Urteil des BVerfG vom 28.07.1999

BVerfG: gegen die guten sitten, ddr, verfassungsbeschwerde, durchführungsvereinbarung, bereicherung, ausstattung, rechtssicherheit, enteignung, kompetenz, aufwertung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 282/99 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des Herrn M...,
2. des Rechtsanwalts G...,
3. des Rechtsanwalts Dr. K...
- Bevollmächtigter der Beschwerdeführer zu 1) und 2):
Rechtsanwalt Dr. Stefan König,
Görlitzer Straße 74, Berlin -
gegen a)
den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts
vom 15. Dezember 1998 - BVerwG 3 B 135.98 -,
b)
den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin
vom 24. August 1998 - OVG 8 B 1.98 -,
c)
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 16. Juni 1997 - VG 25 A 111.91 -,
d)
die Entscheidung des Sonderausschusses der
Volkskammer der ehemaligen Deutschen
Demokratischen Republik vom 27. September 1990
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Richter Kühling,
die Richterin Jaeger
und den Richter Steiner
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473)
am 28. Juli 1999 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zum Gesetz über den Nachweis der
Rechtmäßigkeit des Erwerbs von Umstellungsguthaben vom 29. Juni 1990 (GBl der DDR Teil I S. 503 - UGG -). Nach
§ 5 Abs. 5 UGG wird unrechtmäßig erworbenes Vermögen eingezogen. Darunter fällt nach § 5 Abs. 2 UGG unter
anderem auch Vermögen, das durch grob sittenwidriges Handeln oder den Mißbrauch einer staatlichen oder
gesellschaftlichen Befugnis zum Nachteil des Gemeinwohls erworben wurde.
I.
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1. Der Beschwerdeführer zu 1) war Minister für Staatssicherheit der DDR. Aus Ersparnissen besaß er ein
Umstellungsguthaben von rund 750.000 M/DDR, das er zur Umstellung in DM anmeldete. Der dafür zuständige
Sonderausschuß der Volkskammer der DDR teilte dem Beschwerdeführer zu 1) mit, er übergebe die Unterlagen der
Strafverfolgungsbehörde "mit der ausschließlich und einstimmig beschlossenen Forderung, das auf den gesperrten
Sparkonten vorhandene Geldvermögen zugunsten des Staatshaushaltes einzuziehen". Der Beschwerdeführer zu 1)
trat seine Umstellungsansprüche später an die Beschwerdeführer zu 2) und 3) ab.
3
Das Verwaltungsgericht wies die Klage des Beschwerdeführers zu 1) ganz überwiegend ab. Das Gesamtguthaben
sei durch Ersparnisse infolge eines gröblichen Verstoßes gegen die guten Sitten und eines Mißbrauchs
gesellschaftlicher Befugnisse zum Nachteil des Gemeinwohls erlangt. Die Ersparnis sei Folge der Bereicherung durch
eine gesetzlos erlangte eigentumsähnliche Position bezüglich eines Jagdschlosses und dessen Ausstattung und
Nutzung sowie des dazugehörigen Staatsjagdgebiets. Die Bereicherung des Beschwerdeführers zu 1) betrage
mindestens die Hälfte der dadurch veranlaßten Kosten und damit rund 1.600.000 M/DDR.
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Das Oberverwaltungsgericht verwarf am 24. August 1998 die dagegen gerichtete Berufung als unzulässig. Auch die
Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos.
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2. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG. § 5 Abs. 2 UGG könne nicht dahingehend
ausgelegt werden, daß ersparte Aufwendungen zu berücksichtigen seien. Auch Art. 19 Abs. 4 GG sei verletzt. Das
Verwaltungsgericht habe erstmalig die Unrechtmäßigkeit des Erwerbs des Gesamtguthabens festgestellt und dabei in
Ausübung einer exekutiven Kompetenz entschieden. Deshalb müsse ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung
statthaft sein. Ein Gesetz, das Vorschriften über die Zulässigkeit von Rechtsmitteln ändere, müsse das zudem aus
Gründen der Rechtssicherheit klar zum Ausdruck bringen. Das UGG verstoße auch gegen Art. 19 Abs. 1 GG. Es
bezwecke allein die Enteignung der ehemaligen Mitglieder des Politbüros der SED der DDR.
II.
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Die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 90, 22 [24 f.]) für eine Annahme der
Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen werden durch sie nicht
aufgeworfen. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt.
Die Verfassungsbeschwerde bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
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1. § 5 Abs. 2 UGG enthält eine nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des
Eigentums. Der Gesetzgeber konnte, ohne in unverhältnismäßiger Weise in die Eigentumsgarantie einzugreifen, bei
der Umstellung von DDR-Guthaben, die einer erheblichen Aufwertung gleichkam, Beträge außer acht lassen, die in
grob sittenwidriger Weise oder durch Mißbrauch staatlicher oder gesellschaftlicher Befugnisse zum Nachteil des
Gemeinwohls erlangt waren und insofern nicht auf eigener Leistung beruhten. Daß die Gerichte bei der Anwendung
von § 5 Abs. 2 UGG Bedeutung und Tragweite von Art. 14 Abs. 1 GG grundlegend verkannt hätten, läßt sich nicht
feststellen. Das gilt auch für die Auffassung, daß regulär erworbenes Geldvermögen eingezogen werden konnte,
soweit es infolge grob sittenwidrig oder mißbräuchlich erlangter Vorteile angespart worden war. Inwieweit dies beim
Beschwerdeführer zu 1) tatsächlich zutraf, kann das Bundesverfassungsgericht im einzelnen nicht nachprüfen. Die
Würdigung der Tatsachen ist grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Die Verfassungsbeschwerde enthält dazu auch
keine weiterführenden verfassungsrechtlich relevanten Hinweise.
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2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen auch nicht die Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG.
Die Auffassung der Rechtsmittelgerichte, daß das Urteil des Verwaltungsgerichts gemäß Art. 3 Nr. 12 lit. b der
Durchführungsvereinbarung vom 18. September 1990 zum Einigungsvertrag (BGBl II S. 1239 [1241]) unanfechtbar
sei, ist verfassungsrechtlich nicht angreifbar.
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Das Verwaltungsgericht hat auch nicht, wie die Beschwerdeführer meinen, erstmalig über den Umstellungsanstrag
entschieden. Es hat seine Entscheidung vielmehr ausführlich dahingehend erläutert, daß es gemäß Art. 3 Nr. 12 lit. b
der Durchführungsvereinbarung eine Entscheidung des Sonderausschusses überprüfe. Ob ein vollständiger
Ausschluß von Rechtsmitteln gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts mit der Rechtsschutzgarantie des Art.
19 Abs. 4 GG zu vereinbaren wäre, wenn es gemäß Art. 3 Nr. 12 lit. a der Durchführungsvereinbarung entschieden
und damit erstmalig einen Akt der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG erlassen hätte, bedarf
deswegen keiner Entscheidung. Einen Instanzenzug gewährleistet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht (vgl. BVerfGE 96,
27 [39]).
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3. Im übrigen wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Kühling
Jaeger
Steiner