Urteil des BVerfG vom 17.12.2012

BVerfG: satzung, eintritt des versicherungsfalls, anwartschaft, vergleich, versicherter, zahl, tarifvertrag, zukunft, übertragung, versorgung

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 488/10 -
- 1 BvR 1047/10 -
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
I. des Herrn K…,
- Bevollmächtigte:
Anwaltskanzlei Bierbrodt,
Kaiserstraße 181-183, 76133 Karlsruhe –
gegen
a)
das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 2009 – IV ZR
279/07 -,
b)
das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. September
2007 – 12 U 39/06 -,
c)
das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 2. Dezember 2005 – 6 O
63/04 –
- 1 BvR 488/10 -,
II. des Herrn Dr. H…,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Bernhard Mathies,
Soltauer Allee 22, 21335 Lüneburg –
1. unmittelbar gegen
a) das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Februar 2010 - IV ZR 312/07 -,
b) das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 5. Oktober 2007 - 6 S 14/07 -,
c) das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 13. April 2007 - 2 C 431/06 -,
2. mittelbar gegen
a) § 78 Abs. 2 Satz 1, § 79 Abs. 2 Satz 1 der am 3. Januar 2003
veröffentlichten Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der
Länder (VBLS n.F.),
b) die Mitteilungen der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder vom
18. November 2004 und 30. März 2006
- 1 BvR 1047/10 -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Schluckebier
und die Richterin Baer
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.
August 1993 (BGBl I S. 1473) am 17. Dezember 2012 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerden betreffen Auswirkungen eines Systemwechsels in der
Zusatzversorgung über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (im Folgenden:
Versorgungsanstalt) für rentennahe Versicherte.
I.
2
1. Der Zusatzversorgung der Versorgungsanstalt lag bis zum 31. Dezember 2000 der
„Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von
Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe“ vom 4. November 1966 (Versorgungs-
TV) zugrunde. Die genauere Ausgestaltung der Versorgungsansprüche ergab sich aus der
Satzung der Versorgungsanstalt in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (BAnz
Nr. 68 vom 11. April 2002, VBLS a.F.). Die hiernach zu erreichende Versorgungsrente beruhte
auf dem Gesamtversorgungsprinzip, das sich an der Beamtenversorgung orientierte.
3
Mit der Neufassung der Satzung hat die Versorgungsanstalt ihr Zusatzversorgungssystem
umgestellt. Das Gesamtversorgungssystem wurde formell mit Ablauf des 31. Dezember 2000
geschlossen; materiell wurde im Jahr 2001 übergangsweise das bisherige Satzungsrecht
weitergeführt. Den Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag über die
betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vom 1. März 2002
(auszugsweise in: Fischer/Siepe, Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, 1. Aufl. 2011,
S. 169 f., Tarifvertrag Altersversorgung, ATV) vereinbart. Damit wurde das
Gesamtversorgungssystem durch ein auf einem Punktemodell beruhendes, beitragsorientiertes
Betriebsrentensystem ersetzt. Die Voraussetzungen und der Inhalt der den Versicherten
zustehenden Leistungen sind im ATV geregelt. Mit der neuen Satzung (BAnz Nr. 1 vom
3. Januar 2003, VBLS n.F.) hat die Versorgungsanstalt die tarifvertraglichen Regelungen
inhaltlich weitgehend übernommen.
4
Für diejenigen Versicherten, die vor der Systemumstellung Anwartschaften erworben haben,
werden diese in Form von Startgutschriften in das neue Modell transferiert. Dazu wird zwischen
rentennahen und rentenfernen Pflichtversicherten unterschieden. Rentennah ist, wer am
1. Januar 2002 das 55. Lebensjahr vollendet hat und im Tarifgebiet West beschäftigt
beziehungsweise unter den Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West gefallen war oder
Pflichtversicherungszeiten in der Zusatzversorgung vor dem 1. Januar 1997 hat vorweisen
können (§ 79 Abs. 2 Satz 1 VBLS n.F.). Rentenfern sind alle anderen Pflichtversicherten, die am
31. Dezember 2001 schon und am 1. Januar 2002 noch bei der Versorgungsanstalt versichert
waren (§ 79 Abs. 1 VBLS n.F.). Anwartschaften von rentennahen Pflichtversicherten werden
weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt unter der Annahme des Eintritts des
Versicherungsfalls am 31. Dezember 2001, frühestens jedoch zum Zeitpunkt der Vollendung des
63. Lebensjahrs vor Berücksichtigung eines Abschlags wegen vorzeitiger Inanspruchnahme;
davon wird eine bis zur Vollendung des 63. Lebensjahrs mögliche Anwartschaft auf eine
Betriebsrente aus der neuen Satzung vor Berücksichtigung eines Abschlags wegen vorzeitiger
Inanspruchnahme abgezogen. Bei der Anwartschaftsermittlung werden Rechengrößen zum
Stichtag 31. Dezember 2001 zugrunde gelegt; gesamtversorgungsfähiges Entgelt wird aus den
letzten drei Jahren vor dem Stichtag berücksichtigt (§ 78 Abs. 2 VBLS n.F.). Der so ermittelte
Anwartschaftsbetrag wird in Versorgungspunkte umgerechnet, indem er durch vier Euro geteilt
wird. § 78 Abs. 1, 2 und § 79 Abs. 2 VBLS n.F. beruhen auf den nahezu inhaltsgleichen
tariflichen Regelungen in § 32 Abs. 1, 2, 4, § 33 Abs. 2 ATV. Eine Dynamisierung der
Startgutschrift erfolgt über Bonuspunkte, die von der Versorgungsanstalt nach
versicherungsmathematischen Grundsätzen vergeben werden können (§ 79 Abs. 7 VBLS n.F. in
Verbindung mit § 68 VBLS n.F.).
5
2. a) Der Beschwerdeführer in dem Verfahren unter dem Aktenzeichen 1 BvR 488/10 wurde im
Jahr 1940 geboren. Er war von September 1983 bis Februar 2005 im öffentlichen Dienst
beschäftigt. Bis zum 31. Dezember 2001 hat er bei der Versorgungsanstalt 220 Umlagemonate
aufzuweisen. Seine Vordienstzeiten belaufen sich auf 294 Monate. Die Versorgungsanstalt
ermittelte seine Rentenanwartschaft zum 31. Dezember 2001 mit 664,24 € brutto und erteilte ihm
eine darauf basierende Startgutschrift von 166,06 Versorgungspunkten. Dafür legte die
Versorgungsanstalt das gesamtversorgungsfähige Entgelt in den letzten drei Jahren vor dem
Stichtag zugrunde. Deshalb blieb der zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Arbeitgeber
geschlossene Vergleich vom 30. Mai 2002 unberücksichtigt, nach dem er zum 1. Januar 2002
höher eingruppiert wurde, was zu einer um 673 € brutto höheren monatlichen Grundvergütung
führte. Seit dem 1. März 2005 erhält der Beschwerdeführer eine Sozialversicherungsrente und
von der Versorgungsanstalt eine Betriebsrente in Höhe von 706,96 € brutto monatlich. Die
Betriebsrente basiert auf 176,74 Versorgungspunkten (166,06 Versorgungspunkte bis zum
31. Dezember 2001 zuzüglich 10,68 Versorgungspunkte vom 1. Januar 2002 bis zum
28. Februar 2005).
6
b) Der Beschwerdeführer in dem Verfahren unter dem Aktenzeichen 1 BvR 1047/10 wurde im
Jahr 1943 geboren. Er war vom 1. Mai 1970 bis zum 31. März 2006 bei der Versorgungsanstalt
versichert. Bis zum 31. Dezember 2001 hat er bei der Versorgungsanstalt 368 Umlagemonate
aufzuweisen. Seine Vordienstzeiten belaufen sich auf 88 Monate. Die Versorgungsanstalt
ermittelte seine Rentenanwartschaft zum Stichtag mit 799,84 € brutto und erteilte ihm eine darauf
basierende Startgutschrift von 199,96 Versorgungspunkten. Seit dem 1. April 2006 bezieht er
Sozialversicherungsrente und von der Versorgungsanstalt Betriebsrente in Höhe von 811,27 €
brutto monatlich auf der Basis von 217,85 Versorgungspunkten (199,96 Versorgungspunkte bis
zum 31. Dezember 2001 zuzüglich 17,89 Versorgungspunkte vom 1. Januar 2002 bis zum
31. März 2006).
7
3. Beide Beschwerdeführer möchten anstatt einer Betriebsrente aus der neuen Satzung eine der
Versorgungsrente aus der alten Satzung entsprechende Altersversorgung, hilfsweise eine
Anwendung einzelner Berechnungselemente aus der alten Satzung. Denn sie sind mit der
Systemumstellung, insbesondere mit den Übergangsregelungen zur Ermittlung einer
Startgutschrift für rentennah Versicherte, nicht einverstanden.
8
Ihre deswegen erhobenen Klagen gegen die Versorgungsanstalt wurden von der ersten Instanz
abgewiesen. Auf ihre Berufung hin hat die zweite Instanz den Klagen teilweise stattgegeben.
Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen beider Beschwerdeführer zurückgewiesen und auf
die Revisionen der Versorgungsanstalt hin die zweitinstanzlichen Urteile unter Zurückweisung
der Berufungen aufgehoben.
9
Die Systemumstellung sei vom Änderungsvorbehalt gedeckt; dazu habe es keiner Zustimmung
der Versicherten bedurft, da diese keine Versicherungsnehmer seien. Art. 14 Abs. 1 GG sei nicht
berührt, denn Anwartschaften aus der alten Satzung fielen nicht in dessen Schutzbereich. Die
Regelungen seien im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien
vertretbar und schon aus diesem Grund verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die neue
Satzung der Versorgungsanstalt sei außerdem mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden
Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Denn die
Tarifvertragsparteien hätten weder ihre Einschätzungsprärogative noch ihren Beurteilungs- und
Ermessensspielraum überschritten. Schließlich habe es für die Systemumstellung ausreichend
Anlass gegeben. Auch hätten die Tarifvertragsparteien mit der Übertragung einer Anwartschaft
auf eine Versorgungsrente zum 63. Lebensjahr eine mittlere Lösung und damit einen
sachgerechten Interessenausgleich gefunden. Auch eine Rückwirkung zum Stichtag sei
zulässig, denn die Versicherten hätten seit der Einigung der Tarifvertragsparteien auf den
Systemwechsel im ausreichend publizierten Altersvorsorgeplan vom 13. November 2001 nicht
mehr auf den Fortbestand des alten Systems vertrauen können. Die Voraussetzungen für eine
korrigierende Einzelfallentscheidung nach § 242 BGB lägen nicht vor, weil eine
Schlechterstellung nicht planwidrig, sondern Folge einer verfassungskonformen
Stichtagsregelung sei. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liege nicht in der
Festlegung der Rechengrößen wie der Steuerklasse zum Stichtag oder in der Dynamisierung
einer Startgutschrift durch Zuteilung möglicher Bonuspunkte. Es handele sich um eine zulässige
Generalisierung und Typisierung, wenn, wie schon bei der Versorgungsrentenberechnung nach
der alten Satzung, ausschließlich zwischen den Steuerklassen I/0 und III/0 ohne Differenzierung
nach weiteren Steuerklassen unterschieden werde. Zudem sei nicht zu beanstanden, wenn nur
bei der Ermittlung von Startgutschriften rentennah Versicherter Vordienstzeiten zur Hälfte
angerechnet würden bei voller Anrechnung einer während dieser Zeiten erdienten
Sozialversicherungsrente. Selbst wenn in Einzelfällen rentennahe Versicherte gegenüber
rentenfernen Versicherten benachteiligt seien, sei dies als mit den generalisierenden und
pauschalierenden Regelungen verbundene Härte hinzunehmen, soweit davon nur eine kleine
Zahl an Versicherten betroffen und das Ausmaß einer Ungleichbehandlung nicht sehr intensiv
sei. Anhaltspunkte für ein Überschreiten dieser Grenze fehlten. Außerdem seien die
Übergangsregelungen für rentennahe Versicherte sowohl mit dem Grundsatz der Normenklarheit
als auch mit dem Transparenzgebot vereinbar. Denn eine Verweisung auf die trotz ihrer
Komplexität gerade noch verfassungsrechtlich zulässige alte Satzung zur Berechnung einer zu
übertragenden Anwartschaft von rentennahen Versicherten sei als Teil des Systemwechsels zur
Besitzstandswahrung zulässig.
II.
10
Mit ihren fristgemäß eingegangenen Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer
eine Verletzung ihrer Grundrechte beziehungsweise grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 2
Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG. Sie tragen zur Begründung im
Wesentlichen vor:
11
Der Bundesgerichtshof habe verkannt, dass Anwartschaften auf eine dynamische
Versorgungsrente aus der alten Satzung jedenfalls insoweit, als sie unverfallbar seien, unter
dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz stünden. Diesen Schutz hätten die
Beschwerdeführer sich durch geleistete Arbeit, Betriebstreue und Umlagen verdient. Ihre
jeweilige Anwartschaft trage daher Entgeltcharakter. Der Systemwechsel greife darin ein, indem
eine dynamische Versorgungsrente durch eine faktisch statische Betriebsrente abgelöst werde.
Zudem würden Anwartschaften aus der alten Satzung entwertet durch deren Hochrechnung auf
das 63. Lebensjahr, weil die auf die Gesamtversorgung anzurechnende
Sozialversicherungsrente in der Regel stärker steige als die Gesamtversorgung. Dieser Effekt
werde durch die Stichtagsregelung verstärkt. Denn danach seien Rechengrößen wie der
Steuersatz zum Stichtag und nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls maßgeblich. Zudem sei
danach das gesamtversorgungsfähige Entgelt in den letzten drei Jahren vor dem Stichtag anstatt
das in den letzten drei Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls zugrunde zu legen. Die damit
genommene Dynamisierung einer Anwartschaft werde nicht durch eine Bonusregelung in der
neuen Satzung aufgefangen. Denn zum einen bestünde darauf kein Anspruch und zum anderen
richte sie sich nach Kapitalverzinsungsgrundsätzen.
12
Die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Eingriffe seien nicht gerechtfertigt. Denn die
Systemumstellung sei trotz des Änderungsvorbehalts nicht ohne Zustimmung der Versicherten
wirksam. Sie sei auch nicht von der Tarifautonomie gedeckt. Für die irreale
Notwendigkeitsvermutung der Tarifvertragsparteien gebe es keine Grundlagen. Es habe keine
steigenden Finanzierungslasten gegeben. Auch seien vermeintlich wirtschaftliche
Schwierigkeiten nicht auf den demografischen Wandel zurückzuführen. Denn der demografische
Wandel sei für die Altersversorgung im öffentlichen Dienst nicht entscheidend, vielmehr komme
es auf das Nachwachsen von Einzahlern an. Anders als prognostiziert seien Betriebsrenten
gesunken wegen der Einführung einer Nettoobergrenze und wegen einer Verlängerung der
gesamtversorgungsfähigen Zeit um fünf Jahre bei gleichzeitiger Absenkung der Nettoversorgung
je Jahr der Beschäftigung. Hinzu komme das angehobene Renteneintrittsalter. Entgegen einer
Annahme der Tarifvertragsparteien sei auch die Anzahl der Rentner nicht gestiegen. Eine
Erhöhung des Finanzierungsbedarfs aufgrund von Änderungen externer Bezugssysteme werde
bestritten. Die vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22. März 2000 beanstandete
Halbanrechnung von Vordienstzeiten rechtfertige ebenso wenig einen Systemwechsel.
13
Unabhängig von der Rechtfertigung eines Systemwechsels gebe es für die
Übergangsregelungen zur Ermittlung von Startgutschriften rentennah Versicherter aufgrund einer
Hochrechnung der Anwartschaft aus der alten Satzung auf das 63. Lebensjahr mit
Rechengrößen zum Stichtag keine Gründe - schon gar nicht für die Gruppe der Versicherten, bei
denen eine Verrentung absehbar sei. Es sei einfacher für rentennahe Versicherte die alte
Satzung neben der neuen weiterzuführen als Anwartschaften aus der alten Satzung im Wege
einer komplizierten Startgutschriftenberechnung zu übertragen. Eine Übertragung der
Anwartschaften von rentennah Versicherten sei auch nicht notwendig, um eine
Finanzierungsgrundlage für ein kapitalgedecktes System zu schaffen, da Anwartschaften wie
auch Ansprüche aus der neuen Satzung zu einem erheblichen Teil über das Umlageverfahren
und Ansprüche wie auch Anwartschaften aus der alten Satzung über Sanierungsgelder
finanziert würden. Anstelle einer komplizierten Startgutschriftenermittlung könne einfacher auf
§ 2 BetrAVG für eine Anwartschaftsermittlung zurückgegriffen werden.
14
Die Entwertung einer Anwartschaft aus der alten Satzung enttäusche zudem ein berechtigtes
Vertrauen auf deren unveränderten Fortbestand. Erschwerend komme hinzu, dass die 2003 in
Kraft getretene neue Satzung zum Stichtag zurückwirke. Ein besonders hoher Vertrauensschutz
käme den rentennah Versicherten zu, die nach langjähriger Pflichtversicherung kurz vor ihrer
Verrentung eine einschneidende Systemumstellung hätten hinnehmen müssen ohne
Möglichkeit, die damit einhergehenden Einbußen anderweitig aufzufangen.
15
Die Regelungen zur Ermittlung einer Startgutschrift für rentennahe Versicherte führten außerdem
zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der rentennah
Versicherten wegen der Hochrechnung einer Anwartschaft aus der alten Satzung auf das
63. Lebensjahr und wegen der Stichtagsregelung. Denn die Wahl des Stichtags sei willkürlich.
16
Schließlich sei das Verfahren zur Ermittlung einer Startgutschrift für rentennahe Versicherte
wegen seiner Komplexität und wegen seiner willkürlichen Annahmen mit dem rechtsstaatlichen
Grundsatz der Normentransparenz unvereinbar.
III.
17
Gründe für eine Annahme der Verfassungsbeschwerden im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG
liegen nicht vor.
18
1. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt den Verfassungsbeschwerden nicht
zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Sie werfen keine Fragen auf, die sich nicht ohne
Weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lassen oder die noch nicht durch die
verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind.
19
2. Eine Annahme der Verfassungsbeschwerden ist nicht zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1
BVerfGG genannten Rechten der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise unzulässig; im Übrigen sind sie
unbegründet.
20
a) Für beide Verfassungsbeschwerden fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, soweit das jeweilige
Berufungsgericht den Klagen der Beschwerdeführer stattgegeben hat.
21
b) Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht verletzt.
22
aa) Grundsätzlich sind unverfallbare Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung
eigentumsrechtlich geschützt (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 8. Mai 2012 -
1 BvR1065/03 und 1 BvR 1082/03 -, unter B III 2). Der eigentumsrechtliche Schutz reicht nur
soweit, wie Ansprüche bereits bestehen; er verschafft diese selbst aber nicht (BVerfG, Beschluss
des Ersten Senats vom 8. Mai 2012 - 1 BvR1065/03 und 1 BvR 1082/03 -, unter B III 2; auch
BVerfGK 11, 130 <143>). Das Grundrecht auf Eigentum schützt daher auch unverfallbare
Anwartschaften, wenn auch nicht in einer konkreten Höhe (BVerfG, Beschluss des Ersten
Senats vom 8. Mai 2012 - 1 BvR1065/03 und 1 BvR 1082/03 -, unter B III 2). Auch nach der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 1 des Ersten
Zusatzprotokolls zur EMRK (BGBl 1956 II S. 1880, BGBl 2002 II S. 1072) sind Anwartschaften
auf Ruhegehälter im öffentlichen Dienst nicht der Höhe nach geschützt (EGMR ,
Entscheidung vom 2. Februar 2006 - 51466/99, 70130/01 ,
NVwZ 2006, S. 1274 <1275>).
23
bb) Waren die unverfallbaren Anwartschaften der Beschwerdeführer auf eine dynamische
Versorgungsrente nicht in einer bestimmten Höhe geschützt, konnten sie folglich im Wege der
Systemumstellung geändert werden - auch wenn damit regelmäßig eine Verringerung
einhergehen sollte. Eine darüber hinausgehende eigentumsrechtlich bedenkliche Entwertung
des Beschäftigtenanteils an den geleisteten Beiträgen und Umlagen (vgl. zur Finanzierung
BTDrucks 14/7220, S. 83, 84, 287) ist mit der Systemumstellung nicht verbunden.
24
c) In der zum 31. Dezember 2001 rückwirkenden Systemumstellung aufgrund der am 3. Januar
2003 veröffentlichten neuen Satzung der Versorgungsanstalt ist keine Verletzung des in Art. 2
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rückwirkungsverbots zu sehen.
25
aa) Die formellen Anforderungen an eine verfassungsgemäße Regelung sind erfüllt. Eine
Satzung der Versorgungsanstalt gehört zur verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 2
Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 44, 216 <223, 224>; 54, 143 <144>; 96, 10 <21>; 103, 197 <215>). Dem
steht nicht entgegen, dass die Satzung auf einen Tarifvertrag zurückgeht. Bei der Normsetzung
durch Tarifvertragsparteien handelt es sich um Gesetzgebung im materiellen Sinn (BVerfGE 44,
322 <341>; vgl. auch BVerfGE 55, 7 <21> - für Tarifverträge, die für allgemeinverbindlich erklärt
wurden -; Burghart, in: Leibholz/Rinck, GG, Art. 9 Rn. 480 ).
26
bb) In materieller Hinsicht liegt eine grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung vor (vgl.
Hügelschäffer, ZTR 2004, S. 231 <238>).
27
(1) Eine unechte Rückwirkung ist gegeben, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht
abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit
zugleich eine betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl. BVerfGE 101, 239 <263>;
122, 374 <394>). Darum handelt es sich hier. § 78 Abs. 2 Satz 1, § 79 Abs. 2 Satz 1 der am
3. Januar 2003 veröffentlichten VBLS n.F. regeln die Ermittlung von Startgutschriften für
Anwartschaften rentennah Versicherter aus der alten Satzung mit Wirkung zum 31. Dezember
2001; später entstandene Anwartschaften werden durch Anwartschaften aus der neuen Satzung
über sogenannte Versorgungspunkte (§ 36 VBLS n.F.) ersetzt. Die betroffenen Anwartschaften
wurzeln in einem bestehenden Versicherungsverhältnis, doch ist daraus mangels Eintritt eines
Versicherungsfalls noch kein Anspruch entstanden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des
Ersten Senats vom 20. Juli 2011 - 1 BvR 2624/05 -, juris, Rn. 38). Insofern ist ein gegenwärtiger,
noch nicht abgeschlossener Sachverhalt für die Zukunft in einer Weise betroffen, die sich
regelmäßig nachteilig auswirkt, weil eine Betriebsrente aus der neuen Satzung grundsätzlich
geringer ist als eine Versorgungsrente aus der alten Satzung (vgl. BTDrucks 15/5821, S. 183;
Stephan, ZTR 2002, S. 150 <154>).
28
(2) Unzulässig wäre eine unechte Rückwirkung, wenn das Vertrauen der Betroffenen
schutzwürdiger ist als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen (vgl. BVerfGE 101, 239 <263>;
103, 392 <403>). Dies ist der Fall, wenn eine unechte Rückwirkung zur Erreichung eines
Regelungszwecks nicht geeignet oder nicht erforderlich ist oder wenn Bestandsinteressen der
Betroffenen Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl. BVerfGE 101, 239 <263>;
122, 374 <394>; 127, 1 <17, 18>; 127, 31 <47, 48>; 127, 61 <76, 77>). Bei der Beurteilung der
Geeignetheit und der Erforderlichkeit kommt dem Gesetz- oder Satzungsgeber eine
Einschätzungsprärogative zu, die nur überschritten ist, wenn Erwägungen nicht schlüssig sind
und deswegen offensichtlich keine Grundlage für eine angegriffene Maßnahme sein können (vgl.
BVerfGE 111, 126 <255>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom
29. September 2010 - 1 BvR 1789/10 -, juris, Rn. 18, 21 m.w.N.). Ein weiter
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers besteht insbesondere für die Gewährung von
Ansprüchen (vgl. BVerfGE 98, 365 <402>; 122, 151 <182>). Vorliegend ist dieser
Gestaltungsspielraum von den Tarifvertragsparteien ausgeübt worden, denn die Regelungen in
der VBLS gehen auf deren Vereinbarungen zurück (vgl. BVerfGK 13, 455 <467>).
29
(a) Hier ist das Vertrauen der Betroffenen nicht schutzwürdiger als das mit der Neuregelung
verfolgte Anliegen. Der Systemwechsel erscheint zur finanziellen Konsolidierung der
Versorgungsanstalt und zur Umsetzung der Vorgaben aus der Halbanrechnungsentscheidung
geeignet und erforderlich; es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, um - eingedenk der
Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, der die Regelung der Tarifvertragsparteien
übernimmt - daran zu zweifeln. Dies bestätigt der Zweite Versorgungsbericht der
Bundesregierung vom 19. Oktober 2001 (BTDrucks 14/7220, S. 86, 121, 152), der schon bei
Abschluss des Altersvorsorgeplans vom 13. November 2001 vorlag, auf dem der ATV vom
1. März 2002 basiert, der wiederum der VBLS n.F. vom 3. Januar 2003 zugrunde liegt. Danach
war ein die Finanzierbarkeit der Versorgungsanstalt in Frage stellender Kostenanstieg zu
erwarten. Daran ändern etwaige Rücklagen der Versorgungsanstalt nichts, denn diese sind
endlich, ihr Einsatz löst das grundsätzliche Finanzierungsproblem nicht auf Dauer und sie tragen
nichts zur Umsetzung der Vorgaben aus der Halbanrechnungsentscheidung des
Bundesverfassungsgerichts bei. Es ist auch nicht entscheidend, dass die Zahl der
(Versicherungs-)Renten niedriger ausfiel als angenommen, denn dies beruht vor allem auf
fehlenden Anträgen von beitragsfrei Versicherten und auf dem Versterben beitragsfrei
Versicherter vor Renteneintritt (vgl. BTDrucks 16/12660, S. 162). Im Nachhinein bestätigt ein
Anstieg der Sanierungsgelder (§ 65 VBLS n.F.) vielmehr die Notwendigkeit einer Reform. Die
tatsächliche Entwicklung und Hochrechnungen nach der Systemumstellung (BTDrucks 15/5821,
S. 268-270; 16/12660, S. 167) zeigen auch eine finanzielle Konsolidierung (vgl.
BTDrucks 15/5821, S. 394 im Vergleich mit BTDrucks 14/7220, S. 121). Danach steigen die
Ausgaben der Versorgungsanstalt weit weniger stark als vor der Systemumstellung
angenommen. Dazu trägt zwar auch die 1985 eingeführte Nettoentgeltobergrenze sowie die
1992 eingeführte Linearisierung und Streckung der Versorgungsstaffel bei (vgl.
BTDrucks 14/7220, S. 115, 108, 110); doch war dies schon in die Hochrechnung vor der
Systemumstellung einbezogen. Auch zwischenzeitliche Satzungsänderungen stellen die
grundsätzliche Eignung der VBLS n.F. zur Erreichung der verfolgten Ziele nicht in Frage. Es liegt
in der Natur der Normsetzung zur Regelung komplexer Sachverhalte wie der Zusatzversorgung
im öffentlichen Dienst, dass Schwachstellen zu beheben sind und dass veränderte Umstände
Anpassungen erzwingen.
30
(b) Die Bestandsinteressen der Betroffenen überwiegen die Gründe für eine rückwirkende
Systemumstellung nicht. Vorliegend mussten die Versicherten mit einer Änderung ihrer
Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung aus der alten Satzung rechnen (vgl. Konrad,
ZTR 2006, S. 356 <358>). In Anwartschaften ist von vornherein die Möglichkeit von Änderungen
angelegt (BVerfGE 122, 151 <182>).
31
Die alte Satzung enthielt einen Änderungsvorbehalt in § 14 VBLS a.F., von dem bis zum
1. Februar 2002 einundvierzig Mal Gebrauch gemacht wurde. Dabei kam es zu Änderungen wie
der Einführung einer Spitzanrechnung der Sozialversicherungsrente bei
Versorgungsanpassungen, der Schaffung einer Nettoentgeltobergrenze und einer Linearisierung
der Versorgungsstaffel. Auch hat das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung der
Halbanrechnung zum 1. Januar 2001 unter Hinweis auf die verfassungsrechtlich bedenkliche
Komplexität der alten Satzung gefordert (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten
Senats vom 22. März 2000 - 1 BvR 1136/96 -, juris, Rn. 33, 38), eine geänderte Berechnung
einer Versorgungsrente bei Teilzeitbeschäftigung erzwungen (vgl. BVerfG, Beschluss der
2. Kammer des Ersten Senats vom 25. August 1999 - 1 BvR 1246/95 -, juris) und eine
Neuregelung von unverfallbaren Anwartschaften bei vorzeitigem Ausscheiden nach § 18
BetrAVG a.F. gefordert (vgl. BVerfGE 98, 365 <402>).
32
Zudem haben sich die tatsächlichen Verhältnisse ersichtlich verändert. Dazu gehört die
Anhebung des Nettoarbeitsentgelts durch eine Ermäßigung der Beitragssätze zur gesetzlichen
Rentenversicherung und eine Ermäßigung der Steuersätze bei einer gleichzeitigen Verringerung
der anrechenbaren Sozialversicherungsrente (vgl. Langenbrinck/Mühlstädt, Betriebsrente der
Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, 3. Aufl. 2007, Rn. 10; Gilbert/Hesse, Die Versorgung der
Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Kommentar, 47. Ergänzungslieferung, Februar 2011,
Vorb. §§ 75-81 VBLS Rn. 6; Stebel, BetrAV 2000, S. 304 <305>; BTDrucks 14/7220, S. 86, 149;
BTDrucks 15/5821, S. 178). Außerdem stieg der Versorgungsquotient, weil immer mehr
verrentete Personen einer tendenziell abnehmenden Zahl von Beitragszahlungspflichtigen
gegenüberstanden (demografischer Faktor; vgl. Kiefer/Langenbrinck/Kulok, Betriebliche
Altersversorgung im öffentlichen Dienst, Kommentar, 84. Aktualisierung, 2011, ATV, Einführung,
S. 13 f.; Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Kommentar,
47. Ergänzungslieferung, Februar 2011, Vorb. §§ 75-81 VBLS Rn. 3; Wein, in: BetrAV 2002, S.
523 <524>; BTDrucks 14/7220, S. 86, 88 f., 95 f.; BTDrucks 15/5821, S. 178, 187 f., 195 f.;
BTDrucks 16/12660, S. 48). Nach dem Zweiten Versorgungsbericht der Bundesregierung vom
19. Oktober 2001 war zu erwarten, dass die Ausgaben der Versorgungsanstalt für
Versorgungsleistungen von 2000 bis 2040 je nach Einkommenstrend um rund 320 % bis 472 %
steigen (vgl. BTDrucks 14/7220, S. 121); die Bundesregierung konstatierte, dies werde die
Finanzierbarkeit der Versorgungsanstalt in Frage stellen (vgl. BTDrucks 14/7220, S. 152).
33
Schließlich ist der publizierte Vortarifvertrag vom 13. Juni 2000 zu beachten, der ein etwaiges
Vertrauen der Betroffenen ebenfalls einschränkt. In ihm verpflichteten sich die
Tarifvertragsparteien, unverzüglich Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen, unter
Vermeidung von Umlagesatzerhöhungen eine dauerhafte Finanzierung der betrieblichen
Altersversorgung im öffentlichen Dienst sicherzustellen und die Vorgaben aus der
Halbanrechnungsentscheidung umzusetzen; gleichzeitig wurde vereinbart, dass für den Fall von
ergebnislosen Verhandlungen bis Ende 2001 die Versorgungsrenten auf die Höhe zum 1. April
2000 reduziert werden (III, Nr. 3, 4 des Vortarifvertrags in: ZTR 2000, S. 311). Schließlich regelte
der Altersvorsorgeplan vom 13. November 2001 (abgedruckt in: Fischer/Siepe,
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, 1. Aufl. 2011, Anhang, S. 141 f.) Kernelemente des
Wechsels von der alten auf die neue Zusatzversorgung, die der ATV später nur umsetzte (vgl.
Stephan, ZTR 2002, S. 49 <52 f.>; Fieberg, BetrAV 2002, S. 230 <237>; Langenbrinck/Mühlstädt,
Betriebsrente der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, 3. Aufl. 2007, Rn. 1).
34
Zwar war es für rentennahe Versicherte kaum möglich, ihre Altersversorgung den geänderten
Umständen anzupassen, weil ihr Renteneintritt nach der Systemumstellung unmittelbar
bevorstand. Dem tragen jedoch die Regelungen zur Übertragung von Anwartschaften rentennah
Versicherter hinreichend Rechnung. Danach ist die zu übertragende Anwartschaft grundsätzlich
nach der alten Satzung zu ermitteln (§ 79 Abs. 2 VBLS n.F.). Deshalb fallen Startgutschriften für
Verheiratete höher aus als Startgutschriften für Unverheiratete (§ 41 Abs. 2c Buchstaben a und b
VBLS a.F.; Fischer/Siepe, Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, 1. Aufl. 2011, S. 187). Die
Hochrechnung einer Anwartschaft auf den Zeitpunkt der Vollendung des 63. Lebensjahrs ist
vertretbar, denn eine alternativ denkbare Berechnung zum Stichtag der Systemumstellung
verfälscht Anwartschaften mit einem bereits hohen Versorgungssatz (§ 41 VBLS a.F.) bei einer
noch geringen anzurechnenden Sozialversicherungsrente (§ 40 Abs. 2 VBLS a.F.), wenn
Versicherte noch nicht das 63. Lebensjahr vollendet haben. Das legt eine Hochrechnung auf den
Zeitpunkt des voraussichtlichen Eintritts eines Versicherungsfalls mit Beginn einer
Sozialversicherungsrente mit Vollendung des 65. Lebensjahrs nahe (§ 39 VBLS a.F.). Es
entstünden für viele Versicherte Nachteile, die bei einer regelmäßig langen
gesamtversorgungsfähigen Zeit im öffentlichen Dienst den Höchstversorgungssatz erreichen,
wenn die anzurechnende Sozialversicherungsrente weiter steigt, so dass die Zusatzversorgung
sinkt. Auch bliebe unbeachtet, dass das durchschnittliche Renteneintrittsalter im öffentlichen
Dienst bei etwa 60 Jahren liegt (vgl. BTDrucks 14/7220, S. 99 f.; 15/5821, S. 198; 16/12660,
S. 48, 156, 157), wenn der höchste Versorgungssatz nicht erreicht ist. Daher ist die Orientierung
am 63. Lebensjahr nicht zu beanstanden (vgl. Kiefer/Langenbrinck/Kulok, Betriebliche
Altersversorgung im öffentlichen Dienst, Kommentar, 84. Aktualisierung, September 2011, § 33
ATV, S. 16).
35
Den Pflichtversicherten ist auch die Orientierung an einem Stichtag (§ 78 Abs. 2 VBLS n.F.)
zumutbar. Bei einer Systemumstellung bedarf es regelmäßig einer Stichtagsregelung. Soweit
ersichtlich, entstehen hier keine Nachteile, die nicht hinnehmbar wären, etwa durch Heirat nach
dem Stichtag (a.A. Fischer/Siepe, Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, 1. Aufl. 2011, S. 43,
44). Dies gilt auch, soweit für die Berechnung von Anwartschaften das gesamtversorgungsfähige
Entgelt aus den letzten drei Jahren vor dem Stichtag zugrunde gelegt wird. Denn das Entgelt aus
den Jahren nach dem Stichtag schlägt sich in Versorgungspunkten nieder; es kann also nicht für
die Startgutschrift, also doppelt, berücksichtigt werden. Außerdem wird die entfallende
Dynamisierung einer Anwartschaft durch die Möglichkeit der Gewährung von Bonuspunkten
kompensiert (§ 79 Abs. 7, § 68 VBLS n.F.; Konrad, ZTR 2006, S. 356 <361>), auch wenn sich
dadurch Startgutschriften bis Ende 2008 durchschnittlich um nur 0,14 % erhöht haben (vgl.
Fischer/Siepe, Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, 1. Aufl. 2011, S. 41).
36
Die vorliegenden Fälle bestätigen dies. Die nicht berücksichtigte Gehaltserhöhung zum
1. Januar 2002 in dem Verfahren unter dem Aktenzeichen 1 BvR 488/10 hat ihren Rechtsgrund
in einem Vergleich vom 30. Mai 2002; zu diesem Zeitpunkt genoss der Beschwerdeführer kein
schutzwürdiges Vertrauen angesichts des Vortarifvertrags und des Altersvorsorgeplans. In
welchem Umfang und weshalb sich das Entgelt in dem Verfahren unter dem Aktenzeichen
1 BvR 1047/10 erhöht hat und wie sich dies auswirkt, ist nicht nachvollziehbar dargelegt. Ein
höheres Gehalt nach dem Stichtag hat sich im Übrigen in den Versorgungspunkten beider
Beschwerdeführer niedergeschlagen.
37
Überdies wird die zum 30. November 2001 weggefallene Dynamisierung von
Versorgungsrenten (§ 56 VBLS a.F. in der bis zum 30. November 2001 geltenden Fassung)
durch eine Dynamisierung von Betriebsrenten mit 1 % jährlich zumutbar ersetzt (§ 39 VBLS n.F.).
Dies bestätigt ein Vergleich mit den Regelungen in § 16 Abs. 3 Nr. 1 und in § 18 Abs. 4
BetrAVG.
38
Schließlich ist auch eine unangemessene Benachteiligung von Versicherten gegenüber ihren
Arbeitgebern nicht ersichtlich. Die Arbeitnehmerbeteiligung an zu leistenden Umlagen im
Abrechnungsverband West (§ 64 Abs. 3 Satz 2 VBLS n.F.) wurde begrenzt; von Arbeitgebern
werden Sanierungsgelder erhoben (§ 65 VBLS n.F.). Der pauschale Hinweis auf
Privatisierungen, die zu einem Rückgang der Zahl der aktiven Versicherten und damit zu den
Finanzierungsproblemen beigetragen haben, ändert an dieser Beurteilung nichts.
39
d) Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt.
40
aa) Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn Personen im Vergleich zu anderen anders behandelt
werden, obwohl zwischen beiden keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht
bestehen, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Dabei gilt ein stufenloser, am
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab. Eine
strengere Bindung der Rechtsetzung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn eine
Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft. Die Anforderungen verschärfen sich dann
umso mehr, je weniger die Merkmale für Einzelne verfügbar sind oder je mehr sie sich den in
Art. 3 Abs. 3 GG ausdrücklich benannten Merkmalen annähern. Das Maß der Bindung der
Rechtsetzung hängt davon ab, inwieweit Betroffene in der Lage sind, durch ihr Verhalten die
Verwirklichung der Kriterien zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (vgl. BVerfGE 124,
199 <220>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris,
Rn. 64 f.).
41
Ungleichbehandlungen durch Typisierungen und Generalisierungen sind in Kauf zu nehmen,
wenn sie nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sind, eine verhältnismäßig kleine Zahl von
Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist
(BVerfGE 26, 265 <275 f.>; 82, 126 <152>).
42
Das Grundgesetz verbietet auch Stichtagsregelungen nicht, obwohl jeder Stichtag unvermeidbar
gewisse Härten mit sich bringt. Eine Stichtagsregelung muss aber notwendig und die Wahl des
Zeitpunktes am gegebenen Sachverhalt orientiert, also sachlich vertretbar sein (BVerfGE 101,
239 <270>; 117, 272 <301>; stRspr).
43
bb) Nach diesen Maßstäben sind die hier angegriffenen Regelungen und die darauf beruhenden
fachgerichtlichen Entscheidungen mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Systemumstellung betrifft
etwa 600.000 rentennah Pflichtversicherte von insgesamt 8,8 Millionen Versicherten, darunter
4,8 Millionen Pflichtversicherte (vgl. BTDrucks 15/5821, S. 181). Vor diesem Hintergrund ist die
Festlegung eines Stichtags in § 78 Abs. 2 Satz VBLS a.F. notwendig und durch den
Altersvorsorgeplan und die Vorgaben aus der Halbanrechnungsentscheidung sachlich konkret
begründbar. Extreme Härten sind nicht ersichtlich und damit einhergehende
Ungleichbehandlungen daher hinzunehmen.
44
e) Das sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Gebot der
Normenklarheit (BVerfGE 114, 1 <53>; 108, 1 <20>; stRspr) steht einer Anwendung der
Übergangsregelungen in § 78 Abs. 2 Satz 1, § 79 Abs. 2 Satz 1 VBLS n.F. nicht entgegen.
Sowohl die Stichtagsregelung als auch die Hochrechnung von Anwartschaften auf das
63. Lebensjahr sind für sich genommen verständlich. Komplex wird die Ermittlung von
Anwartschaften erst durch den besitzstandswahrenden Verweis auf die alte Satzung, die
wiederum komplex, aber nicht verfassungswidrig ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des
Ersten Senats vom 22. März 2000 - 1 BvR 1136/96 -, juris, Rn. 38 -
Halbanrechnungsentscheidung) und auch für die Zukunft abgelöst wird.
45
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
46
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Kirchhof
Schluckebier
Baer