Urteil des BVerfG vom 15.05.2007

BVerfG: abschlag, unternehmer, unechte rückwirkung, arzneimittel, krankenversicherung, verfassungsbeschwerde, rechtsstaatsprinzip, berufsfreiheit, zukunft, markt

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 866/07 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der S... GmbH,
vertreten durch ihre Geschäftsführer D... und Dr. S...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Oppenländer,
Altenbergstraße 3, 70180 Stuttgart -
gegen § 130 a Abs. 3 b Satz 5 und 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der
Fassung des Art. 1 Nr. 97 Buchstabe e Doppelbuchstabe bb des Gesetzes zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl I S. 378)
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Gaier
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 15. Mai 2007 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
I.
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Regelungen des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-WSG), die einen Abschlag auf die Abgabepreise für Generika zugunsten der gesetzlichen
Krankenversicherung vorsehen.
2
1. § 130 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) begründet die Pflicht der
pharmazeutischen Unternehmer, den gesetzlichen Krankenkassen bei der Abgabe von Arzneimitteln an gesetzlich
Versicherte einen Abschlag auf den Abgabepreis zu gewähren. Diese Pflicht wurde mit Wirkung ab dem 1. April 2006
auf patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel, die so genannten Generika, erstreckt, wobei der zu gewährende
Abschlag auf 10 % festgelegt wurde (§ 130 a Abs. 3 b Satz 1 SGB V). Auf den Abschlag wurden Preissenkungen, die
ab dem 1. Januar 2007 erfolgten, angerechnet (§ 130 a Abs. 3 b Satz 2 SGB V). Die Vorschrift lautet:
3
Für patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel erhalten die Krankenkassen ab dem 1. April 2006
einen Abschlag von 10 vom Hundert des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers
ohne Mehrwertsteuer; für preisgünstige importierte Arzneimittel gilt Absatz 3 a Satz 3
entsprechend. Eine Absenkung des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne
Mehrwertsteuer, die ab dem 1. Januar 2007 vorgenommen wird, vermindert den Abschlag nach
Satz 1 in Höhe des Betrages der Preissenkung; wird der Preis innerhalb der folgenden 36
Monate erhöht, erhöht sich der Abschlag nach Satz 1 um den Betrag der Preiserhöhung ab der
Wirksamkeit der Preiserhöhung bei der Abrechnung mit der Krankenkasse.
4
Einige pharmazeutische Unternehmer, darunter die Beschwerdeführerin, umgingen diesen gesetzlichen Abschlag.
Sie erhöhten im Dezember 2006 die Preise um 10 % und mehr und senkten sie im Januar 2007 um mindestens 10 %.
Dadurch kamen sie in den Genuss der Regelung des § 130 a Abs. 3 b Satz 2 SGB V, die eine Anrechnung der
Senkung auf den Abschlag vorsah. In der Folge entfiel faktisch der Abschlag für die betreffenden Unternehmer.
5
Auf diese Umgehung, die entgegen der Intention des Gesetzgebers zu konstanten oder sogar steigenden Kosten für
Generika der betreffenden Unternehmer führte, reagierte der Gesetzgeber mit der angegriffenen Neuregelung in Art. 1
Nr. 97 Buchstabe e Doppelbuchstabe bb GKV-WSG durch Ergänzung des § 130 a Abs. 3 b SGB V um zwei Sätze.
Die zum 1. April 2007 in Kraft getretene Ergänzung (Art. 46 Abs. 1 GKV-WSG) lautet:
6
Satz 2 gilt nicht für ein Arzneimittel, dessen Abgabepreis nach Satz 1 im Zeitraum von 36
Monaten vor der Preissenkung erhöht worden ist; Preiserhöhungen vor dem 1. Dezember 2006
sind nicht zu berücksichtigen. Für ein Arzneimittel, dessen Preis einmalig zwischen dem 1.
Dezember 2006 und dem 1. April 2007 erhöht und anschließend gesenkt worden ist, kann der
pharmazeutische Unternehmer den Abschlag nach Satz 1 durch eine ab 1. April 2007 neu
vorgenommene Preissenkung von mindestens 10 vom Hundert des Abgabepreises des
pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer ablösen, sofern er für die Dauer von
zwölf Monaten ab der neu vorgenommenen Preissenkung einen weiteren Abschlag von 2 vom
Hundert des Abgabepreises nach Satz 1 gewährt.
7
Danach entfällt die Möglichkeit der Anrechnung einer freiwilligen Preissenkung (§ 130 a Abs. 3 b Satz 2 SGB V),
wenn der Abgabepreis nach dem 1. Dezember 2006 erhöht worden ist. So wird ausgeschlossen, dass der Abschlag
durch eine vorangegangene Preiserhöhung und anschließende Preissenkung umgangen wird (§ 130 a Abs. 3 b Satz 5
SGB V).
8
Ferner enthält die Neuregelung eine Ausnahme für diejenigen Arzneimittel, deren Preis einmalig zwischen dem 1.
Dezember 2006 und dem 1. April 2007 erhöht und anschließend gesenkt worden ist. Für diese Arzneimittel, die von
der Umgehung betroffen sind, ermöglicht der Gesetzgeber die Ablösung des Abschlags durch eine Preissenkung von
mindestens 10 % ab dem 1. April 2007. Diese Ablösung steht unter der Bedingung, dass die betroffenen Unternehmer
für die Dauer von 12 Monaten einen weiteren Abschlag von 2 % gewähren (§ 130 a Abs. 3 b Satz 6 SGB V).
9
2. Die Beschwerdeführerin ist ein Unternehmen der Pharmaindustrie. Sie umging den Abschlag in Bezug auf 279
Arzneimittel durch Erhöhung und Senkung ihrer Abgabepreise.
10
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin unmittelbar gegen § 130 a Abs. 3 b Satz 5
und 6 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 97 Buchstabe e Doppelbuchstabe bb GKV-WSG und rügt eine Verletzung
ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG).
11
Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, weil die Beschwerdeführerin durch den Ausschluss
einer Anrechnung von Preissenkungen von weniger als 10 % auf den Abschlag in ihrer Preisflexibilität beeinträchtigt
werde. Derartige freiwillige Senkungen der Abgabepreise von weniger als 10 % seien auf dem Generika-Markt, auf
dem ein intensiver Preiswettbewerb herrsche, unverzichtbar. Sie gingen bei ihr voll zu Lasten des Ertrages, während
sie bei den konkurrierenden Unternehmern gemäß § 130 a Abs. 3 b Satz 2 SGB V auf den Abschlag von 10 %
angerechnet würden. Darin liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung.
12
Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG sei auch dadurch verletzt, dass die Beschwerdeführerin im
Gegensatz zu der von der Neuregelung nicht betroffenen Konkurrenz eine Ablösung des Abschlags bei einer
Preissenkung von mindestens 10 % nur dann erreichen könne, wenn sie zusätzlich einen befristeten Abschlag von
weiteren 2 % gewähre.
13
Ferner verstoße der befristete weitere Abschlag von 2 % gegen Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip. Der weitere Abschlag habe die Funktion, in pauschalierter Weise die Vorteile abzuschöpfen, die
die von der Neuregelung betroffenen Unternehmer aufgrund der Umgehung des Abschlags in den Monaten Januar bis
März 2007 erzielt hätten. Das sei als eine unzulässige echte Rückwirkung zu behandeln.
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Schließlich sei Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip auch dadurch verletzt, dass die
Neuregelung der Beschwerdeführerin den Status der Abschlagsfreiheit gemäß § 130 a Abs. 3 b Satz 5 SGB V wieder
entziehe. Damit werde ihr ein in der Vergangenheit erworbener und auf Dauer angelegter rechtlicher Vorteil wegen
eines in der Vergangenheit liegenden Vorgangs unzulässigerweise wieder entzogen.
II.
15
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a
Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche
Bedeutung nicht zu. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin
angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Beschwerdeführerin ist nicht in ihren
Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt.
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1. a) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass eine Regelung, die einen zwangsweise zu
gewährenden Preisabschlag zugunsten der gesetzlichen Krankenkassen vorsieht, an der Berufsfreiheit des Art. 12
Abs. 1 GG zu messen ist (vgl. BVerfGE 114, 196 <244 ff.>). Das Grundrecht umfasst auch die Freiheit, das Entgelt
für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit den Interessenten auszuhandeln (vgl. BVerfGE 102, 197
<212 f.>; 106, 275 <298>). Der Preisabschlag bewirkt der Sache nach eine Preisreglementierung und stellt sich
insofern als Eingriff in die Berufsfreiheit in Form einer Berufsausübungsregelung dar (vgl. BVerfGE 68, 193 <216>;
114, 196 <244>).
17
b) Der in der Abschlagsregelung als solcher liegende Eingriff ist jedoch durch einen vernünftigen Grund des
Gemeinwohls gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 114, 196 <244 ff.>). Ein solcher Grund liegt in dem seitens des
Gesetzgebers verfolgten Ziel der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl.
BVerfGE 68, 193 <218>; 114, 196 <244>). Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit festgestellt, dass die
Senkung der Arzneimittelpreise durch Einführung eines zwangsweise zu gewährenden Abschlags im Hinblick auf
dieses Ziel geeignet und erforderlich ist (vgl. BVerfGE 114, 196 <245>). Auch die Angemessenheit begegnet keinen
durchgreifenden Bedenken. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die Arzneimittelhersteller zwar Belastungen
unterworfen sind, sie aber zugleich von der Einbindung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung
profitieren (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. Dezember 1990 - 1 BvR 1418 u.a. -,
DtZ 1991, S. 91 <93>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 1999 - 1 BvR 264/95 u.a. -,
NJW 2000, S. 1781 <1782>). Insofern sind Belastungen grundsätzlich hinzunehmen, soweit sie die Betroffenen nicht
unzumutbar belasten (vgl. BVerfGE 114, 196 <246>). Davon geht auch die Beschwerdeführerin aus, die die
Abschlagsregelung als solche ausdrücklich nicht angreift.
18
2. Die Beschwerdeführerin wendet sich aber dagegen, dass die Neuregelung gemäß § 130 a Abs. 3 b Satz 5 SGB V
den Abschlag in Höhe von 10 % des Abgabepreises erneut auf sie erstreckt. Insoweit ist der aus Art. 12 Abs. 1 GG in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Grundsatz des Vertrauensschutzes
Maßstab der Prüfung.
19
a) Ein Fall von echter Rückwirkung liegt nicht vor, weil die Vorschrift des § 130 a Abs. 3 b Satz 5 SGB V nicht
nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (vgl. BVerfGE 95, 64
<86>; 101, 239 <263>). Dies käme allenfalls dann in Betracht, wenn die Vorschrift Abschläge auch für den Zeitraum
von Januar bis März 2007 vorsehen würde, was nicht der Fall ist. Darüber hinaus begründet die in den Monaten
Januar bis März 2007 bestehende Abschlagsfreiheit auch keinen „Status“ im Sinne einer individuell zugeordneten
Rechtsposition, deren Veränderung unter dem Gesichtspunkt einer echten Rückwirkung zu behandeln sein könnte.
20
b) Ob ein Fall von unechter Rückwirkung vorliegt, ist zumindest zweifelhaft. Denn eine unechte Rückwirkung liegt
nicht schon dann vor, wenn eine Regelung Rechtsfolgen an einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt knüpft
und damit diesem Sachverhalt für die Zukunft eine neue rechtserhebliche Bedeutung beimisst. Es gibt keinen
Vertrauensschutz dagegen, dass der Gesetzgeber eine in der Vergangenheit noch nicht geregelte Frage nunmehr für
regelungsbedürftig hält und dabei an solche Sachverhalte anknüpft (vgl. BVerfGE 103, 271 <287>; 109, 96 <121 f.>).
So aber liegt es hier. Der Gesetzgeber knüpft an den in der Vergangenheit liegenden Tatbestand einer Preiserhöhung
eine für die Zukunft nachteilige Rechtsfolge. Dabei war in der Vergangenheit einer Preiserhöhung nicht etwa eine
bestimmte Rechtsfolge zugeordnet, die nunmehr entfällt und auf deren Fortbestand die Beschwerdeführerin vertrauen
durfte. Vielmehr fehlte es diesbezüglich an jeder Regelung. Die allgemeine Erwartung der Unveränderlichkeit der
Rechtslage ist indes nicht Gegenstand des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes (vgl. BVerfGE 105, 17 <40>;
109, 133 <180 f.>).
21
c) Selbst wenn man von einer unechten Rückwirkung ausgehen und Art. 20 Abs. 3 GG als Prüfungsmaßstab
heranziehen wollte (vgl. BVerfGE 101, 239 <262>; 103, 271 <287>), begegnete die Neuregelung keinen Bedenken.
Eine unechte Rückwirkung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich zulässig (vgl.
BVerfGE 95, 64 <86>; 109, 96 <122>). Grenzen können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben, wenn auf Seiten des Betroffenen ein schutzwürdiges Vertrauen besteht. Daran
fehlt es hier, weil die Beschwerdeführerin schon in dem Zeitpunkt, an den die Neuregelung anknüpft, nicht mit dem
Fortbestand der für sie günstigen Rechtslage rechnen durfte (vgl. BVerfGE 95, 64 <87>). Das Verhalten der
Beschwerdeführerin entsprach zwar dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung, missachtete aber für jedermann
offenkundig ihren eindeutigen Sinn und Zweck, Einsparungen im Bereich der Arzneimittelversorgung zu bewirken.
Denn die von der Beschwerdeführerin vorgenommenen Preiserhöhungen und anschließenden Preissenkungen führten
zu konstanten oder sogar steigenden Arzneimittelpreisen. Angesichts dieser Sachlage musste der
Beschwerdeführerin klar sein, dass der Gesetzgeber reagieren und die Umgehungsmöglichkeit für die Zukunft
beseitigen würde (vgl. BTDrucks 16/4247, S. 47).
22
3. Weiter wendet sich die Beschwerdeführerin gegen eine Diskriminierung aufgrund der Nichtanrechnung von
Preissenkungen von weniger als 10 % auf den Abschlag, die den von der Neuregelung nicht betroffenen
Unternehmern möglich ist, sowie aufgrund des von ihr bei einer Anrechnung für 12 Monate zu gewährenden Abschlags
von weiteren 2 %. Insoweit ist die betreffende Regelung des § 130 a Abs. 3 b Satz 6 SGB V am Maßstab des
allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen.
23
a) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. An
Ungleichbehandlungen sind besondere Anforderungen zu stellen, die je nach Regelungsgegenstand und
Differenzierungsmerkmalen
vom
bloßen
Willkürverbot
bis
hin
zu
einer
strengen
Bindung
an
Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 107, 27 <47>). Eine strenge, am
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Prüfung ist vor allem dann vorzunehmen, wenn Personengruppen
unterschiedlich behandelt werden (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 95, 267 <316>). Aber auch wenn nicht
Personengruppen, sondern lediglich Sachverhalte einer verschiedenen Behandlung unterliegen, ist ein umso
strengerer Maßstab anzulegen, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter
Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 82, 126 <146>; 107, 27 <46>).
24
b) Gemessen daran ist eine über die bloße Willkürkontrolle hinausgehende Prüfung geboten. Die Ungleichbehandlung
betrifft zwar weder mittelbar noch unmittelbar Personengruppen, sondern lediglich Sachverhalte, nämlich Arzneimittel,
deren Preise nach dem 1. Dezember 2006 erhöht worden sind, einerseits, und Arzneimittel, bei denen das nicht der
Fall ist, andererseits. Ein über eine bloße Willkürkontrolle hinausgehender Prüfungsmaßstab folgt aber daraus, dass
sich die Ungleichbehandlung nachteilig auf die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 GG auswirkt.
Die Neuregelung erschwert Preissenkungen und lässt die Produkte der Beschwerdeführerin am Markt optisch teurer
erscheinen, als sie es aufgrund des Abschlags tatsächlich sind. Dies mindert ihre Absatzchancen am Markt und wirkt
sich nachteilig auf die von Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner
Funktionsbedingungen (vgl. BVerfGE 105, 252 <265>) aus.
25
c) Der danach gebotene Prüfungsmaßstab bewirkt, dass die Ungleichbehandlung vor Art. 3 Abs. 1 GG nur dann
Bestand haben kann, wenn Gründe von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, dass sie die ungleiche
Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 88, 87 <98>; 95, 267 <317>). Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem
Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialrechts wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-,
Wirtschafts- und Soziallebens ein besonders weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Das Bundesverfassungsgericht
kann deshalb nicht prüfen, ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste
Lösung gefunden hat (vgl. BVerfGE 71, 255 <271>; 81, 156 <205 f.>). Gemessen daran ist die Neuregelung nicht zu
beanstanden.
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aa) Die Neuregelung führt mit § 130 a Abs. 3 b Satz 5 SGB V den Grundsatz ein, dass Preissenkungen bei
Arzneimitteln dann nicht abschlagsmindernd berücksichtigt werden, wenn in einem Zeitraum von 36 Monaten zuvor
eine Preiserhöhung stattgefunden hat. Der rechtfertigende Grund für die darin liegende Ungleichbehandlung gegenüber
denjenigen Arzneimitteln, deren Preise nicht erhöht worden sind, liegt in dem vorangegangenen Verhalten der
betroffenen Unternehmer selbst. Diese haben eine legale, aber vom Gesetzgeber offenkundig nicht beabsichtigte
Möglichkeit zur Umgehung des Abschlags gemäß § 130 a Abs. 3 b Satz 1 SGB V genutzt, indem sie ihre Preise
zunächst erhöht und anschließend wieder gesenkt haben. Dies hatte zur Folge, dass die Pflicht zur Gewährung des
Abschlags aufgrund der anzurechnenden Preissenkung gemäß § 130 a Abs. 3 b Satz 2 SGB V entfiel, obwohl damit
aufgrund der vorangegangenen Preiserhöhung kein Einspareffekt auf Seiten der Krankenkassen verbunden war. Eine
solche Umgehung stellt einen rechtfertigenden Grund dafür dar, die erkannte Gesetzeslücke dadurch zu schließen,
dass Preissenkungen nach vorangegangener Preiserhöhung den Abschlag nicht mindern. Die Beseitigung von
Umgehungsmöglichkeiten dient – wie der Abschlag selbst – der finanziellen Stabilität der Krankenversicherung, die
ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut darstellt (vgl. BVerfGE 68, 193 <218>; 114, 196 <248>). Ohne ein
solches Handeln des Gesetzgebers stand zu befürchten, dass der geplante Einspareffekt jedenfalls in wesentlichen
Teilen ausbleiben würde. Eine wirksame Beseitigung der vorhandenen Umgehungsmöglichkeit auf anderem Wege war
dem Gesetzgeber nicht möglich.
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bb) Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten war der Gesetzgeber nicht gehalten, die von der Neuregelung
betroffenen Unternehmer trotz der vorangegangenen Preiserhöhung in möglichst hohem Maße den nicht betroffenen
Unternehmern gleichzustellen. Vielmehr wäre er befugt gewesen, es bei der Regelung des § 130 a Abs. 3 b Satz 5
SGB V zu belassen und die Anrechnung von Preissenkungen nach einer Preiserhöhung generell auszuschließen.
Dies folgt schon daraus, dass dem Gesetzgeber – wie ausgeführt – ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. Auch
im Bereich des Sozialrechts muss der Gesetzgeber nicht auf jede Sonderkonstellation mit einer Sonderregelung
reagieren. Vielmehr ist ihm eine generalisierende, typisierende und pauschalierende Behandlung von Sachverhalten
grundsätzlich gestattet (vgl. BVerfGE 112, 268 <280>; 113, 167 <236>).
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Trotz dieses ihm eingeräumten Spielraums hat der Gesetzgeber den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden
Grundsatz der Nichtanrechnung um eine Sonderregelung für diejenigen Arzneimittel ergänzt, deren Preise zwischen
dem 1. Dezember 2006 und dem 1. April 2007 einmalig erhöht und anschließend gesenkt worden sind. Soweit bei
diesen Arzneimitteln nach dem 1. April 2007 eine weitere Preissenkung von mindestens 10 % stattfindet und der
Unternehmer zusätzlich für die Dauer von 12 Monaten einen Abschlag von weiteren 2 % gewährt, entfällt die Pflicht
zur Gewährung des Abschlags von 10 % gemäß § 130 a Abs. 3 b Satz 6 SGB V. Das Begehren der
Beschwerdeführerin ist auf eine Ausweitung dieser sie begünstigenden Sonderregelung gerichtet.
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Aus Art. 3 Abs. 1 GG lässt sich eine dahingehende Pflicht des Gesetzgebers jedoch nicht ableiten. Da es
angesichts seines weiten Gestaltungsspielraums im Bereich des Sozialrechts verfassungsrechtlich unbedenklich
gewesen wäre, für die betroffenen Unternehmer jede Anrechnungsmöglichkeit auszuschließen, begegnet erst recht der
bloße Ausschluss der Teilanrechnung keinen Bedenken. Der Gesetzgeber hat sich erkennbar und über das
verfassungsrechtlich durch Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Maß hinaus bemüht, eine Gleichstellung der Unternehmer, die
die Umgehungsmöglichkeit genutzt haben, zu bewirken. Es begründet keinen Gleichheitsverstoß, dass dieses
Bemühen nicht zu einer vollständigen Gleichstellung geführt hat. Denn es gibt gerade keinen Anspruch auf die aus
Sicht der Beschwerdeführerin zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung (vgl. BVerfGE 71, 255 <271>;
81, 156 <206>).
30
Hinzu kommt, dass der weitere befristete Abschlag von 2 % auch deshalb nicht zu beanstanden ist, weil es dem
Gesetzgeber unbenommen ist, die wirtschaftlichen Folgen des Verhaltens der betroffenen Unternehmer für die
gesetzlichen Krankenkassen bei der Neuregelung zu berücksichtigen. Insofern entspricht der weitere Abschlag von
2 %, den ein Unternehmer gewähren muss, wenn er in den Genuss der Anrechnung einer Preissenkung kommen
möchte, bei typisierender Betrachtung etwa dem zusätzlich zu Lasten der Krankenkassen erzielten Gewinn. Dieser
beträgt 10 % in einem Zeitraum von drei Monaten, was auf das Jahr gerechnet 2,5 % entspricht. Dieser Betrag wird
von der Neuregelung, die 2 % für 12 Monate vorsieht, nicht erreicht.
31
4. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen den befristeten weiteren Abschlag von 2 % unter dem Gesichtspunkt
wendet, dass ihr damit in der Vergangenheit rechtmäßig erlangte Vorteile wieder entzogen werden, ist Art. 12 Abs. 1
GG als Prüfungsmaßstab heranzuziehen.
32
a) Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob die Neuregelung insoweit einen Grundrechtseingriff oder eine
eingriffsgleiche Beeinträchtigung darstellt. Denn der Abschlag in Höhe von 2 % ist nicht zwangsweise zu gewähren.
Kein Unternehmer ist verpflichtet, von der bloß fakultativen Anrechnungsmöglichkeit des § 130 a Abs. 3 b Satz 6
SGB V Gebrauch zu machen. Allerdings stellt sich die Regelung als Teil einer umfassenden und als solche in Art. 12
Abs. 1 GG eingreifenden Preisreglementierung dar. Darüber hinaus besteht ein erheblicher wirtschaftlicher Druck, die
Anrechnungsmöglichkeit zu nutzen. Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Berufsfreiheit grundsätzlich auch vor solchen
faktischen Beeinträchtigungen, soweit sie sich als funktionales Äquivalent eines Eingriffs darstellen (vgl. BVerfGE
105, 252 <273>).
33
b) Auch bei Vorliegen eines Eingriffs oder einer eingriffsgleichen Beeinträchtigung wäre diese jedenfalls
gerechtfertigt. Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel liegt darin, den durch die Umgehung der gesetzlichen Regelung
seitens einiger Unternehmer verursachten Mehraufwand der gesetzlichen Krankenversicherung zu kompensieren (vgl.
BTDrucks 16/4247, S. 47). Zu diesem Zweck wird ein befristeter weiterer Abschlag erhoben, der sich an den
zusätzlich erzielten Gewinnen orientiert. Diese Regelung ist zum Ausgleich des Mehraufwands geeignet und
erforderlich. Auch die Angemessenheit begegnet angesichts des Gesamtziels der Sicherung der finanziellen Stabilität
der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BVerfGE 114, 196 <244 ff.>) keinen durchgreifenden Bedenken. Dass der
Zuschlag von 2 % für die Beschwerdeführerin unzumutbare Wirkungen entfaltet, hat diese selbst nicht dargetan.
34
c) Eine andere Betrachtung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 12
Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin handelt es sich um keinen Fall der
Rückwirkung. § 130 a Abs. 3 b Satz 6 SGB V knüpft an ein Verhalten nach Inkrafttreten des Gesetzes, nämlich an
eine Preissenkung ab dem 1. April 2007, an und bewirkt Rechtsfolgen ausschließlich für die Zukunft. Angesichts
dieser konkreten Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung ist das gesetzgeberische Ziel, in der Vergangenheit
entstandene Einbußen auszugleichen, unerheblich. Der Gesetzgeber hat eine Regelung gewählt, die eine
Rechtsposition der Beschwerdeführerin aus einer aus der Zeit vor dem 1. April 2007 stammenden Rechtsbeziehung
nicht antastet. Lediglich für die in diesem Zusammenhang den Krankenkassen entstandenen Einbußen ist bei
zukünftigen Geschäften in begrenztem Umfang ein Ausgleich zu leisten.
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
36
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Gaier