Urteil des BVerfG vom 08.11.2006
BVerfG: verfassungsbeschwerde, faires verfahren, staat, grundrecht, finanzen, einkünfte, gesamtstrafe, bayern, steuerpflicht, erkenntnis
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 620/03 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S ...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Michael Rosenthal,
Bismarckstraße 61, 76133 Karlsruhe -
gegen
a)
den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. März 2003 - 4St
RR 7/2003 -,
b)
das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. Oktober 2002 - 2 Ns 501 Js
7/2001 -,
c)
das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 10. April 2002 - 46 Cs 501 Js 7/01 C 1 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richter Di Fabio
und Landau
gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 8. November 2006 einstimmig beschlossen:
1.  Der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. März 2003 - 4St RR 7/2003 - und das Urteil
des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. Oktober 2002 - 2 Ns 501 Js 7/2001 - verletzen den Beschwerdeführer
in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des
Grundgesetzes, soweit der Beschwerdeführer wegen der Hinterziehung von Einkommensteuer im
Veranlagungszeitraum 1997 verurteilt worden ist. Insoweit wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom
7. Oktober 2002 - auch im Gesamtstrafenausspruch - aufgehoben.
Der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. März 2003 wird im Umfang der Aufhebung
des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. Oktober 2002 für gegenstandslos erklärt. Die Sache wird
an das Landgericht Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
2.  Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
3.  Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer ein Zehntel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
1
Die  Verfassungsbeschwerde  betrifft  die  Verfassungsmäßigkeit  strafrechtlicher  Verurteilungen  wegen  der
Hinterziehung  von  Zinserträgen  im  Veranlagungszeitraum  1993  und  Spekulationsgewinnen  im  Veranlagungszeitraum
1997.
A.
I.
2
1. Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer am 10. April 2002 wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen zu einer
Gesamtgeldstrafe von 320 Tagessätzen zu je 100 Euro verurteilt.
3
2.  Im  Berufungsverfahren  änderte  das  Landgericht  das  Strafmaß  auf  300  Tagessätze  zu  je  25  Euro  ab.  Nach  den
Feststellungen  des  Landgerichts  hatte  der  Beschwerdeführer  in  seiner  Einkommensteuererklärung  für  den
Veranlagungszeitraum  1993  Kapitaleinkünfte  aus  festverzinslichen  Wertpapieren  (sogenannte  Zero  -  Coupon  Bonds)
entgegen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 1990 in Höhe von insgesamt 330.570 DM sowie Dividendeneinnahmen von
822 DM nicht erklärt, wodurch er Einkommensteuer in Höhe von mehr als 143.000 DM verkürzt habe. Abgesehen von
(hier nicht angegriffenen) Falschangaben zu negativen Einkünften in den Einkommensteuererklärungen für die Jahre
1995 bis 1996 habe er ferner im Veranlagungszeitraum 1997 Spekulationsgewinne im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1
Nr.  1  Buchstabe  b  EStG  1997  von  40.630  DM  nicht  erklärt,  wodurch  er  Einkommensteuer  in  Höhe  von  mehr  als
13.000 DM hinterzogen habe.
4
3.  Die  Revision  des  Beschwerdeführers  hat  das  Bayerische  Oberste  Landesgericht  mit  Beschluss  vom  11.  März
2003 verworfen (veröffentlicht BayObLGSt 2003, S. 24; NStZ-RR 2003, S. 243; wistra 2003, S. 315).
II.
5
Der  Beschwerdeführer  rügt  mit  der  gegen  die  genannten  fachgerichtlichen  Entscheidungen  erhobenen
Verfassungsbeschwerde  die  Verletzung  seiner  Grundrechte  aus  Art.  101  Abs.  1  Satz  2  GG,  weil  das  Bayerische
Oberste  Landesgericht  das  Verfahren  hinsichtlich  der  Besteuerung  von  Spekulationsgewinnen  im
Veranlagungszeitraum  1997  gemäß  Art.  100  Abs.  1  GG  dem  Bundesverfassungsgericht  habe  vorlegen  müssen.
Zudem  sei  diese  Besteuerung  ebenso  wie  die  Zinsbesteuerung  im  Jahr  1993  mangels  ausreichender
Belastungsgerechtigkeit wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig; eine darauf gestützte
strafrechtliche Verurteilung habe nicht ergehen dürfen.
B.
6
Zur  Verfassungsbeschwerde  haben  sich  das  Bayerische  Staatsministerium  der  Justiz  und  das  Bundesministerium
für  Finanzen  geäußert.  Außerdem  wurden  der  Bundestag,  der  Bundesrat,  die  Bundesregierung,  alle
Länderregierungen, der Bundesgerichtshof sowie der Bundesfinanzhof gehört.
C.
I.
7
Die Verfassungsbeschwerde ist mangels Beschwer unzulässig, soweit sie sich gegen das Urteil des Amtsgerichts
vom 10. April 2002 richtet. Durch die nachfolgende Entscheidung des Landgerichts ist eine prozessuale Überholung
eingetreten.
II.
8
Unzulässig  ist  die  Verfassungsbeschwerde  auch,  soweit  sie  sich  gegen  die  Verurteilung  wegen  der  Hinterziehung
von Einkommensteuer im Jahr 1993 richtet.
9
1.  Soweit  der  Beschwerdeführer  vorträgt,  die  Besteuerung  von  Kapitaleinkünften  im  Veranlagungszeitraum  1993
verletze  Art.  3  Abs.  1  GG,  hat  er  den  Grundsatz  der  materiellen  Subsidiarität  nicht  beachtet,  der  es  gebietet,  im
Verfahren  vor  den  Fachgerichten  alle  zumutbaren  prozessualen  Möglichkeiten  zu  ergreifen,  um  die  vermeintliche
Grundrechtsverletzung abzuwenden (vgl. BVerfGE 68, 384 <389>; 112, 50 <60>).
10
Der  Beschwerdeführer  hat  nicht  alle  Möglichkeiten  ergriffen,  um  vor  den  Fachgerichten  Rechtsschutz  zu  erlangen.
Er  hat  es  versäumt,  seine  verfassungsrechtlichen  Bedenken  gegen  die  Besteuerung  von  Kapitaleinkünften  im
Veranlagungszeitraum  1993  im  sachnäheren  Steuerverfahren  vorzutragen.  Ein  solches  Vorgehen  war  ihm  hier  auch
zumutbar.  Zu  unerlaubtem  Handeln  war  er  nicht  gezwungen.  Zudem  kann  der  Beschwerdeführer
verfassungsprozessual  keine  Besserstellung  gegenüber  jenen  Steuerpflichtigen  beanspruchen,  die  der  Staat  auf
Grund wahrheitsgemäß erklärter Kapitaleinkünfte zur Besteuerung herangezogen hat. Dies gilt umso mehr, als gerade
Letztere  als  Folge  struktureller  Erhebungsdefizite  eine  Ungleichbehandlung  erfahren;  denn  sie  werden  auf  Grund  der
mangelhaften  Gestaltung  des  Erhebungsverfahrens  gegenüber  denjenigen  benachteiligt,  welche,  wie  der
Beschwerdeführer, ihre Einkünfte bei einem geringen Risiko der Entdeckung verschwiegen haben (vgl. BVerfGE  84,
239 <268>).
11
2. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, es liege eine Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren
(Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) vor, weil seine Verurteilung auf keiner ausreichenden gesetzlichen
Grundlage  beruhe,  ist  die  Verfassungsbeschwerde  jedenfalls  deshalb  unzulässig,  weil  sie  nicht  den
Begründungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG genügt.
12
a)  Ein  Beschwerdeführer  hat  nicht  nur  die  Grundrechtsverletzung  durch  Bezeichnung  des  angeblich  verletzten
Rechts und den die Verletzung enthaltenden Vorgang substantiiert und schlüssig darzulegen, sondern er ist weiterhin
gehalten  vorzutragen,  inwieweit  das  geltend  gemachte  Grundrecht  durch  die  angegriffenen  Maßnahmen  verletzt  ist
(vgl. BVerfGE 99, 84 <87>).
13
Hier  wendet  sich  der  Beschwerdeführer  nicht  dagegen,  dass  der  Staat  überhaupt  Steuern  auf  Kapitaleinkünfte
erhebt,  sondern  er  beanstandet  ausschließlich  deren  ungenügende  Durchsetzung.  Er  hat  zwar  vorgetragen,  dass
seiner Ansicht nach die Vorschriften über die Besteuerung von Kapitalvermögen im Veranlagungszeitraum 1993 den
Vorgaben  des  Bundesverfassungsgerichts  zur  Verfassungsmäßigkeit  der  Besteuerung  von  Kapitaleinkünften  nicht
entsprächen;  dabei  hat  er  aber  außer  Acht  gelassen,  dass  eine  mangelnde  Belastungsgleichheit  dem  Staat  auch
zurechenbar  sein  muss;  hieran  fehlt  es,  wenn  dem  Gesetzgeber  ein  Zeitraum  zur  Beurteilung  zuzubilligen  ist,  in
welchem  er  den  Erfolg  seiner  gesetzgeberischen  Maßnahmen  zur  Beseitigung  eines  Verfassungsverstoßes  prüfen
darf.
14
aa)  Hinsichtlich  der  Besteuerung  von  Kapitalerträgen  hatte  das  Bundesverfassungsgericht  festgestellt,  dass  die
mangelnde  Besteuerungsgleichheit  nur  noch  bis  zum  31.  Dezember  1992  hinzunehmen  ist  (vgl. BVerfGE  84,  239
<285>). Daraufhin hat der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung
(Zinsabschlagsgesetz) vom 9. November 1992 reagiert. Dieses Gesetz sah verschiedene neue Instrumente vor, um
eine  ausreichende  Belastungsgerechtigkeit  herzustellen:  So  wurden  der  Sparerfreibetrag  verzehnfacht,  ein
anrechenbarer  Zinsabschlag  von  inländischen  Zahlstellen  erhoben  und  Mitteilungspflichten  gegenüber  dem
Bundesamt für Finanzen eingeführt.
15
bb) Eine Belastungsungleichheit ist dem Gesetzgeber nur dann zurechenbar, wenn sich ihm der Schluss aufdrängen
musste,  dass  für  die  in  Frage  stehende  Steuer  mit  Blick  auf  die  Erhebungsart  sowie  die  nähere  Regelung  des
Erhebungsverfahrens  das  von  Verfassungs  wegen  vorgegebene  Ziel  der  Gleichheit  im  Belastungserfolg  prinzipiell
nicht zu erreichen ist und er sich dieser Erkenntnis nicht verschließen durfte (vgl. BVerfGE 84, 239 <272>).
16
cc)  Da  der  Gesetzgeber  erst  nach  Vorliegen  belastbarer  Erkenntnisse  in  der  Lage  war,  die  Wirksamkeit  des
Zinsabschlagsgesetzes  in  seiner  Gesamtheit  beurteilen  zu  können,  konnte  eine  (eventuell  fortbestehende)
unzureichende  Lastengleichheit  in  der  Anfangsphase  der  Neuregelung,  also  jedenfalls  im  Jahr  1993,  nur  unter
besonderen Voraussetzungen den Wegfall der Steuerpflicht bedingen. In Anbetracht der Reaktion des Gesetzgebers
wäre  eine  Verfassungswidrigkeit  der  Besteuerungsgrundlage  also  erst  in  Betracht  gekommen,  wenn  sich  dem  Staat
(neuerlich) ein struktureller Erhebungsmangel aufgedrängt hätte.
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dd)  Für  die  Frage,  ab  welchem  Kalenderjahr  dem  Gesetzgeber  ein  Verstoß  gegen  die  tatsächliche
Belastungsgleichheit  zurechenbar  ist,  lassen  sich  keine  allgemein  gültigen  Maßstäbe  entwickeln;
entscheidungserhebliche  Tatsachen  können  dabei  Zeitpunkt,  Art  und  Ausmaß  der  in  Fachkreisen  geführten
Diskussion,  die  Entwicklung  von  Märkten,  auf  die  die  einschlägige  Besteuerung  abzielt,  oder  die  Ergebnisse  von
Gutachten anerkannter Institute oder verwaltungsinterner Untersuchungen sein (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des
Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. April 2006 - 2 BvL 8/05 und 2 BvL 12/05 - sowie vom 19.
April 2006 - 2 BvR 300/06 -, juris).
18
b)  Hieran  gemessen  zeigt  das  Vorbringen  des  Beschwerdeführers  eine  Grundrechtsverletzung  nicht  auf.  Dass  das
seit dem 1. Januar 1993 geltende Zinsabschlagsgesetz dazu diente, die Belastungsgleichheit zu verbessern, stellt er
nicht  in  Abrede;  er  meint  lediglich,  dieses  Gesetz  sei  -  insbesondere  mangels  Aufhebung  des  §  30  a  AO  -  von
vornherein nicht geeignet gewesen, dieses Ziel zu erreichen. Mit der Frage, ob der Staat zunächst die Auswirkungen
der  Gesetzesnovelle  abwarten  durfte  -  und  es  deshalb  an  einer  Zurechenbarkeit  der  möglicherweise  im  Jahr  1993
gegebenen Belastungsungleichheit fehlen könnte -, setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht auseinander. Hierzu
hätte aber umso mehr Anlass bestanden, als schon der Bundesfinanzhof die Verfassungsmäßigkeit von § 20 Abs. 1
Nr. 7 EStG 1993 auch damit begründet hat, dass der Gesetzgeber auf Grund des ihm zukommenden Prognose- und
Einschätzungsspielraums  "jedenfalls  zunächst  einmal  die  Erwartung  hegen  durfte",  dass  die  Nachbesserungen  zur
Erzielung eines verfassungsmäßigen Zustands ausreichten (vgl. BFHE 183, 45).
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Die bloße Behauptung, die bei Beratung des Zinsabschlagsgesetzes angenommenen Prognosen seien unzureichend
und der Gesetzgeber habe die fehlende Wirksamkeit der mit dem Zinsabschlagsgesetz eingeführten Instrumentarien
gekannt, reicht daher zur schlüssigen Darlegung einer Grundrechtsverletzung nicht aus; dies gilt umso mehr, als der
Beschwerdeführer hinsichtlich der bei inländischen Zahlstellen erzielten Einkünfte eine Verbesserung der staatlichen
Durchsetzungsmöglichkeiten bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften nicht bestreitet, die Möglichkeiten staatlicher
Einflussnahme  auf  Auslandssachverhalte  von  vornherein  begrenzt  sind  und  auch  die  im  Verfahren  vor  dem
Bundesfinanzhof angehörten Institutionen - Bundesbank, Bundesrechnungshof und Bundesministerium der Finanzen -
zumindest eine durch das Zinsabschlagsgesetz eingetretene Milderung des Erfassungsdefizits festgestellt haben (vgl.
BFHE  183,  45  <48>).  Der  Beschwerdeführer  trägt  auch  keine  Umstände  vor,  die  geeignet  wären,  einen  bewussten
Fehlgebrauch  des  gesetzgeberischen  Ermessens  zu  belegen.  Schließlich  stützt  sich  das  Vorbringen  ausschließlich
auf  Ereignisse,  Erkenntnisse  und  Veröffentlichungen  aus  späteren  Jahren,  die  dem  Gesetzgeber  im  hier
maßgeblichen Zeitraum nicht vorlagen und deshalb außer Betracht bleiben müssen.
20
c) Die Rechtsanwendung des § 370 AO und die konkrete Ausgestaltung des gegen ihn geführten Strafverfahrens hat
der Beschwerdeführer nicht beanstandet.
D.
21
Soweit  der  Beschwerdeführer  rügt,  seine  Verurteilung  wegen  der  Hinterziehung  von  Einkommensteuer  im
Veranlagungszeitraum  1997  auf  Grund  verschwiegener  Einkünfte  aus  Spekulationsgewinnen  verletze  jedenfalls  sein
Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG), wird die Verfassungsbeschwerde zur
Entscheidung  angenommen,  weil  dies  zur  Durchsetzung  seiner  Rechte  angezeigt  ist  (§  93a  Abs.  2  Buchstabe  b
BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer ergebenden
Weise  zulässig  und  offensichtlich  begründet.  Die  für  die  Beurteilung  maßgeblichen  Fragen  hat  das
Bundesverfassungsgericht entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
22
I.
23
Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.
24
1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20
Abs.  3  GG  geltend  macht,  entspricht  die  Verfassungsbeschwerde  den  Begründungsanforderungen.  Wie  das
Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 9. März 2004 (vgl. BVerfGE 110, 94 <138>) festgestellt hat, hat
es  der  Staat  hinsichtlich  dieser  Steuerart  im  Veranlagungszeitraum  1997  versäumt,  rechtzeitig  Maßnahmen  zur
Herstellung  einer  verfassungsrechtlichen  Anforderungen  genügenden  Belastungsgleichheit  herzustellen.  Zur  Frage
eines  dem  Gesetzgeber  zuzubilligenden  Einschätzungsspielraums  bedurfte  es  daher  keiner  weiter  gehenden
Ausführungen.
25
2.  Der  Beschwerdeführer  kann  hier  nicht  auf  das  Wiederaufnahmeverfahren  nach  §  79  Abs.  1  BVerfGG  verwiesen
werden,  weil  die  Verfassungsbeschwerde  zum  Zeitpunkt  der  Nichtigerklärung  der  Vorschrift  des  §  23  Abs.  1  Satz  1
Nr. 1 Buchstabe b EStG durch das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts am 9. März 2004 (vgl.
BVerfGE 110, 94) bereits anhängig war (vgl. BVerfGE 11, 61 <63>).
II.
26
Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit auch begründet.
27
Das  Urteil  des  Landgerichts  und  der  Beschluss  des  Bayerischen  Obersten  Landesgerichts  verletzen  den
Beschwerdeführer jedenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
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Das  Bundesverfassungsgericht  hat  mit  Urteil  vom  9.  März  2004  die  Vorschrift  des  §  23  Abs.  1  Satz  1  Nr.  1
Buchstabe  b  EStG  in  der  Neufassung  des  Einkommensteuergesetzes  vom  16.  April  1997  für  nichtig  erklärt  (vgl.
BVerfGE  110,  94).  Damit  ist  die  Grundlage  für  eine  strafrechtliche  Verurteilung  des  Beschwerdeführers  wegen  der
Hinterziehung der aus Spekulationsgewinnen zu entrichtenden Steuer entfallen.
29
Da  die  Verfassungsbeschwerde  keine  weiter  gehenden  Rechtsschutzziele  verfolgt,  braucht  das
Bundesverfassungsgericht  nicht  zu  entscheiden,  ob  der  Beschluss  des  Bayerischen  Obersten  Landesgerichts  vom
11. März 2003 insoweit noch sonstige Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt hat.
E.
30
1. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG ist das Urteil des Landgerichts vom 7. Oktober 2002 hinsichtlich der Verurteilung
wegen  der  Hinterziehung  von  Einkommensteuer  im  Jahr  1997  aufzuheben.  Dies  bedingt  den  Wegfall  auch  der
Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung des Urteils des Landgerichts ist der Beschluss des Bayerischen Obersten
Landesgerichts  für  gegenstandslos  zu  erklären.  Das  Verfahren  ist  insoweit  an  das  Landgericht  zurückzuverweisen,
welches hinsichtlich der von der Aufhebung betroffenen Tat über den dem Beschwerdeführer in der Anklageschrift zur
Last gelegten Sachverhalt neu zu entscheiden und auch eine neue Gesamtstrafe festzusetzen haben wird.
31
2.  Da  die  Verfassungsbeschwerde  nur  zu  einem  geringen  Teil  Erfolg  hat  -  der  Schwerpunkt  lag  hier  schon  in
Anbetracht der Höhe der jeweiligen Einzelstrafen (270 Tagessätze gegenüber 40 Tagessätzen) bei dem Angriff gegen
die Verurteilung wegen der Hinterziehung von Steuern aus Kapitaleinkünften im Jahr 1993 -, ist es gerechtfertigt, den
Freistaat  Bayern  gemäß  §  34a  Abs.  2,  3  BVerfGG  nur  mit  einem  Zehntel  der  notwendigen  Auslagen  des
Beschwerdeführers zu belasten.
32
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Di Fabio
Landau