Urteil des BVerfG vom 29.09.2000

BVerfG: verfassungsbeschwerde, lehrer, ersetzung, vorverfahren, gleichstellung, funktionszulage, normenkontrolle, fürsorge, erlass, rechtsgrundlage

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1305/96 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn F...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Walter Remmers und Koll.,
Hegelstraße 28, Magdeburg -
gegen das Gesetz zur besoldungsrechtlichen Gleichstellung der Lehrerinnen und Lehrer im
Dienst des Landes Sachsen-Anhalt (Lehrerinnen- und Lehrergleichheitsstellungsgesetz
- LSA) vom 27. Juli 1995 (GVBl LSA S. 217)
hat die 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Präsidentin Limbach
und die Richter Jentsch,
Di Fabio
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 29. September 2000 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Der Beschwerdeführer, ein beamteter Schulleiter, wendet sich gegen die durch Art. 3 des Gesetzes zur
besoldungsrechtlichen Gleichstellung der Lehrerinnen und Lehrer im Dienst des Landes Sachsen-Anhalt vom 27. Juli
1995 (GVBl S. 217) - künftig: LGG - eingeführte und vom ihm als zu niedrig beanstandete Ausgleichszulage.
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Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; 96, 245 <248>) liegen nicht
vor, weil die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>; 96, 245
<248>).
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1. Die unmittelbar gegen Art. 3 LGG gerichtete Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihr steht der Grundsatz der
Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nach § 90 Abs. 2 BVerfGG entgegen. Dem Beschwerdeführer ist zwar kein
fachgerichtlicher Rechtsweg gegen die Norm selbst eröffnet. Es ist ihm aber zuzumuten, gegen die behaupteten
Eingriffe zunächst Abhilfe vor den Fachgerichten zu suchen (vgl. BVerfGE 68, 319 <325 f.>; 70, 35 <53 f.>; 71, 305
<335 f.>; 74, 69 <74 f.>).
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2. Dem Beschwerdeführer ist es möglich und zumutbar, fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen die von ihm
beanstandete Ersetzung der Funktionszulage nach § 7 Zweite Besoldungs-Übergangsverordnung durch eine
abschmelzende Ausgleichszulage nach Art. 3 LGG zu erlangen. Zum einen kann er bei seinem Dienstherrn eine
Erhöhung der Bezüge beantragen. Hat ein solcher Antrag im Verwaltungs- und im Vorverfahren keinen Erfolg, kann er
vor dem zuständigen Verwaltungsgericht im Wege der Leistungsklage vorgehen (vgl. BVerfGE 81, 363 <369 f.>; 99,
300 <306>). Zum anderen kann er gegenüber dem Dienstherrn die Verleihung eines höheren, seiner Funktion als
Schulleiter statusgerechten Amtes zunächst im Verwaltungs- und im Vorverfahren und dann im Verwaltungsprozess
geltend machen.
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Darüber hinaus hätte sich für den Beschwerdeführer, jedenfalls seinem Vortrag zufolge, noch eine dritte Möglichkeit
geboten, sein Begehren fachgerichtlich zu verfolgen. Setzt die Durchführung der angegriffenen Vorschrift auch nur
nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis einen besonderen Vollzugsakt - hier: in der Form der dem
Beschwerdeführer durch seinen Dienstherrn wiederholt zugeleiteten schriftlichen Mitteilungen und Verfügungen -
voraus, muss der Beschwerdeführer grundsätzlich zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten
Rechtsweg ordnungsgemäß erschöpfen, bevor er Verfassungsbeschwerde erhebt.
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In
einem
der
vorgenannten
möglichen
Verfahren
hätte
der
Beschwerdeführer
die
in
der
Verfassungsbeschwerdeschrift behaupteten Rechtsverletzungen vortragen können. Das Verwaltungsgericht hätte
sodann fachgerichtlich klären können, wie sich die Einführung von Art. 3 LGG auf die Status-, Alimentations-,
Fürsorge- und Gleichheitsrechte des Beschwerdeführers auswirkt. Wäre das Verwaltungsgericht anlässlich seiner
Prüfung zu der Auffassung gelangt, die Ersetzung der bundesrechtlichen Funktionszulage durch eine landesrechtliche
Ausgleichszulage verletze den Beschwerdeführer in seinen Rechten, hätte es hierzu nach Art. 100 Abs. 1 GG eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen gehabt. Dass eine Anrufung der Fachgerichte nicht von
vornherein aussichtslos gewesen wäre, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu
besoldungsrechtlichen Amts-, Funktions- sowie Überleitungs- und Ausgleichszulagen (vgl. BVerfGE 36, 372 <380 f.>;
70, 251 <269>).
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Auf diese Weise wird vermieden, dass eine Normenkontrolle unter Loslösung von der konkreten Anwendung der
betreffenden Norm im Einzelfall und ohne Vorklärung der Tatsachen und Rechtsfragen durch die zuständigen Gerichte
vorzunehmen ist (vgl. BVerfGE 74, 69 <74 f.>; 90, 128 <136 f.>). Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob der
Verwaltung durch das Gesetz beim Erlass des Vollzugsaktes ein Entscheidungsspielraum eingeräumt ist (vgl.
BVerfGE 58, 81 <104 f.>; 71, 25 <35>; 72, 39 <43 f.>; 74, 69 <75>; 79, 1 <20>). Erreicht werden soll, dass das
Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weit reichende Entscheidungen
trifft. Bei der Rechtsanwendung durch die sachnäheren Fachgerichte können - auf Grund besonderen Sachverstands -
möglicherweise für die verfassungsrechtliche Prüfung erhebliche Tatsachen zu Tage gefördert werden (vgl. BVerfGE
56, 54 <69>; 79, 1 <20>).
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Dazu, warum er den aufgezeigten fachgerichtlichen Rechtsweg nicht beschritten hat, trägt der Beschwerdeführer
pauschal vor, die betroffene Verwaltungsgerichtsbarkeit sei überlastet, dem entsprechend müsse mit einer für die
betroffenen Schulleiter unzumutbar langen prozessualen Verfahrensdauer vor den Fachgerichten gerechnet werden.
Darin
liegt
unter
Berücksichtigung
der
aufgezeigten
zumutbaren
Möglichkeiten
fachgerichtlicher
Rechtsschutzgewährung zugleich ein Substantiierungsmangel i.S. §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG, der dazu führt,
die Verfassungsbeschwerde auch aus diesem Grund als unzulässig zu beurteilen.
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3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach
Jentsch
Di Fabio