh
Mellinghoff